Recht 28.02.2011
"Haftungs-Triptychon" für den Zahnarzt
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Von Jacobello Alberegno bis Jonathan Meese: Wer es in der abendländischen Kunst pathetisch mag, bringt seine Botschaft in der Darstellungsform des Triptychons an den Mann. Wenn es darum geht, dem Zahnarzt seine Haftungsrisiken aufzuzeigen, stehen unsere Autoren diesen Vorbildern nicht nach. Das „Haftungs-Triptychon“ ruft dem Betrachter die Schreckgespenster der Zahnarzthaftung in Erinnerung (betonter Mittelteil), lokalisiert diese innerhalb der gegenwärtigen Rechtsprechung (Seitenflügel links) und hält schließlich Tipps bereit, wie man sich die Plagegeister wirkungsvoll vom Leib hält (rechts).
1. Behandlungs- und Aufklärungsfehler1
Rechtsprechung: Der Patient muss auf das seltene Risiko einer allergischen
Palladiumreaktion hingewiesen werden, wenn er anstelle des Füllstoffes Amalgam aus Gründen der besseren Verträglichkeit ein Goldinlay wünscht.2 Vor einer Wurzelbehandlung ist der Patient über die Gefahr einer Entzündung bzw. des Zahnverlustes aufzuklären.3 Bei der Entfernung eines Weisheitszahns ist über das Risiko von Schädigungen der in der Nähe verlaufenden Nerven, von Knochen- und Weichgewebeverletzungen und über Verhaltensmaßregeln bei Nachblutungen aufzuklären.4 Bestehen bei einem Patienten komplizierte Kieferverhältnisse, muss er vor dem Einsetzen eines Implantats über das hierdurch bedingte besondere Misserfolgsrisiko aufgeklärt werden.5 Ist ein Patient in seiner Gesamtkonstitution geschwächt, so ist er auf die Möglichkeit einer ggf. vor-zugswürdigen stationären Behandlung hinzuweisen.6 Der Zahnarzt muss den Patienten über dessen erkennbaren Irrtum über die Kosten einer prothetischen Versorgung und deren Erstattung aufklären, im Falle von außervertraglichen Leistungen beim gesetzlich versicherten Patienten sogar ungefragt.7
Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Typologisch schwer fassbares, dynamisches, für den Zahnarzt nachhaltig unangenehmes Wesen aus der Schattenwelt des haftungsrechtlichen Richterrechts. Gespenstersichtung an immer mehr Gerichten und in einer zwischenzeitlich unübersehbaren Fülle von Behandlungskonstellationen. Verfolgt potenziell auch den erfahrensten Zahnarzt.
Was den Spuk heraufbeschwört: Unterschreiten des zahnmedizinisch gebotenen Standards durch Sorgfaltspflichtverstöße bei Diagnose, Planung, Prophylaxe, Behandlungsdurchführung oder Nachsorge. Haftungsansprüche können auch entstehen, wenn notwendige Behandlungsmaßnahmen nicht, nicht ausreichend, zum falschen Zeitpunkt oder unter Weglassen der – auch wirtschaftlichen – Folgen für den Patienten erörtert werden (Aufklärungs- und Beratungsfehler).
Abhilfe: Compliance! Einhaltung – insbesondere – der sozialrechtlichen Richtlinien für die vertragszahnärztliche Behandlung. Führen patientenverständlicher Aufklärungsgespräche unter Einsatz geeigneter Beweishilfen. Vorhalten eines funktionierenden Beschwerdemanagements. „Glück“. Im Übrigen: Verjährung haftungsrechtlicher Ansprüche nach drei Jahren (Verjährungsbeginn mit dem Schluss des Jahres, in dem der Haftungsanspruch entstanden ist und der Patient Kenntnis von dem den Anspruch begründenden Umstand sowie der Person des Schuldners erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Achtung: Die Verjährung ist gehemmt, solange die Parteien miteinander „verhandeln“, so z.B. auch bei Anrufung einer Schlichtungs- oder Gutachterstelle).8
2. „Mithaftung für Altverbindlichkeiten“
Rechtsprechung: Ein in eine Gemeinschaftspraxis eintretender Arzt haftet für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten jedenfalls dann, wenn er die Altverbindlichkeiten, für die er in Anspruch genommen wird, bei seinem Eintritt in die Gesellschaft kennt oder deren Vorhandensein hätte erkennen können.9
Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Gilt bei vielen Zahnärzten als „kopfloser Geist“, womit wahlweise eine „Fehldeutung“ (Einbildung) oder „Folklore“ (Erfindung der Rechtsanwälte zum Zwecke des Erschleichens von Honoraransprüchen) gemeint sein dürfte. Tatsächlich handelt es sich beim Einstehen- müssen für Altschulden um ein ernst zu nehmendes und für den Zahnarzt potenziell desaströses Phänomen. Unlängst sogar „Verböserung“ des Spuks durch Einbeziehung von Forderungen aus beruflichen Haftungsfällen in den Kreis der gesamtschuldnerischen Haftung.
Was den Spuk heraufbeschwört: Überstürztes bzw. mangelhaft vorbereitetes Eintreten in eine zahnärztliche Kooperation. Der Zahnarzt haftet als eintretender Gesellschafter für alle Verbindlichkeiten (z.B. Steuer- oder Mietschulden, Kaufpreisansprüche für die Praxisausstattung), die bereits vor seinem Eintritt entstanden sind. Einer gesonderten Vereinbarung mit den Gläubigern bedarf es hierzu nicht.
