Branchenmeldungen 05.09.2019

Mobiler Zahnarzt – Wenn der Arzt zum Patienten kommt



Mobiler Zahnarzt – Wenn der Arzt zum Patienten kommt

Der Klimaschutz, die E-Mobilität und nicht zuletzt die Aufgaben der Migration seit 2015 lassen viele andere Probleme in den Hintergrund treten, die schon längst hätten angegangen werden müssen. Denn der demografische Wandel führt nicht nur zu immer älter werdenden Patienten, auch die niedergelassenen Kollegen in Einzelpraxen auf dem Land werden immer älter. Die jungen und meist weiblichen Absolventen zieht es in die Städte und MVZs. Terminservicegesetz und Co. der Politik gehen an der Realität genauso wirkungslos vorbei wie wirklich effiziente Konzepte der Inklusion für Menschen mit Behinderungen. In diesem Beitrag gibt Dr. Christoph Blum einen kleinen Einblick in seinen Einsatztag als mobiler Zahnarzt.

Mut und Entschlossenheit aus der Zahnärzteschaft sind notwendig, um  der Politik Lösungen aufzuzeigen und nicht länger den Arzt in unserer Berufsbezeichnung hintenanzustellen. Im Jahr 2014 wurde die aufsuchende zahnärztliche Versorgung nach § 119b SGB V eingerichtet, nach der jede stationäre Pflegeeinrichtung einen Kooperationsvertrag mit einem Zahnarzt schließen sollte. Auch mit der Novelle des BMV-Z vom Juli 2018 tat sich daran nicht viel. Für Rheinland-Pfalz stieg die Quote von April 2018 mit 205 Kooperationsverträgen auf 256 im April 2019. Insgesamt waren 451 Einrichtungen beteiligt. 

Ein Einsatztag

Bislang fährt einmal pro Woche das 26 Tonnen schwere Zahnmobil von der Klinik in Bad Ems in eine der sieben kooperierenden Alten- und Pflegeheime oder eine der zwei Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Begleitet von zwei Zahnmedizinischen Fachangestellten und einer Servicekraft steuert Dr. Blum selbst den Lkw sicher auf den Hof der Einrichtung. Über die Hydraulikanlage fährt der sechs Tonnen schwere und sieben Meter lange Con­tainer zurück und über die heckseitigen Stahlrollen weiter herunter, bis er kurze Zeit später auf dem Platz vor der Eingangstür steht. Mit geübten und eingespielten Handgriffen sind schnell die Befestigungen der zwei Rettungsfahrtragen gelöst, Stromkabel für Licht, Steckdosen und Klimagerät angeschlossen und die restliche Ausstattung aufgebaut. „Mit den Fahrtragen haben wir die Möglichkeit, den meist immobilen Patienten schonend aus seinem Pflegebett zum Zahnmobil zu bringen und dort in jeder benötigten Position zu behandeln. Falls notwendig oder gewünscht, können wir unsere Patienten in Sedierung oder, in Kooperation mit unserem Anästhesisten Dr. Schmidt, in Narkose behandeln“, erklärt Jenny Thill, Zahnmedizinische Fachangestellte, die seit Beginn dabei ist und die Einsätze begleitet.

Nach einer kurzen Besprechung mit der Heimleitung geht es los. Die ersten beiden Patienten werden von den Mitarbeitern zur Zahnreinigung und einer Unterfütterung der Prothese in das Zahnmobil geholt, während Dr. Blum und eine Assistentin sich auf den Weg machen, die ersten Neuuntersuchungen vorzunehmen.

