Patienten 16.12.2016

Arbeit am Patienten – allein und doch ergonomisch!



Arbeit am Patienten – allein und doch ergonomisch!

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Im Praxisalltag kommt es in speziellen Situationen immer wieder dazu, dass ohne eine weitere Assistenz am Patienten gearbeitet wird – im Prophylaxebereich ist dies sogar die Regel. Um in einer solchen Situation ergonomisch sinnvoll und körperlich nicht schädigend zu arbeiten, müssen die Rahmenbedingungen der behandelnden Tätigkeit speziell ausgerichtet werden. Dies betrifft die Einrichtung des Behandlungsplatzes, die Lagerung des Patienten und den richtigen Einsatz von Hilfsmitteln.

Eine grundlegende Entscheidung ist die Wahl eines zweckmäßigen Behandlungsplatzes. In Deutschland am häufigsten anzutreffen ist die Anordnung der schlauchgebundenen Instrumente rechts vom Behandler (Basiskonzept 1 nach Karlheinz Kimmel) oder über der Brust des Patienten an einem Schwebearm geführt (Basiskonzept 3). Die Assistenzgeräte sind meist linksseitig des Patienten angeordnet. Diese Aufteilung hat sich als zumeist zweckmäßig erwiesen. Ein Schwebetisch, welcher sich vor der Brust des Patienten befindet, ist als mobile, greifnahe Ablage für Instrumente dringend zu empfehlen. Dieser sollte so dünn wie möglich und leicht beweglich sein, die Größe kann dabei variieren. Minimal sollte er ein Normtray aufnehmen können.

Mobile und feste Schränke müssen so weit vom Behandlungsplatz entfernt sein, dass auch ein Sitzen hinter dem Patienten möglich ist. Sollte ein fester Schrank im Behandlungsraum hinter dem Behandlungsstuhl vorhanden sein, so muss die Vorderfläche des Schrankes vom Kopfteil des Patientenstuhls in Behandlungsposition einen Abstand von etwa 50 cm haben. Besser geeignet ist ein fahrbarer Schrank hinter dem Patientenkopf, der je nach Arbeitsposition und Arbeitsablauf verschoben werden kann. Der Arbeitsstuhl soll auf Rollen beweglich sein, sodass ein Positionswechsel während der Behandlung möglich ist. Weiterhin soll er in der Höhe verstellbar sein, damit eine individuelle Sitzposition möglich ist.

Anzustrebende Körperhaltung

Die richtige Körperhaltung während der behandelnden Tätigkeit ist entscheidend für die Belastung durch die Arbeit, die Leistungsfähigkeit und die körperliche Gesundheit. Idealerweise sollte die Körperhaltung während der Arbeit vorwiegend symmetrisch sein, die Halteebenen des Körpers sind untereinander achsenparallel. Gedachte Linien durch die Knöchel, Knie, Hüfte, Schultern und Augen sind parallel (Abb. 1). Das Körpergewicht wird hierdurch am besten verteilt, Überbelastungen einzelner Körperregionen werden verringert ebenso wie muskuläre Dysbalancen, welche zu Verspannungen und Schmerzen führen können. Die aktive und passive Haltearbeit ist im Gleichgewicht.

Meist wird eine sitzende Haltung bei der Patientenbehandlung eingenommen, dies sollte in folgender Weise geschehen: Neben der Parallelität der Körperachsen ist der Sitz dynamisch, dies heißt, dass die Sitzposition möglichst häufig gewechselt wird. Durch Vor- und Zurückneigen des Oberkörpers sowie durch eine Beckenbewegung nach vorne, hinten, rechts und links kann dies geschehen. Der dynamische Sitz vermindert ungleichmäßigen Druck auf die Wirbelsäule und die Bandscheiben, Druck- und Zugbelastungen sind ausgewogen und die muskulären Belastungen ausgeglichen.

