Patienten 21.06.2013

Angsthase + Kichernase = Lieblingspatient



Angsthase + Kichernase = Lieblingspatient

Foto: © Dr. Isabell von Gymnich

Woher kommt eigentlich die „Zahnarztangst“? Angst vor der zahnärztlichen Behandlung ist ein subjektives Gefühl, das durch zahlreiche Faktoren wie Alter, Entwicklungsstand, familiäre Hintergründe, Unbekanntes (Personen, Gerätschaften, Geräusche), akute Zahnprobleme, Schmerzerwartung und eigene Erfahrungen beeinflusst wird.

Etwa zehn Prozent der Kinder zeigen Zahnbehandlungsangst in verschiedenen Ausprägungsformen: Diskussionen, Szenen innerer Not, Rückzug, Verweigerung, Aggressivität, Übersprungshandlungen, Fluchtversuche und Tobsuchtsanfälle (bis zum Erbrechen) sind jedem Behandler schon einmal begegnet. Je kleiner und jünger der Patient ist, umso weniger verfügt er über Strategien der Angstbewältigung. Größere Kinder, die bereits traumatische Behandlungen erlebt haben, zeigen durch Vermischung von Angst und Schmerzempfinden eine erhöhte Stressreaktion. Eine Fokussierung auf negative Erwartungen lässt sie sämtliche zahnärztliche Maßnahmen verweigern, um sich vor weiteren „Übergriffen“ zu schützen, was im Grunde nachvollziehbar ist. Da beim Erstkontakt mit der „Erlebniswelt Zahnarztpraxis“ die Weichen für die Zukunft gestellt werden – zwei Drittel der westeuropäischen Erwachsenen mit Zahnarztangst berichten als Zeitraum der Entstehung die frühe Kinderzeit –, hat man als Behandler die Möglichkeit, diese Prägung positiv zu gestalten und der Zahnarztangst vorbeugend entgegenzuwirken. Die begeisterten Reaktionen der Eltern, die bei der Behandlung anwesend sind, sprechen für sich.


"Ich mach nicht mit!" - Patientin in Abwehrhaltung.

Warum Lachgas in der Kinderzahnheilkunde?


Um für eine qualitativ angemessene zahnärztliche Behandlung die notwendige Kooperation wiederherzustellen, braucht es Empathie, Geschick, Überzeugungskraft und Geduld, sogenannte „soft skills“, die im Praxisalltag nicht immer unbegrenzt zur Verfügung stehen, zumal die Zeit inzwischen weiterläuft. So bleibt ein großer Teil der Milchzahnkaries unbehandelt (DAJ-Studie 2009: ca. 50 Prozent), die restlichen behandlungsunwilligen Kinder werden häufig unter Allgemeinanästhesie saniert, eine Methode, die eigene Risiken mit sich bringt. Eine gut steuerbare und sehr sichere Alternative bietet die Behandlung mit Lachgas. Diese Sedierungsform ist ein patientenfreundliches, einfaches Verfahren, das durch Angstabbau (Anxiolyse) bei erhaltenem Bewusstsein und funktionierenden Schutzreflexen die Kooperation der kleinen Patienten unterstützt.

Wie funktioniert das genau?

Beim ersten Termin wird nach Erhebung von Anamnese und Befund, von Aufklärung über Therapiemöglichkeiten und Behandlungsplanung, die geeignete Behandlungsart für den Patienten festgelegt, die dem Umfang der durchzuführenden Maßnahmen, dem Alter sowie der physischen und psychischen Verfassung des Patienten gerecht werden sollte. Erscheint die Behandlung mit Lachgas geeignet, wird der Patient mit der bunten Nasenmaske – der „Kichernase“ – vertraut gemacht. Die Eltern erhalten einen Aufklärungsbogen über die Lachgassedierung sowie die dadurch anfallenden Kosten und geben ihr schriftliches Einverständnis. Zu Beginn der Behandlung atmet das Kind ein Sauerstoff-Lachgas-Gemisch über die „Kichernase“ ein, während der Lachgasanteil langsam erhöht wird, bis der gewünschte Entspannungszustand erreicht ist. Diese individuell dosierte Mischung wird beibehalten.


"Wann geht's denn endlich los?" - Patient in Erwartungshaltung.

