Praxiseinrichtung 15.09.2011

Unverwechselbare, merkfähige und klare Praxiswelt

Unverwechselbare, merkfähige und klare Praxiswelt

Foto: © Dr. med. dent. Matthias Fiebiger

Als ich ein kleiner Junge war, ging ich zum Zahnarzt, der um die nächste Ecke war. Wohin auch sonst? Warum auch woanders hin? Außerdem waren dort natürlich auch meine Eltern Patienten, und mein Vater kannte ihn auch privat ein wenig. Ja, es gibt immer Institutionen, bei denen das Entscheidungskriterium „nächste Ecke“ das Überzeugendste ist. Bei einem Kiosk gilt das zu Recht. Aber bei einem Arzt?


Wir müssen uns wohl fragen, ob sich etwas verändert hat in den vier Jahrzehnten seit meiner Kindheitserfahrung. Natürlich hat sich vieles verändert. Aber nicht unbedingt das, was sich wirklich ändern sollte. Denn wenn ich mir die Praxisschilder an den Häuserfassaden anschaue, scheinen sich die Zeiten, was Zahnärzte und ihre Eigenvermarktung angeht, kaum weiter entwickelt zu haben. Noch immer weisen schlichte Schilder mit dem Namen des Arztes, kombiniert mit dessen akademischen Titel(n) und den Öffnungszeiten auf die Existenz einer Praxis hin. Es ist der Zahnarzt an der nächsten Ecke geblieben. Etwas, das sich wirklich ändern sollte. Nicht weil das zufällig jemand meint, der ein Büro führt, das sich mit Identität beschäftigt. Sondern weil sich die Klientel ganz grundlegend verändert hat. Und die Möglichkeiten, die diese Klientel nutzt, um eine Entscheidung zu treffen. Jenseits des Argumentes der nächsten Ecke. 

 

Heute bohrt der Patient selbst 

Es gibt genügend Gründe, sich über das Erscheinungsbild der eigenen Praxis Gedanken zu machen und sich darüber zu profilieren. Vor Jahrzehnten war bereits allein schon der Beruf ein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg. Oder man war eben schlicht am richtigen Platz. Doch die freie Marktwirtschaft hat auch die Ärzte eingeholt. Und da gibt es neben dem Angebot auch die Nachfrage. Und das bedeutet, dass die Patienten heute selbst bohren. Und zwar mit vergleichsweise neuen Informationsmöglichkeiten wie dem Internet. Aber vor allem auch qualitativ mit ganz individuellen Fragen: Strahlt dieser oder jener Arzt eine Sensibilität für Ästhetik aus? Fühlt sich das so steril an wie auf der Intensivstation, oder darf ich mich vielleicht – obwohl es ausgerechnet ein Zahnarzt ist – trotzdem wohl und gut aufgehoben fühlen? Denkt und arbeitet dieser Arzt sehr innovativ, und will ich das? Sieht er Patienten als Menschen oder sieht er nur Zähne? Oder schlicht und ergreifend – wenn ich schon zum Zahnarzt muss, dann bitteschön schön.

Die Patienten haben heute nicht nur bei ihrer Krankenversicherungen die Wahl, sondern sie entscheiden sich auch ganz bewusst für ihren Zahnarzt. Für genau diesen Zahnarzt. Auch wenn er am anderen Ende der Stadt ist. Das noch vor wenigen Jahren existierende generelle Werbeverbot wandelt sich – unter Berücksichtigung der Auflagen – immer mehr in ein Werberecht. Mit dem Internet bietet sich den Praxen ein mächtiges Medium zur Selbstdarstellung und Patientenakquise. Das betrifft die eigene Website genauso wie die Nutzung sozialer Netzwerke. Zwingende Voraussetzung für einen erfolgreichen Auftritt hier ist ein überzeugendes und aussagekräftiges Corporate Design, das sich nicht nur auf gute Gestaltung verlässt, sondern auf Inhalte, die einer guten Gestaltung auch ein Marken- und Positionierungsfundament geben. Ein weiteres Argument ist das sich verändernde Angebotsspektrum der Praxen: Neben der zahnmedizinischen Versorgung sind  zahnästhetische Behandlungen zu einem wichtigen Faktor geworden. Viele Zahnärzte haben neben den Patienten also auch Kunden. Während der Patient Wert auf die medizinische Qualifikation legt, schaut der Kunde nach anderen, im wahrsten Sinne des Wortes ästhetischen Gesichtspunkten. 