Die Sitzhöhe ist leicht erhöht, was einem Winkel von Oberschenkel und Unterschenkel von circa 105 Grad entspricht. Zu etwa zwei Dritteln liegen die Oberschenkel auf dem Sitzpolster auf, die Vorderkante des Stuhls ist mindestens 10 cm von der Kniekehle entfernt und abgerundet. Die Füße stehen fest und flach auf dem Boden. Nur in der Ruhehaltung, zum Beispiel beim Gespräch mit dem Patienten oder in Arbeitspausen, ist das Abstützen der Füße auf dem Unterteil des Arbeitsstuhles akzeptabel.

Der Rumpf wird leicht nach vorne gebeugt, eine Verdrehung zur Seite ist nicht erwünscht. Ebenso wird der Kopf in einem leichten Winkel nach vorne gebeugt, jedoch nicht zur Seite abgeknickt.

Die Oberarme hängen am Körper herab, liegen nur leicht an und werden in einem Winkel von maximal 20 Grad aus der Horizontalen nach vorne geneigt. Ein seitliches Abspreizen der Arme, wie häufig bei alleine arbeitenden Behandlern zu sehen, ist zu vermeiden. Idealerweise wird eine schwache Abstützung der Hände am Patientenkopf vorgenommen.

Sitzposition und Patientenlagerung

Arbeitet man allein am Patienten, so kann als Sitzposition der komplette Bereich rechts, hinter dem Kopf und links des Patienten genutzt werden, wobei sich die Position rechts neben dem Patienten als am häufigsten genutzt herausstellt. Bei der alleinigen Arbeit wird hinter dem Kopf des Patienten in einigen Situationen gesessen, sofern die baulichen Verhältnisse dies zulassen.

Um in oben beschriebener Weise am Patienten arbeiten zu können, ist die richtige Patientenlagerung entscheidend. Die Lagerung des Patienten wird in drei Schritten vorgenommen. Als erstes werden Kopf und Füße des Patienten in etwa auf die gleiche Höhe gebracht, eine gedachte Verbindungslinie zwischen dem Patientenkopf und dessen Füssen ist schwach zu den Füßen geneigt, maximal parallel zum Boden. Im zweiten Schritt wird die Kopflagerung vorgenommen, wobei hier unterschieden wird zwischen der Behandlung im Unter- und Oberkiefer. Für den Unterkiefer gilt: Eine gedachte Linie durch die Kauflächen der Unterkieferseitenzähne ist schwach nach distal geneigt (Abb. 2). Bei einer Prämolarenbehandlung kann diese fast waagerecht sein, bei der Behandlung endständiger Molaren ist sie etwas stärker nach distal geneigt. Im Oberkiefer gilt Folgendes: eine gedachte Linie durch die Oberkieferseitenzähne ist senkrecht zum Boden, wenn an den Labialflächen der Oberkieferfrontzähne oder in indirekter Sicht mit dem Spiegel im Oberkieferseitenzahnbereich gearbeitet wird (Abb. 3). Wird in direkter Sicht im Seitenzahnbereich gearbeitet, so ist die gedachte Linie durch die Kauflächen der Oberkieferseitenzähne weit nach dorsal geneigt (Abb. 4).

Als dritten Schritt unterscheidet man die Kopflagerung in der Sagittalachse, der Kopf wird in aufgabenbezogener Position nach rechts oder links ausgerichtet.

Es gibt Ausnahmen von der Grundregel des flach gelagerten Patienten: einige Behandlungen, wie z. B. Bissregistrierungen oder aber auch Kontraindikationen seitens des Patienten, wie z. B. Einschränkung der Atmung, Mitralfehler oder die zweite Hälfte der Schwangerschaft.