Die Aufnahme erfolgt über die Lunge, der Transport zum Zentralen Nervensystem über das Blut. Dort ruft Lachgas an verschiedenen Synapsen unterschiedliche Wirkungen hervor: Anxiolyse (bis zur Euphorie), Sedierung (Entspannung, Somnolenz, reduzierter Bewegungsdrang), Analgesie (Heraufsetzung der Schmerztoleranz, Verringerung von Würgereiz), Dissoziation und Trance (Aufhebung des Zeitgefühls, veränderte Wahrnehmung, Erhöhung der Suggestibilität). Während der gesamten Dauer der Behandlung ist der Patient entspannt und kooperativ, eine fortwährende Beobachtung (gegebenenfalls Monitoring) und eine drei- bis fünfminütige „Sauerstoffdusche“ gegen Ende der Behandlung – zur Ausleitung und Vermeidung einer Diffusionshypoxie – sowie eine schriftliche Dokumentation sind obligat.

Wo liegen die Vorteile?

Die optimierten Behandlungsvoraussetzungen helfen dem zahnärztlichen Team, qualitativ hochwertige Ergebnisse unter wirtschaftlich angemessenen Konditionen zu erzielen. Gleichzeitig ist die emotionale Belastung aller Beteiligten auf ein Minimum reduziert. Da Lachgas die Suggestibilität heraufsetzt, unterstützen die begleitenden Anwendungen verhaltensführende Maßnahmen – wie Kinderhypnose, Konditionierung, Belohnung („Superhelfer-Urkunde“), Tell-Show-Do und das Prinzip der kleinen Schritte – d.h. die individuellen Fähigkeiten und Kooperationsstrategien der kleinen Patienten. So wächst durch die stressfreie Bewältigung der fremdgestellten Aufgabe das kindliche Selbstvertrauen und eine erneute aber diesmal positive Bewertung der Behandlungssituation kann erfolgen („reframing“). Durch geschickte Sprachwahl und gezieltes Loben erwünschter Verhaltensweisen kann die nächste Behandlung zum sehnlich erwarteten Ereignis werden („Mama, wann ist denn endlich der Tag?“). Untersuchungen zeigen, dass Kinder auch langfristig von dieser Vorgehensweise profitieren und bei späteren Behandlungen, die ohne Lachgas vorgenommen werden, signifikant weniger ängstlich sind.


"Das ist ein schönes Gefühl." - Entspannte Patientin durch Lachgassedierung.

Ein zusätzlicher Vorteil – speziell für die Kinderbehandlung – liegt in der moderaten analgetischen Potenz von Lachgas, die eine Heraufsetzung der Schmerztoleranzgrenze bewirkt. Mit unterstützenden Suggestionen („stell mal kurz den Zahn ab“) und Elementen aus der Kinderhypnose („Zauberkralle“) kann bei der Füllungstherapie häufig auf eine örtliche Betäubung verzichtet werden. Sollten invasivere Maßnahmen eine Lokalanästhesie erforderlich machen, so ist das für den Patienten – dank seines euphorisierten Zustandes – eher nebensächlich. Selbst Kinder mit Spritzenangst akzeptieren bereitwillig die „Traumkugeln“ für den Zahn.

Was sagen die Fachgesellschaften dazu?

Lachgas bis 50 Prozent in alleiniger Verwendung mit einem Lokalanästhetikum wird von der ASA (American Society of Anesthesiologists) in den Guidelines aus dem Jahre 2002 als „minimal sedation“ mit „minimal risks“ definiert und kann vom Zahnarzt („Non-Anesthesiologist“) ohne Anwesenheit eines Anästhesisten angewendet werden. Von enormer Wichtigkeit ist eine fundierte Ausbildung nach den Richtlinien der CED (Council of European Dentists), die sich an den Vorgaben der AAPD (American Association of Pediatric Dentistry) und der EAPD (European Association of Pediatric Dentistry) orientieren. Die Sedierung mit Lachgas wird bei richtlinienkonformer technischer Ausrüstung und fachgerechter Anwendung als „patientenbezogenes Management von angstbezogenen Hindernissen nach dem neuesten Kenntnisstand der Medizin“ für die Kinderbehandlung ausdrücklich empfohlen. In Amerika wird Lachgas seit 1960 in der Zahnheilkunde angewendet. In Deutschland verwendeten 2009 bereits 25 Prozent der Kinderzahnärzte Lachgas in ihren Praxen.

Die Literaturliste kann bei der Autorin angefordert werden.

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