Recht 28.02.2011

Faktencheck Behandlungsdokumentation



Faktencheck Behandlungsdokumentation

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Für den Zahnarzt zählt das Erstellen der Behandlungsdokumentation zu seinen Berufspflichten. Über deren konkrete Ausgestaltung und den notwendigen Umfang der Dokumentation besteht in Rechtsprechung und Literatur jedoch keine volle Einigkeit. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Zahnärzte bei der Einschätzung ihrer Dokumentationspflichten teilweise von ungenauen und „falschen“ Fakten ausgehen.

Im Folgenden werden anhand von vier Fakten besonders häufige Irrtümer in der Praxis aufgedeckt.

„Fakt 1“: Der Beweiswert einer zahnärztlicher EDV-Dokumentation ist gleich „Null“.

Argumente für diese Ansicht: Anders als mechanische Aufzeichnungen können auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien abgelegte Dokumentationen besonders leicht verändert, vernichtet oder unrechtmäßig verwendet werden. Auch ist der Zeitpunkt ihrer Erstellung nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Bis heute bestehen in der Praxis keine überzeugenden tech­nischen und organisatorischen Sicherheitsmechanismen, die diesen spezifischen Fehlerquellen wirksam begegnen und auf diese Weise die Integrität elektronischer Aufzeichnungen gewährleisten könnten – stimmt das?

Der Faktencheck ergibt ein gespaltenes Ergebnis. In tatsächlicher Hinsicht dürften die für „Fakt 1“ bemühten Sachargumente zutreffen, auch wenn dies zwischenzeitlich verstärkt bestritten wird. In rechtlicher Hinsicht geht diese Ansicht jedoch fehl. „Fakt 1“ ist daher „falsch“. Berufsrechtlich ist die EDV-Dokumentation zulässig. Die (neuere) Rechtsprechung schließt aus der besonderen Fehleranfälligkeit von EDV-Dokumentationen im Regelfall keinen verminderten prozessualen Beweiswert. Vielmehr soll einer EDV-Dokumentation grundsätzlich derselbe Beweiswert wie einer herkömmlichen schriftlichen Dokumentation zukommen.4 Das soll jedenfalls dann gelten, wenn der Zahnarzt imstande ist, im Einzelfall nachvollziehbar darzulegen, dass seine – medizinisch plausiblen – Aufzeichnungen nicht nachträglich verändert worden sind. Unklar bleibt, wie er hierbei vorzugehen hat. In der Sache spräche viel dafür, nur eine unter Einhaltung besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen (z.B. Wahl besonders geschützter Datenträger, sog. WORMS) zustande gekommene EDV-Dokumentation als vertrauenswürdig anzusehen.

Eine solche – strenge – Linie verfolgt die Rechtsprechung jedoch bislang gerade nicht. EDV-Aufzeichnungen sollen zwar nur unter Berücksichtigung der ihnen eigenen Fehlerquellen verwertet werden dürfen. Auch sind die für die tatrichterliche Überzeugung insoweit wesentlichen Gesichtspunkte im Urteil nachprüfbar darzulegen. In der Praxis geht dieser Umstand aber beweismäßig zumeist nicht zulasten der Behandlerseite. Das gilt selbst dann, wenn EDV-Programme verwendet worden sind, die nicht (ausreichend) gegen nachträg­liche Veränderbarkeit abgesichert gewesen sind. Zu diesem Ergebnis gelangt die Rechtsprechung, indem sie die EDV-spezifischen Fehlerquellen entweder nicht klar genug definiert, sodass dieser Gesichtspunkt auch keinen Eingang in die richterliche Würdigung finden kann, oder aber die Gerichte lassen Zweifel an der Richtigkeit der EDV-Aufzeichnungen bereits deshalb nicht aufkommen, weil sie die EDV-Aufzeichnungen als nur einen Gesichtspunkt (unter mehreren) heranziehen. Auf diese Weise wird letztlich auf die – „glaubhafte“ – Versicherung des Behandlers vertraut, keine nachträglichen Veränderungen vorgenommen zu haben.

EDV-gestützte Aufzeichnungen sind im Übrigen mit der gleichen Sorgfalt wie mechanische Dokumentationen zu erstellen. Zur vollständigen Dokumentation gehören darüber hinaus auch bei EDV-Aufzeichnungen natürlich Röntgenbilder, Modelle, Skizzen etc.

„Fakt2“: Wird eine Dokumentation – EDV-gestützt oder herkömmlich –nicht zeitnah erstellt, ist diese im Prozess nicht verwertbar.

Argumente für diese Ansicht: Nachträglich erstellte Aufzeichnungen können erfahrungsgemäß in hohem Maße fehlerbehaftet und daher unter medizinischen Gesichtspunkten unbrauchbar sein. Die rechtliche Konsequenz hieraus muss die Unverwertbarkeit derartiger Aufzeichnungen sein, weil z.B. visuelle Eindrücke nicht reproduzierbar sind – trifft das zu?

Der Faktencheck bestätigt lediglich die Möglichkeit einer „Beweiswertminderung“ bei nicht zeitnah erstellten zahnärztlichen Aufzeichnungen. Aber auch der nicht zeitnah erstellten Dokumentation kann im Einzelfall ein Beweiswert zukommen. In der Zusammenschau mit sonstigen überzeugungskräftigen Indizien kann die Behandlerseite im Haftungsprozess auf diese Weise sogar noch obsiegen. Unerlässlich ist jedoch, dass Grund und Zeitpunkt der nachträglich vorgenommenen Dokumen­t­ation bzw. deren Ergänzungen in der Dokumentation festgehalten werden. Eine Erstellung erst nach mehreren Wochen kann die Vermutung rechtfertigen, dass die Maßnahme unterblieben ist. Feste Regeln hinsichtlich noch tolerabler zeitlicher Abstände kennt die Rechtsprechung jedoch nicht.

