Psychologie 29.09.2011
Der interessante Patient – Teil VII: Narzisstische Persönlichkeitsstörung
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Selbstbewusste Patienten mit sicherem Auftreten und klaren Wünschen werden in jeder Praxis gerne gesehen. Im Normalfall sind auch Patienten mit Selbstüberschätzung kein Problem, da die Behandlung dadurch nicht behindert wird. Gelegentlich grenzt diese Selbstüberschätzung jedoch an unendliche Selbstliebe, welche ständig nach Bewunderung ihrer Großartigkeit strebt und überaus empfindlich auf Kritik reagiert. In diesem Fall haben wir es wahrscheinlich mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu tun.
Narzisstische Persönlichkeitsstörung in der Zahnarztpraxis
In der griechischen Mythologie verliebte sich Narziss in sein eigenes Spiegelbild und war bis zu seinem Tod darauf fixiert. Er bemerkte nicht, dass ihn niemand sonst bewunderte und sein befremdliches Verhalten insgesamt auf wenig Gegenliebe stieß. Diese Merkmale gelten auch heute noch für die narzisstische Persönlichkeitsstörung, welche bei circa 2% der Bevölkerung beobachtet wird (je nach Studie bis zu 17%). Häufig wird sie jedoch nicht diagnostiziert, da das Verhalten besonders in Führungspositionen und Chefetagen zum Erfolg führt und deshalb nicht zwingend therapiert wird (Dammann, 2007). Die Patienten sind sich zudem nicht bewusst, dass sie eine Persönlichkeitsstörung haben, da sie ihre Gefühle, ihre Gedanken und ihr Verhalten als normal empfinden. Aus diesem Grund sucht kaum eine betroffene Person Hilfe auf. In der Zahnarztpraxis – und hier besonders im ästhetischen Bereich – ist die narzisstische Persönlichkeitsstörung schon auffälliger und zahlreich vorhanden (z.B. Ricci, Prstojevich, Langley & Hlavacek, 2010). Vorherrschendes Merkmal ist die wahrgenommene Arroganz. Arroganz ist die Persönlichkeitseigenschaft, welche im Gegenüber den meisten Ärger auslöst (Birkenbihl, 2007). Die psychische Störung aufseiten des Patienten und der Ärger aufseiten der Praxis erschweren die Zusammenarbeit. Die Psyche des Patienten kann und muss im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung nicht therapiert werden. Es liegt an der Praxis, Verständnis für das Verhalten aufzubringen und dadurch den empfundenen Ärger zu reduzieren, sodass es allen Beteiligten gut geht (siehe auch „Der interessante Patient … den ich nicht mag“, cosmetic dentistry).
Die Patienten betreten die Praxis, als würde sie ihnen gehören. Sie möchten sofort bevorzugt behandelt werden und können durchaus darauf drängen, dass andere Patienten gehen sollen. Mit der Helferin wird eventuell nicht geredet, weil ihr Status nicht angemessen erscheint. Es ist auch durchaus möglich, dass eine Helferin als Gesprächspartnerin auserkoren wird, solange sie Komplimente gibt und der Patient so einen Nutzen ziehen kann. Bleiben die Komplimente aus, kann die narzisstisch veranlagte Persönlichkeit sehr unwirsch, abwertend und beleidigend werden. Der Patient bemerkt aufgrund mangelnder Empathie überhaupt nicht, dass er mit seinem Verhalten die Helferin enttäuscht und verletzt. Es liegt genau betrachtet keine böse Absicht dahinter. Der Patient redet ständig von seinen Erfolgen und seiner Großartigkeit, ohne dass ein anderer die hohe Leistung erkennen kann. Die Patienten sind so stark auf sich selbst konzentriert und von ihrer Einzigartigkeit überzeugt, dass sie nicht registrieren, wie sehr sie ihre Mitmenschen damit erschrecken oder provozieren. Helferinnen erkennen üblicherweise narzisstische Persönlichkeiten früher als der Zahnarzt selbst. Erklärungen hierfür können sein, dass der Patient sein auffälliges Verhalten stärker zeigt, wenn er es mit dem – aus seiner Sicht – „niederen Personal“ zu tun hat. Zusätzlich müssen Zahnärzte und Zahnärztinnen eine gesunde Portion Narzissmus innehaben, um Führungsaufgaben, Beratung und Behandlung kompetent durchführen zu können. Patient und Zahnarzt sind sich auf der Narzissmus-Skala näher als Patient und Helferin, was die schnelle Diagnose vonseiten des Zahnarztes erschwert. Es handelt sich bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung um eine klassifizierte psychische Störung, bei der mindestens fünf der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen müssen (nach DSM-IV, s. Tabelle).
