Branchenmeldungen 26.05.2023
Die Zukunft der kieferorthopädischen Versorgung
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Dr. Jochen Waurig ist KZVB-Referent für Kieferorthopädie
Leo Hofmeier vom BZB Bayerisches Zahnärzteblatt führte ein Interview mit Dr. Jochen Waurig über die Zukunft der kieferorthopädischen Versorgung und deren Finanzierung.
Was qualifiziert Sie für Ihre Tätigkeit als Referent?
In erster Linie das Vertrauen des Vorstands, der mich dazu ernannt hat. Ich habe meine Weiterbildung bei Dr. Arved Heß in Coburg begonnen, und er brachte mir vom ersten Tag an bei, mich für die Berufspolitik zu engagieren. Zudem gehörte ich 2004 zu den Teilnehmern des ersten KFO-Curriculums der BLZK und habe heute noch die Unterlagen von Dr. Anton Schweiger, die er uns im Rahmen des Bema-KFO-Arbeitstages überreicht hatte. Er legte damals bei mir den Grundstein dafür, dass ich mich in den Vorgaben zur kieferorthopädischen Behandlung im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung sattelfest fühle. Mein Wissen über das Vertragswesen und den Bema, meine hohe Motivation und meine Akzeptanz unter den Kollegen sind für mich die Grundlage meiner Tätigkeit.
Welche Ziele wollen Sie erreichen?
Die Aufgabe der KZVen ist es, die begrenzten Gelder der Solidargemeinschaft fair zu verteilen. Dazu gehört auf der einen Seite die sinnvolle und wirtschaftliche Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel. Auf der anderen Seite ist es der Einsatz für eine angemessene Vergütung der erbrachten Leistungen in den Praxen. Dafür braucht es eine fundierte Kenntnis des Bema und seiner Möglichkeiten, aber auch deutlichen Widerstand gegenüber den Krankenkassen, zum Beispiel bei unberechtigten Rückforderungen.Die Politik und die Gesellschaft müssen verstehen, dass ein gutes Gesundheitswesen seinen Preis hat. Unsere langjährige Ausbildung muss sich lohnen. Nur wenn unsere Leistungen angemessen vergütet werden, können wir unseren Mitarbeitern auch ein angemessenes Gehalt bezahlen und unsere Praxen wirtschaftlich betreiben. Umso wichtiger ist das geschlossene Auftreten des Berufsstandes. Nur so können wir verhindern, dass sich unsere Vergütungssituation noch weiter verschlechtert, was letztlich auch zum Nachteil der Patienten wäre.Junge Kollegen zu motivieren und sie zu unterstützen, war mir immer ein Anliegen, weil sie die zukünftigen Praxisinhaber sind. Das gelingt uns, indem wir die Möglichkeiten und die Grenzen der vertragszahnärztlichen Versorgung offen, verständlich und transparent aufzeigen.
Wie können Sie Ihre Ehrenämter und die Tätigkeit in der eigenen Praxis vereinbaren?
Mit eigener Leidenschaft und der Unterstützung meines Umfeldes. In der Praxis arbeite ich mit einem gut eingespielten Team zusammen. Zudem hat meine Familie viel Verständnis für meine Arbeit. Ein Spagat bleibt es immer, aber nichts zu tun, ist für mich keine Alternative. Wir arbeiten doch alle in einem wunderbaren Beruf. Das, was wir jetzt haben, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit von engagierten Kollegen. Das sollten wir würdigen, und jeder sollte bereit sein, seinen Teil dazu beizutragen. Ich sehe das auch als Vorbildfunktion meinen Kindern gegenüber: Wer nichts tut, braucht sich nicht zu beschweren, dass nichts passiert.
Mehr GOZ, weniger Bema – ist das die richtige Antwort auf die Wiedereinführung der Budgetierung durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach?
Wir sollten sowohl den Bema korrekt anwenden und können aber auch die Möglichkeiten nutzen, die uns die GOZ bietet. Natürlich schulden wir als Vertragszahnärzte den aktuell wissenschaftlichen Standard, dem steht das Wirtschaftlichkeitsgebot im Sozialgesetzbuch gegenüber. Ich denke, wir haben in der Vergangenheit zu viel in den Bema gepackt. Im Rahmen meiner Zulassung muss ich 25 Stunden pro Woche für Kassenpatienten da sein – aber wir arbeiten doch alle mehr für Kassenpatienten, als wir müssten. Nicht kostendeckende Leistungen – das können wir uns künftig wirtschaftlich nicht mehr erlauben.
