Implantologie 06.09.2013

„Das Leben der Menschen zu verändern, war immer ein Ziel von mir“



„Das Leben der Menschen zu verändern, war immer ein Ziel von mir“

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Mehr als vier Millionen Menschen, älter als 65 Jahre, sind allein in Deutschland zahnlos. Das zeigt: Das Patientenpotenzial ist groß für die Indikation des unbezahnten Kiefers. Ein mögliches Konzept ist All-on-4®, mit dem auf nur vier oder mehr Implantaten ein festsitzender implantatgetragener Zahnersatz möglich ist.

Die Implantate können selbst in atrophierten Kiefern ohne vorherige augmentative Maßnahme inseriert werden und bei entsprechender Primärstabilität sofort versorgt werden. Prof. Paulo Malo, Lissabon, hat dieses Konzept entwickelt. Exklusiv berichtet er im Interview über die wissenschaftliche Absicherung von All-on-4 und die Vorgehensweise von der Diagnostik bis zur Nachsorge. Zu diesem oft kontrovers diskutierten Thema wird sich Prof. Malo auch im Rahmen des „Streitgespräches“ des 43. DGZI-Jahreskongresses am 4./5. Oktober in Berlin äußern.

Herr Prof. Malo, als Sie in den 1990er-Jahren das All-on-4-Konzept entwickelten, gab es bereits verschiedene implantologische Versorgungsmöglichkeiten für zahnlose Kiefer. Sie sahen trotzdem die Notwendigkeit für einen neuen Lösungsweg – warum?

Ja, das ist wahr. Es gab bereits mehrere Behandlungsmöglichkeiten für die implantatbasierte Rehabilitation von zahnlosen Patienten. Allerdings konnten die konventionellen OP-Methoden den Patienten nicht sofort zu mehr Lebensqualität verhelfen. Die OP-Techniken waren aufwendig, damit für den Patienten unangenehm, und es war nicht möglich, die Implantate sofort zu versorgen und zu belasten. Anders ist es bei der All-on-4-Versorgung. Dass die Implantate sofort provisorisch versorgt und belastet werden können, stellt für die Patienten den Hauptvorteil dar und macht den Fortschritt des All-on-4-Konzepts deutlich. Das Leben der Menschen zu verändern, war schon immer eines meiner Ziele als Zahnarzt. Ich bin froh und stolz, dass ich dies erreicht habe.

 

 

Nur vier Implantate tragen eine festsitzende Brücke mit bis zu zwölf Gliedern. Welche biomechanische Bedeutung kommt den endständigen, anguliert gesetzten Implantaten zu?

Indem die distalen Implantate anguliert – in einem Winkel zwischen 30 und 45 Grad – gesetzt werden, können diese Implantate weiter posterior im Kiefer positioniert werden, sodass eine höhere prothetische Abstützung erreicht wird. Es wird sogar eine bessere Verankerung der Implantate erreicht, weil diese durch ihre angulierte Positionierung von dem kortikalen Knochen im anterioren Kieferbereich profitieren. Mit der Reduzierung der Freiendbrücke wird – auch aus biologischer Sicht – ein signifikanter Vorteil erreicht; die koronale Belastung der Implantate nimmt ab.

Es gibt auch Skeptiker des Konzeptes – wie überzeugend sind die Überlebensraten innerhalb des ersten Jahres nach Insertion?

Die Überlebensraten, die wir im Zeitraum von einem Jahr nach der Implantation erreichen, liegen bei über 98 Prozent.

Was sagen die Langzeitdaten?

Die Resultate, die wir in Studien erzielen konnten, erlauben die Feststellung, dass sich das All-on-4-Konzept auch in einem mittleren und langfristigen Zeitraum bewährt. Das zeigen die hohen Überlebensraten, die wir evaluiert haben: 98 Prozent (Fünf-Jahres-Nachbeobachtung)1 im Oberkiefer und im Unterkiefer 98,1 Prozent (Fünf-Jahres-Nachbeobachtung) sowie 94,8 Prozent (Zehn-Jahres-Nach beobachtung)2.

Wirkt sich der Winkel des Aufbaus auf die Überlebensrate aus?

Das angulierte Abutment stellt die Basiskomponente für die Rehabilitation dar, gleicht es doch die Angulation – zwischen 30 und 45 Grad – der endständig inserierten Implantate aus. Die Resultate unserer Langzeitbeobachtungen hinsichtlich des marginalen Knochenniveaus und der konsequent erhobenen Implantatüberlebensraten zeigen keine signifikanten Unterschiede von geraden und angulierten Abutments.

Welche Implantateigenschaften wirken sich positiv auf die Überlebensrate auf?

