Endodontologie 16.08.2023

Optimale Restauration nach endodontischer Behandlung



Optimale Restauration nach endodontischer Behandlung

Foto: Dr. Konstantin J. Scholz, Prof. Dr. Matthias Widbiller

Die chemomechanische Aufbereitung, Desinfektion und anschließende Obturation im Rahmen einer orthograden Wurzelkanalbehandlung stellen einen zentralen Teil der Zahnerhaltung im Speziellen und der Zahnmedizin im Allgemeinen dar. Weltweit sind schätzungsweise circa 8 % aller bleibenden Zähne wurzelkanalbehandelt, und ca. 56 % aller Menschen über 18 Jahre haben mindestens einen wurzelkanalbehandelten Zahn.1 Insbesondere, um das Risiko von Frakturen im Wurzel- oder Höckerbereich, die eine häufige Misserfolgsursache endodontisch behandelter Zähne sein können, zu minimieren und diese Zähne langfristig und funktionell in der Mundhöhle zu erhalten, ist ihre Einbindung in zuverlässige Restaurationskonzepte von großer Bedeutung.2, 3

Im Frontzahnbereich spielen Zahntraumata, von denen altersunabhängig circa 25–30 % der Menschen im Laufe ihres Lebens betroffen sind, eine zentrale ätiologische Rolle für die spätere Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung.4 Der Verlust an Zahnhartsubstanz kann sehr groß sein, z. B. bei einer komplizierten Kronen-Wurzel-Fraktur (Abb. 1a und b). Eine Wurzelkanalbehandlung kann aber auch ohne Zahnhartsubstanzverlust im Verlauf nach einer schweren Dislokationsverletzung durch Abriss des Gefäß-NervenBündels notwendig werden.Bei Seitenzähnen ist in der Mehrzahl der Fälle davon auszugehen, dass der Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung ein Verlust großer Anteile koronaler Zahnhartsubstanz vorausgeht, häufig verursacht durch Karies oder iatrogene restaurative Maßnahmen.5, 6

Die Rolle der Restauration

Es ist bekannt, dass für die langfristige Erhaltung von wurzelkanalbehandelten Zähnen neben der Qualität der endodontischen Therapie auch die der koronalen Restauration von großer Bedeutung ist. In einer klassischen, auf röntgenologischen Untersuchungen basierenden Studie von Ray und Trope über den Zusammenhang zwischen apikaler Gesundheit und Qualität der endodontischen Behandlung bzw. Qualität der koronalen Restauration war die koronale Restauration signifikant wichtiger für die röntgenologische apikale Entzündungsfreiheit.7 Eine neuere systematische Übersichtsarbeit, die neben der röntgenologischen Untersuchung auch Studien mit klinischen Parametern einbezog, schätzt den Einfluss der koronalen Restauration und der endodontischen Behandlung auf den Behandlungserfolg als gleichwertig ein.8

Frakturen endodontisch behandelter Zähne

Zähne, die nach endodontischer Behandlung direkt restauriert werden, weisen signifikant mehr Höckerfrakturen auf als nicht wurzelkanalbehandelte Zähne mit direkten Restaurationen. Zudem betreffen diese Frakturen häufiger orale als bukkale und nicht tragende als tragende Höcker und verlaufen oftmals subgingival, was die Restauration erschwert, eine chirurgische oder kieferorthopädische Extrusion erfordert oder sogar eine Versorgung unmöglich macht (Abb. 1c–f).3