Abhilfe: Gibt es praktisch nicht! Im Einzelfall helfen individuelle haftungsbeschränkende Vereinbarungen mit den Vertragsparteien. Ist streitig, ob eine Gemeinschaftspraxis vorliegt (häufiger Fall!), sollte das Benutzen gemeinsamer Briefbögen und Überweisungszettel unbedingt vermieden werden. Im Übrigen gilt – vor dem Eintritt – Schillers Einsicht: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet …“!
3. „Abrechnungsbetrug“
Rechtsprechung: Erbringt der Zahnarzt eine Wurzelbehandlung unvollständig, indem er nur drei anstatt vier Kanäle aufbereitet und füllt, so kann eine Betrugsstrafbarkeit vorliegen, soweit im Hinblick auf die fehlerhafte Abrechnung von Vorsatz auszugehen ist und die nicht erbrachte Behandlung nicht etwa allein auf der Zeitnot des Berufsanfängers beruht, der sich über die Abrechnung im Übrigen keine Gedanken gemacht hat.10 Rechnen Zahnärzte als Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis tatsächlich nicht erbrachte Wiederholungsleistungen durch angebliche Zweit- oder Drittbehandler anderer Praxisstandorte im selben Quartal ab, liegt ebenfalls Betrug vor.11
Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Tritt am häufigsten in Gestalt des „Hinzusetzens von Gebührenziffern“ auf (Abrechnung tatsächlich nicht erbrachter zahnärztlicher und zahntechnischer Leistungen). Begegnet zugleich in einer Vielzahl komplexerer Erscheinungsformen (z.B. Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen,12 Nichtweitergabe von Rabatten und Vergünstigungen,13 Abrechnung von zuvor gegenüber einer Zusatzversicherung für Zahnersatzleistungen als derzeit nicht erforderlich bescheinigten Zahnbehandlungen).14 Unter Betrugsgesichtspunkten ist die Falschabrechnung immer dann „fatal“, wenn insoweit vorsätzliches Handeln vorliegt. Als „Folgespuk“ sind neben strafrechtlichen in diesen Fällen auch berufsrechtliche Sanktionen sowie verwaltungsbehördliche Maßnahmen zu erwarten. Sogar ein später im Sande verlaufenes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren kann der beruflichen Reputation schaden.15
Was den Spuk heraufbeschwört: Hohe Fehleranfälligkeit des Systems der zahnärztlichen Abrechnung (im Falle fahrlässig falscher gebührenrechtlicher Bewertungen).16 Gelegentlich auch Vorsatz. Letzteres ist selten.17
Abhilfe: Compliance, Compliance, Compliance! Die Abrechnung muss stimmen. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, wird man in vielen Fällen den Vorsatz bestreiten können (eine fahrlässige Falschabrechnung ist nicht strafbar).18
4. „Praxishygiene/Gesundheitsamt“
Rechtsprechung: Die manuelle Reinigung sowie Desinfektion verwendeter Medizinprodukte der Klasse „kritisch B“ kann nicht die Anforderungen an ein validiertes Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV erfüllen; der Nachweis der beständigen Wirksamkeit kann bei einem solchen Verfahren regelmäßig nicht erbracht werden, da eine exakte Reproduzierbarkeit nicht möglich ist.19
Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Gespenstererscheinung, mit der die Rechtsprechung bislang nur vereinzelt befasst gewesen ist. Jedoch können Hygienemängel auch Anknüpfungspunkt für zahnarzthaftungsrechtliche Fragestellungen sein (siehe Schreckgespenst „Behandlungsfehler“). Besonders unangenehm: In puncto Praxishygiene muss der Zahnarzt die Konformität mit geltendem Recht beweisen.
Was den Spuk heraufbeschwört: Fehlende Hygiene-, Reinigungs- und Desinfektionspläne. Mangelnde Ausbildung der mit der Instrumentenaufbereitung in der Zahnarztpraxis befassten Person. Nachlässigkeiten bei der Händedesinfektion. Denunziation. Zufall.
Abhilfe: Im Vorfeld: Konformität mit dem Medizinprodukterecht. Medizinprodukte, die den Anforderungen der geltenden RKI-Empfehlungen entsprechen, erfüllen diese Voraussetzung. Im Spukfall: Kooperation mit der Behörde anstelle einer schadensvergrößernden Konfliktverteidigungsstrategie (Empfehlung der Autoren).
5. „Zahnarztinsolvenz“
Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Dem Volksglauben nach nicht existierender, in Zahnarztkreisen jedoch gefürchteter Krisengeist. Sichtung zuletzt etwas seltener. Ist im zu erwartenden Aufschwung nur noch ein Schatten seiner selbst. Wo das Schreckgespenst aber auftritt, erweist es sich als Poltergeist, der auch im sozialen Umfeld des betroffenen Zahnarztes jahrelang für Angst und Ärger sorgt.
Was den Spuk heraufbeschwört: Fehlende Standortanalyse und Finanzplanung durch den Zahnarzt, unvorteilhafte Finanzierungen, fehlende Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, Änderung der persönlichen Verhältnisse (insb. durch Scheidung), übersteigertes privates Konsumverhalten, Verschlechterung der allgemeinen Zahlungsmoral. „Vogel-Strauß-Politik“ im Falle drohender oder eingetretener Überschuldung.
Abhilfe: Königsweg: Möglichst frühzeitige Erlangung der sog. Restschuldbefreiung im Wege des – im Einzelfall aufwendigen – Insolvenzplanverfahrens. Durch dieses Instrument wird abweichend von den allgemeinen Vorschriften der Masseverwertung eine einvernehmliche Regelung zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ermöglicht. Ermöglicht häufig (nicht immer) den Erhalt der Zahnarztpraxis (Eigensanierung) und somit den wirtschaftlichen und beruflichen Neustart.
Autoren: RA, FA MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille
Die Literaturliste zu diesem Beitrag finden Sie hier.