Ursachen
Ein wichtiges Merkmal bei den meisten Persönlichkeitsstörungen ist, dass sie ich-synton sind, also vom Patienten nicht als Gestörtheit, sondern eher als Eigenschaft wahrgenommen werden (Fiedler, 2001). Wie bei jeder Persönlichkeitsstörung liegen die Ursprünge in der Kinder- und Jugendzeit, in der der Heranwachsende Verhaltensweisen erlernt hat, mit denen er scheinbar am besten überleben kann. Die Erziehung in der Kindheit ist oft geprägt von Vernachlässigung, Abwertung und mangelnder Empathie. Das Kind war sich der elterlichen Liebe nie sicher und ist auch als Erwachsener im zwischenmenschlichen Bereich ungeübt. Diese zugrunde liegende Unsicherheit wird durch überspielte Selbstliebe getarnt. Das Kind und der spätere Erwachsene täuscht sich seine Großartigkeit vor, bis er selbst daran glaubt. Da diese Überzeugung auf einem wackeligen Gerüst steht, braucht der Betroffene immer wieder Bestätigung. Er hat nie wirklich gelernt was es heißt, auf andere einzugehen, da er es an sich selbst nicht erfahren hat. Zwischenmenschliche Beziehungen sind geprägt durch Misstrauen, Angst vor Abhängigkeit und mangelndes Einfühlungsvermögen (nach Fiedler, 2001).
Ein weiterer Ansatzpunkt geht davon aus, dass die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung dadurch begünstigt wird, dass Kinder übermäßig gelobt und verwöhnt werden, ohne dafür Leistungen und Investitionen zeigen zu müssen. Dem Kind wird vermittelt, dass es besser als andere ist. Auch hier entwickelt die erwachsene Person Angst vor Kritik und das Unvermögen, Verhaltensweisen von Mitmenschen adäquat einzuschätzen. In ihrer Welt stehen sie im Mittelpunkt und andere sind dafür zuständig, dies zu bestätigen. Beide Ansätze zeigen, dass die narzisstische Person in einer Wahrnehmungswelt lebt, die stark abhängig ist von der Bewunderung durch andere. Der Patient existiert durch Lob, durch Besitz, durch Prestige – er „ist“ sein Auto, sein Name, sein vermeintlicher Erfolg. Brechen diese äußeren Bestätigungen weg, löst das in der Gefühlswelt des Patienten Ängste und Unsicherheiten aus, er wird quasi ausgelöscht. Im zahnärztlichen Setting können solche Reaktionen kaum aufgefangen werden, weshalb eine Konfrontation bezogen auf das Verhalten vermieden werden sollte.
Umgang
Ich empfehle im Umgang mit narzisstischen Patienten in der Zahnarztpraxis, dass auf deren Welt eingegangen wird, ohne die Patienten im psychologischen Sinne therapieren zu wollen. Damit ist nicht gemeint, dass jede ästhetische Maßnahme durchgeführt werden sollte, weil sie dem Patienten überirdische Schönheit verspricht. Auch soll der Patient nicht zusätzliches verbales Futter für seine Selbstüberschätzung bekommen. Es geht darum, ihn nicht als Person zu kritisieren. Ein Verständnis für das mangelnde Selbstbewusstsein, wie es in diesem Artikel vermittelt wird, sollte Voraussetzung für die Behandlung sein. Sobald Zahnarzt und Team wissen, dass hinter dem arroganten Verhalten des Patienten Unsicherheit steht, erleichtert dies die entspannte Zusammenarbeit.
Am schnellsten erreichen Sie Erfolge, wenn Sie die eigenen Erwartungen an „normale“ Verhaltensweisen reduzieren. Sie kommen bei der Zahnbehandlung und in der Kommunikation weiter, wenn Sie das sonderbare Verhalten des Patienten übersehen. Akzeptieren Sie ihn, wie er ist. Dazu gehört, dass er von sich erzählen möchte, von seinen Erfolgen, seinen Besitztümern, seinem Aussehen. Ihm tut es gut, erzählen zu dürfen – Ihnen tut es gut, nicht weiter nachzufragen.
• Erwarten Sie nicht, dass er sich im Gegenzug für Sie interessiert.
- Hören Sie zu.
- Fassen Sie höchstens kurz zusammen.
- Fragen Sie nicht weiter.
• Erwarten Sie nicht, dass er Sie lobt.
- Ein entspannter Patient ist das höchste Lob, das Sie erreichen können.
• Erwarten Sie nicht, dass er sein auffälliges Verhalten reduziert.
- Bleiben Sie gedanklich bei sich selbst (nehmen Sie es nicht persönlich).
- Machen Sie sich bewusst, dass sich sein Verhalten über Jahrzehnte entwickelt hat.
Fazit
Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung empfinden Kritik, erfolgreiche Menschen oder schöne Rivalen als Bedrohung für das eigene Leben. Dieser Überlebenskampf nimmt für Außenstehende arrogante und ärgerliche Dimensionen an. Die Erfahrung bei der Behandlung von betroffenen Zahnarztpatienten hat gezeigt, dass der narzisstisch veranlagte Mensch dann am gefügigsten wird, wenn er das Gefühl vermittelt bekommt, sich nicht beweisen zu müssen. Er lebt in einer Wahrnehmungswelt, die wir schwer nachvollziehen können – lassen Sie ihm seine Wahrnehmung und freuen Sie sich über Ihre eigene Welt.