Festigkeit wurzelkanalbehandelter Zähne

Die Tubuli im Dentin wurzelkanalbehandelter Zähne sind in der Regel nicht mehr mit Odontoblastenfortsätzen und Dentinliquor gefüllt. Dennoch zeigen in-vitro-Studien keine Unterschiede in den mechanischen Eigenschaften von Dentin wurzelkanalbehandelter und nicht wurzelkanalbehandelter Zähne.9, 10 Der kariesbedingte Zahnhartsubstanzverlust, der einer endodontischen Behandlung im Seitenzahnbereich in der Regel vorausgeht, scheint einen deutlich größeren Einfluss auf die Stabilität der betroffenen Zähne zu haben als endodontische Arbeitsschritte wie die Wurzelkanalinstrumentierung und -füllung.11, 12 Bislang gibt es keine Belege dafür, dass das Belassen von Zahnhartsubstanzüberhängen beim Anlegen der Zugangskavität oder Feilensysteme mit reduzierter Konizität zu besseren klinischen Ergebnissen oder zu einer geringeren Häufigkeit von Komplikationen, z. B. in Form von Wurzelfrakturen, führen.13, 14

Wahrnehmung mechanischer Reize

Eine endodontische Therapie kann zu einer verminderten Mechanorezeption der betroffenen Zähne führen. Dies kann zum einen durch den Verlust der Odontoblasten, die durch Schmerz- und Druckreize stimuliert werden und diese über Aδ-Fasern weiterleiten können, und zum anderen durch den Verlust der Ruffini-Körperchen im Parodontalspalt, der vor allem bei ausgedehnten apikalen Infektionen auftritt, erklärt werden.15 Somit können endodontisch behandelte Zähne im Vergleich zu vitalen Zähnen des Gegenkiefers eine signifikant höhere okklusale Belastung tolerieren, bevor eine Schmerzempfindung auftritt, was bei fehlender restaurativer Überkappung der Kaufläche das Frakturrisiko erhöhen kann.15, 16

Adhäsivtechnik und Lichtpolymersation

Nach der chemomechanischen Instrumentation und Obturation der Wurzelkanalsysteme erfolgt in der Regel zunächst die Entfernung der Sealerreste und der adhäsive Verschluss der Zugangskavität. Dies erfordert ein schrittweises Vorgehen in kleineren Inkrementen als bei einer koronalen Kavität ohne Beteiligung einer endodontischen Zugangskavität. Insbesondere bei rein lichthärtenden Materialien besteht ansonsten die Gefahr eines circa zehnfach höheren Restmonomergehaltes bzw. eines entsprechend geringeren Konversionsgrades und damit verbundener schlechterer mechanischer Eigenschaften der okklusalen Füllung in der Tiefe.17, 18

Bulk-Fill-Komposite, die sich durch eine höhere Transluzenz auszeichnen, erlauben hier Schichtdicken von bis zu 4 mm, wodurch die Anzahl der Arbeitsschritte reduziert werden kann.18, 19 Voraussetzung hierfür ist eine regelmäßig zu prüfende Leistung der Polymerisationslampe von mindestens 1.000 mW/cm2 und eine Polymerisationszeit von mindestens 20 Sekunden pro Schicht, wobei einzelne Bulk-Fill-Komposite nach Herstellerangaben eine Überschichtung mit konventionellem Komposit erfordern.18 Bei opaken Materialien, die häufig in der Tiefe der Zugangskavität appliziert werden, um die Wurzelkanalfüllung abzudecken und die Wiederauffindbarkeit der Kanaleingänge zu erleichtern, ist dagegen aufgrund der geringeren Lichtdurchlässigkeit und der größeren Entfernung zur Lichtquelle eine längere Polymerisationszeit erforderlich. Zusätzliche Reinigungsschritte zur empfohlenen Sealerentfernung mit Alkohol, wie Abstrahlen mit Al2O3- oder Glycin-Pulver, scheinen keinen Vorteil hinsichtlich des dichten Verschlusses endodontischer Zugangskavitäten zu gewährleisten, zumal bei mehrflächig restaurierten Zähnen vor allem das approximal-zervikale Dentin eine mögliche Eintrittspforte für Rekontaminationen zu sein scheint.20, 21

