Parodontologie 26.03.2012
Neue Verfahren in der konservativen Parodontitistherapie
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In der nachfolgenden Fallstudie wird die Effektivität eines Behandlungskonzepts zur Dekontamination biofilmbesiedelter Wurzeloberflächen mit niedrig-abrasiver Pulverstrahltechnik dargestellt. Die Zielstellung dieser Fallstudie bestand darin, die klinischen und mikrobiologischen Ergebnisse während der konservativen Parodontitistherapie mit einem niedrig-abrasiven subgingivalen Pulverstrahlsystem (AIR-N-GO PERIO®) zu bewerten.
Parodontale Erkrankungen stellen, wie durch die bahnbrechenden Untersuchungen von Loe et al. (1986) und Page (1999) bewiesen, infektiöse Erkrankungen des Zahnhalteapparats dar, die durch eine Destruktion des Parodonts, inklusive des parodontalen Faserapparates, des Zements, des Alveolarknochens und der Gingiva gekennzeichnet sind (Abb.1). Die marginale Parodontitis ist eine opportunistische Infektion (Abb. 2), die durch ein überwiegend gramnegatives, anaerobes Keimspektrum hervorgerufen wird, das eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates verursacht (Socransky und Haffajee 1992). Als Folge der persistierenden Entzündung ist der fortschreitende Verlust von parodontalem Gewebe und Attachment zu beobachten. Ausgehend von epidemiologischen Studien (Abb. 2) liegt die Prävalenz der chronischen marginalen Parodontitis der erwachsenen Bevölkerung über 35 Jahren in Deutschland bei ca. 40–45%, wobei ca. 53% dieser Altersgruppe an einer mittelschweren und ca. 21% an einer schweren Form der Parodontitis leiden. Aber auch bei 15-jährigen Jugendlichen konnten bereits mittelschwere (ca. 13%) sowie schwere (ca. 1%) Formen der Parodontitis beobachtet werden. Bei älteren Menschen (Senioren) weist fast jeder zweite entzündlich-destruktive Veränderungen (mittelschwer/schwer) des Zahnhalteapparates auf (DMS, 2006).
Durch eine kausale Therapie kann eine Progression der Erkrankung verhindert werden (Sastravaha et al. 2004). Daher ist die mechanische supra- und sub-gingivale Zahnstein- und Plaqueentfernung das primäre Ziel der konservativen Parodontaltherapie, die auf eine Zerstörung des subgingivalen Biofilms sowie eine Minimierung der parodonto-pathogenen Keime abzielt (O’Leary 1986, Westfelt 1996). Durch Scaling und Wurzelglättung können Konkremente, bakterielle Biofilme und Endotoxine effektiv von den Wurzeloberflächen entfernt werden. Instrumentierungsarten sind Hand-, Schall- beziehungsweise Ultraschallscaling (Drisko 1998, Sastravaha et al. 2005, Caruso et al. 2008). Der Einsatz der maschinellen Scalingsysteme hat sich in Übereinstimmung mit den Untersuchungen auch deshalb etabliert, weil dadurch eine für das zahnärztliche Behandlungsteam leichtere, weniger ermüdende und effizientere Reinigung der Wurzeloberflächen ermöglicht wird (Drisko et al. 1995, Oda et al. 2004). Neben den bereits beschriebenen Dekontaminationsverfahren soll in dieser Fallstudie die Effektivität einer innovativen Methode zur Biofilmentfernung, die niedrig-abrasive Pulverstrahltechnik, als Bestandteil einer modernen konservativen Parodontitistherapie dargestellt werden. Seit Langem sind Pulverstrahlgeräte insbesondere bei der professionellen Zahnreinigung erfolgreich im Einsatz. Die Indikationserweiterung auf subgingivale mit Biofilm belastete Oberflächen war mit erheblichen Nachteilen assoziiert, da geeignete Instrumentenansätze nicht verfügbar waren und als Strahlgut ausschließlich Natriumbikarbonat-Pulver benutzt werden konnte. Hieraus resultierte eine unzureichende Reinigungsmöglichkeit der Wurzeloberflächen. Darüber hinaus bestand die Gefahr einer Emphysembildung. Das AIR-N-GO PERIO®-System ersetzt das unlösliche Natriumbikarbonat-Pulver durch lösliches, weniger abrasiv wirkendes Glyzin-Pulver. Darüber hinaus konnte in klinischen Untersuchungen (Referenz-Literatur auf www.airngoconcept.com) gezeigt werden, dass das Glyzin-Pulver im Rahmen des Strahlverfahrens keine negativen Effekte auf das umgebende Weichgewebe ausübt. Das speziell für das direkte Arbeiten in der parodontalen Tasche entwickelte AIR-N-GO PERIO®-Gerät mit seinem subgingivalen Ansatz und seiner neuartigen Strömungskammer (Abb. 3) ist das Ergebnis moderner CFD-Technik (numerische Strömungstechnik).
