Prophylaxe 18.06.2013

Kinder als Patienten



Kinder als Patienten

Foto: © Tatyana Vyc - Shutterstock.com

Ein sechsjähriges Kind mit einem dentalen Befund, wie in Abbildung 1 dargestellt, stellt sich als Neupatient mit akuten Beschwerden während des Notdienstes in Ihrer Zahnarztpraxis vor. Bei der Altersgruppe der Sechs- bis Siebenjährigen sind 47,4 Prozent der kariösen Zähne nicht versorgt und somit ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie als tätiger Zahnarzt während Ihres Berufslebens mit dieser Situation konfrontiert werden.1 Im folgenden Beitrag werden Behandlungs- und Managementstrategien anhand dieses Fallbeispiels dargestellt. Diese Strategien werden den Behandlungsalltag mit Kindern erleichtern und Sie können qualitätsorientiert handeln.

Ein Kind sollte schon am Empfang spüren, dass es für diese Zeit in der Praxis im Mittelpunkt steht und alle Praxismitarbeiter sich bemühen, den Aufenthalt in der Praxis so angenehm wie möglich zu gestalten und die Schmerzen zu lindern. Abweichend von den normalen Gepflogenheiten wird das Kind zuerst begrüßt und Augenkontakt hergestellt.

Praxisgestaltung
Angesichts einer freundlichen Atmosphäre fällt es vielen Kindern und Eltern deutlich leichter, die Praxis gerne wieder zu besuchen. Der nicht immer vermeidbare Geruch nach zahnärztlichen Materialien und Desinfektionsmitteln kann mit einer Duftsäule im Eingangsbereich verhindert werden. Der Augenkontakt ist sofort möglich, wenn der Empfangstresen nur halbhoch gebaut ist oder die Mitarbeiterin zur Begrüßung kleiner Patienten aufsteht. Eine Kinderecke im Wartezimmer mit Spielzeug, Kinderbüchern und Malutensilien eignet sich hervorragend, um die Wartezeit spielerisch zu überbrücken und dem Kind die Möglichkeit zu geben, in Ruhe anzukommen und zu vergessen, dass es eigentlich beim Zahnarzt ist. Ein Baumhaus oder Bällebad ist natürlich etwas Besonderes in einer Zahnarztpraxis, aber auch eine positive Werbung für die Kinderfreundlichkeit Ihrer Praxis (Abb. 2). Die Einrichtung eines Themenzimmers und helle Farben oder ein Fernseher an der Decke sorgen auch in den Behandlungszimmern für eine angenehme Atmosphäre.

Anmeldeunterlagen
Während der Wartezeit füllen die Eltern die Anmeldeformulare aus. Persönliche Daten und Informationen über die Familienverhältnisse und Erziehungsberechtigung sollten in der Patientenanmeldung enthalten sein. In der Anamnese sind Fragen zu Impfungen, Probleme bei der Geburt sowie Erkrankungen und Medikamente enthalten. Um bei Unklarheiten einen Ansprechpartner zu haben, wird der Kinderarzt in die Anamnese mit aufgenommen. Die zahnmedizinische Anamnese gibt Informationen über Vorerfahrungen bei Kollegen, Traumata im Mund- und Gesichtsbereich sowie Ernährungsgewohnheiten und die Anwendung von Fluoriden. Zusätzlich wird bei Schmerzen empfohlen, in Ruhe einen Schmerzbogen und bei Unfällen einen Unfallbogen ausfüllen zu lassen (Abb. 3). Mit diesen Informationen haben Sie bei unbekannten Patienten einen Überblick, können gezielt beraten und auf die individuellen Erwartungen der Eltern eingehen.

Behandlungszimmer
Das Kind wird von der Helferin im Wartezimmer auf Augenhöhe begrüßt und ins Behandlungszimmer begleitet. Um einen ersten Körperkontakt zum Kind herzustellen, nimmt die Mitarbeiterin das Kind an die Hand. Das Behandlungszimmer wird gezeigt, das Kind darf auf dem Behandlungsstuhl Platz nehmen und diesen einmal ausprobieren. Sehr kleine Kinder sitzen auf dem Schoß der Eltern. Ihre Mitarbeiterin klärt offene Fragen aus der Anamnese. Wenn Sie das Zimmer betreten, werden Sie kurz dem Kind vorgestellt und erhalten eine Kurzinformation zum Patienten. Die Kommunikation mit dem Kind sollte sich zunächst nicht auf den Mund beziehen, sondern andere Dinge thematisieren. Themen zum Einstieg sind Fragen zu Freunden des Kindes, Erlebnissen im Kindergarten oder Lieblingsfilmen.

