Implantologie 04.02.2016

Sofortversorgung mit implantat-getragener Vollbogenrestauration



Sofortversorgung mit implantat-getragener Vollbogenrestauration

Foto: © Autor

Der vorliegende Artikel beschreibt die Versorgung eines zahnlosen Ober- und Unterkiefers mit einem festsitzenden Sofortprovisorium, das im Rahmen einer 3-D-Planung präoperativ vorbereitet wird und direkt nach der navigierten Implantatinsertion im Mund fest eingegliedert wird.

Ausgangslage

Ein Patient (m, 53 Jahre, Raucher mit 20 Zigaretten täglich, guter allgemeiner Gesundheitszustand) stellte sich in unserem Haus vor. Die letzten Unterkieferzähne seien vor sechs Wochen alio loco entfernt worden. Als Ausgangssituation zeigten sich ein zahnloser Unterkiefer und eine nicht ­erhaltungswürdige Restbezahnung im Oberkiefer. Als Nebenbefund lag ein verlagerter Weisheitszahn 28 vor, dessen Entfernung der Patient ablehnte. Klinisch präsentierten sich im Oberkiefer gereizte Schleimhautverhältnisse sowie im Unterkiefer durch die Totalprothetik verursachte Druckstellen an der Schleimhaut. Der Kieferkamm wies eine breite keratinisierte Gingiva auf (Abb. 1 und 2). Der Patient wünschte sich eine festsitzende Versorgung. In seinem sozialen und beruflichen Umfeld war der Patient stark auf seine sprechende Tätigkeit angewiesen und käme mit dem herausnehmbaren Zahnersatz aufgrund phonetischer Probleme nicht klar. Weiter sei seine Lebensqualität durch den eingeschränkten Halt der Zähne beim Essen reduziert. Gleichzeitig lehnte der Patient umfangreiche augmentative Verfahren ab und wollte aufgrund seines Leidensdrucks am liebsten wieder schnell feste Zähne.

Geplant war daher eine Entfernung der nicht erhaltungswürdigen Zähne, die sofortige Insertion von vier Implantaten pro Kiefer, jeweils zwei posteriore und zwei anteriore, und die Platzierung einer vorbereiteten provisorischen Brücke auf den Implantaten nach dem Konzept Pro Arch, Straumann®. Die Eingliederung der präoperativ hergestellten Prothetik sollte durch eine virtuelle Planung der exakten Implantatpositionen direkt im Anschluss der Implantation erfolgen – ohne erneute Abformung und ohne zeitaufwendige komplette zahntechnische Herstellung der Prothetik postoperativ. Damit ist der Tag der Behandlung mit Sofortbelastung vom chirurgischen Eingriff bis zur provisorischen Versorgung kein langes, belastendes Erlebnis für den Patienten.

Vorgehensweise

Behandlungsplanung
Die röntgenologische Voruntersuchung mit einer Übersichtsaufnahme gab Auskunft über die vertikalen Knochenverhältnisse (Abb. 3). Zur weiteren Behandlungsplanung stellte der Zahntechniker ein Wax-up der idealen prothetischen Zahnaufstellung her, das im Mund des Patienten überprüft wurde. Gleichzeitig wurde ein DVT zur 3-D-Visualisierung der Knochenhöhen- und breiten und zur dreidimensionalen Darstellung der Ausdehnung der Kieferhöhle, der Nasenhöhle und des Verlaufs des Nervus mandibularis angefertigt. Das hergestellte Wax-up und die Modelle der Weich­gewebssituation wurden anschließend durch einen 3-D-Modellscan digitalisiert und in der Planungssoftware coDiagnostiX™ mit den anatomischen Hart­gewebsinformationen des DVTs über­lagert. Basierend auf den Daten der ­geplanten prothetischen Endsituation führte man die virtuelle Implantat­planung in der Software durch (Abb. 4). Es erweist sich dabei als hilfreich, dass in der Planungssoftware die entsprechenden prothetischen Aufbauteile wie verschraubte Sekundärteile mit ihren Abwinklungen direkt auf den Implantaten mitgeplant werden können. So lassen sich die individuellen Austrittsprofile der prothetischen Aufbauteile durch den Zahnersatz präzise vorhersagen. Als Ergebnis der Planung wurden die Bohrschablonen für den Ober- und Unterkiefer (Abb. 5) für eine genaue und sichere Implantatinsertion im CAD/CAM-Verfahren aus einem Poly­urethan-Blank im hauseigenen Labor gefräst. Gleichzeitig wurde schon zu ­diesem Zeitpunkt, also vor jeder inva­siven Maßnahme, die prothetische ­Ver­sorgung hergestellt, ver­sehen mit Durchtrittsöffnungen an den geplanten Implantatpositionen, unter Berücksichtigung der Winkelungen der verschraubten Sekundärteile bzw. prothetischen Aufbauten. Dieser Zahnersatz wurde zunächst als Totalprothetik gestaltet. Er sollte direkt nach der Implantatinsertion zu einer schlankeren Voll­bogenkonstruktion reduziert werden. Es war geplant, diese Brücke bei entsprechender Primärstabilität der Implantate direkt nach der Implantation ohne eine weitere pro­thetische Abdrucknahme einzugliedern (echte Sofortversorgung).

