Parodontologie 26.03.2013
Zahn- und Implantatreinigung mit Konzept
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Zahnarztpraxen stehen zunehmend vor neuen Herausforderungen. Demografischen Erkenntnissen zur Folge wird die bundesdeutsche Bevölkerung immer älter. In der Konsequenz müssen Zahnarztpraxen in der Lage sein, ihren Patienten ein erweitertes Spektrum an Versorgungsmöglichkeiten zu bieten; zum Beispiel werden in Deutschland pro Jahr circa eine Million Zahnimplantate gesetzt, die einer besonderen Pflege bedürfen.
Nach Diagnose, Vorbehandlung, der Implantation und anschließender Eingliederung des Zahnersatzes folgt als weiterer wesentlicher Schritt die Pflege- und Erhaltungsphase. Dieser wird im Idealfall in ein existierendes strukturiertes Präventionskonzept der Praxis integriert. In der Regel werden die Prophylaxemaßnahmen an Prophylaxemitarbeiterinnen delegiert. Ein langfristiger Erhalt der Implantate erfordert von daher gut ausgebildete, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen. Das Wissen um die Besonderheiten dieser etablierten Therapie ist Grundvoraussetzung, um die Gefahr von Implantatverlusten zu minimieren – egal, ob Einzelzahnlücken, Schaltlücken, Freiendsituationen oder zahnlose Kiefer versorgt wurden. Nachfolgend werden die Elemente und die Besonderheiten einer wirkungsvollen Implantaterhaltungsphase dargestellt.
Teamarbeit: Zahnarzt und Prophylaxefachkraft
Die Erhaltungsphase bei Implantatpatienten ist Teamarbeit – Zahnarzt und Prophylaxefachkraft ergänzen sich. Ziel ist es, den Patienten eine bestmögliche und qualitätsorientierte Behandlung zu ermöglichen. Risiken und entzündliche Prozesse können so frühzeitig erkannt und therapiert werden. Nur so ist die Basis für den langfristigen Erhalt des Implantats zu gewährleisten. Im Rahmen der Nachsorge und des Recalls muss der Übergangsstelle des Implantats von der Mundhöhle in den Kieferknochen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hier befin-det sich der Angriffspunkt für Bakterien. Im ungünstigsten Falle können entzündliche Prozesse direkt zum Ver-lust des Implantats führen.
Erste Maßnahmen nach der Implantation
Nach erfolgter Insertion ist konsequent die Bakterienzahl in der Mundhöhle auf einem möglichst niedrigen Level zu halten. Wie vor dem chirurgischen Eingriff wird die Keimzahlreduzierung in der Mundhöhle und im Aerosol mit einer antibakteriellen Spüllösung (CHX-Lösung 0,2%) fortgeführt. Entzündliche Prozesse werden so vermieden und die Wundheilung begünstigt. Der Patient wird zu diesem Zweck in ein engmaschiges Recall eingebunden (Vereinbarung konkreter Termine). Inhalte und Bedeutung dieser Maßnahme sowie die enorm wichtige Mitarbeit des Patienten sind mit die-sem bereits vor der OP zu besprechen. Nach dem Eingriff erfolgen im Abstand von je einer Woche zwei zahnärztliche Kontrollen der Implantate und der prothetischen Versorgung inklusive Wund- und Schmerzversorgung. Eine Kontrolle der Mundhygiene mit Entfernung des Biofilms und CHX-Applikation sowie ggf. weitere zusätzliche Hinweise sind in dieser Behandlungsphase obligatorisch. Eine Reinigung der von der Operation betroffenen Areale per Zahnbürste ist unmittelbar nach dem Eingriff, wegen der Empfindlichkeit der Wunde, noch nicht sinnvoll. Um zu verhindern, dass sich parodontalpathogene Bakterien aus oralen Nischen (Zunge, Tonsillen, Zähne) frühzeitig wieder an die Im-plantatoberfläche anhaften und ihr schädliches Werk beginnen, wird in diesen Bereichen antibakterielles Gel (z.B. CHX-Gel 1%) eingesetzt. Gerade in diesem Stadium der Behandlung muss dem Patienten wiederholt deutlich gemacht werden, wie wichtig seine konstante Mitarbeit und seine Zusammenarbeit mit dem Praxisteam ist. Nur eine ausgeprägte Compliance in Verbindung mit einer optimierten häuslichen Mundhygiene, die über das „normale Zähneputzen“ hinausgeht, verspricht Aussicht auf langfristigen Erhalt des Implantats.