Die angrenzenden anatomischen Strukturen werden nicht gereizt und eine gründliche Entfernung des subgingiva-len Biofilms auf der Wurzeloberfläche reduziert die marginalen Entzündungen.
Die dargestellten Ergebnisse sind Bestandteil einer klinisch und mikrobiologisch kontrollierten sowie randomisierten Langzeituntersuchung zum Effektivitätsvergleich von niedrig-abrasiven schallgestützten Pulverstrahlsystemen und US-gestützten Methoden im Rahmen der konservativen Parodontitistherapie.
Material und Methode
Es wurden 15 Patienten, die im Ausgangsbefund eine chronische marginale Parodontitis aufwiesen, behandelt und über einen Zeitraum von drei Monaten nachuntersucht. Vor Beginn, unmittelbar nach der klinischen Intervention (nur mikrobiologischen Untersuchungen), nach sechs Wochen und nach drei Monaten wurden die klinischen und mikrobiologischen Parameter erhoben (Tab. 1).
In die Studie eingeschlossene Patienten erteilten nach erfolgreich durchgeführter Vorbehandlung und mündlicher sowie schriftlicher Aufklärung eine Einverständniserklärung in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki (nach der Novellierung der 41st World Medical Assembly, Hongkong, September 1989).
Vorbehandlung
Alle Patienten wurden nach der Eingangsuntersuchung in eine Vorbehandlung eingebunden. Die Patienten erhielten Mundhygieneinstruktionen und entsprechend ihrem Bedarf ein professionelles supragingivales Debridement. Die erste Phase der Vorbehandlung erstreckte sich je nach Patient über einen Zeitraum von mindestens drei und maximal fünf Wochen (drei bis fünf Termine). Die Patienten sollten in dieser Zeit einen PI von etwa 1 aufweisen. Die Vorbehandlung umfasste ein supragingivales Scaling und Polishing der Zahnoberflächen mit dem AIR-N-GO SUPRA (Abb. 4). Dieser Airpolisher arbeitet mit einem Strahl aus einem Wasser-Luft-Gemisch, dem ein speziell für den Erhalt von empfindlichem Gewebe entwickeltes Reinigungspulver zugesetzt ist. Die abgerundete Struktur des Pulvers und der hohe Feinheitsgrad der Mikrokügelchen auf Basis von Kalziumkarbonat schützen den Zahnschmelz und ermöglichen eine schonende und wirkungsvolle Reinigung der Zahnoberflächen. Der Spraystrahl erreicht auch schwierige Stellen wie enge Zahnzwischenräume.
Klinische Parameter
Als klinische Variable wurden das klinische Attachmentlevel (CAL), Bleeding on Probing (BOP), die Sondierungstiefe (ST) und die Gingivarezession (GR) ermittelt.
Mikrobiologie
Die bakteriologischen Untersuchungen (Grimm et al. 1990 und 2005) erfolgten vor der Basisuntersuchung, unmittelbar nach der therapeutischen Intervention, sechs Wochen und drei Monate nach der konservativen Parodontaltherapie durch die selektive Detektion der parodontopathogenen Markerbakterien mittels Bindung von Gensonden (Hybridisierung). Die subgingivale Probeentnahme (Abb. 5) erfolgte mit sterilen Papierspitzen nach Slots (1986). Die Papierspitze wurde bis zum Taschenfundus eingeführt, dort für zehn Sekunden belassen, danach ohne eine Blutung auszulösen entfernt und sofort in das für den Test vorgesehene Proberöhrchen gegeben. Die Auswertung erfolgte gepoolt für den untersuchten Patienten.
Das Proberöhrchen enthält einen Puffer, der die Aminosäuren der Bakterien für die Transportzeit konserviert. Molekularbiologische Tests, wie der in unseren Untersuchungen verwendete IAI PadoTest 4•5® des Institutes für Angewandte Immunologie (IAI, Schweiz), benutzen als Sonden synthetische kleine DNAs komplementär zu den ribosomalen RNAs, um Bakterien (wie A. actinomycetemcomitans/Aa, T. forsythensis/Tf, P. gingivalis/Pg, T. denticola/Td) zu analysieren. Weiterhin stellt die Gesamtkeimzahl (Total Bacterial Load, TBL) einen guten Indikator für die parodontale Infektion dar. Wir verwendeten weiterhin zur Patienten-typisierung das vom Institut für Angewandte Immunologie (IAI, Schweiz) entwickelte System der Klassifizierung (Cluster). Mithilfe statistischer Methoden wurden die parodontalen Taschen aufgrund der verschiedenen bakteriellen Verteilungsmuster in fünf Typen klassifiziert. Diese Typisierung der parodontalen Taschen hat den Vorteil, mit einer einzigen Kennziffer die Komplexität der mikrobiologischen Resultate zu erfassen und ihre klinische Bedeutung einfacher zu erkennen.