 

Chirurgisches Verfahren

Im ersten Schritt erfolgte die Behandlung nach dem Guided-Surgery-Verfahren (Straumann®) im Unterkiefer. Nach Lokalanästhesie wurde ein Kieferkammschnitt vom Eckzahn bis in den Seitenzahnbereich durchgeführt, jeweils mit mesialer Entlastung. Anschließend wurde das Implantatbett in Regio 36, 33, 43, 46 mithilfe der gingival gelagerten Navigationsschablone aufbereitet (Abb. 6). Die Implantate konnten gemäß der Planung aufgrund der günstigen Unterkieferknochensituation parallel gesetzt werden (Abb. 7). Die Implantate (Bone Level Tapered, Straumann®) aus Roxolid (Regio 36, 46: je Ø 4,1 mm, L 12 mm, Oberflächenspezifikation: SLActive®, Regio 33, 43: je Ø 4,1 mm, L 16 mm, Oberflächenspezifikation: SLActive®) erzeugten bei allen Implantaten ein Drehmoment deutlich über 35 Ncm. Einer Sofortbelastung stand damit nichts im Weg. In diesem Fall waren die Achsen der Implantate so günstig, dass keine abgewinkelten Sekundärteile verwendet wurden. Nach direktem Aufschrauben von Titankappen auf die Implantate, Überprüfung des vorbereiteten Provisoriums auf die korrekte Bisslage und den spannungsfreien Sitz an den prothetischen Durchtrittsstellen der Aufbauten (Abb. 8) wurden die prothetischen Aufbauten im Mund mit einem dualhärtenden selbstadhäsiven Kompositzement an den Zahnersatz polymerisiert. Anschließend ging der Zahnersatz noch einmal zur kurzen zahntechnischen Überarbeitung (Metallverstärkung, grazilere und parodontalhygienische Gestaltung, Ausarbeitung der Polymerisationsstellen; Abb. 9). Abschließend erfolgte die Eingliederung der provisorischen Brücke im Unterkiefer (Abb. 10).

Danach erfolgte die Behandlung im Oberkiefer im oben genannten Verfahren. Im Unterschied zum Unterkiefer kam hier das Prinzip der angulierten Implantate zum Einsatz. Die Insertion der beiden angulierten posterioren Implantate wurde direkt entlang der Kieferhöhlenvorderwand geplant und eine Bohrschablone dazu konstruiert (Abb.  11 und 12). Nach Lokalanästhesie entfernte man die nicht erhaltungsfähigen Zähne. Nun wurde die gingival gelagerte Navigationsschablone im Ober­kiefer platziert, mit einem laborseitig vorbereiteten Bisssplint kontrolliert und mit Guided-Pins am Oberkiefer befestigt (Abb. 13). Anschließend erfolgte die ­navigierte Implantatbettaufbereitung (Abb. 14). Ein Mukoperiostlappen mit krestaler Schnittführung wurde von Regio 16 bis 26 mit distaler Entlastung gehoben. Dies erlaubte die visuelle Kontrolle der Knochensituation und ermöglichte Augmentationen an den Implantaten. Im nächsten Arbeitsschritt wurden die Implantate inseriert. Wegen der niedrigen Knochenqualität (Typ 4 nach Lekholm und Zarb) wurden die Bohr­stollen unterpräperiert und die Implantate aus Roxolid gesetzt (Regio 12, 22: je Ø 4,1 mm, L 14 mm, Oberflächen­spezifikation: SLActive®, Regio 15, 25: je Ø 4,1 mm, L 16 mm, Oberflächenspezifikation: SLActive®). Die konischen ­Implantate garantierten hier an allen Implantatstellen Drehmomente über 35 Ncm für eine sichere Sofortversorgung. Um die Divergenz der Implantate auszugleichen, wurden die geeigneten Sekundärteile ausgewählt und eingeschraubt, sodass die Austrittsprofile der Sekundärteile möglichst senkrecht zur Kauebene standen. Auf diese wurden die provisorischen Abutments aus Titan aufgeschraubt (Abb. 15). ­Danach wurde analog zum Vorgehen im Unterkiefer der vorbereitete Zahn­ersatz im Mund eingegliedert (Abb. 16 und 17). Ein Kontrollröntgenbild wurde angefertigt.