Das gilt genauso für nachträgliche Kürzungen durch die Krankenkassen wie die KostenübernahmeAblehnung der Abformpauschale bei den Regionalkassen. Der BMV-Z hat hier klare Vorgaben gemacht, die bayerischen Regionalkassen waren der Meinung, dass sie davon befreit wären, und ich musste das vor dem Landessozialgericht juristisch klären lassen. So etwas dürfen wir uns auch zukünftig einfach nicht mehr gefallen lassen, nur weil der Aufwand, dagegen Widerspruch einzulegen, vermeintlich zu hoch ist.
Wir müssen der Politik klarmachen, dass gute Leistung ihren Preis hat – eine Flatrate-Behandlung auf Gesundheitskarte wird es mit uns nicht geben. Wir haben einen Auftrag gemäß den gesetzlichen Vorgaben und dem Wirtschaftlichkeitsgebot, aber eben nicht mehr als das.
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen KFO-Leistungen keine reinen Privatleistungen sind. Ist das auf Dauer finanzierbar?
Für eine kieferorthopädische Behandlung gibt es objektive fachliche Gründe. So ist eine vergrößerte Frontzahnstufe zum Beispiel nicht nur mit einer deutlich erhöhten Frontzahntrauma-Gefahr verbunden, sondern belastet die Patienten häufig auch psychisch. Einige Befunde ließen sich auch invasiv und operativ lösen, aber wollen wir das? Ich habe früher regelmäßig im Jemen gearbeitet. Dort gibt es die wenigen Wohlhabenden und es gibt den Rest – und an den Zähnen erkennt man, wer zu welcher sozialen Schicht gehört. Wollen wir wirklich, dass an den Zähnen der Kinder die finanzielle Situation der Eltern erkennbar ist?
Sind die Bema-Preise überhaupt noch kostendeckend?
Ein klares Nein! Der durch die Inflation verstärkte Anstieg der Praxis- und Personalkosten führt die niedrigen Bema-Preise ad absurdum.
MVZ sind in der Zahnmedizin auf dem Vormarsch. Spielen sie auch in der Kieferorthopädie eine Rolle?
Wir Kieferorthopäden in Bayern wurden mit dem Konzentrationsprozess schon sehr früh durch Netzwerke konfrontiert, die Selektivverträge mit einzelnen Krankenkassen geschlossen haben. Die deutsche Kieferorthopädie kämpft auch auf breiter Front gegen das Eindringen von gewerblichen Aligner-Anbietern, die im Fernsehen und auf Social Media damit werben, besonders günstig zu sein. Dabei haben sie nachweislich fachliche Standards unterschritten. Hier tritt zum Glück eine gewisse Ernüchterung ein, weil immer mehr Patienten bemerken, dass die ihnen gegebenen Versprechen nicht eingehalten wurden.
Wie schaut es bei den Kieferorthopäden mit dem Nachwuchs aus? Gibt es Probleme bei der Praxisübergabe?
Ja, wir erleben die gleichen Probleme wie alle anderen Praxen auch. Viele Berufseinsteiger wollen in dem wunderbaren Beruf arbeiten, den sie gelernt haben. Der immer weiter steigende Verwaltungsaufwand, die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit und der Fachkräftemangel halten sie aber von der Gründung oder Übernahme einer Praxis ab – da bietet ein Angestelltenverhältnis eine komfortablere Situation. Aber auch der demografische Wandel wird das Praxissterben weiter beschleunigen.
Ist der Fachkräftemangel in der Kieferorthopädie ähnlich groß wie in der allgemeinen Zahnmedizin?
Ich bin als einer der wenigen in der glücklichen Lage, ein wunderbares, vollständiges Team in meiner Praxis zu haben, auf das ich sehr stolz bin. Aber ich kenne viele Praxen, die große Probleme damit haben, qualifiziertes Personal zu bekommen. Das geht so weit, dass Praxis-Sprechzeiten eingeschränkt werden müssen, Leistungen nicht mehr erbracht werden können und sogar Teilzulassungen beantragt werden. Die Aufbereitung der Instrumente, das Ausgießen von Gipsmodellen, die Materialverwaltung, das Vorbereiten der Behandlungszimmer, Abrechnung und Praxisverwaltung – für all das braucht man qualifizierte Fachkräfte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde erstmals im BZB Bayerisches Zahnärzteblatt 4/2023 unter dem Originaltitel "Nichtstun ist keine Alternative" veröffentlicht.