Oralchirurgie 13.05.2016
Das Berliner Übungsmodell
share
Ziel der Berliner Arbeitsgruppe war es, ein Modell für die interdisziplinäre Anwendung von Zahnärzten, Implantologen, HNO-Ärzten und MKG-Chirurgen zu entwerfen, mit dem ein prinzipiell neues Verständnis für spezialisierte Eingriffe an der Kieferhöhle entwickelt wird. Der vorliegende Fachbeitrag beschreibt die Entwicklung und das praktische Arbeiten am „Berliner Übungsmodell“.
In Zusammenarbeit mit der Firma phacon wurde auf der Grundlage von 3-D-Daten eines Schädel-CTs ein Übungsmodell geschaffen, welches die topografische Anatomie des Oberkiefers, der von Schleimhaut ausgekleideten Kieferhöhle mit allen angrenzenden Strukturen sowie die Morphologie eines atrophen Alveolarkamms nach Zahnverlust im Oberkieferseitenzahngebiet zeigt. Durch Analyse von Patientendaten und ständige Weiterentwicklung auf Grundlage von Erfahrungen der Operateure ist es gelungen, die Verhältnisse in allen Details realitätsnah nachzubilden, genau wie sie der Zahnarzt bzw. Arzt am Patienten vorfindet.
Die Beschaffenheit des Knochens und die Nachempfindung der Präparierbarkeit der Silikonschicht, welche die Kieferhöhlenschleimhaut darstellt, waren ein Schwerpunkt in der Entwicklungsarbeit. Das „knöcherne Modell“ wird aus mineralischem Verbundwerkstoff, einem Gemisch aus Gips mit einem Composite-Bonding, im 3-D-Druckverfahren hergestellt.1 Bei der Segmentierung wird hier gezielt auf die physikalischen Eigenschaften des Materials Einfluss genommen, um eine naturgetreue Knochenstärke, bei gleicher Festigkeit, zu erzielen. Die Schleimhaut besteht aus Silikonkautschuk, der mit Pigmenten gefärbt und gegossen wird. Im Ergebnis ist ein Modell entstanden, welches eine Alternative zum Humanpräparat darstellt.2
Der junge Zahnarzt und angehende Implantologe kann seine Kenntnisse über die komplexe topografische Anatomie des pneumatisierten Gesichtsschädels und sein Verständnis für die Lagebeziehungen zwischen Alveolarkamm und den Recessus der Kieferhöhle vertiefen. Er kann die Fachgebietsgrenzen spielerisch verlassen und sich die Indikationen und Techniken der Kieferhöhlenendoskopie über verschiedene endonasale Zugänge und eine neue Technik mit Minioptiken über die Fossa canina erarbeiten.
Der Assistenzarzt in der Weiterbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt kann Operationstechniken der Nasennebenhöhlenchirurgie trainieren und etwas über die Problematik der zahnärztlichen Implantologie erfahren. Dadurch entsteht ein interdisziplinäres Verständnis für die Indikationen, Techniken, Komplikationen und die wichtigsten Fragen, die im interdisziplinären Dialog heute auftreten. Folgende Untersuchungs- und Präparierübungen am Modell sind möglich:
- Implantation am zahnlosen Alveolarkamm im Oberkiefer
- Ausführen eines internen und/oder externen Sinuslift auf beiden Seiten
- Systematische Nasenendoskopie
- Endoskopie der Kieferhöhle über die Fossa canina und endoskopische Kontrolle des Sinuslifts
- Bimanuelles Abtragen einer Zyste über verschiedene Zugänge
- Präparation am Orbitaboden und Lamina papyracea, rekonstruktive Operationsschritte (Blow-out-Fraktur)
- Kontrolle der topografischen Anatomie durch Öffnen eines präformierten Fensters in der Kieferhöhle auch ohne Endoskop.
Die einzelnen Übungsschritte können in einem festen Algorithmus hintereinander oder auch in veränderter Reihenfolge nacheinander ausgeführt werden. Aus praktischen Gründen wird nachfolgendes Vorgehen empfohlen.
Praktisches Arbeiten am Modell
Zu Beginn steht die Inspektion des Modells und Rekapitulation der topografischen Anatomie (Abb. 1) des Gesichtsschädels mit folgenden Landmarken: Os maxillae mit Fossa canina, Foramen infraorbitale, Orbita mit Lamina papyracea und Orbitaboden (Canalis infraorbitalis), Canalis opticus, Fossa pterygopalatina, Processus pterygoideus, Palatum durum mit Foramen palatinum minor und major, Foramen incisivum, Choane, Vomer, Septum nasi, bezahnter Alveolarkamm und zum Teil atropher Alveolarkamm mit Beziehung zum Cavum maxillae.