Befundaufnahme
Für die Befundaufnahme und um dem Kind die Behandlungsabläufe vorzustellen und zu demonstrieren, eignet sich sehr gut die Tell-Show-Do-Methode.2 Tell bedeutet kurz beschreiben, was durchgeführt wird. Show bedeutet zeigen und auch mundfern ausprobieren. Do steht für durchführen. Für das Behandlungsinstrumentarium werden positive, bilderzeugende Worte gewählt. Eine kleine Auswahl ist in Tabelle 1 dargestellt – der Kreativität sind in diesem Bereich allerdings keine Grenzen gesetzt. Die Begriffe aus der Tabelle können auch in eine Geschichte eingebaut werden, z. B. ließen sich die Häuser der Milchzahnstraße zählen. So können Aufmerksamkeit und Kooperationsbereitschaft des Kindes sichergestellt werden, um den Befund und die Planung aufzunehmen sowie ggf. eine Schmerzbehandlung durchzuführen. Für seine Mitarbeit erhält das Kind im Anschluss eine Belohnung, deren Sinn dem Kind erklärt werden muss. Während das Kind wieder im Wartezimmer spielt, wird in Ruhe mit den Begleitpersonen gesprochen.

Dokumentation
Zur Dokumentation des Termins eignen sich spezielle praxisindividuelle Doku-Bögen. In Abbildung 4 sehen Sie ein Beispiel aus meiner Praxis. Alle Gesprächsinhalte und die Begleitung des Kindes werden dort erfasst. Sinnvoll für weitere Termine sind Informationen über das Verhalten (kooperativ, unkooperativ, Schoßexamen) sowie Vorlieben des Kindes z. B. für Farben, Trickfilme oder Tiere.

Schmerzbehandlung
Bei einer Notfallbehandlung stehen Hilfeleistung und Erstversorgung im Vordergrund. Schmerzlinderung steht bei Kindern mit Zahnschmerzen an erster Stelle. Mit einer provisorischen Versorgung/Füllung und einer Schmerzmedikation wird dies erreicht. Bei intra- bzw. extraoralen Schwellungen muss eine Keimverschleppung vermieden werden. Die Verordnung eines Antibiotikums entsprechend dem Körpergewicht des Kindes für die Dauer von acht Tagen stellt die Therapie der Wahl dar. In Tabelle 2 sind Empfehlungen zur Antibiotikagabe der Paul-Ehrlich-Gesellschaft dargestellt. Bei massiver extraoraler Schwellung der Wange und reduziertem Allgemeinzustand (z. B. Fieber) sollte das Kind zur intravenösen Antibiose stationär aufgenommen werden (Abb. 5). Nach circa fünf bis acht Tagen wird das Kind wieder einbestellt, der Rückgang der Schwellung kontrolliert und nach Möglichkeit eine Röntgendiagnostik durchgeführt. In Ruhe kann auch eine Erstberatung erfolgen, deren Inhalt Ernährungs- und Trinkgewohnheiten und mögliche Ursachen der Karies sind. Für die Weiterbehandlung akuter Zähne stehen mehrere Therapieoptionen zur Auswahl, die sich an der Leitlinie „Endodontie im Milchgebiss“ orientieren und mit den Eltern erläutert und festgelegt werden sollen.

Unfälle
Bei Unfällen sollten Sie Tetanusschutz und Bewusstlosigkeit klären, bevor die intra- und extraorale Inspektion stattfindet: Zahnschäden erstversorgen, Dentinwunden abdecken und weitere Termine vereinbaren (Abb. 6).

Terminvereinbarung
Es empfiehlt sich, Zeitfenster für die Kinderbehandlung in einer Praxiswoche einzurichten, ebenso tägliche Zeiten für Schmerzpatienten oder Familiennachmittage. Zu bedenken ist ebenfalls, dass die Mitarbeiterin an der Rezeption den Erstkontakt mit Ihren Patienten hat. Sie vermitteln durch ihr Auftreten und Verhalten einen Eindruck von Ihrer Praxis. Positive Eigenschaften Ihrer Mitarbeiterinnen (Tab. 3) senken die Hürde für einen Wiederbesuch Ihrer Praxis.

