Oralchirurgie 25.09.2014
Zahnmedizin und Oralchirurgie in der Bundeswehr
Bereits im Ersten Weltkrieg spielte die Zahnmedizin eine Rolle in der Versorgung der Soldaten. Doch erst Ende der 1950er-Jahre wurde sie zu einem festen, sanitätsdienstlichen Baustein. Der folgende Artikel gibt einen Einblick in die Entwicklung des zahnmedizinischen Dienstes in der deutschen Bundeswehr sowie die zunehmend wichtiger werdende Rolle der Oralchirurgen im zahnärztlichen Dienst.
Zwei Jahre nach Gründung der Bundeswehr und der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahr 1957 der zahnärztliche Dienst der Bundeswehr aufgestellt. Im Jahr 1958 nahmen die ersten Zahnstationen ihre Arbeit auf. Somit war die Zahnmedizin erstmals ein ständiger Baustein in der sanitätsdienstlichen Versorgung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es keine einheitlichen Strukturen gegeben; Anfang des 20. Jahrhunderts waren nur erste Ansätze spezifisch militärzahnärztlicher Versorgung erkennbar. Im Ersten Weltkrieg kamen erstmals Zahnärzte im Status oberer Militärbeamter zum Einsatz. Im Zweiten Weltkrieg gab es nur Zahnärzte im Sanitätskorps der Luftwaffe, weshalb nur eine sehr uneinheitliche Versorgung der Soldaten möglich war.1 1956 wurde der Sanitätsdienst und 1957 der Zahnärztliche Dienst gegründet, womit Versorgungsprobleme beseitigt sein sollten. Seit der Gründung ist die zahnmedizinische Versorgung Bestandteil der sanitätsdienstlichen Versorgung, sowohl im Inland als auch bei allen Einsätzen und Übungen. Der Fachbereich Zahnmedizin stellt dabei unter Berücksichtigung der militärischen Erfordernisse und Besonderheiten eine dem aktuellen wissenschaftlichen, technischen und rechtlichen Standard entsprechende zahnmedizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sicher. Darüber hinaus kann im Rahmen der Hilfe bei Naturkatastrophen, schweren Unglücksfällen, dringender Nothilfe im In- und Ausland sowie bei humanitären Einsätzen auf Anforderung und auf Weisung des Bundesverteidigungsministeriums durch Sanitätsoffiziere Zahnarzt eine Versorgung erfolgen.
Der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten erfordert neben frühzeitig einsetzenden und nachhaltigen präventiven Maßnahmen eine regelmäßig weitergehende, zahnmedizinische Therapie, die damit bereits im Inland die Schwerpunktaufgabe der zahnmedizinischen Versorgung darstellt. Ziel ist dabei sowohl in der Einsatzvorbereitung als auch im Einsatz der zahngesunde, einsatzfähige Soldat. Die aktuelle Neuausrichtung der Bundeswehr bedeutet auch für den Fachbereich Zahnmedizin zukünftig eine Umstrukturierung, die jedoch erst in einigen Jahren abgeschlossen sein wird. Für die derzeit noch knapp 200 zahnärztlichen und fachzahnärztlichen Behandlungseinrichtungen im In- und Ausland, in denen über 340 Sanitätsoffiziere Zahnarzt tätig sind, bestehen im Moment noch keine konkreten Detailfestlegungen.2 Der überwiegende Anteil der klinisch tätigen Sanitätsoffiziere Zahnarzt ist in Zahnarztgruppen oder Zahnarzttrupps der Sanitätsversorgungs- und Sanitätsunterstützungszentren der Bundeswehrstandorte beschäftigt.
Oralchirurgen für MKG-Versorgung
Mit der Erkenntnis, dass Verletzungen im Kiefer- und Gesichtsbereich im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht wegzudenken sind, ist das Fachgebiet der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) vermehrt in den Fokus der sanitätsdienstlichen Führung gerückt. Nun musste schnell eine Lösung gefunden werden, wie die Versorgung von mund-, kiefer- und gesichtsverletzten Soldaten, zumindest deren primäre Stabilisierung, gewährleistet werden konnte. Gelöst wurde dieses Problem durch die Schaffung einer bestimmten Anzahl von Oralchirurgen. Diese konnten schneller als Kieferchirurgen ausgebildet werden, da die Doppelapprobation nicht notwendig und auch die Facharztausbildung kürzer ist. Auf dieser Grundlage hat die Bundeswehr neben dem „normalen“ Sanitätsoffizier Zahnarzt zusätzlich die Gruppe der Oralchirurgen als festen Bestandteil des zahnärztlichen Dienstes implementiert. Diese werden vor allem dann eingesetzt, wenn mit erhöhtem Versorgungsbedarf an MKG-Patientengut zu rechnen ist, in der Regel in der aktiven Phase des Einsatzes. Dabei erledigen sie neben dem Alltagsgeschäft eines Zahnarztes die speziellen Aufgaben im Hinblick auf die Versorgung von Patienten mit Verletzungen aus dem Bereich der MKG. Dabei arbeitet der Oralchirurg eng mit den anderen chirurgischen Disziplinen zusammen und sichert die Herstellung der Transportfähigkeit (Repatriierung) der Soldaten und vereinzelt auch von Zivilbevölkerung, die von ISAF beschäftigt wird oder verletzt worden ist. Im Heimatland übernehmen die Oralchirurgen vergleichbare Aufgaben wie ihre zivilen Kollegen. Der sehr viel geringere Anteil der Oralchirurgen ist überwiegend in den Fachabteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser sowie in vereinzelten Zahnarztgruppen mit oralchirurgischer Ausrichtung tätig. Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sind in den jeweiligen Abteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser Koblenz, Ulm, Hamburg, Berlin und Westerstede an der Versorgung beteiligt. Bei deren Umsetzung stehen in materieller und personeller Hinsicht jeweils komplett ausgestattete Fachabteilungen zur Verfügung, die vergleichbar mit der zivilen Ausstattung sind.
Sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz
„Es gilt die Maxime, den Soldaten im Falle einer Erkrankung, eines Unfalles oder einer Verwundung im Auslandseinsatz eine medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht. Dieser Anspruch gilt für das gesamte Spektrum medizinischer Versorgungsleistungen.“3 Die sanitätsdienstliche Versorgungsstruktur im Einsatz richtet sich nach der Maßgabe des Military Committee sowie der „Allied Joint Medical Support Doctrine“. Diese durch die höchsten sanitätsdienstlichen Beratergremien der NATO entworfenen Prinzipien sollen einen einheitlichen Standard in der Versorgung während des Einsatzes auf vier definierten Behandlungsebenen sicherstellen.4 Je nach Schwere der Krankheit oder Verletzung durchläuft der Patient diese Ebenen von der Ersten Hilfe bis
zur Behandlung in den Bundeswehrkrankenhäusern nach Rückführung ins Heimatland nur teilweise bzw. vollständig.
Ebene 1
Erste Hilfe erfolgt hier durch Selbst- und Kameradenhilfe. Eine bewegliche, sanitätsdienstliche Einheit wird ab einer bestimmten Entfernung zur nächsten stationären, sanitätsdienstlichen Einrichtung oder bei besonderer Gefährdung bereitgestellt. Eine Sichtung, Schock- und Schmerzbekämpfung, blutstillende Maßnahmen sowie das Freihalten der Atemwege und Beatmung durch das medizinische Fachpersonal soll während der Ebene 1 gesichert werden.
Ebene 2
In einem Rettungszentrum oder Luftlanderettungszentrum wird die notfallmäßige Diagnostik sowie Therapie sichergestellt und die Fähigkeit der medizinischen Akutversorgung durch dringliche chirurgische und internistische Behandlungen jeweiliger Fachärzte und medizinisches Fachpersonal ermöglicht. Darüber hinaus soll die Transportfähigkeit für eine Verlegung in ein Einsatzlazarett bzw. der Ebene 3 sichergestellt werden, wie zum Beispiel in der Vergangenheit in Kunduz und in Feyzabad. Weiterhin erfolgt dort auch eine Versorgung durch integrierte, zahnärztliche Behandlungseinrichtungen mit jeweils einem Sanitätsoffizier Zahnarzt bzw. einem Oralchirurgen.
Ebene 3
Die ambulante und stationäre fachärztliche Versorgung in sogenannten Einsatzlazaretten steht im Vordergrund. Durch die Fähigkeit der erweiterten chirurgischen, intensivmedizinischen und fachärztlichen Diagnostik und Therapie können allgemeinchirurgische, traumatalogische und notfallmedizinische Behandlungen oft bis zur abschließenden Behandlung gewährleistet werden. Bei Bedarf kann eine direkte Überführung nach Deutschland (Repatriierung) sichergestellt werden, indem der Transport mit speziell eingerichteten Luftfahrzeugen der Bundeswehr als Verwundetenlufttransport in die Ebene 4 erfolgt (MedEvac). Das Camp Marmal in Masar-e Sharif beherbergt das Einsatzlazarett der ISAF-Kontingente (Sanitätseinsatzverband) der Bundeswehr in einem modernen Gebäudekomplex. Im KFOR-Einsatz übernimmt diese Ebene das Einsatzlazarett im Feldlager Prizren. Neben diversen Fachabteilungen befindet sich auch hier jeweils eine zahnärztliche Behandlungseinrichtung mit Sanitätsoffizier Zahnarzt oder Oralchirurg. Die Versorgung der Soldaten von Ebene 1 bis 3 während der Operation EU NAV-FOR-ATALANTA ist an Bord gewährleistet. Durch die sehr unterschiedlichen Generationen der seegehenden Einheiten stehen allerdings sehr verschiedene Infrastrukturen als Basis der medizinischen Versorgung zur Verfügung.
Ebene 4
Nach notwendiger Repatriierung aus dem Einsatzgebiet erfolgt in Bundeswehrkrankenhäusern und auch zivilen Therapiezentren die weiterführende Behandlung und Therapie der Soldaten in umfassendem Maße. Die Verwundetenleitstelle der Bundeswehr (PECC – Patient Evacuation Coordination Center) ist für die Organisation der Rückführung der Soldaten ins Heimatland zuständig. Hier werden alle erforderlichen Maßnahmen koordiniert und deren Umsetzung kontrolliert.
Zusammenfassung
Die Oralchirurgen der Bundeswehr erfüllen im Inland eine Aufgabe, die mit dem Tätigkeitsfeld des niedergelassenen Oralchirurgen vergleichbar ist. Die materielle und personelle Ausstattung kann dabei ebenso verglichen werden. Im Einsatz jedoch erfüllt der Oralchirurg eine Tätigkeit, die ein Spagat zwischen der normalen zahnärztlichen Tätigkeit und der Versorgung sowie Stabilisierung von MKG-Patienten darstellt. Dieses ist nur möglich, weil innerhalb der Weiterbildung viel Wert auf eine traumatologische Behandlung gelegt wird und durch interne und auch externe Weiterbildung im Bereich der Traumaversorgung jeder einzelne Oralchirurg auf ein fachlich hohes Niveau gebracht wird.
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Autor: Marcus Stoetzer