Implantation am zahnlosen Alveolarkamm im Oberkiefer
Das Setzen von Zahnimplantaten stellt heute bei vielen Zahnärzten einen Routineeingriff dar. Auch den geübten Operateur stellen die bei jedem Patienten individuell vorliegenden anatomischen Gegebenheiten und das Knochenangebot vor immer neue Herausforderungen. Jede Implantation will auf Grundlage der Auswertung von klinischen Befunden und Röntgenaufnahmen, gegebenenfalls auch 3-D-Datensätzen, intensiv geplant und überdacht werden (Abb. 2a–d).
Der lernende wie auch der routinierte Zahnarzt bzw. Arzt in der Weiterbildung kann an diesem Modell das Implantieren und die Orientierung an anatomischen Gegebenheiten trainieren und festigen. Die Implantation erfolgt je nach Implantatsystem analog der Vorgehensweise am Patienten. Es können alle bewährten Systeme verwendet und Implantate inseriert werden (Abb. 3a–d).
Ausführen eines internen oder externen Sinuslift auf beiden Seiten
Nach Analyse der klinischen und röntgenologischen Befunde eines Patienten stellt der Behandler häufig fest, dass das Restknochenangebot im Oberkieferseitenzahngebiet für eine alleinige stabile Implantatinsertion unzureichend ist. Eine langjährige Atrophie sowie die zunehmende Pneumatisation des Alveolarkamms führen zu einer zunehmenden Verringerung des Knochenvolumens. Um eine Implantation dennoch zu ermöglichen und ein geeignetes Implantatlager zu schaffen, ist die vertikale Augmentation mit Sinusbodenelevation, je nach Restknochenhöhe, mittels internem oder externem Sinuslift, indiziert. Beide Verfahren können am Berliner Modell realitätsnah trainiert werden. Das manuelle Geschick bei der Trepanation der fazialen Kieferhöhlenwand und die Präparation der Schneider’schen Membran vom Kieferhöhlenboden kann erlernt und verbessert werden, denn es ist für den Erfolg der Operation von entscheidender Wichtigkeit (Abb. 4a–f).
Systematische Nasenendoskopie
Unterer Nasengang
Mit einer 0°-Optik (2,7 mm), KARL STORZ (Tuttlingen), beginnt die Endoskopie der Nasenhaupthöhle, Cavum nasi (Abb. 5). Das Endoskop wird über dem Nasenboden in Richtung Choane vorgeschoben. Wir beginnen mit der rechten Seite des Patienten. Die untere Nasenmuschel, Concha nasalis inferior mit dem Os turbinale, wird medial passiert. Unter der unteren Nasenmuschel mündet der Ductus nasolacrimalis. Die Endoskopie wird bis zur Choane fortgesetzt. Hinter der Choane beginnt der Nasenrachen, Nasopharynx, mit den pharyngealen Tubenostien (Abb. 6).
Mitterer Nasengang
Danach wird das Endoskop zurückgezogen und die mittlere Nasenmuschel, Concha nasalis media, eingestellt. Die mittlere Nasenmuschel ist eine wichtige Landmarke. Medial der mittleren Nasenmuschel gelangt der Blick in die Rima olfactoria. Der mittlere Nasengang befindet sind über dem Rücken der unteren Nasenmuschel. Die mediale Begrenzung bildet die Concha nasalis media. Das Endoskop wird bis in Höhe des Kopfes der mittleren Muschel vorgeschoben.
Laterale Nasenwand
Bei der Positionierung der 0°-Optik vor dem mittleren Nasengang sind folgende wichtige Landmarken zu erkennen: Die Vorderwand der Bulla ethmoidalis, die Prominenz des Processus uncinatus, lateral der Aggar nasi. Zwischen der Vorderwand der Bulla ethmoidalis und dem freien hinteren Rand des Processus uncinatus mündet der Hiatus semilunaris. Der Hiatus stellt ein Tor dar, also eine zweidimensionale Struktur, in die das Infundibulum ethmoidale mündet. Das Infundibulum ethmoidale ist ein dreidimensionaler Raum, der in sagittaler Ausrichtung von kaudal anterior nach dorsal posterior verläuft. Über diesen trichterförmigen Schlauch mündet die Kieferhöhle in die Nase. Bei der Infundibulotomie wird der Processus uncinatus umschnitten und damit die mediale Wand des Infundibulum ethmoidale entfernt. Es entsteht eine breite Verbindung zur Kieferhöhle.
