Kieferorthopädie 27.02.2014
Friction Pads – eine Alternative zu Attachments in der Alignertherapie
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Die Herausforderung in der Weiterentwicklung von Alignern ist es, die mechanische Effizienz der Kraftübertragung zwischen Aligner und Zahn weiter zu verbessern. Der vorliegende Artikel beschreibt eine neue Art von unauffälligen Attachments namens „Friction Pads“. Diese bestehen aus einer flachen strukturierten Oberfläche, die die Reibung zwischen der inneren Alignerschicht und den Zähnen erhöht und somit die Mechanotransduktion zwischen dem elastisch deformierten Aligner und dem Zahnhalteapparat verbessert.
Die Anwendung von Attachments kommt in der orthodontischen Behandlung mit Alignern sehr häufig vor. Die Funktion von konventionellen Attachments wird über die Herstellung einer mechanischen Retention zwischen Zahn und Aligner gewährleistet. Dabei werden durch das Attachment künstliche Unterschnitte erzeugt, die die Kraftübertragung zwischen Zahn und Aligner verbessern. Die Ursache für eine mangelnde Kraftübertragung könnte in der ungenügenden Fähigkeit des Aligners, den Zahn kraftschließend zu fassen, liegen. Dabei kann es zu einem minimalen, unerwünschten Gleiten der Zahnkrone innerhalb des Aligners kommen.
Das Gleiten verhindert eine effektive und kontrollierte Übertragung der Kraft zwischen Zahn und Aligner. Eine Erhöhung der Haftreibung bzw. des Reibungswiderstandes zwischen Aligner und Zahn und ein daraus folgender Kraftschluss zwischen Aligner und Zahn könnten auch auf die gesamte Behandlungseffektivität positive Auswirkungen haben. Der Entwicklungsansatz von orthocaps® ist es, die Haftreibung zwischen der Zahn-Attachment-Einheit und der Alignerschiene durch Oberflächen- und Materialmodifikationen, sogenannte „Friction Pads“, zu erhöhen.
Friktion
Die Friktion (Reibung) ist eine Kraft, welche der relativen Bewegung zweier Oberflächen zueinander entgegensteht. Man unterscheidet u.a. zwischen Haftreibung und Gleitreibung. Die Haftreibung tritt an der Grenzfläche zweier Körper auf, die sich in Ruhe befinden. Die Gleitreibung ist der Widerstand an der Kontaktfläche zweier sich bewegender Körper. Die Haftreibung ist sowohl vom Formschluss mikroskopisch kleiner Gestaltabweichungen – sogenannter „Asperities“ oder „Rauheiten“ – als auch von molekularen Kräften – der Adhäsion – abhängig.
Die allgemeine Formel für die Haftreibung ist: FH = µH • FN
Faktoren, welche einen Einfluss auf die Größe der Reibungskraft haben, sind folgende:
• Der Reibungskoeffizient µH, welcher u.a. von Gestaltabweichungen und Adhäsion abhängig ist und im Verhältnis zur Anpresskraft steht. Der Reibungskoeffizient ist eine Konstante und von den Materialeigenschaften der in Kontakt stehenden Oberflächen abhängig.
• Die Anpresskraft FN der Oberflächen zueinander.
Friction Pads
Ein Friction Pad ist eine flache Oberflächenstruktur, welche auf die bukkale Zahnoberfläche aufgebracht wird. Diese Oberflächenstruktur ist im Profil nur einen Bruchteil eines Millimeters dick und besteht aus einem zahnfarbenen dentalen Komposit. Das Friction Pad wird mithilfe des indirekten Bondingverfahrens mittels des ersten Aligners einer Behandlung auf der Zahnoberfläche angebracht (Abb. 1, 2).
Eingliederung der Friction Pads
Die zu beklebende Bukkalfläche (oder Lingualfläche) wird gereinigt, konditioniert und unter relativer Trockenlegung mit einem Adhäsiv versehen. Die Aussparungen für die Friction Pads des ersten Aligners werden mit einer gerade ausreichenden Menge eines lichthärtenden fließfähigen Komposits luftblasenfrei verfüllt und auf den Zahnbogen reponiert. Das Komposit wird durch den Aligner hindurch mit einer Polymerisationslampe ausgehärtet. Nach Abnehmen des Aligners wird das Friction Pad durch einen weiteren Polymerisationsgang abschließend durchgehärtet. Klebeüberschüsse werden abschließend entfernt.
