Patienten 15.10.2015
Assistenz bei Angstpatienten und Behinderten
Zahnarzt Martin Hünermann und seine Mitarbeiterin ZFA Anke Schulze aus Kiel-Gaarden verfügen über langjährige Erfahrung in der Behindertenzahnheilkunde. Sie zeigen, wie eine erfolgreiche Betreuung in der Praxis aussehen kann.
Die Behandlung von behinderten Patienten oder Angstpatienten in einer Zahnarztpraxis erfordert viel Verständnis und Mitgefühl für den jeweiligen Patienten. Jede Helferin kann diesen Umgang und auch verschiedene Verhaltensweisen erlernen. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten können auch bei Behandlungen von Kindern und Erwachsenen angewendet werden, welche weder ängstlich noch behindert sind.
Wichtig im Umgang mit Angstpatienten ist eine ruhige und vertrauensvolle Umgebung mit eventuell leiser Musik im Hintergrund. Das Umfeld muss auf jeden Patienten abgestimmt sein, deshalb sollten auch die Vorlieben des Patienten besprochen werden. Nur so können sich Angstpatienten langsam auf die neue Umgebung und das Zahnarztteam einlassen. Angstpatienten brauchen viel Zuneigung; dies fängt schon bei der persönlichen Begrüßung mit dem Namen und dem „Hand reichen“ an.
Nähe und Motivation
Die Helferin benötigt ein Verständnis für die Ängste und muss die Verhaltensweisen deuten und auch umwandeln können („Zuhören“). Patienten, die mit Angstgefühlen in die Praxis kommen, haben es oft gern, wenn man eine Hand auf die Schulter legt und den Körperkontakt sucht; dies lässt sie ruhiger und entspannter werden. Natürlich muss man diese Methode auf jeden Patienten individuell abstimmen und auf die Körpersprache achten. Körperkontakt ist auch ein Zeichen von Mitgefühl und Vertrauen, was für solche Patienten sehr wichtig ist. Ein weiteres „Muss“ für die Helferin ist es, jeden Patienten während und nach der Behandlung zu loben, um ihn mit einem positiven Gefühl nach Hause zu schicken. Dieses Ritual sollte bei jedem Patienten angewendet werden, um ihn für die Zukunft zu motivieren.
Gestik und Zeichen verstehen lernen
Die Behandlung von behinderten Patienten ist eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe für die Zahnarzthelferin. Behinderte Patienten, egal ob es sich um Kinder oder Erwachsene handelt, brauchen eine intensive Betreuung. In unserer Praxis werden seit Jahren sowohl geistig als auch körperlich behinderte Erwachsene und Kinder zahnärztlich betreut. Es gibt Patienten, die nicht sprechen können und sich maximal durch Laute oder Gesten mit der Umwelt verständigen. Hier liegt der Ansatz für uns als Helferinnen darin, von Betreuern oder Angehörigen vor Beginn der Behandlung zu erfahren, was der Patient in bestimmten Situationen mit seinem Verhalten ausdrückt. Schmerzempfindungen müssen nicht zwangsläufig mit einem lauten Schreien geäußert werden. Oft werden bestimmte Handzeichen etc. als Hinweise gegeben, die wir gemeinsam mit den Zahnärzten erkennen müssen.
Geduld wird belohnt
Es bedarf oft mehrerer Sitzungen, bevor man einen „Zugang“ zu diesen „besonderen“ Menschen – im positiven Sinne – bekommt. Wir durften feststellen, dass diese Beziehungen zu den Patienten sehr intensiv und freundschaftlich sind und über Jahre wachsen. Wichtig ist, Geduld zu haben und sich Zeit zu nehmen. Bei hohem „Sanierungsaufwand“ werden Behinderte oder auch Angstpatienten bei uns unter Vollnarkose vollständig behandelt. Die Untersuchungen im Anschluss, die halbjährliche Vorsorge – am Anfang auch vierteljährlich – gelingt dann immer besser und entspannter und selbst bei „totalen Verweigerern“ funktioniert irgendwann das Entfernen von Zahnstein.