„Fakt 3“: Der Umfang der Dokumentationspflicht ist auf das medizinisch erforderliche Maß beschränkt, weshalb z.B. negative Befunde, aber auch einzelne zahnärztliche Maßnahmen, nicht zu dokumentieren sind.


Argumente für diese Ansicht: Die Pflicht des Zahnarztes zur Dokumentation dient allein der sachgerechten zahnmedizinischen Behandlung des Patienten – etwa durch die Gewährleistung eines jederzeit möglichen Wechsels in der Person des Behandlers.

Der Faktencheck ergibt zunächst, dass die Dokumentationspflicht des Zahnarztes rechtlich nicht weiterreicht als medizinische Erfordernisse es verlangen. Der Zahnarzt muss danach z.B. nicht für den Patienten „verständlich“ dokumentieren, sondern kann insoweit etwa praxisübliche Kürzel verwenden. Was die Aufnahme sog. negativer Befunde angeht, liegen die Dinge freilich komplizierter. Jedenfalls in Ausnahmefällen wird es medizinisch durchaus angezeigt sein, negative Befunde zu dokumentieren; dann aber besteht hierzu auch eine Rechtspflicht. Dies gilt etwa bei medizinisch besonders wich­tigen Befunden bzw. wenn konkreter Anlass zur Ausräumung eines Verdachts bestanden hat. Die Rechtsprechung kennt keinen festen Katalog entsprechender Fälle. Es ist also Vorsicht geboten. In einfach gelagerten Sachverhalten kann die Bemerkung „o.B.“ genügen. Was zahnärztliche Einzelmaßnahmen und deren Einbeziehung in die Dokumentation anbetrifft, ist zu differenzieren: (Nur) Routinemaßnahmen sind im Regelfall nicht von der Dokumentationspflicht erfasst, wobei die Rechtsprechung bei deren Bestimmung wiederum uneinheitlich ist. Der Zahnarzt sollte sich insoweit um „Vollständigkeit“ seiner Dokumentation bemühen. Ist eine Maßnahme, was erneut Fallfrage ist, zahnärztlich ge­boten, so indiziert das Fehlen einer der­artigen dokumentationspflichtigen Maßnahme sehr wohl deren Unterbleiben.

Dokumentationspflichten: Relevante Rechtsvorschriften

§12 Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer (als solche unverbindlich, in ähnlicher Form jedoch in allen Berufsordnungen der Landeszahnärztekammern verbindlich umgesetzt): Befunde und Behandlungsmaßnahmen sind chronologisch und für jeden Patienten getrennt zu dokumentieren.

§ 5 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z): Über jede Behandlung sind Aufzeichnungen zu fertigen, aus denen die einzelnen Leistungen, die behandelten Zähne und, soweit erforderlich, der Befund sowie die Behandlungsdaten ersichtlich sind.

§ 7 Abs. 3 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte (EKV-Z): Befunde, Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich Behandlungstag mit Zahnbezug sind fortlaufend zu dokumentieren.

So uneinheitlich die Rechtsprechung, so eindeutig das „Gesetz“: Berufsrecht und vertragszahnarztrechtliche Vorschriften verpflichten den Zahnarzt zur Dokumentation mit einem bestimmten Mindestinhalt.

„Fakt 4“: Praktiziert der Zahnarzt zusammen mit einem Kollegen, ist die Aufbewahrung der Dokumentation „an einem Ort“ zulässig.

Argumente für diese Ansicht: Wer gemeinsame Praxisräume und Büroin­frastruktur nutzt, wird aus Effek­ti­vitätsgesichtspunkten auch einen gemeinsamen Lagerungsort für die Patientendokumentation (physisch oder digital, d.h. Aktenschrank oder EDV-Programm) nutzen dürfen – richtig oder falsch?

Der Faktencheck – Der Teufel liegt im Detail: Maßgebend ist, mit wem der Patient den Behandlungsvertrag abschließt. Das kann auch bei gemeinsamer Raumnutzung verschieden sein: Praktizieren Zahnärzte in Praxisgemeinschaft, werden nur die Kosten von sächlichen bzw. personellen Ressourcen umgelegt. Rechtlich handelt es sich um separate Praxen. Der Behandlungsvertrag wird nur mit dem jeweils behandelnden Praxisgemeinschaftspartner geschlossen. Nur dieser darf dann Einsicht in die Behandlungsunterlagen haben. Eine abgesicherte Zuordnung zu den einzelnen in Praxisgemeinschaft zusammen­geschlossenen Behandlern muss gewährleistet sein. „Fakt 4“ trifft im Hinblick auf Praxisgemeinschaften mithin nicht zu. Anderes gilt bei Berufsausübungsgemeinschaften („Gemeinschaftspraxis“): Hier wird der Behandlungsvertrag jeweils mit allen ihren Beruf gemeinschaftlich ausübenden Zahnärzte geschlossen. Deshalb dürfen auch alle Behandler der Gemeinschaftspraxis Zugriff auf die Behandlungs­unterlagen nehmen. „Fakt 4“ ist insoweit also „richtig“. Wichtig in diesem Zusammenhang: Es kommt nicht auf die vertragliche Formulierung des Zusammenschlusses an; maßgeblich ist allein, wie die Kooperation „gelebt“ wird.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.

Autoren: RA, FA MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille


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