Branchenmeldungen 23.01.2013
Nikotin: Langzeitfolgen im Gehirn nachgewiesen
Eine Gruppe von Berner und Zürcher Forschenden hat die Auswirkungen von
Tabakkonsum auf das menschliche Gehirn untersucht und konnte aufzeigen,
dass die Auswirkungen von Nikotin stärker als bisher angenommen sind und
länger anhalten. Die Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung von neuen
Medikamenten helfen.
Rauchen ist eine Volkskrankheit mit zunehmender Bedeutung weltweit.
Jedes Jahr sterben fünf Millionen Menschen an den Folgen des
Tabakkonsums, und man geht davon aus, dass es im Jahr 2030 bis zu zehn
Millionen sein werden. Die Gesundheitskosten, die in der Schweiz durch
das Rauchen entstehen, werden auf zehn Milliarden Franken pro Jahr
geschätzt. Die Abhängigkeit von Nikotin ist oft schwerwiegend: Bis zu 90 Prozent
der Raucherinnen und Raucher finden es sehr schwierig oder schwierig,
auf Nikotin zu verzichten. Drei Viertel versuchen aufzuhören, aber nur
wenigen gelingt es. Trotz der enormen Bedeutung des Rauchens für den
Einzelnen wie auch für die Gesellschaft ist es bis jetzt nicht gelungen,
die Langzeitfolgen des Nikotinkonsums auf das Gehirn zu verstehen.
Forschende der Universität Bern, der ETH Zürich und der Universität
Zürich konnten in einer Studie nun nachweisen, dass diese Folgen
dramatisch und langanhaltend sind.
Ex-Raucher weisen ebenfalls Veränderung auf
Die Entwicklung der Nikotin-Sucht ist eine Art Lernprozess. Der
Hirnbotenstoff Glutamat spielt dabei eine zentrale Rolle. «Von
Tierstudien ist bekannt, dass Glutamat auch bei der Entwicklung von
Abhängigkeit, die ebenfalls eine Art Lernprozess darstellt, wichtig ist –
vor allem bei der Nikotin- und Kokain-Abhängigkeit», erklärt Gregor
Hasler, Professor und Chefarzt an den Universitären Psychiatrischen
Diensten (UPD) Bern. Deshalb haben die Forschenden das Glutamat-System bei Rauchern,
Ex-Rauchern und Nicht-Rauchern untersucht. Mittels der neu entwickelten
Methode der Positron-Emissionstomographie wurde ein wichtiges Protein
des Glutamat-Systems gemessen: der metabotrope (stoffwechselaktive)
Glutamat-Rezeptor 5 (mGluR5). Die Studie ergab, dass die Menge dieses Proteins im Gehirn von Rauchern
im Durchschnitt um 20 Prozent verringert war, in einzelnen Hirnregionen
wie dem unteren Frontallappen und den Basal-ganglien um bis zu 30
Prozent. Auch die Ex-Raucher, die im Durchschnitt 25 Wochen abstinent
waren, zeigten eine Reduktion dieses Proteins um 10 bis 20 Prozent. «Diese Veränderung des Glutamat-Systems bei Rauchern ist im Ausmass und
in der Verteilung weit grösser, als man bisher angenommen hat»,
erläutert Gregor Hasler. Besonders unerwartet sei, dass die Erholung des
Glutamat-Systems offenbar sehr lange dauere. «Es ist wahrscheinlich,
dass diese sehr langsame Normalisierung zu der sehr hohen Rückfallrate
bei Ex-Rauchern beiträgt.»
Möglicher Einfluss auf Angststörungen und Übergewicht
Bisher ungeklärt ist gemäss Gregor Hasler, inwieweit die anhaltenden
Veränderungen des Glutamat-Systems Lernprozesse im Allgemeinen
beeinflussen – und ob die Reduktion des mGluR5-Proteins zum erhöhten
Risiko für Angststörungen bei Rauchern und für Übergewicht bei
Ex-Rauchern verantwortlich ist. «Hinsichtlich der Entwicklung von
Medikamenten, die auf das mGluR5-Protein einwirken, ist zu
berücksichtigen, dass sich die Wirkung bei Rauchern und Ex-Rauchern
deutlich von der Wirkung bei Nicht-Rauchern unterscheiden könnte», so
Hasler. «Diese Medikamente könnten ausserdem das Potenzial haben, das
Rückfallrisiko, die Entzugssymptome und andere psychische Folgen des
Nikotinkonsums zu reduzieren.» Nikotin verursacht im Gehirn eine sowohl stimulierende wie auch
beruhigende Wirkung und kann kurzfristig die Konzentrationsfähigkeit
verbessern. Bei wiederholtem Nikotinkonsum kommt es zur Toleranzbildung.
Das heisst, die positiven Wirkungen werden schwächer und der Verzicht
auf Nikotin führt oft zu Entzugssymptomen wie Unruhe, Gereiztheit,
Angst, Lustlosigkeit, Kopfschmerzen, Schlafproblemen,
Konzentrationsstörungen, Hungergefühl und Gewichtszunahme.
Bibliographische Angaben:
Funda Akkus, Simon M. Ametamey, Valerie Treyer, Cyrill Burger, Anass
Johayem, Daniel Umbricht, Baltazar Gomez Mancilla, Judit Sovago, Alfred
Buck, and Gregor Hasler: Marked global reduction in mGluR5 receptor
binding in smokers and ex-smokers detemined by (11C)ABP688 positron
emission tomography, PNAS Early Edition, 17. Dezember 2012, doi:
10.1073/pnas.1210984110
Quelle: idw-online.de, Universität Bern