Im Zimmer von A. Zimmermann wird die Akte studiert und eine kurze Anamnese erhoben. Der Rentner ist seit drei Jahren in der Einrichtung, demenziell verändert und nur noch mit einem Rollstuhl zu bewegen. Auf die kurzen gezielten Fragen von Dr. Blum gibt der Rentner an, keine Beschwerden zu haben und auch sonst zurechtzukommen. Die obere Prothese trägt er nur sporadisch, die untere würde gar nicht mehr passen. Er sei Einzelgänger, mit den Rest-Stumpen könne er doch eh nicht mehr groß lachen. Bei der intra­oralen Inspektion fällt eine leichte Gingivitis auf. Die Kronen scheinen sonst noch in Ordnung. Die verblockten Kronen 46 und 47 sind nach anterior gekippt, sodass der Prothesensattel nicht mehr passt. Ein Zahn ist abgebrochen. Herr Zimmermann ist einverstanden, dass auch in die Tiefe geschaut wird, und Dr. Blum legt die Bleischürze um. „Wir konnten das Umweltministerium überzeugen, dass zu einer regelrechten Medizin die Möglichkeit des Röntgen gegeben sein muss und der Transport nur für ein Bild unverhältnismäßig ist. So konnten wir erreichen, dass wir das erste und bisher einzige mobile Röntgengerät (NOMAD Pro 2, KaVo Kerr) in Betrieb nehmen konnten“, erklärt der Oralchirurg und macht geübt die ersten vier Aufnahmen. Kurze Zeit später wird klar, drei weitere Zähne weisen apikale Entzündungen auf, eine Wurzel scheint durch einen Metallstift gesprengt, insgesamt sind fünf Zähne nicht erhaltungswürdig und sollten entfernt sowie der Zahnersatz angepasst werden. „Ich werde morgen mit dem Betreuer die Ergebnisse der Untersuchung besprechen, die Möglichkeiten erörtern und das weitere Vorgehen abstimmen“, erklärt Katharina Darscheid, die seit den ersten Einsätzen die Koordination und Kommunikation zwischen Team, Einrichtung, Patienten und Betreuern übernommen hat.

Es geht weiter – denn heute stehen rund zwölf Behandlungen und noch acht weitere Untersuchungen an, dazu sechs Kontrollen vom letzten Besuch. Zurück am Lkw verschafft sich Dr. Blum einen Überblick und bekommt ein kurzes Update zu den bisher gelau­fenen Reinigungen und Zahnsteinentfernungen.

Der nächste Patient, ein 76-jähriger ehemaliger Orthopäde, ist aufgrund seiner Alzheimer­erkrankung mit der ­Situation vor Ort überfordert und wiederholt immer wieder seine Lieblingsmedikation „Scadicain, Celestan – weißt du Bescheid“. Ein Wurzelrest ist stark entzündet und muss dringend entfernt werden – ihm ist das aber nicht mehr zu vermitteln. Nach einem kurzen Gespräch mit der Ehefrau steht das Vorgehen fest: Es wird eine Sedierung notwendig sein. „Herr Kollege, wir machen jetzt eine Blutentnahme, das kennen Sie doch“, spricht Dr. Blum den Herrn an, und im geübten Team ist, trotz ­etwas Gegenwehr, der Zugang schnell gelegt. Unter Monitoring werden ein paar Medikamente gespritzt und der zuvor rabiate Patient wird ruhiger. Für die Behandlung verlässt die Ehefrau den Container: „Es ist schwer für mich, meinen Mann so zu sehen, wir wollen ihm doch nur helfen. Mit ihm könnte ich so in keine Zahnarztpraxis oder Klinik mehr fahren, daher bin ich sehr froh, dass wir dieses Angebot hier vor Ort haben und sich alle so gut um meinen Mann kümmern.“

Am späten Nachmittag ist es geschafft, das Team räumt auf. Nichts wirkt improvisiert, alles ist durchdacht und auf Pragmatismus getrimmt. Bei dem Aufbau sind viele Erfahrungen von Dr. Blum aus seiner Bundeswehrzeit und Tätigkeit im Rettungsdienst mit­eingeflossen. Nadine Stadelbeck kontrolliert noch mal, dass alle Schränke geschlossen sind, alle Wasserbehälter dicht verschlossen und Tragen sowie Kisten sicher an Ort und Stelle stehen. „Als fachfremde Kraft kam ich durch Zufall in das Team und bin gerne mit im Außeneinsatz. Wir können hier so viel Gutes tun und Menschen helfen, die es im Alltag schwer haben“, sagt sie.

Zwei Minuten später ist der Container wieder auf dem Lkw und der Truck macht sich auf den Weg zurück in die Praxis. Kommende Woche geht es wieder los – diesmal mit dem Narkose­arztteam.

Dieser Beitrag ist im Oralchirurgie Journal erschienen.

Foto Teaserbild: © Alpha STORYTELLING by Kai Kapitän

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