Statistische Auswertung
Nach Abschluss der Untersuchungen wurden die Mittelwerte der Variablen klinischer Attachmentlevel (CAL), Bleeding on Probing (BOP), Sondierungstiefe (ST) und Gingivarezession (GR) ermittelt und deskriptiv ausgewertet. Der Vergleich der Ausgangsdaten mit den Befunden nach Applikation des niedrig abrasiven schallgestützten Pulverstrahlsystems erfolgte mit dem Vorzeichen-Rang-Test nach Wilcoxon. Die statistischen Tests wurden mit dem Statistikprogramm SPSS durchgeführt.
Ergebnisse Demografische Daten
Alle in die Untersuchung aufgenommenen Patienten (n = 15) verblieben für den gesamten Beobachtungszeitraum von drei Monaten in der Studie; die Anzahl der untersuchten Zähne änderte sich nicht. 56,6% der rekrutierten Patienten waren weiblich und 43,4% waren männlich. Der Anteil der in die Studie eingeschlossenen Raucher betrug 37,5%. Alle Patienten wurden gemäß dem Untersuchungsprotokoll nachuntersucht.
Klinische Parameter
Die AIR-N-GO PERIO-Gruppe (Tab. 2) zeigte sechs Wochen postoperativ einen durchschnittlichen klinischen Attachmentgewinn von 0,30 ± 0,04mm für alle behandelten Parodontien (mittlere Reduktion der Sondierungstiefe von 0,30 ± 0,02mm) und für Stellen an den mikrobiologischen Untersuchungszähnen einen Gewinn von 0,67 ± 0,01mm (mittlere Reduktion der Sondierungstiefe von 1,63 ± 0,06mm). Nach drei Monaten zeigte die AIR-N-GO PERIO-Gruppe einen durchschnittlichen Gewinn an klinischem Attachment für alle behandelten Parodontien von 2,13 ± 0,04mm (Reduktion der Sondierungstiefe von 0,30 ± 0,03mm) und für Stellen an den mikrobiologischen Untersuchungszähnen einen Attachmentgewinn von 2,13 ± 0,14mm (Reduktion der Sondierungstiefe von 1,34 ± 0,03mm). Die Tabelle 3 zeigt die Untersuchungsparameter BOP und GR über alle Untersuchungszeiträume. In der AIR-N-GO PERIO-Gruppe verbesserte sich das BOP (verglichen zum Ausgangsbefund) nach sechs Wochen und drei Monaten statistisch signifikant (p < 0,01). Die leichte Zunahme der GR im Vergleich zum Ausgangsbefund spiegelt die verbesserte Entzündungssituation des marginalen Parodonts nach der AIR-N-GO PERIO-Therapie wider.
Mikrobiologische Ergebnisse
Untersucht wurden die Ergebnisse für die vier parodontalen Markerkeime A. actinomycetemcomitans (Aa), T. forsythensis (Tf), P. gingivalis (Pg), T. denticola (Td) und zusätzlich die Gesamtzahl der Markerkeime (TBL); die Angabe erfolgte jeweils in Millionen Erreger pro ml Sulkusflüssigkeit. Die mikrobiologischen Untersuchungsergebnisse sind in Tabelle 4 zusammengefasst. Aa wies präoperativ zum Zeitpunkt BL die geringste Konzentration (0,05 x 106) von allen untersuchten Spezies auf. Sechs Wochen nach der Behandlung zeigte sich die Konzentration des Keimes auf 0 reduziert und erreichte drei Monate postoperativ wieder fast die Ausgangswerte (0,03 ± 0,08). Die drei anderen Spezies (Pg, Tf, Td) erreichten jeweils Konzentrationen von 0,28 x, 0,26 x, 0,18 x 106. Die mikrobiologische Situation drei Monate nach der Behandlung zeigte die Besiedelung für alle vier Keime auf geringerem Niveau als im Ausgangsbefund. Die Keime P. gingivalis und T. forsythensis waren zudem auf nochmals niedrigerem Niveau als bei der Messung unmittelbar nach der Intervention anzutreffen. Lediglich A. actinomycetemcomitans zeigte eine ansatzweise Rekolonisation nach der totalen Elimination zum Zeitpunkt nach sechs Wochen mit einem Anstieg auf 0,03 x 106. Porphyromonas gingivalis war auf 0,28 reduziert, das bedeutet eine mittlere Elimination von 84% im Vergleich zum Ausgangsbefund. Der Keim T. forsythensis wies eine Reduktion auf 0,28 auf, das einer mittleren Elimination von 59% im Vergleich zum Ausgangsbefund entspricht.