Persönlicher Ansprechpartner ist wichtig
Behinderte Patienten sind sehr personenbezogen. Deshalb sind bei uns in der Regel immer dieselben Teams (ein Zahnarzt und eine Assistenz) zuständig für spezielle Patienten. Ein Wechsel des Behandlers und seiner Helferin werden vom Patienten oft nicht toleriert. Es kommt vor, dass wir als zahnmedizinische Fachangestellte die Patienten in das Sprechzimmer begleiten und uns erst einmal 10 bis 15 Minuten mit „unserem“ Patienten unterhalten, auf ihn einwirken und eine ruhige Atmosphäre schaffen.
Vertrauen und Ablenkung schaffen
In der Regel verstehen behinderte Patienten während der Behandlung nicht, um was es geht bzw. was von ihnen gefordert wird. Eine deutliche Aussprache und auch das „Duzen“ sind sehr wichtige Punkte im Umgang mit den Patienten. Nur durch das „Duzen“ gelingt es einer Helferin, das Vertrauen und die Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Patient kennt unsere Namen und auch die Zahnärztin/der Zahnarzt wird geduzt. Jede Helferin sollte auch verschiedene Ablenkungsgegenstände bzw. Ablenkungstaktiken bereithalten. Dies können Fingerpuppen, kleine Bilder an der Decke oder andere Kleinigkeiten sein. Jeder Patient reagiert auf unterschiedliche Techniken, die man sich erst einmal gemeinsam erarbeiten und ausprobieren muss (z. B. Hypnose). Bei jeder Behandlung muss der Patient gelobt und auch motiviert werden. Das Loben stärkt die Patienten und lässt sie besser mitarbeiten. Auch ein kleines Geschenk am Ende jeder Behandlung kann als positiv und motivierend empfunden werden. Hier werden Rituale wichtig. Ein Beispiel dazu: Siggi, ein erwachsener Patient mit Downsyndrom, bekommt am Ende jeder Behandlung von „seinem“ Zahnarzt einen Kugelschreiber geschenkt. Es sind Werbekulis, die jeder in seiner Praxis vorrätig hat; Siggis Leidenschaft ist das Sammeln dieser Kulis. Er wird sicherlich an die 30 Kugelschreiber von uns in den letzten Jahren bekommen haben. Er freut sich schon vor der Behandlung darauf, und dies kann man sehr gut in den Behandlungsablauf integrieren (Belohnung für die gute Mitarbeit).
Ein Beispiel aus der Praxis
Abschließend sei erwähnt, dass sich der „Erfolg“ auch erst nach Jahren einstellen kann. Herbert, ebenfalls ein langjähriger erwachsener Patient, wurde uns überwiesen, da er sich ohne Narkose nicht behandeln ließ. Er wurde aufwendig unter ITN versorgt und kam dann regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen. Herbert spricht nicht und wir verständigen uns über Zeichen oder Laute; Ja-Nein-Fragen kann er mittels Nicken oder Handzeichen beantworten. In den ersten Jahren, auch nach der Sanierung in Narkose, hatte Herbert den Mund/die Lippen immer sehr angespannt, eine vollständige Durchsicht dauerte sehr lange. Heute lässt Herbert die Untersuchung problemlos zu, lässt sich Zahnstein entfernen und wir alle haben Grund, uns darüber zu freuen.
Gemeinsames Ziel
Bei Angstpatienten bedienen wir uns immer wieder der Hypnosetechniken, die wir, ebenso wie die Behandler, in speziellen Fortbildungen erlernt haben. Natürlich lässt sich nicht jeder Angstpatient ohne Weiteres behandeln. Hier muss dann mittels Lachgassedierung oder Analogsedierung (Dormicum in Tablettenform oder intravenös durch unsere Anästhesisten) für die nötige „Entspannung“ gesorgt werden. Nur als Ultima Ratio ist dann die Vollnarkose gedacht, wobei – wie bereits erwähnt – das Ziel ist, anschließend auch die Angstpatienten ohne zusätzliche Hilfe in die Kontrollen und weiteren Behandlungen zu führen.
Kontakt:
Zahnarztpraxis E. Sayk & M. Hünermann, Kaiserstr. 37, 24143 Kiel-Gaarden, www.zahnarzt-gaarden.de, www.facebook.de/zahnarztpraxis.sayk.huenermann
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