Die häusliche Pflege nach der Einheilunsphase der Implantate stellt an Patient und Hilfsmittel hohe Anforderungen. Besonders wichtig ist, dass die Implantatoberfläche nicht zerkratzt werden darf. Am Implantathalsbereich ist eine konsequente Plaque-Biofilm-Beseitigung notwendig. Dazu können u.a. weiche Floss-Streifen verwendet werden. Hauptaugenmerk ist aber den Zahnbürsten zu widmen. Bei diesen ist Modellen mit weichen Filamenten unbedingt der Vorzug zu geben. Aktuell sind elektrische Zahnbürsten das Mittel der Wahl. Eine Untersuchung der Stiftung Warentest aus dem Jahr 2011 belegte als Vorteil gegenüber der Handzahnbürste, die bequeme Handhabung und das überzeugende Plaque-Biofilm-Management der elektrischen Zahnbürste. Hinsichtlich der Antriebsart war das Fazit, dass eine Schallzahnbürste sich eher für Patienten eignet, die zu den Putzmuffeln zu zählen sind. Schallaktive Zahnbürsten müssten nicht so genau geführt werden, der längliche Bürstenkopf reinige gleichzeitig größere Flächen. Die runden Bürstenköpfe der oszillierend-rotierenden Zahnbürsten seien geeignet für Patienten, die engagiert in Ruhe jeden einzelnen Zahn putzen.
Funktionierendes Recall
Behandlungserfolg und Heilungsfortschritt müssen in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um Störungen zu erkennen und um ggf. rechtzeitig intervenieren zu können. Im Rahmen des Recalls wird schwerpunktmäßig eine professionelle Zahn- und Implantatreinigung (PZIR) durchgeführt, um Plaque-Biofilm und Zahnstein zu entfernen. In jeder Recallsitzung wird auf Nach-lässigkeiten und individuelles Risikoverhalten wie zum Beispiel Rauchen geachtet. Sie können nachweislich zu einer Periimplantitis, dem Risikofaktor Nr. 1 für das Implantat, führen, was letztendlich zum frühzeitigen Verlust der hochwertigen Versorgung führen kann. Auftretende Motivationsstörungen müssen erkannt und mit individueller Kommunikation (z.B. „Motivierende Gesprächsführung – MI“) möglichst behoben werden. Da die vollständige Einheilung des Implantats (Osseointegration) bis zu sechs Monate und mehr benötigt, sollte der Patient in den folgenden zwei Jahren alle drei Monate einbestellt werden. Danach sind die Recallintervalle abhängig vom individuellen Risiko des Patienten festzulegen.
Professionelle Zahn- und Implantatreinigung (PZIR)
Zum Start der Sitzung spült der Patient zunächst mit 0,2%iger CHX-Lösung für eine Minute, um die Keimzahl in der Mundhöhle und im Aerosol zu reduzieren. Dies trägt unter anderem zur Sicherheit der Behandler bei (Schutz vor Infektionen) und der Patient erfährt sofort ein angenehmes und erfrischendes Gefühl. Bei der Untersuchung und Anamnese durch den Zahnarzt sollten die folgenden Untersuchungsparameter zur Dokumentation und des Behandlungsverlaufes regelmäßig bestimmt werden:
1. Erkennbare klinische Veränderungen wie Rötungen oder Schwellungen der Gingiva
2. Erkennbare Plaque
3. Prüfung der Suprakonstruktion (Lockerung, Frakturen, Okklusion)
4. Kontrolle der Mundhygiene
Zusätzliche, jährlich zu bestimmende Parameter:
1. Sondierungstiefen
2. Blutung beim Sondieren
3. Röntgen (alle zwei bis vier Jahre)
4. Gegebenenfalls Anpassung einer protektiven Schiene für den nächtlichen Einsatz
Nach der zahnärztlichen Untersuchung schließt sich die Behandlung der Prophylaxeassistentin an. Alle Indizes sowie für die Mundgesundheit wichtige Parameter des Patienten, wie etwa individuelles Risikoverhalten und Allgemeinerkrankungen, sollten aussagekräftig und umfassend dokumentiert werden. Diese Dokumentation erleichtert die weitere Planung der Behandlung und gewährleistet eine systematische Organisation des Recalls. Nach Anamnese und Befunderhebung wird der Patient über den weiteren Behandlungsablauf aufgeklärt und individuell beraten. In der praktischen Umsetzung hat sich der Grundsatz „Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist (häufig) alles nichts“ bewahrheitet. Gezielte und geschickt eingesetzte Kommunikationstechniken können das Verständnis und somit den Heilungserfolg befördern und den Umgang mit dem Patienten deutlich erleichtern. Insbesondere eine motivierende Gesprächsführung kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Computerunterstützte Befunderhebungsprogramme können hierbei den Behandler effektiv unterstützen. Moderne Softwareprogramme bestimmen anhand der erhobenen Parameter das individuelle Risiko und dokumentieren dieses professionell. So kann dem Patienten über eine Zeitreihe hinweg der Verlauf und der Erfolg seiner Behandlung nachvollziehbar dargestellt wer-den (Qualitätssicherung) (Abb. 1–4).
Ein benutzerfreundliches und leicht verständliches Programm in dieser Hinsicht ist die Software „ParoStatus.de“ (www.ParoStatus.de). Praktische Erfahrungen zeigen, dass Patienten besonders von dem sich selbsterklärenden und übersichtlichen Befundbogen profitieren, der in ausgedruckter Form dem Patienten mit nach Hause gegeben wird. Der Patient kann mit diesem farbigen Ausdruck sein individuelles Erkrankungsrisiko nachvollziehen (Abb. 5). Neben einer auch
für Laien verständlichen textlichen Erklärung zeigt eine Balkengrafik, wo gehandelt werden muss und wo alles in Ordnung ist. Grün bedeutet alles okay, Gelb bedeutet Achtung, Vorsicht, dieser Bereich muss beobachtet werden, und Rot wird gleichgesetzt mit sofortigem Handlungsbedarf. Eine Übersicht über den weiteren Behandlungsablauf, über individuelle Recallabstände sowie Empfehlungen für die häusliche Mundhygiene einschließlich individueller Pflegeartikel runden diesen Patientenbefundbogen ab.