Sitzhaltung und Patientenlagerung sind nicht alleine entscheidend für das Ausmaß der körperlichen Beanspruchung des Behandlers, sondern auch Häufigkeit und Länge einer speziellen Arbeitshaltung. Bei lang anhaltenden Tätigkeiten im Sitzen sind Ausgleichsbewegungen (Mikropausen) vorzunehmen, dies kann z. B. das Beugen und Entspannen des Rückens sein. Hierdurch wird Verspannungen und Dysbalancen der Muskulatur vorgebeugt und die Erträglichkeit der Arbeit erhöht.

Hilfsmittel und systematische Arbeitsweise

Wird an einem Patienten ohne Assistenz gearbeitet, so sind spezielle Hilfsmittel für die Patientenbehandlung und eine angepasste Arbeitsplatzgestaltung unumgänglich. Wie bereits erwähnt, stellt der Schwebetisch eine solche dar. Durch die bewegliche, individuell zu positionierende Ablagemöglichkeit des Schwebetisches werden Verdrehungen und häufige lange Greifwege vermieden. Ebenso ist darauf zu achten, dass sich am großen Absaugschlauch ein Saughandstück befindet, welches abgewinkelt werden kann und ein Drehgelenk besitzt; die Saugkanüle sollte ca. 11,5 cm lang sein. Hierdurch ist eine entspannte Greiftechnik und ein Abstützen am Patientenkopf möglich, es kommt dadurch nicht zu einem starken Zug des Saugschlauches auf die haltende Hand und weiterführend die Schulter- und Nackenmuskulatur – Folgen wie Verspannungen und Dysbalancen werden vermieden.

Speziell für die alleinige Arbeit am Patienten, z. B. beim Entfernen von Zahnbelägen mit Ultraschall oder Pulverstrahl, Versiegelungen, Polituren oder einen (zeitweilig) alleine arbeitenden Behandler wurde eine spezielle Absaugtechnik nach Hilger sowie der Mund- und Wangenhalter (Mundspanner) nach Hilger entwickelt. Bei dieser Halte- und Absaugtechnik wird besonders darauf Wert gelegt, dass die linke, kanülenführende Hand sowie Arm und Schulter nicht verkrampfen. Dies ist meist dann möglich, wenn die Absaugkanüle vom linken Mundwinkel des Patienten in den Mund eingeführt wird. Die Arbeitsperson sitzt hinter dem Patienten und kann die Hand an dessen Kopf abstützen (Abb. 5). Wird die Absaugkanüle vom rechten Mundwinkel eingeführt, so sitzt die Arbeitsperson rechts neben dem Patienten und die kanülenführende Hand wird am rechten Jochbogen des Patienten abgestützt. Ist dies ohne eine Verkrampfung nicht möglich, so ist es akzeptabel, wenn der Oberarm der linken Hand (kanülenführend) locker und ohne Abspreizung am Oberkörper herabhängt. Es ist eine möglichst nahe Sitzposition am Patienten anzustreben, um ein Vorstrecken der Arme und hiermit verbunden die starke Muskelbeanspruchung des oberen Rückens zu vermeiden.

Bei dieser Arbeit dient der Mundspanner als „dritte Hand“, es muss nicht noch – wie häufig üblich – mit der Absaugkanüle abgehalten werden, Lippen und Wangen werden durch den Mundspanner abgehalten. Eine Systematisierung des Arbeitsablaufes ist anzustreben, um einen zügigen Arbeitsablauf zu gewährleisten und somit lange, ermüdende Sitzhaltungen einzuschränken.

Dynamisches Arbeitsverhalten

Der regelmäßige Wechsel von Arbeitsaufgaben und Arbeitsplätzen dient der Beeinträchtigungsfreiheit. Lockerungs- und Dehnübungen zwischen den Patientenbehandlungen (Makropausen) fördern die muskuläre Entspannung, den Stoffwechsel und die Sauerstoffzufuhr. Dieses dynamische Arbeitsverhalten hat sich als zweckmäßig erwiesen, um in rückengerechter Weise alleine am Patienten tätig zu sein.

Die vollständige Literaturliste gibt es hier.

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