Im weiteren Verlauf zeigte sich eine unauffällige Wundheilung. Zehn Tage nach der Operation wurden die Fäden entfernt und die Hygieneverhältnisse am Zahnersatz und an den Implantaten kontrolliert. Nach acht Wochen wurde die Einheilung anhand eines Kontrollröntgenbilds überprüft (Abb. 18). Die Brücke wurde zur Reinigung abgenommen. Die osseointegrierten Implantate zeigten eine reizlose periimplantäre Weichgewebssituation (Abb. 19 und 20).

Prothetisches Verfahren

Nach vier bis sechs Monaten kann bei stabilen Hart- und Weichgewebsverhältnissen die definitive Restauration beginnen. Dabei ist die Versorgung mit individuell gefrästen Gerüstkomponenten für eine zuverlässige endgültige Brücke geplant.

Schlussfolgerung

Zahnlose Patienten oder Patienten, die zahnlos werden, wünschen sich heutzutage schnelle Lösungen für feste Zähne – ohne komplexe Behandlungen mit augmentativen Maßnahmen.Durch Angulation der posterioren Implantate ergeben sich Vorteile: Es lässt sich die bestehende Knochenanatomie des Patienten nutzen. Dadurch können längere Implantate inseriert werden, die eine höhere Primärstabilität für die ­Sofortversorgung aufweisen, ohne dass die Foramina mentale im Unterkiefer ­beeinträchtigt werden oder die Notwendigkeit einer Sinusbodenaugmentation bei stark resorbiertem Oberkiefer besteht. Die Vermeidung umfangreicher und oft langwieriger augmentativer Maßnahmen steigert den Patientenkomfort erheblich. Weiterhin erhöht sich die Vorhersagbarkeit der Therapie, insbesondere bei einem Patientenklientel mit steigenden Vorerkrankungen bzw. mit Risikofaktoren, wie bei dem vorliegenden Patienten mit hohem Nikotin­konsum. Nicht zuletzt wirkt sich der ­Verzicht auf Augmentationen positiv auf die Kosten aus.

Eine erfolgreiche Therapie wie in diesem Fall funktioniert nur mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit, wenn die instrumentellen und materialtechnischen Voraussetzungen erfüllt sind. Die hier ein­gesetzten Implantate sind konische Implantate, mit denen man auch in weichen Knochenverhältnissen, bei Bedarf durch Unterpräperation, eine ausreichende Primärstabilität zur Sofortversorgung erzeugt. Sie bestehen aus dem Material Roxolid, einem durch klinische Daten gesicherten Material, das Knochenerhalt und Stabilität auch bei dünnen Implantatdurchmessern erfüllt. Die Implantatoberfläche beschleunigt dabei den Prozess der Bildung neuer Knochensubstanz auf der Implantatoberfläche und verkürzt damit die kritische Übergangsphase zwischen Primär- und ­Sekundärstabilität. Sie ermöglicht eine sicherere Einheilung, was besonders wichtig bei Fällen mit minderwertigen Knochenverhältnissen oder Patienten mit Risikofaktoren ist. Der Implantathersteller liefert ein für dieses Versorgungskonzept aufeinander abgestimmtes Prothetikportfolio, das eine verschraubte Versorgung ermöglicht und Implantatdivergenzen ausgleicht. Ebenso sind für die zuverlässige endgültige Versorgung individuell gefräste Gerüstkomponenten erhältlich.

Insbesondere die neuen Techniken der Digitalisierung haben in den letzten ­Jahren enorme Veränderungen in der Implantologie ausgelöst. Immer mehr werden die einzelnen Bausteine der digitalen Prozesskette zusammengefügt und bestehende Lücken geschlossen. Die dreidimensionale Diagnostik, Modellscans und intraorale Abformscans, die virtuelle Implantatplanung und die CAD/CAM-gestützte Fertigung verschmelzen zunehmend miteinander. Das erhöht die Vorhersagbarkeit der Therapie sowie den Komfort für den Patienten. Basierend auf den Daten des prothe­tischen Wax-ups kann wie in diesem Fall durch virtuelle Implantatplanung bereits vor jeder invasiven Maßnahme der Zahnersatz gefertigt und bei entsprechender Indikation sofort nach der Implantatinsertion in den Mund ein­gebracht werden. Der Gewinn, der sich aus einem derartigen Behandlungs­protokoll für den Patienten und das ­Behandlungsteam ergibt, ist der signi­fikant verkürzte Behandlungsablauf. Ein anstrengender und langer Behandlungstag für Patient und Behandlungsteam wie bei der klassischen Sofortbelastung lässt sich vermeiden, der Patientenkomfort wird gesteigert.

Danksagung

Diese Behandlung wurde durch die kompetente Unterstützung von Herrn Zahntechniker Klaus Winklbauer, Zahntechniklabor Zahnklinik Mühldorf am Inn, ermöglicht.

Keramikimplantat in ästhetischer Zone mit provisorischer Versorgung
Mehr Fachartikel aus Implantologie

ePaper