Indirekte vs. direkte Restaurationen

Bei der Analyse der Extraktionsursachen von endodontisch behandelten Seitenzähnen zeigen direkt restaurierte Zähne ein mehr als doppelt so hohes Risiko im Vergleich zu indirekt restaurierten Zähnen. Werden diese Zähne innerhalb der ersten vier Monate nach Wurzelkanalfüllung mit einer indirekten, die Kaufläche ersetzenden Restauration versorgt, ist das Extraktionsrisiko um den Faktor 3 geringer als bei Restaurationen, die später als vier Monate nach der Obturation der Wurzelkanäle eingegliedert werden.22 Da eine vollständige Rückbildung röntgenologisch erkennbarer apikaler Aufhellungen auch nach langer Beschwerdefreiheit nicht unbedingt gegeben ist und daher nicht abgewartet werden kann, sollte bei Verlust mindestens einer Randleiste ein möglichst frühzeitiger Kauflächenersatz nach der Wurzelkanalfüllung angestrebt werden.23, 24 Bislang gibt es keine eindeutige Evidenz, ob endodontisch behandelte Zähne, die mit Vollkronen oder Teilkronen versorgt werden, langfristig erfolgreicher sind.25, 26 Daher sind bei vorhandener zirkulärer Zahnhartsubstanz koronalere Restaurationsränder im Sinne einer kauflächenersetzenden Teilkronenpräparation zu bevorzugen, da diese Restaurationsränder für die häusliche Mundhygiene besser zugänglich sind und zudem bei zervikal liegenden Restaurationsrändern im Sinne einer Kronenpräparation circa 40  % mehr Zahnhartsubstanz verloren geht.27 Bei den Materialien für indirekte Restaurationen zeigen Studien zu Gold-, Verblendmetallkeramik- und Vollkeramikrestaurationen bislang keine eindeutigen Unterschiede hinsichtlich der Erfolgsraten.28 Die Mindestschichtstärken und Materialanforderungen der jeweiligen Klassen sind zu beachten, was insbesondere bei vollkeramischen Restaurationen eine Abrundung aller Innenkanten zur Vermeidung von Spannungsspitzen unter Belastung erfordert.28, 29 Bei endodontisch behandelten Frontzähnen ist bei geringem Zahnhartsubstanzverlust, z. B. beschränkt auf die okklusale Zugangskavität nach einem Dislokationstrauma, in der Regel eine direkte Versorgung mit Komposit ausreichend.30

Stiftsysteme

Aufgrund der großen Heterogenität der Stiftsysteme, Indikationsstellung, verwendeter Techniken sowie Stift-, Aufbau- und Befestigungsmaterialien liegen nur wenige Daten aus randomisierten klinischen Studien vor.31 Grundsätzlich sollte die Platzierung eines Stiftes im Wurzelkanalsystem nur dann erwogen werden, wenn die koronale Restzahnhartsubstanz nicht mehr ausreichend Kontaktfläche für die adhäsive Befestigung des präprothetischen Kompositaufbaus bietet. Dies ist in der Regel bei einem Zerstörungsgrad mit maximal einer Restzahnwand der Fall.32, 33 Dabei ist zu beachten, dass invasive Stiftbettpräparationen mit zunehmender Länge und Durchmesser die mechanische Belastbarkeit der entsprechenden Zähne zu reduzieren scheinen.34, 35 Neben ästhetischen Vorteilen sind aus diesem Grund adhäsiv befestigte konische oder zylindrisch-konische Glasfaserstiftsysteme konventionell zementierten Stiftaufbauten vorzuziehen, da Letztere eine invasive Stiftbettpräparation erfordern und häufiger zu Wurzelfrakturen führen können (Abb. 2).36 Ein vorhandener Ferrule-Effekt (Abb. 3a), d. h. ein Dentinkragen, der den Stift 1,5–2 mm oberhalb der Präparationsgrenze einfasst, führt in der Literatur zu höheren Erfolgsraten.36, 37 Bei fehlender koronaler Zahnhartsubstanz kann der Ferrule-Effekt durch einen tiefer gesetzten Restaurationsrand, eine chirurgische Kronenverlängerung oder eine kieferorthopädische Extrusion erreicht werden, wobei Letztere aus biologischer Sicht zu bevorzugen ist.37 Von geschraubten Stiftsystemen und invasiven zylindrischen Stiftbettpräparationen ist aufgrund der Schwächung der Restzahnhartsubstanz, auch durch auftretende Mikrorisse, abzuraten.38 Die Tiefe der Stiftbettpräparation sollte einerseits die Hälfte der im Knochen befindlichen Restwurzel und andererseits mindestens die Länge des koronalen Anteiles in der Tiefe erreichen (Abb. 3a).38 Apikal sollten mindestens 5 mm der Wurzelkanalfüllung verbleiben.38 Glasfaserstifte sollten nach der Präparation noch mit Komposit bedeckt sein, um eine Degeneration des Verbundes zwischen Glasfaser und umgebender Kompositmatrix durch möglichen Flüssigkeitszutritt zu verhindern (Abb. 3b und 4a–e).