Grundlegende Versuche zu den Eigenschaften von Friction Pads in vitro
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Veränderung von maximal auftretenden Abzugskräften von Kunststoffmodellen aus Alignern unter der Verwendung unterschiedlicher Alignermaterialien und Oberflächenstrukturen „Friction Pads“ festzustellen.
Material und Methode
Bei den Alignermaterialien handelte es sich um die bei orthocaps® aktuell verwendeten Werkstoffe HardCaps, DayCaps und Soft- bzw. NightCaps (Tabelle 1). Bei den vier verschiedenen Oberflächenmodifikationen handelte es sich um folgende: Kunststoffzahnmodell ohne Friction Pads (Abb. 3), Kunststoffzahnmodell mit Friction Pads aus Schleifpapier (Abb. 4), Kunststoffzahnmodell mit CAD-konstruierten und aus dentalem Komposit hergestellten Friction Pads (Abb. 5) sowie Kunststoffzahnmodell mit einer aus dentalem Komposit hergestellten Kopie des Friction Pads aus Schleifapier (Abb. 6).
Herstellung des Kontrollmodells und der Versuchsmodelle
Das Modell Nr. 1 diente sowohl als Tiefziehmodell für alle Versuchsschienen als auch als Kontrollmodell, um die maximalen Abzugskräfte ohne Verwendung von Friction Pads zu bestimmen. Das Modell mit den Zähnen 23, 24, 26 und 27 wurde mit einem Bohrloch an der Unterseite zur Befestigung eines Abzugshakens in einer CAD-Software konstruiert und mithilfe eines Rapid-Prototyping-Verfahrens (RPV) hergestellt. Das Modell Nr. 1 diente ebenfalls als Tiefziehmodell für alle Versuchsschienen, dementsprechend enthielten alle getesteten Aligner keine Aussparungen für die Friction Pads (Abb. 7).
Für die Herstellung von Modell Nr. 2 (mit Friction Pads aus Schleifpapier) wurde Modell Nr. 1 ein weiteres Mal gedruckt und an den Bukkalflächen der Zähne 24 und 26 mit Schleifpapier beklebt (Abb. 8). Die Friction Pads für Modell Nr. 3 wurden an den Zähnen 24 und 26 in der CAD-Software konstruiert und das Modell wurde im RPV hergestellt. Anschließend wurden die Bukkalflächen von 24 und 26 mittels eines transparenten Silikons abgeformt, um das Kunstoffmaterial des Modells durch das dentale Komposit ersetzen zu können. Die Friction Pads wurden nun auf ein weiteres Kontrollmodell (Modell Nr. 1 ohne Friction Pads) aufgebracht (Abb. 9).
Das Modell Nr. 4 wurde durch eine Kopie der Friction Pads aus Schleifpapier (Modell Nr. 2) aus dentalem Komposit hergestellt. Zuerst erfolgte eine Abformung des Original-Schleifpapier-Modells mittels des transparenten Übertragungssilikons. Anschließend erfolgte das Anbringen der Schleifpapier-Kopien aus Komposit auf die Zähne 24 und 26 eines weiteren Kontrollmodells (Modell Nr. 1) (Abb. 10).
Es wurden jeweils drei Versuchsaligner aus den Materialien für HardCaps, DayCaps und Soft/NightCaps hergestellt. Die Aligner wurden tiefgezogen, von den Tiefziehmodellen abgehoben und auf ein Kontrollmodell mit einer gingivalen Markierungslinie gesetzt. Die Markierungslinie wurde auf den Aligner übertragen und entlang dieser wurde jeder einzelne Aligner ausgearbeitet (Abb. 11). Die Versuchsaligner wurden mit ihrer geschlossenen okklusalen Seite auf eine Kunststoffplatte geklebt (Abb. 12).