Die hohen Überlebensraten, die das All-on-4-Konzept zeigt, stehen auch in Zusammenhang mit dem verwendeten Implantattyp: NobelSpeedy Groovy™ (Nobel Biocare). Dieses Implantat eignet sich aufgrund seiner Eigenschaften sehr gut für die Sofortbelastung, für schmale Kieferkämme und die Insertion in weichen Knochen. Es besitzt einen schmalen Implantathals, Mikrofurchen entlang des Gewindes (Groovy) und die Ti-Unite® Oberfläche. Mit seiner speziellen Spitze erweitert NobelSpeedy während der Insertion den Knochen wie ein Osteom, anstatt diesen zu durchschneiden – ideal, um eine bikortikale Verankerung des Implantats zu erreichen und damit eine hohe Primärstabilität, die für die Sofort belastung der Implantate notwendig ist. Dass wir speziell mit diesen Implantaten eine hohe Primärstabilität erreichen können, erklärt mit die hohe Erfolgsquote des All-on-4-Behandlungskonzepts.

Eine elementare Voraussetzung für All-on-4 ist die genaue Kenntnis der anatomischen Strukturen. Worauf ist zu achten?

Während des operativen Eingriffs sind vor dem Einbringen der Implantate die sensiblen anatomischen Strukturen darzustellen, die das Insertionsgebiet limitieren. Im Unterkiefer ist auf den N. alveolaris inferior zu achten, und wir müssen den anterioren Loop an der Stelle, an der er das Foramen mentale verlässt, darstellen. Im Oberkiefer ist es bei standardmäßigen All-on-4-Verfahren wichtig, die anteriore Knochenwand der Kieferhöhle zu lokalisieren; man bohrt mit einer kleinen Fräse auf und führt in dieser Höhe eine parodontale Messsonde ein. In den Extra-Maxilla All-on-4-Fällen sind die Lage des N. infraorbitalis und die posteriore Jochbeinwand zu bestimmen.

Worauf ist bei der Planung zu achten?

All-on-4 ist ein chirurgisches Konzept zur Wiederherstellung der funktionellen wie auch ästhetischen Parameter. Das macht es notwendig, bereits in der Planungsphase sämtliche Informationen zu sammeln, die für den chirurgischen Part wie das prothetische Ergebnis notwendig sind. Als erstes geht es um die genaue Analyse der knöchernen Kieferstrukturen. Danach erfolgt die entsprechende Klassifizierung des Falles, entweder als All-on-4 Standard, All-on-4 Hybrid oder All-on-4 Extra-Maxilla. Ebenfalls zu beachten sind die DVO-Aufnahmen, Lachlinie und Lippenunterstützung – gegebenenfalls ist eine Nivellierung des Knochens vor der Implantatinsertion notwendig.

Empfehlen Sie bei All-on-4 grundsätzlich die schablonengeführte Insertion?

Wir empfehlen die navigierte Insertion, sobald die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind und die Patienten von der Sicherheit wie Vorhersagbarkeit dieses Verfahrens profitieren. Das sind vor allem ältere Menschen und Patienten, die aufgrund allgemeinmedizinischer Erkrankungen zum Beispiel mit Thrombozyten- oder Gerinnungshemmern behandelt werden.

Für den Langzeiterfolg kommt es auch auf die Nachsorge an. Ist die All-on-4-Versorgung pflegeleicht – auch für die Patienten?

Die Hygiene ist bei einer All-on-4-Versorgung ausgesprochen einfach, vor allem für die Patienten. Das liegt an mehreren Faktoren, wie der reduzierten Anzahl der Implantate und der konvexen Basisgestaltung der Suprakonstruktion. Während des chirurgischen Eingriffs wird das Knochenplateau so reguliert, dass die konvexe Form der Suprakonstruktion möglich ist. Das macht die Mundhygiene wirklich sehr effektiv und einfach. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die Patienten in einen regelmäßigen Recall für die Kontrolle und professionelle Reinigung der Prothese zu bringen – in der Regel alle sechs Monate.

Herr Prof. Malo, vielen Dank für das Gespräch.

Literatur:

  1. Maló P, de Araújo Nobre M, Lopes A, Francishone C, Rigolizzo M. All-on-4 Immediate-Function Concept for Completely Edentulous Maxillae: A Clinical Report on the Medium (3 Years) and Long-Term (5 Years) Outcomes. Clin Implant Dent Relat Res 2011:1–12.
  2. Maló P, de Araújo Nobre M, Lopes A, Moss SM, Molina GJ. A longitudinal study of the survival of All-on-4 implants in the mandible with up to 10 years of follow-up.  Am Dent Assoc. 2011 Mar;142(3):310–20.
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