Nasenendoskopie mit der Winkeloptik, 30°-Optik:
Nachdem wir uns mit dem Handling des Endoskops und seinen optischen Effekten vertraut gemacht haben, erfolgt der nächste Schritt. Wir verwenden die 30°-Optik (2,7 mm) mit kranialer Blickabwinklung. Da es sich um eine Weitwinkeloptik handelt, gelingt der Blick nach vorn und gleichzeitig „um die Ecke“ (Abb. 7). Zunächst führen wir das Endoskop mit Blickabwinklung nach oben in die Nase ein und schieben es über dem Nasenboden zur Choane vor. Wir unterfahren den mittleren Nasengang. Vor der Vorderwand der Keilbeinhöhle zieht der Recessus sphenoethmoidalis nach kranial (Abb. 10). Hier mündet die Keilbeinhöhle mit einem eigenen Ostium.
Endoskopie der Kieferhöhle und endoskopische Kontrolle des Sinuslifts
Zur Kontrolle der Lokalisation und des Volumens des Augmentats unter der Schneider´schen Membran führen wir eine Kieferhöhlenendoskopie durch. Dazu wird der Dens caninus identifiziert. Die Fossa canina befindet sich lateral des Dens caninus. Bei der Palpation besitzt sie eine leichte Konkavität. Eine weitere Landmarke ist das Foramen infraorbitale mit dem Austrittspunkt des Nervus infraorbitalis des Nervus trigeminus.
Relativ weit kranial, zirka 4 mm unterhalb des Foramen infraorbitale, erfolgt die Trepanation der Kieferhöhlenvorderwand mit dem Trokar mit Hülse. Mit leichtem Druck und kontinuierlichen Drehbewegungen wird der Trokar durch den Knochen „gedreht“.
Dieser Vorgang ist eher mit einem Bohrvorgang als mit einer Perforation zu beschreiben. Das Erreichen des Cavum maxillae spürt man sofort durch das Nachlassen des Widerstandes. Jetzt wird der Trokar aus der Hülse gezogen und die 0°-Optik (2,7 mm) durch die Hülse in die Kieferhöhle geschoben. Es erfolgt die Orientierung in der Kieferhöhle.
Bimanuelles Abtragen einer Zyste über verschiedene Zugänge
Der Zugang über die Fossa canina einer linken Kieferhöhle:
Aus farbiger Knetmasse wird eine Kugel im Durchmesser von 7 mm geformt. Über das geöffnete Fenster in der Hinterwand wird die Kugel im Recessus alveolaris platziert. Jetzt erfolgt eine zweite Trepanation der Kieferhöhlenvorderwand mit dem Trokar (3 mm). In bimanueller Technik wird die Zyste mit dem Mikrofasszängelchen präpariert.
Der supraturbinale Zugang zum Cavum maxillae:
Der mittlere Nasengang wird mit der 0°-Optik eingestellt. Die Schleimhaut wird vor der Kontur des Processus uncinatus umschnitten. Es folgt die vollständige Abtragung des Processus uncinatus. Das Ostium naturale der Kieferhöhle, welches in den kaudalen Teil des Infundibulum ethmoidale mündet, wird jetzt sichtbar.
Mit der rückwärtsschneidenden Stanze wird das Ostium um einen Zentimeter erweitert. Endoskopie der Kieferhöhle über das geschaffene supraturbinale Fenster.
Einbringen eines
infraturbinalen Zugangs:
Aufsuchen des Kopfes der unteren Nasenmuschel. Leichte Medialisierung der unteren Nasenmuschel. Vorschieben des Trokars bis zum knöchernen Kontakt der medialen Wand der Kieferhöhle. Perforation der medialen Wand durch vorsichtige Drehbewegungen des Trokars. Einführen des Faßzängelchens und Präparation der Zyste unter Kontrolle der 0°- oder 30°-Optik über die Fossa canina (Abb. 8).
Der prälacrimale Zugang zum
Cavum maxillae:
Aufsuchen des Kopfes der unteren Nasenmuschel. Vertikale Inzision der Schleimhaut. Anlegen eines Schleimhautlappens. Heben des Schleimhautlappens. Abtragen des Knochens bis zum Canalis nasolacrimalis mit dem Bohrer. Endoskopie der Kieferhöhle mit der 0°-Optik. Bimeatale intracavitäre Präparation. Zurückschlagen des Schleimhautlappens (Abb. 9).
Kontrolle der topografischen Anatomie ohne Endoskop
An der Hinterwand der Kieferhöhle wurde in dem Modell eine ca. 2 x 2 cm große Klappe eingebracht. Der Knochendeckel ist nur durch die Silikonbeschichtung befestigt. Er kann mühelos gehoben werden. Jetzt gelingt ein weiter Einblick in die Kieferhöhle zur Kontrolle aller Recessus und aller bisher ausgeführten Operationsschritte.
Die vollständige Literaturliste gibt es hier.