Versuchsdurchführung
Es wurde die maximale Abzugskraft der Versuchsmodelle von den Alignern ermittelt. Die Kunststoffplatte mit den Alignern wurde unter dem Kraftmessgerät (FMI-S30, Alluris, Freiburg im Breisgau) fixiert, und jedes Versuchsmodell wurde dreimal hintereinander aus jedem einzelnen der Versuchsaligner abgezogen. Die Abzugsrichtung wurde durch eine lotgerechte Einstellung für alle Modelle gleich standardisiert (Abb. 13).
Auswertung
Die Messergebnisse wurden gemittelt und die vier unterschiedlichen Versuchsmodelle (Modell Nr. 1 ohne Friction Pads, Modell Nr. 2 mit Friction Pads aus Schleifpapier, Modell Nr. 3 mit Friction Pads [CAD] aus Komposit und Modell Nr. 4 mit Friction Pads [Scheifpapier-Kopie] aus Komposit) den drei unterschiedlichen Alignermaterialien (HardCaps, DayCaps und Soft/NightCaps) gegenübergestellt und abhängig vom Alignermaterial in Gruppen zusammengefasst (Diagramm 1).
Ergebnisse
In Bezug auf die Verwendung der Friction Pads konnte bei allen Alignermaterialien eine statistisch signifikante Erhöhung der maximalen Abzugskraft bei der Verwendung des Friction Pads aus Schleifpapier (Modell Nr. 2) und der klinisch relevanten Kopie des Schleifpapier aus dentalem Komposit (Modell Nr. 4) nachgewiesen werden. In Bezug auf die Verwendung der Alignermaterialien konnte festgestellt werden, dass die Versuchsgruppe mit dem Soft/NightCap-Material bei allen Versuchsmodellen statistisch signifikante Erhöhungen aufwies, während dies in der HardCaps-Gruppe bei Modell Nr. 2 (Friction Pads aus Schleifpapier) und Modell Nr. 4 (Kopie des Schleifpapiers aus dentalem Komposit ) der Fall war.
Diskussion
Es kommen unterschiedliche Gründe für die Erhöhung der maximalen Abzugskräfte und in Schlussfolgerung daraus einer Erhöhung der Haft- und Gleitreibung zwischen Versuchsmodellen und Alignermaterialien infrage:
Eine Änderung der Werkstoffe, welche aneinander haften bzw. gleiten, betreffend deren Adhäsion:
• PETG- oder TPU-Kunststoff des Aligners gegen den Modellkunststoff des Rapid-Prototyping-Verfahrens
• PETG oder TPU gegen die technische Keramik des Schleifpapiers (Aluminiumoxid/Siliziumkarbid)
• PETG oder TPU gegen Inhaltsstoffe des dentalen Komposits
Eine Änderung der Werkstoffe, welche aneinander haften bzw. gleiten, betreffend der Änderung von mikroskopischen Gestaltabweichungen (Asperities/Rauheiten):
• PETG- oder TPU-Kunststoff des Aligners gegen den Modellkunststoff des Rapid-Prototyping-Verfahrens
• PETG oder TPU gegen die technische Keramik des Schleifpapiers (Aluminiumoxid/Siliziumkarbid)
• PETG oder TPU gegen das dentale Komposit
Eine Erhöhung der Normalkraft bzw. Anpresskraft zwischen Aligner und Versuchsmodellen aufgrund der Verdickung der Zähne im Bereich der Friction Pads, da die Aligner keine Aussparungen für die Friction Pads hatten.
Schlussfolgerungen
Weiterentwicklungen durch Modifikationen in der Materialauswahl und in der Mikrostruktur der Friction Pads und durch Variationen der inneren Aligneroberfläche sind notwendig. Erste Beobachtungen in der klinischen Anwendung zeigen eine erhöhte Akzeptanz der Patienten bezüglich der Ästhetik, vor allem im Frontzahnbereich und hinsichtlich des Tragekomforts. Weil das neue Verfahren nach den ersten Analysen eine deutliche Verbesserung orthodontischer Behandlungen mit Alignern verspricht, wurde es bereits von Ortho Caps zum Patent angemeldet.