Implantologie 28.09.2011

Ein neues Gesicht für Tsehaye



Ein neues Gesicht für Tsehaye

Durch ein riesiges Ameloblastom war die 21-jährige Tsehaye aus Äthiopien jahrelang entstellt. Der Tumor, der zu wachsen begann, als Tsehaye neun Jahre alt war, hatte letzt­endlich einen Durchmesser von 20 Zentimetern und wog 5,8 Kilogramm. In ihrer Heimat konnte ihr nicht geholfen werden. Im August 2010 begann für sie ein neues Leben.

Das riesige Ameloblastom, das Tsehaye’s Gesicht entstellt hatte, wurde in der Klinik für Mund-, Kiefer- und ­Gesichtschirurgie (MKG) der Universität München entfernt. Um die Operation zu ermöglichen, startete die KZV Bayern einen Spendenaufruf, an dem sich auch eine große Münchner Tageszeitung sowie die KZV Niedersachsen beteiligten. Vierzehn Stunden dauerte der Eingriff, an dem zwei Operationsteams beteiligt waren. Geleitet wurde er von den Professoren Michael Ehrenfeld und Carl Peter Cornelius.

Die zahntechnische Versorgung

Solch eine technische Herausforderung wird einem Dentallabor selten gestellt. Bei dem Eingriff haben die Ärzte nicht nur den Tumor entfernt – sie formten zudem einen Ersatz für den zerstörten Unterkiefer aus dem ­Wadenbein. Es wurden zehn Straumann-Implantate gesetzt. Aufgrund der neu gestalteten Kieferform entsprach die Position der Implantate nur annähernd dem Verlauf der Oberkiefergegenzähne. Um aus der gegebenen Ausgangssituation eine ästhetisch ansprechende Versorgung zu gestalten, war künstlerische Kreativität gefragt. Eine definierte Schlussbissfindung war für Tsehaye praktisch unmöglich.

Vorbereitung eines neuen Unterkiefers

Frau Dr. Julia Wolschner von der Münchener Uniklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie lieferte uns zunächst eine Vorbissnahme, um die Relation der beiden Kiefer zueinander zu bestimmen, sowie die Abformung der zehn Implantate und mit einem individuell angefertigten Löffel. Wir bereiteten in unserem Labor in Essen die Modelle und die Artikulation vor und modellierten eine Brücke aus lichthärtendem Kunststoff, um zunächst ein Gefühl für die Kieferrelation und Größenverhältnisse der anzufertigenden Brücke zu bekommen. Das ästhetisch sehr positive Ergebnis dieser provisorischen Brücke hat uns sehr gut gefallen. Anfangs gab es große Bedenken, ob eine ästhetisch ansprechende Lösung mit festsitzendem Zahnersatz möglich sei oder eine herausnehmbare teleskopierende Versorgung indiziert wäre. Mithilfe eines Straumann Positionierungssets wählten wir die idealen Implantataufbauten mit den entsprechenden Angulierungen zum Ausgleich vorhandener Disparallelitäten aus.

3-D-Scan und Modellierung

In unserem Partnerlabor in Izmir erstellten wir ein Scan des Implantatmodells und der Aufbauten. Dies gestaltet sich sehr schwierig, da der Scanner jedes einzelne ­Abutment vollständig scannen muss, um es später in das Gesamtbild einfügen zu können. Die Abbildung des Zahnfleischverlaufes und die exakte Einhaltung der Gingivatangierung durch die Brückenglieder zur bestmöglichen Parodontalhygienemöglichkeit waren für uns von großer Bedeutung. Bei einem gesägten Modell wären wichtige Anteile des Zahnfleischverlaufes nicht mehr nachzubilden gewesen; daher arbeiteten wir bei Tsehaye auf einem ungesägten Modell. Nachdem uns die Scandatei vorlag, modellierten wir mithilfe einer CAD/CAM-Software drei Vollkunststoffbrücken aus weißem Material, die in unserer Zirkonfräsanlage gefräst und anschließend poliert wurden. So ­hatten wir zur Ästhetik und Bissüberprüfung schon eine genaue Vorstellung des möglichen Endergebnisses.

Die zum Einsetzen der Implantataufbauten sehr wichtigen Implantatschlüssel haben wir mit unserer EOS Sinterlaseranlage aus NEM angefertigt, da diese die höchs­te Präzision liefert und eine exakte Positionierung des Abutments gewährleistet. Die Ästhetik der Arbeit gefiel Frau Dr. Wolschner und Tsehaye sehr. Die Mittellinie und die notwendige Länge und Stellung der Frontzähne ­waren exakt getroffen.

Fertigstellung der Brücken

Auch die Passung der Brücken konnte in diesem Stadium schon überprüft werden und war mehr als zufriedenstellend. Daraufhin präzisierte Frau Dr. Wolschner den Biss mithilfe der eingesetzten Frontzahn-Kunststoffbrücke als Referenz, sodass wir zur Erstellung der endgültigen Brückenversorgung genauste Vorgaben hatten. Auf die Zahnfarbe und bewusste Farbkontraste zur optischen Korrektur des unvermeidbaren Kreuzbisses auf der rechten Seite wurde sehr viel Wert gelegt. Dabei war der Aspekt einer folgenden PZR mit Politur der Oberkieferzähne bei der Farbwahl mit bedacht.

Um einen reibungslosen Verlauf der Produktion und ein erfolgreiches Eingliedern der fertigen Arbeit zu gewährleisten, flog ich in unser Partnerlabor nach Izmir und begleitete die Arbeit vom ersten bis zum letzten Schritt. So konnte ich gewährleisten, dass alle Schritte genau nach Wunsch eingehalten wurden und das Ergebnis so ausfiel, wie es sich alle Beteiligten für Tsehaye gewünscht hatten.

Tsehaye bekommt neue Zähne

Der Tag des Einsetzens war der 8. Juni 2011. Tsehaye war die freudige Aufregung, endlich wieder eigene Zähne zu bekommen, förmlich anzumerken. Zunächst mussten die Implantataufbauten mit einem Drehmomentschlüssel in ihre endgültige Position gebracht werden. Dies gelang Frau Dr. Wolschner trotz der schwierigen Bedingungen, die durch die eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit der Kiefergelenke von Tsehaye bedingt waren, sehr gut.

Das anschließende Einsetzen der Brücken gelang sofort ohne Nachkorrekturen und war ein sehr emotionaler Moment. Sowohl die Passung der Brücken als auch der Biss waren perfekt. Auch mit der Zahnfarbe konnten die Behandler vollkommen dem Patientenwunsch entsprechen. Die Mittellinie der Frontzähne sowie die Seitenzahnverzahnung stimmen überein. Als Tsehaye in den Spiegel blickte, lächelte und dann  das wahrscheinlich einzig ihr bekannte deutsche Wort „DANKE“ sagte, war allen klar, dass dies die Mühen wert waren. Die Erleichterung nach erfolgreicher Beendigung dieser anspruchsvollen Restauration war nicht nur Frau Dr. Wolschner, sondern auch mir ganz sicher anzumerken. Für Tsehaye hat sich nach einigen Operationen ein ­Lebenstraum erfüllt. Sie sieht nicht mehr entstellt aus, sondern strahlt mit ihrem neuen Gesicht sehr viel Wärme und Lebensfreude aus. Es folgen noch kleinere Schönheitskorrekturen, wie die Straffung des Gewebes im Kinn- und Lippenbereich. Nun beginnt die Endphase ihrer bisher äußerst erfolg­reichen Behandlung.

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