Implantologie 28.02.2011
Moderne Kieferkammaugmentation
Bone Morphogenetic Proteins zum Aufbau des Alveolarfortsatzes
Die Augmentation des Alveolarknochens prae implantionem hat sich als vorbereitende Maßnahme bereits fest etabliert. Ein moderner Ansatz ist die zusätzliche Gabe von BMPs zur Verbesserung des knöchernen Implantatlagers. Folgender Artikel soll einen Überblick gewähren und die einfache Handhabung darstellen.
Die Bedeutung der Knochenmorphogeneseproteine (Bone Morphogenetic Proteins, BMPs) für das Knochenwachstum ist hinreichend belegt. Viele BMPs besitzen die Funktion von Wachstumsfaktoren. Diese Proteine lösen die Differenzierung von Mesenchymzellen zu Osteoblasten aus. Im Körper kommen sie jedoch nur in relativ geringer Zahl vor. Ein moderner Ansatz in der Augmentation des Alveolarfortsatzes ist die zusätzliche Einbringung von BMPs in Kombination mit einem Trägermaterial. Gewünscht ist eine schnellere Knochenneubildung, eine dichtere Knochenstruktur und damit eine Verkürzung der Zeiten zwischen Knochenaufbau und Implantation bei einem zweizeitigen Vorgehen.
Charakteristik
Die Gruppe der Knochenmorphogeneseproteine wurde in den 1960er-Jahren von Marschall R. Urist entdeckt und benannt. Er bewies, dass bestimmte isolierte Proteinextrakte aus dem Knochen eine Neubildung von Knorpel und Knochen induzieren können.1 In den 80er-Jahren gelang dann die rekombinante Herstellung dieser BMPs (rekombinante humane BMPs, rhBMPs), d.h. die Herstellung erfolgte mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen, Pilzen oder Säugetierzellen (zumeist Escherichia coli oder Hamster-Ovarium-Zellen).2–5 Diese Möglichkeit der BMP-Gewinnung in nahezu unbegrenzter Verfügbarkeit erlaubte den Einzug neuer Therapiekonzepte in der plastischen und rekonstruktiven Knochenchirurgie.
Die BMPs zählen zur Gruppe der TGF-b-Superfamilie. Bis heute sind 20 verschiedene BMPs nachgewiesen und charakterisiert worden, wobei BMP-2 bis BMP-7 osteoinduktive Eigenschaften aufweisen. Verantwortlich für die knochenbildenden Eigenschaften dieser Proteine ist die Differenzierung von pluripotenten mesenchymalen Zellen in knorpel- und knochenbildende Vorläuferzellen. Diese undifferenzierten Zellen befinden sich als Stammzellen im Knochenmark sowie im Weichgewebe (angrenzende Muskulatur, Periost, subkutanes Weichgewebe).6–9
Anwendung
Die Wirkung von rhBMP-2 in anderen Teilbereichen der Medizin ist längst anerkannt. Seit 2003 ist dieser Wirkstoff in der Europäischen Union als Arzneimittel unter dem Namen „Dibotermin a “ (InductOs®, Wyeth) für die Behandlung von offenen Tibiaschaftfrakturen und zur Fusion der unteren Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen zugelassen. Es wird in einer rekombinanten Ovarial-Zelllinie des chinesischen Hamsters produziert und meist mit einem Trägermaterial (oft Rinderkollagen) vertrieben.
In einer groß angelegten randomisierten, kontrollierten, prospektiven, einfach-blinden Studie wurde 2002 die Sicherheit und Effizienz von rhBMP-2 bei der Heilung von offenen Tibiaschaftfrakturen untersucht. RhBMP-2 ist sicher in der Anwendung und signifikant einer Standardbehandlung überlegen. Die Rate an Zweiteingriffen sowie die Gesamtheit der Invasivität der Maßnahmen waren deutlich reduziert, die Fraktur- und Wundheilung maßgeblich beschleunigt und die Infektionsrate nennenswert geringer. Der osteoinduzierende Faktor erwies sich bei Brüchen aller Schweregrade als wirksam.10
Die Anwendung dieses oder ähnlicher Arzneimittel in der Zahnmedizin wird in Europa noch als Off-Label-Use vorgenommen, d.h. die Verwendung findet außerhalb des in der Zulassung beantragten und genehmigten Gebrauchs (hinsichtlich Indikation, Dosierung oder Behandlungsdauer) statt. Kontraindiziert ist die Anwendung von rhBMP-2 bei Allergien gegen den Wirkstoff oder das Trägermaterial, bei noch nicht abgeschlossenem Knochenwachstum, bei aktiven Infektionen oder ungenügender Blutversorgung an der Operationsstelle, bei einem Morbus Paget oder einem diagnostizierten bzw. bereits behandelten Krebsleiden.