Rechtliche Aspekte
In die Behandlung und die Durchführung von Röntgenbildern bei minderjährigen Kindern muss schriftlich eingewilligt werden. Nur die Erziehungsberechtigten sind dazu befähigt. Getrennt lebende Eltern, die beide die Gesundheitsfürsorge haben, müssen gemeinsam einwilligen. Ausnahme ist, wenn eine Vollmacht vorliegt. Aufgrund der rechtlichen Besonderheiten bei der Kinderbehandlung sollte auf diese Unterlagen besonderer Wert gelegt werden.

Probebehandlung
Nachdem mit den Eltern die Weiterbehandlung und die Versorgungsmöglichkeiten besprochen wurden, ist der nächste Termin ein Probebehandlungstermin. Eine Probebehandlung dient zum Austesten der kindlichen Kooperation in einer Behandlungssituation. Eine Mitarbeiterin mit Erfahrung in Kinderbehandlung, Prophylaxe oder mit einer Hypnoseausbildung führt dies gemeinsam mit dem Kind durch. Alle Instrumente werden gezeigt, sie werden an der Hand und dann im Mund ausprobiert, indem alle Zähne gereinigt und poliert werden. Die spielerische Art steht im Vordergrund und das Kind erfährt ein positives Behandlungserlebnis. Bei Schwierigkeiten in der Probebehandlung wird mit den Eltern über Alternativen zur normalen Behandlung gesprochen. Bei komplexen Befunden oder schwierigen Fällen wird das Kind zu einem Spezialisten überwiesen.

Behandlung
Der Behandlungstermin findet im günstigen psychologischen Hoch, also während der Vormittags oder frühen Nachmittagsstunden unter Berücksichtigung des persönlichen Rhythmus des Kindes statt. Das Behandlungszimmer ist komplett vorbereitet, damit keine Unruhe während der Behandlung aufkommt. Die Behandlungszeit liegt innerhalb der Aufmerksamkeitsspanne des Kindes und während der Behandlung sollte keine Zeit verloren werden. Bei Vierjährigen gelten 15 Minuten als Richtwert für die Aufmerksamkeit und pro Lebensjahr kommen fünf Minuten dazu.3 Eine gute Schmerzausschaltung erleichtert die Behandlung, vermeidet negative Behandlungserfahrungen und wird mit Verhaltensführung durchgeführt. Jede Handlung wird in einem nicht zu lauten Tonfall sprachlich begleitet. Das Erzählen einer Geschichte lässt die Behandlung zum Nebenschauplatz werden. Ebenfalls eignet sich erneut die Tell-Show-Do-Methode zur Verhaltensführung während der Behandlung.

Am Ende wird das Kind gelobt, über das Taubheitsgefühl in der Lippe nach der Injektion aufgeklärt sowie kurz über den nächsten Termin informiert. Danach erhalten die Begleitpersonen die notwendigen Verhaltensregeln wie Nahrungskarenz oder Überwachung des Kindes. Bei einem Behandlungsabbruch werden mit den Eltern das weitere Vorgehen und Behandlungsalternativen besprochen und ein neuer Termin vereinbart. Alternativen sind Behandlung mit Sedierung, Behandlung in Vollnarkose oder eine erneute Probebehandlung.4

Fazit
Die vorgestellten Überlegungen dienen zur Steigerung des Kooperationsverhaltens und sind Voraussetzungen zur qualitätsorientierten Behandlung in Lokalanästhesie und zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Erfolgreich sanierte Kinder werden in das Recall- und Prophylaxeprogramm aufgenommen und wahrscheinlich treue Patienten Ihrer Praxis (Abb. 7).

Quellen:
1 DAJ: Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe, 2009
2 AAPD: Clinical Guideline on behavior management, Pediatric. Dent 25: 69–74, 2003
3 Mahone EM, Schneider HE: Assessment of attention in preschoolers, Neuropsychol Rev, 2012 Dec; 22 (4): 361–83
4 Yang C, Zou H: Analysis on dental uncooperative behaviors of the first-visit children in clinic, Hua Xi Kou Qiang Yi XueZaZhi, 2011 Oct; 29 (5): 501–4, 508


Mehr Fachartikel aus Prophylaxe

ePaper