Psychologie 19.11.2024
Perfektionismus bei Frauen: die unsichtbare Last
Perfektionismus ist ein stilles Phänomen, das viele Frauen belastet. Auf den ersten Blick mag es wie eine Stärke erscheinen – der unermüdliche Drang nach Exzellenz, die Hingabe zur Perfektion in allem, was man tut. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich oft ein erdrückendes Gewicht, das Frauen auf ihren Schultern tragen.
Man muss zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus unterscheiden. Funktionaler, gesunder Perfektionismus fördert Erfolg, da wir Fehler und Niederlagen anerkennen und daraus lernen. Ungesunder, dysfunktionaler Perfektionismus hingegen verhindert dies.
Er begleitet Frauen unsichtbar durch den Alltag und ist nie zufrieden. Trotz zahlreicher Erfolge oder gemeisterter Herausforderungen flüstert die innere Kritikerin pausenlos: „Du hättest mehr geben können. Du bist nicht gut genug.“ Der ständige Druck, unerreichbare eigene Standards zu erfüllen, kann zur Qual werden. Doch Perfektionismus ist mehr als nur eine belastende Angewohnheit. Er ist ein Zusammenspiel aus Ängsten, Unsicherheiten und dem Zwang, die Kontrolle zu behalten. Für viele Frauen ist er ein stiller Verbündeter, der ihnen hilft, in einer Welt zu bestehen, in der die Ansprüche hoch sind.
Ursachen und Merkmale des Perfektionismus
Perfektionismus bei Frauen hat viele Facetten und kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Erziehung, ein zu hoher perfektionistischer Anspruch an Kinder durch Eltern und gesellschaftliche Erwartungen spielen eine große Rolle. Frauen sehen sich oft mit unrealistischen Standards konfrontiert, die durch Medien, soziale Netzwerke und kulturelle Normen verstärkt werden. Sie sollen nicht nur beruflich erfolgreich sein, sondern auch perfekte Mütter, Partnerinnen, Freundinnen oder Töchter.
Ein weiterer Faktor ist die individuelle Veranlagung zum Neurotizismus. Personen mit höherer Neigung zum Neurotizismus tendieren eher zum Perfektionismus. Dieses Persönlichkeitsmerkmal ist mit emotionaler Instabilität, Ängstlichkeit und erhöhter Stresssensibilität verbunden. Frauen mit stark ausgeprägtem Neurotizismus sind anfälliger für Perfektionismus, da sie versuchen, ihre Ängste durch Kontrolle und Perfektion zu kompensieren.
Perfektionismus und dessen gesundheitliche Folgen
Doch Perfektionismus kann noch mehr – er kann ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen. Die ständige Versagensangst und der Druck, perfekt zu sein, führen zu chronischem Stress. Dieser äußert sich in Symptomen wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Magenproblemen und erhöht langfristig das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme, Depressionen und Essstörungen.
Besonders alarmierend ist, dass perfektionistische Frauen anfälliger für extreme Erschöpfung und Burn-out macht. Der unablässige Drang nach Perfektion führt zu Überarbeitung und mangelnder Selbstfürsorge. Viele Perfektionistinnen sind nicht in der Lage, Pausen zu machen oder sich selbst Fehler zu verzeihen, was zu einem Teufelskreis aus Stress und Selbstkritik führt.
Perfektionisten scheitern oft
Obwohl Perfektionistinnen oft sehr leistungsfähig und erfolgreich erscheinen, scheitern einige paradoxerweise häufiger als andere. Der Grund dafür ist, dass Perfektionismus in einigen Fälle zu Prokrastination führt. Die Angst, nicht perfekt zu sein, hindert viele Frauen daran, Projekte zu beginnen oder abzuschließen. Sie verbringen so viel Zeit damit, an den Details zu feilen, dass sie das große Ganze aus den Augen verlieren und Deadlines verpassen. Perfektionismus führt oft zu starrem Denken. Viele Perfektionistinnen haben Schwierigkeiten, Fehler zu akzeptieren und daraus zu lernen. Sie nehmen Rückschläge persönlich und sehen sie als Beweis für ihre Unzulänglichkeit, was einen Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Prokrastination erzeugen kann.
Perfektionistinnen haben oft ein schlechtes Gewissen
Hinzu kommt, dass Perfektionistinnen davon überzeugt sind, ständig hinter den Erwartungen zurückzubleiben, egal, wie viel sie leisten. Sie haben oft das Gefühl, nie genug zu tun, egal, wie viel Zeit und Energie sie investieren. Die Konsequenz: ein ewig schlechtes Gewissen. Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit führt zu innerem Druck und Selbstkritik. Selbst wenn sie objektiv betrachtet hervorragende Arbeit leisten, zweifeln sie an ihren Fähigkeiten und haben das Gefühl, versagt zu haben.
Perfektionismus und das Hochstapler-Syndrom
Einige Perfektionistinnen neigen zum Hochstapler-Syndrom, auch Imposter-Syndrom genannt. Trotz offensichtlicher Erfolge und Anerkennung glauben sie, ihre Erfolge seien unverdient und sie würden bald als Betrügerinnen entlarvt werden. Dieses Syndrom verstärkt das Bedürfnis nach Perfektion, da sie ständig versuchen, ihren eigenen hohen Erwartungen und den Erwartungen anderer gerecht zu werden, aus Angst, als unfähig oder inkompetent entlarvt zu werden.
Perfektionismus als People Pleasing
Ein weiteres Phänomen einiger Perfektionistinnen ist das People Pleasing. Sie haben ein starkes Bedürfnis, anderen zu gefallen und deren Maßstäbe zu erfüllen, was enormen Stress in ihnen auslöst. Aus Angst vor Ablehnung und Kritik glauben sie, nur durch Perfektion Anerkennung und Liebe zu verdienen. Sie setzen sich selbst unter enormen Druck, um die Erwartungen von Familie, Freunden und Kollegen zu erfüllen, was ihren Perfektionismus noch verstärkt. Dies führt zu einem Teufelskreis aus ständiger Selbstkritik und dem Gefühl, nie gut genug zu sein.
Was kann Frau tun
Sich selbst und die eigenen Fehler akzeptieren
Ein wichtiger Schritt, um dem Teufelskreis des Perfektionismus zu entkommen, ist Selbstakzeptanz. Frauen müssen lernen, sich selbst und ihre Fehler zu akzeptieren – niemand ist perfekt! Dies erfordert oft eine bewusste Entscheidung und ein gewisses Bemühen, denn Perfektionismus verschwindet nicht über Nacht.
Realistische Ziele setzen
Ein weiterer Schritt ist das Setzen realistischer Ziele. Unerreichbare Ziele führen zu Frustration und Enttäuschung und zu noch mehr Druck. Indem Perfektionistinnen lernen, realistische und erreichbare Ziele zu setzen, können sie ihren Perfektionismus in gesunde Bahnen lenken.
Pausen einplanen
Bewusste Pausen und Auszeiten sind wichtig! Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Frauen sollten lernen, auf ihren Körper und ihre Bedürfnisse zu hören und sich selbst die Erlaubnis zu geben, gezielt den Pause-Button zu drücken! Nur so können Batterien aufgeladen werden.
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Dieser Beitrag ist im ZWP spezial erschienen.
Autorin: Eileen Jacobs