Identitätsfindung ist Wurzelbehandlung 

Ob Praxisgründung oder -neupositionierung: Wenn Sie sich entschieden haben, dass diese durch ein Konzept auf architektonischer und kommunikativer Ebene fundiert werden soll, muss das Ziel ein merkfähiges, unverwechselbares Erscheinungsbild sein. Idealerweise steht in dessen Zentrum eine Idee, die sich auf alle kommunikativen Ebenen, von der Geschäftsausstattung über die Innenarchitektur bis zur Internetseite, übertragen lässt. Wobei das Wörtchen „Idee“ niemals das berühmte Schütteln aus dem Ärmel sein kann. In unserem Studio bedeutet Ideenfindung ein intensives Auseinandersetzen mit der bisherigen und zukünftigen Identität. Ein Prozess, der sich vielleicht ganz gut mit einer Wurzelbehandlung vergleichen lässt. Erstens weil er genau diese sucht. Und zweitens weil das auch wehtun kann. Eine klare Positionierung und eine eindeutige Aussage bedeutet manchmal eben auch das schmerzhafte Trennen von gewissen Sichtweisen. Oder Möbeln oder Systemschriften. Oder sogar von einer Kundengruppe – wenn es eine attraktivere gibt. Wie sich das umsetzen lässt, hat unser Studio mit der Zahnarztpraxis weissraum, die 2010 von der ZWP als schönste Zahnarztpraxis Deutschlands ausgezeichnet wurde, gezeigt. 

Die neue Praxis sollte als Marke im großstädtischen Umfeld positioniert werden. Hierbei war die Aufgabe, neben einem differenzierenden Naming und Branding auch eine erweiterte Erwartung an moderne  Zahnarztpraxen zu berücksichtigen. Diese Erwartung bezieht sich neben dem mehr oder minder austauschbaren Leistungsportfolio sehr stark auf die Ästhetik gesunder und gutaussehender Zähne. Mit dem neu gefundenen Namen „weissraum“ werden beide Patientenzielgruppen angesprochen. weissraum steht für die hohe Qualität der zahnmedizinischen Leistungen, assoziiert Reinheit und natürliche Schönheit und  unterstreicht das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Weiß steht aber auch für das Ideal eines gesunden Zahns. Der einprägsame Name der Praxis wird in einer Bildmarke in Form eines „W“ aufgenommen, die als Symbol einen Zahn assoziiert. 


Nicht Durchdachtes ist Karies für die Praxis 

Jeder Raum kommuniziert mit seinen Besuchern. Deshalb sind diese Faktoren auch entscheidend bei der Gestaltung von Praxisräumen. Die Innenarchitektur muss hier nicht nur die komplexen organisatorischen Abläufe des Praxisalltags, sondern auch das Wohlbefinden der Patienten berücksichtigen. Gerade bei Zahnärzten ist die Angst vor dem Arztbesuch besonders ausgeprägt. Dem kann durch eine entsprechende Raumatmosphäre entgegengewirkt werden. Dieses Wirkungsprinzip setzt schon beim Öffnen der Praxistür ein. Wie werde ich als Patient empfangen? Fühle ich mich an der Rezeption willkommen, und werde ich dort gleichzeitig auch diskret behandelt? Ist der erste Eindruck von den Räumlichkeiten vielleicht so luxuriös, dass ich befürchten muss, mir die Behandlung nicht leisten zu können? Beim Bewegen durch die Praxisräume ist eine gelungene Raumchoreografie unerlässlich. Wenn sich Warteraum oder Behandlungszimmer hinter mehreren Ecken verbergen und der Patient im schlimmsten Fall sogar nachfragen muss, wohin er soll, verstärkt dies ein Gefühl der  Unsicherheit. Alles Aspekte, die eine klare, überlegte Zonierung der Praxis berücksichtigen sollte.