Technikaffine Patienten nutzen die Praxis-App für ihr Smartphone und können jederzeit auf ihre Auswertung einschließlich der Mundhygieneempfehlungen und der vereinbarten Termine zugreifen. Ortsunkundige können sich gegebenenfalls per Navigationssoftware zu ihrem Zahnarzt routen lassen (Abb. 6). Der Patient wird so, bei manchmal schwer zu realisierenden Verhaltensänderungen, wirkungsvoll unterstützt.
Reinigung
Die anschließende Reinigung erfolgt unter dem kombinierten Einsatz von Handinstrumenten (Scaler und Küretten) und maschineller Verfahrensweisen (Ultraschall-, Schallgeräte, Airflow etc.). Die Ansätze der Ultraschall- und Schallgeräte sowie die Scaler und Kü-retten sollten aus Kunststoff, Karbon oder Titan bestehen, um die empfindlichen Implantatoberflächen nicht zu beschädigen. Kratzer und Rauigkeiten auf den Implantatoberflächen sind Prädilektionsstellen für Bakterien und müssen unbedingt vermieden werden. Maschinelle Verfahrensweisen, mit speziell für Implantate modifizierten Ansätzen, bieten eine Reihe von Vorteilen, können den Einsatz von Handinstrumenten aber nicht komplett ersetzen. Weiterhin ist eine Pulver-Wasserstrahl-Anwendung sinnvoll. Wichtig ist hierbei, dass nur mit minimalabrasivem Glycinpulver gearbeitet wird und eine für diesen Einsatzbereich besondere Düse zum Einsatz kommt. Der Einsatz von Handinstrumenten und die Anwendung maschineller Verfahrensweisen erfordern zwingend umfassende Kenntnisse der eng umgrenzten Indikationen im Implantatbereich und fundiertes Wissen über Kontraindikationen. Der schmale Grat zwischen optimaler Reinigung ohne Substanzveränderung der Implantatoberfläche und der Gefahr erheblicher Beschädigungen bei unsachgemäßer Anwendung muss jeder Prophylaxeassistentin bewusst sein.
Politur
Mit der abschließenden Feinpolitur wird die erneute Plaqueanlagerung an den glatten Oberflächen gehemmt. Mit der noch im Mund verbliebenen Polierpaste wird unter Zuhilfenahme von Zahnseide oder Interdentalbürstchen die Zahnzwischenraumreinigung vorgenommen.
Zusätzliche Maßnahmen
Mit der Reinigung der Zunge, auf der sich eine Vielzahl von Mikroorganismen befindet, wird der Behandlungserfolg unterstützt. Hierbei werden Bakterien entfernt, die zu mehr als 80 Prozent für Mundgeruch und für eine Reinfektion der gereinigten Areale verantwortlich sind. Zur Entfernung wird die Zungenspitze mit Zellstoff festgehalten und mit etwas CHX-Gel und einem langsam drehenden Bürstchen auf einem grünen Winkelstück gereinigt.
Beratung, Recallplanung
Das Prophylaxekonzept entfaltet seine optimale Wirkung, wenn es den Implantatpatienten langfristig begleitet und in dessen Alltagsabläufe integriert wird. Erfahrungsgemäß treten Störungen im Zusammenhang mit dem Implantat individuell sehr unterschiedlich auf. Nachlassende Compliance, unzureichende Mundhygiene, biomechanische Probleme oder auch gesamtgesundheitliche Einflüsse können mit einem derart angelegten Konzept erkannt und aufgefangen werden. Empfohlen wird, den Implantatpatienten in den ersten zwei Jahren in ein engmaschiges Recall (alle drei Monate) einzubinden. Danach erfolgt einmal pro Jahr die grundsätzliche Besprechung und Bewertung der zusammengestellten Befundparameter mit individueller Risikobestimmung. Je nach Ausprägung des Periimplantitis- bzw. Parodontitisrisikos (niedrig, mittel oder hoch) wird dem Patienten dargelegt, dass er in Abständen von drei, vier oder sechs Monaten zur nächsten Nachsorge wieder einbestellt wird. Wichtig ist, dass der Patient einen konkreten Termin zur nächsten Prophylaxesitzung erhält, bevor er die Zahnarztpraxis verlässt. Ihm muss deutlich werden, dass er sich in einem durchstrukturierten Behandlungsablauf befindet, der nur bei konsequenter Einhaltung Aussicht auf Erfolg hat. Bewährt hat sich auch ein Erinnerungsverfahren (Mail, Anruf, SMS etc.), mit dem der Patient rechtzeitig vor seinem nächsten Termin an die bevorstehende Prophylaxesitzung erinnert wird.