Mikrobiologische Profile
Die mikrobiologische Analyse der gepoolten Proben ergab bei der Ausgangsuntersuchung, dass 37% der Proben Aa, 83% Pg, 51% Pi, 91% Tf und 89% Td aufwiesen. Der Anteil der kontaminierten Taschen reduzierte sich sofort nach der Behandlung und stieg sechs Wochen sowie im dritten Monat wieder an, ohne jedoch die Ausgangswerte wieder zu erreichen. Pg wies die größte Prävalenz von allen Bakterienspezies zu jedem Zeitpunkt auf; das Bakterium wurde bei 40% der Taschen vor der Behandlung sowie bei 20% der Taschen unmittelbar nach der therapeutischen Intervention, in 33,33% sechs Wochen und in 6,6% im dritten Monat nach der AIR-N-GO PERIO-Behandlung nachgewiesen. In 60% aller Taschen trat Tf bei der Eingangsuntersuchung auf. Postoperativ fand sich die Spezies nur bei 30% (unmittelbar nach der Intervention) und 60% (in der sechsten Woche) sowie bei 36,67% der Taschen nach drei Monaten. Td war präoperativ bei 63,33% aller Taschen nachweisbar. Unmittelbar nach der Therapieintervention nahm die Prävalenz der Spezies ab (30%) und stieg im dritten postoperativen Monat nur leicht wieder an (36,6%). Mit einer Auftretenshäufigkeit von 60% nach drei Monaten erreicht Td fast wieder die Ausgangswerte zur base line-Untersuchung und damit eine fast komplette Rekolonisation der untersuchten parodontalen Taschen. Auffällig waren die ähnlich hohen prozentualen Anteile der Taschen, bei denen die Spezies des „roten Komplexes“ (Pg, Tf, Td) nachgewiesen wurden. Pg, Tf und Td kolonisierten vor der Behandlung gemeinsam 77,27% aller Taschen, die Prävalenz des Komplexes wurde unmittelbar nach der Intervention geringer (33,0%) und stieg im dritten postoperativen Monat wieder an (47,2%). Zu jedem Untersuchungszeitpunkt wiesen die meisten Taschen eine Kombination von vier Bakterien auf (35,1% der Taschen präoperativ) sowie 20,8% und 28,8% der Taschen unmittelbar nach der Intervention und nach sechs Wochen unabhängig von der angewandten Therapieform. Im dritten Monat stieg der Anteil der Taschen mit nur einer Bakterienspezies an.
Schlussfolgerung
Sehr vielversprechend ist die Wirkung auf die obligat pathogenen Keime wie Actinobacillus actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis und T. forsythensis, die in der Therapie am schwierigsten zu beherrschen sind. Allerdings handelt es sich um eine Keimreduktion der Markerkeime, nicht um die geforderte Keimeliminierung der obligat pathogenen Keime. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass ein besseres Langzeitergebnis nach klassischer Parodontaltherapie mit dem untersuchten niedrig-abrasiven schallgestützten Pulverstrahlsystem (AIR-N-GO PERIO®) zu erzielen ist.
Literatur beim Verfasser erhältlich.
Anmerkung
Die Ergebnisse dieser Fallstudie sind Bestandteil des eBooks „Minimalinvasive Parodontologie und Implantologie“, das von Prof. Grimm als Herausgeber zusammen mit einem Team von renommierten nationalen und internationalen Autoren erarbeitet und von der OEMUS MEDIA AG Leipzig zur Publikation vorbereitet wird. Die vorliegende Effektivitätsstudie wurde im Rahmen des Kapitels „Neue Konzepte der konservativen Parodontitis- und Periimplantitistherapie“ erarbeitet. Das eBook „Minimalinvasive Parodontologie und Implantologie“ wird kapitelweise veröffentlicht und wird dann dem Leser mit allen Inhalten (Texte, klinische Fallpräsentationen und klinische OP-Filme) online über die Plattform https://www.zwp-online.info/de/publikationen/ebook-library der OEMUS MEDIA AG Leipzig zugänglich sein.