Businessnews 16.10.2017
Mit Know-how in alle Richtungen denken
Die besten Ideen, um Kundenwünsche anhand neuer Dentalmaterialien zu erfüllen, können von überall kommen. Dessen sind sich Gioacchino Raia, Dr. Reinhold Hecht und Manfred Ludsteck bewusst. Sie sind im Bereich Forschung und Entwicklung von Befestigungskompositen bei 3M in Seefeld tätig und stets auf der Suche nach zündenden Ideen, aus denen sich die nächste bahnbrechende Innovation entwickeln lässt.
Dafür stöbern sie unter anderem in Fachjournalen und der Patentliteratur über neueste Trends bei Klebstofftechnologien und Polymerentwicklungen. Mit den Ergebnissen von Marktumfragen und dem Input von Anwendern im Gedächtnis hinterfragen sie bestehende Standards und Konventionen und denken in alle Richtungen, um passende Lösungen zu erfinden, die mehr Effizienz und Einfachheit in den zahnärztlichen Alltag bringen.
Kreativität fördern
Dabei kommen die kreativsten Einfälle häufig nicht im Forschungslabor, sondern in der Freizeit, beispielsweise während einer Radtour am Wochenende. Zurück am Arbeitsplatz wird die Idee zunächst den Kollegen präsentiert und im Team diskutiert. Sehen auch andere Potenzial in dem neuen Ansatz, wird anschließend Zeit investiert, um zu experimentieren und die Idee weiterzuentwickeln. Und selbst, wenn keiner der Kollegen auf Anhieb überzeugt ist, erhält der Erfinder die Möglichkeit, weiter an seinem Ansatz zu arbeiten. Für Fälle wie diese hat 3M die bekannte 15-Prozent-Regel eingeführt. Sie besagt, dass Mitarbeiter 15 Prozent ihrer Arbeitszeit nutzen dürfen, um an eigenen Ideen zu forschen – unter Einsatz aller im Forschungslabor verfügbaren Ressourcen. Gelingt es ihnen dadurch, das Businessteam vom Kundennutzen ihrer Idee zu begeistern, wird ein konkretes Entwicklungsprojekt initiiert.
Entwicklungsprojekt
Zu Beginn der Projektphase sind die Anwenderwünsche bekannt und die Ziele bereits gesetzt. Nun gilt es vor allem, die Rezeptur zu entwickeln, aber auch Patente anzumelden, die Produktion vorzubereiten, eine geeignete Verpackungsform zu finden etc. Wenn ein Neuprodukt entsteht, werden zunächst verschiedene komplett neue Formulierungen entwickelt, deren Rohstoffe nicht immer bereits auf dem Markt erhältlich sind. In vielen Fällen stammen diese direkt von 3M. Dank der 46 unterschiedlichen Technologieplattformen des Konzerns ist die Auswahl der zur Verfügung stehenden Basistechnologien und Rohstoffe sehr groß. Dennoch kommt es vor, dass ein neuer Rohstoff benötigt wird, dessen Synthese im eigenen präparativen Labor bei 3M erfolgt.
Beispiel selbstadhäsiver Zement
Dies war beispielsweise bei der Entwicklung von 3M ESPE RelyX Unicem, dem ersten selbstadhäsiven Komposit-Befestigungszement, der Fall. Nur durch aufwendige Grundlagenforschung und den Einsatz neuer Rohstoffe war es möglich, ein Produkt mit den gewünschten selbstadhäsiven Eigenschaften sowie zum Beispiel dem einzigartigen Neutralisationsverhalten zu erschaffen. Über die gesamte Projektlaufzeit von rund drei Jahren wurden rund 700 unterschiedliche Formulierungen entwickelt und getestet, bis das finale Produkt für die Markteinführung zur Verfügung stand.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Weiterentwicklung einer Formulierung ist ihre Lagerstabilität, die gleich zu Beginn im Forschungslabor überprüft wird. Daneben werden erste weitere ausgewählte Untersuchungen durchgeführt, die klinisch besonders relevant sind. Hierzu zählen zum Beispiel Haftungs- und Randdichtigkeitsuntersuchungen vor und nach künstlicher Alterung im Kausimulator. Die Erfahrung zeigt, dass die Ergebnisse dieser Tests besonders wichtig sind – mit ihnen lässt sich das Potenzial der Formulierungen frühzeitig erkennen. Werden mit einem Zement keine zufriedenstellenden Resultate erzielt, so wird die Formulierung verworfen. Lediglich die vielversprechendsten Varianten werden weiterentwickelt.
Im Laufe der Zeit nimmt daher die Anzahl an verbleibenden Formulierungen ab und die Versuchskomplexität und Testintensität zu. Nach der Überprüfung von rund 150 Eigenschaften im Labor und dem Bestehen der Tests gelangt ein Zement schließlich in die Hand von ausgewählten Zahnärzten, die das Produkt auf seinem Weg zur Marktreife im Rahmen eines Anwendungstests erstmals in der Klinik verwenden.
Entwicklung von Messtechnik
Um sicherzustellen, dass die eingesetzten Versuche eine hohe klinische Relevanz und die Resultate für den Zahnarzt eine hohe Aussagekraft haben, verbringen die Entwickler bei 3M viel Zeit mit der Suche nach beziehungsweise der Entwicklung von geeigneten Messtechniken. Der bei 3M eingesetzte Abzugsversuch, bei dem es möglich ist, Stümpfe nach Wunsch zu präparieren und unter realen Bedingungen gefertigte Kronen einzusetzen, ist ein Beispiel für einen Versuchsaufbau mit hoher In-vivoRelevanz.
Die Herausforderung bei der Entwicklung neuer Messtechniken liegt auch darin, dass der gesamte Prozess wirtschaftlich bleiben muss und in den Routinebetrieb im Labor integriert werden kann.
Produktpflege
Mit der Markteinführung eines Produktes ist die Arbeit der Entwickler jedoch nicht abgeschlossen – sie begleiten das Produkt im Rahmen der Produktpflege ein Leben lang. Es wird das Feedback von Anwendern eingeholt, auf Kongressen und Messen Aufklärungsarbeit geleistet und das Marktgeschehen beobachtet. Zudem sind eventuell weitere externe In-vitro- und klinische Studien zu betreuen und intern vergleichende Produkttests durchzuführen. Aus dem Feedback dieser diversen Aktivitäten können bereits wieder erste Ideen für mögliche Produktweiterentwicklungen resultieren.
Ausblick
Wie die drei Entwickler berichten, verfolgen sie weiterhin das Ziel, neue Befestigungsmaterialien zu entwickeln, die eine weitere Standardisierung von Prozessen in der Zahnarztpraxis ermöglichen, noch einfacher anzuwenden sind und ein breites Indikationsspektrum abdecken. Welche Neuprodukte 3M im Bereich Befestigungsmaterialien in Zukunft einführen wird, bleibt demnach mit Spannung zu erwarten.
Autor: Olivia Besten