Endokronen

Bei den sogenannten Endokronen wird auf einen präprothetischen Aufbau mittels Aufbaufüllungsmaterialien und Stiftsystemen verzichtet und stattdessen die koronale, indirekte Restauration in die Zugangskavität ausgedehnt. In einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse zeigten diese Restaurationen geringere Überlebens- (91 %) und Erfolgsraten (78 %) nach fünf Jahren im Vergleich zu konventionellen Kronen und separatem Aufbau (Überleben: 98 %; Erfolg: 94 %).39 Ursachen hierfür könnten die erschwerte Abrundung der Innenkanten bei der Präparation der Endokronen und die dadurch auftretenden Spannungsspitzen in der Tiefe des Zahnes unter Belastung sowie die erschwerte Lichthärtung durch die Restauration sein.

Endodontisch behandelteZähne als Pfeiler für Zahnersatz

Auf Basis der begrenzten Datenlage zu endodontisch behandelten Zähnen als Pfeiler für größere prothetische Arbeiten scheinen endodontisch behandelte Zähne hier im Gegensatz zu Einzelzahnversorgungen höhere Komplikationsraten aufzuweisen. Eine systematische Übersichtsarbeit ergab für festsitzende Brücken auf endodontischen Pfeilern eine Erfolgsrate von 79 % nach sechs Jahren.40 Bei herausnehmbarem Zahnersatz hatten endodontisch behandelte Pfeilerzähne eine Überlebensrate von 71 % nach fünf Jahren, Pfeilerzähne ohne endodontische Behandlung eine Überlebensrate von 90 %.41 Die Verwendung eines Stiftsystems hatte dabei keinen signifikanten Einfluss auf die Überlebensrate.41

Die Trepanation bestehender Restaurationen ist mit einer Heilungsrate von 95 % nach bis zu vier Jahren, die in einer Studie mit orthograder endodontischer Therapie bei 153 Einzelzahnrestaurationen erreicht wurde, eine sinnvolle Möglichkeit, Zahn und Restauration zu erhalten.42 Dabei ist eine zirkulär dichte Restauration, die auch nach Abschluss der Wurzelkanalbehandlung regelmäßig kontrolliert werden muss, eine Grundvoraussetzung für den Erfolg.

Zusammenfassung

Bei der Versorgung endodontisch behandelter Seitenzähne ist nach der Obturation eine möglichst frühzeitige indirekte Restauration mit Kauflächenersatz sinnvoll, sobald die Defektgröße mindestens eine Randleiste oder Außenwand umfasst.Frontzähne, die nach einem Frontzahntrauma endodontisch behandelt wurden, benötigen keine indirekte Restauration, wenn sich der Zahnhartsubstanzverlust auf die endodontische Zugangskavität beschränkt. Stiftsysteme sollten schonend inseriert werden und nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Restzahnhartsubstanz keine ausreichende Oberfläche für die adhäsive Befestigung des präprothetischen Aufbaumaterials bietet.

Danksagung

Die Autoren danken Helga Ebensberger, Gerlinde Ferstl und Marianne Federlin für die Unterstützung bei den rasterelektronenmikroskopischen Darstellungen.

Der Beitrag ist zuerst im Bayrischen Zahnärzteblatt (BZB) 5/2023, S.56-60 erschienen.

Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.

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