Gleiches gilt für die Gestaltung des Wartebereichs, der mit Sitzangeboten für die ganz unterschiedlichen  Charaktere der Patienten aufwarten sollte. So gibt es die eher Extrovertierten, die gern am Geschehen teilhaben wollen, sich unterhalten oder herumschauen möchten. Und es gibt die eher Introvertierten, die sich zurückziehen und am liebsten hinter einer Zeitung in Luft auflösen möchten. Die Grundidee der Praxisgestaltung findet auch in deren Materialwelt ihren Ausdruck. Funktionale Gesichtspunkte sprechen für langlebige Materialien wie Mineralwerkstoffe oder Schichtstoffober flächen. Die atmosphärische Wirkung un terstützen Naturprodukte wie Holz oder Glas. In ihrer Kombination sollten sie technisch-organisatorische Funktionen soweit als möglich in den Hintergrund treten lassen und eine behagliche Raumatmosphäre erzeugen. 

Der Gewinner des Designpreises 2010 Bei der Innenraumgestaltung für weissraum war es einerseits unsere Aufgabe, den historischen Baubestand einer großzügigen Altbauwohnung mit Respekt und Sorgfalt zu behandeln und trotzdem den Anforderungen einer modernen Praxis gerecht zu werden. Andererseits haben wir nach einer innenarchitektonischen Übersetzung des Begriffs „weissraum“ gesucht. Beim Betreten der Praxis wird deshalb weissraum zunächst auch als weiße Architektur sichtbar. Alle Wände und Decken erstrahlen in Weiß. Auch die neuen Einbauten greifen die namengebende Farbe auf und werden lediglich durch wenige goldene Flächen akzentuiert, die Wertigkeit assoziieren. An die Behandlungsräume schließt sich der Warteraum. Weiße Vorhänge filtern das Tageslicht, eine Sitzecke in Violett setzt einen effekt vollen farblichen Akzent und verleiht dem Raum ein loungeartiges Ambiente. Als weiteres raumübergreifen des Thema fungiert der Boden, der als durchgehendes Eichenparkett ausgeführt ist. Dieses ist ebenfalls geweißt und erhält dadurch einen leichten, schwebenden Charakter. Gleichzeitig gibt der Boden den Räumen eine besondere Natürlichkeit, die die häufig mit der Farbe Weiß assoziierten Eigenschaften Künstlichkeit und Sterilität gar nicht erst aufkommen lassen. Für die Behandlungsräume wurden die ehemaligen Zimmer mit einer durchgehenden Ganzglasfassade durchschnitten, die diese vom Flur abtrennt. Die Glasfront folgt dabei mit höchs ter Präzision den Konturen der Stuckdecke. Ein aufgedrucktes Punktraster im mittleren Bereich verbirgt das Geschehen in den Praxisräumen. Doch nach oben und unten kann man weiterhin in die Räume hineinschauen. Die herrlichen Stuckornamente und der Boden bleiben so weiterhin sichtbar, was dem gesamten Raum einen fließenden Charakter verleiht. 

weissraum ist ein organisches Zusammenspiel aus Corporate Design, Kommunikation, Kommunikation im Raum und Architektur, das die Balance zwischen professionellem Erscheinen, Funktionalität und Atmosphäre findet. Das Ergebnis ist eine merkfähige Praxiswelt, über die man spricht. Das ist schlussendlich noch immer die beste Werbung für eine Zahnarztpraxis.


Autor: Peter Ippolito

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