Vielversprechende Ergebnisse
In zahlreichen tiermedizinischen Experimenten konnten auf dem Gebiet der Zahnmedizin, besonders im Bereich augmentativer Maßnahmen, vielversprechende Ergebnisse erzielt werden. Bei Sinusaugmentationen resultierte eine signifikant höhere Knochendichte und höherer Knochen-Implantat-Kontakt bei BMP-getränkten Schwämmchen im Vergleich zu autologem Knochen. Eine parodontale Regeneration verläuft signifikant besser mit BMPs. Bei entsprechend beschichteten Implantaten ist die lokale Knochenformation beschleunigt, es resultiert so in eine signifikant bessere Osseointegration.11–15
Doch auch die Anwendung am Menschen zeigt Erfolg versprechende Resultate. So wiesen Triplett et al. im Jahr 2009 nach, dass die Verwendung von rhBMP-2 mit einem Trägermaterial (Rinderkollagen) zu signifikant besseren Ergebnissen bei einem externen Sinuslift bezüglich der Knochendichte im Gegensatz zu autologem Knochen führt. Der Einsatz von rhBMP-2 wurde als sehr sicher eingestuft.16 Zahlreiche Studien verdeutlichen weiterhin die Potenz dieses Faktors bezüglich der Induktion von Knochenwachstum, Knochenregeneration, unabhängig vom verwendeten Trägermaterial.17–21 Auch wenn Implantate selbst das Trägermaterial darstellen, d.h. mit diesen Faktoren beschichtet sind, bleibt das signifikante Potenzial, um lokal neuen Knochen zu stimulieren, erhalten.22,23
Der neue Knochen zeigt dieselben Charakteristiken wie benachbarter residualer Knochen und erlaubt dementsprechend die Platzierung, Osseointegration, Reosseointegration und funktionelle Belastung von inserierten Implantaten.24 Auch bei Operationen zum Verschluss von Kieferspalten zeigen Studien die hoch effektive Wirkung von rhBMP-2. Hervorgehoben werden die sichere Anwendung, die signifikant besseren Heilungsergebnisse sowie, bedingt durch das Wegfallen der Entnahmestelle, die reduzierte Morbidität im Gegensatz zur traditionellen Beckenkammoperation.25,26
Trägermaterialien
Es gibt verschiedene Trägermaterialien und -möglichkeiten, jeweils mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen. Theoretisch können BMPs mit allen Materialien angewendet werden. Eigenknochen stellt zwar den momentanen Goldstandard in der Augmentation dar, ist aber in der Entnahme und Verarbeitung sehr aufwendig. Eine Beigabe von BMPs wäre auch nicht sinnvoll, da der gewonnene Knochen bereits körpereigene BMPs aufweist. Bei bekannten, schwer resorbierbaren Ersatzmaterialien tierischen Ursprungs besteht das Problem des ungenügenden Remodellings, es persistiert Fremdmaterial über Jahre hinweg.27 Leichter resorbierbar ist dagegen b-Trikalziumphosphat, zu verwenden als Matte oder Granulat.
Unserer Meinung nach hat sich gefriergetrockneter, PES-sterilisierter allogener Knochen z.B. vom Deutschen Institut für Zell- und Gewebeersatz (DIZG) für verschiedene augmentative Indikationen als sehr gut geeignet erwiesen (Osteograft, Vertrieb über ARGON MEDICAL). Als vorteilhaft zeigt sich die Disponibilität. Jegliche Quantität und Darreichungsform kann mühelos erworben werden. Im Gegensatz zum autologen Knochen wird die Dauer der Operation verkürzt, der Blutverlust vermindert und – zumindest beim Beckenkamm als Donorregion – die Möglichkeit einer alleinigen lokalen Anästhesie ermöglicht.28,29 Im Gegensatz zu xenogenen Transplantaten erfolgt ein beschleunigtes Remodelling, ein 100-prozentiger Umbau des Knochens ohne Persistenz von Fremdmaterial.28,30 Die Reduktion der Morbidität aufgrund des Wegfallens der Entnahmestelle, die einfache Handhabung sowie die deutliche Reduktion der Kosten für den Patienten lassen uns die Verwendung von allogenen Knochentransplantaten als Neuinterpretation des Goldstandards sehen.31 Das einzigartige Sterilisationsverfahren des DIZG (Peressigsäure-Sterilisation) lassen ebenso alle Bedenken bezüglich einer möglichen Kontamination oder Krankheitsübertragung verschwinden.32–35
Kasuistik
Folgender Fall soll die einfache Handhabung von rhBMP-2 als Zusatz zu einer Augmentation verdeutlichen (Abb. 1 bis 14). Hier wurde aus ästhetischen Gründen eine Kieferkammaugmentation nach Verlust der beiden oberen, mittleren Schneidezähne vorgenommen (Rot-Weiß-Ästhetik bei hoher Lachlinie). Steriles Wasser wird in der Packungsbeilage entsprechender Dosierung dem BMP-haltigen Pulver beigemischt, vorsichtig geschwenkt und dann direkt dem Träger beigemischt.
Eine Zugabe von Blut zum Erreichen der optimalen Konsistenz kann vorgenommen werden, aber erst nach vollständiger Aufnahme der Flüssigkeit vom Trägermaterial. Zu viel Blut könnte das BMP-Gemisch vom Trägermaterial verdrängen. Wir verwenden grundsätzlich Implantate mit stabiler Konusverbindung und Platform Switching (z.B. ICX templant, medentis medical GmbH) im augmentierten Knochen, da wir uns vom mikrobewegungsfreien Interface im leicht subkrestalen Bereich und vom dünnen Emergenzprofil eine zusätzliche Gewebesicherheit versprechen.
Resümee
Der Nutzen von rhBMP-2 bei augmentativen Maßnahmen ist vielversprechend, die Anwendung einfach. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die Dosis und Applikationsmöglichkeiten zu optimieren. Eine Originalpackung InductOs® ist relativ teuer und von der Menge deutlich zu groß für eine mittelgroße Augmentation (12mg). Wir beziehen das Präparat von einer Apotheke, die unter sterilen Bedingungen eine Verteilung der Originalpackung in mehrere kleine Portionen vornimmt (ca. 0,7–0,8mg, Mühlen Apotheke, Nienburg). In der Literatur wurden Mengen an rhBMP-2 von 0,7 bis 1,7mg als deutlich ausreichend belegt.23,36,37 Zu beachten ist die derzeitige Off-Label-Verwendung, eine zahnmedizinische Indikationsstellung und Zulassung kann aber erwartet werden.
Autoren: Dr. med. dent. Phillip Wallowy, Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Dorow
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.