Implantologie 19.09.2011
Lebensqualität im Alter durch Implantate
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Der demografische Wandel macht sich auch in der Zahnarztpraxis bemerkbar. Entsprechend der Struktur unserer Gesellschaft wird der ältere Patient zu einer wichtigen Zielgruppe der zahnärztlichen Prothetik und der Implantologie. Viele ältere Menschen erfreuen sich noch bis ins hohe Alter bester Gesundheit und haben auch ihre Erwartungen bezüglich der Funktion ihrer Zähne oder ihres Zahnersatzes.
Diese Gruppe der „jungen Alten“ ist nicht mehr bereit, auf Lebensqualität beim Essen zu verzichten und hat auch klare Vorstellungen über die Ästhetik des Mundes und der Zähne. Aber auch die Gruppe der Hochbetagten und damit oft auch multimorbiden Patienten wächst und muss in der zahnärztlichen Praxis adäquat versorgt werden.
Die Prophylaxeprogramme der letzten Jahrzehnte und die Bereitschaft unserer Patienten zur Annahme dieses Angebotes hat eine deutliche Veränderung des Mundgesundheitszustandes der älteren Bevölkerungsgruppe mit sich gebracht. So ist der Zahnverlust bei 65- bis 74-jährigen Senioren von 1997 bis 2005 um durchschnittlich 3,4 Zähne, von 17,6 Zähnen auf 14,2 Zähne zurückgegangen (Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie, DMS IV, Micheelis/ Schiffner 2006). Gleichzeitig stieg jedoch die Prävalenz von parodontalen Erkrankungen im gleichen Zeitraum bei der identischen Gruppe um 23,7 Prozent von 64,1 Prozent auf 87,8 Prozent an.
Die umfangreichen Kenntnisse über die
Zusammenhange zwischen der Parodontitis und bedeutsamen
allgemeinmedizinischen Erkrankungen, wie Diabetes oder koronale
Erkrankungen, macht die Parodontalbehandlung in jeder zahnärztlichen
Praxis zu einer Pflichtaufgabe. Damit ergaben sich neue
Herausforderungen für die zahnärztliche Praxis mit der konsequenten Integration
der Parodontalbehandlung und insbesondere einer strukturierten professionellen
Prophylaxe in den Praxen.
Neben der erfreulichen Entwicklungen der zunehmenden Gesundheit der älteren Bevolkerung ist aber auch die Gruppe der pflegebedürftigen Menschen angestiegen. Für diese Gruppe muss auch ein Betreuungs- und Behandlungskonzept in jeder Praxis individuell erarbeitet und gelebt werden.
Gerade die Pflege der Zähne und des Zahnersatzes stellt eine besondere Herausforderung für die betreuenden Helfer, sei es in der Familie oder in stationären Einrichtungen, dar. Dieser Gesichtspunkt sollte daher bei der Behandlungsplanung bei der Versorgung des älteren Patienten bedacht sein.
Anforderungen an eine
Gerontoprothetik
Die Behandlungsstrategie fur die Versorgung des zahnlosen Kiefers sollte verschiedenen Regeln folgen. Als Erstes und Wichtigstes ist das Behandlungsziel gemeinsam mit dem Patienten zu entwickeln. In der Praxis kennen wir die Situationen, dass Patienten um die Unterfutterung oder Erneuerung ihre Prothesen nachfragen, da sie mit dem Halt unzufrieden geworden sind. Die Aussagen wie "vor 20 Jahren hat die Prothese so gut gehalten" hören wir täglich.
Hier beginnt die Vermittlung medizinischer Zusammenhänge uber die fortschreitende Atrophie des Kieferkamms bei Zahnlosigkeit und Druckbelastung durch die Prothese (Abb. 1). Als zweites, wenn man in die Beratung über mögliche Alternativen zur Totalprothese einsteigt, hört man dann "Lohnt sich das überhaupt noch für mich, ich weiß ja nicht, wie lang ich noch da bin". Hier gilt es, behutsam die Argumente für eine implantatprothetische Versorgung zu vermitteln. Die Zunahme der Lebensqualität nach einer adäquaten Versorgung ist so bedeutend, dass es im Aufklarungsgespräch gelingen muss, dies zu vermitteln. Hier heißt es Ängste nehmen vor dem chirurgischen Eingriff, vor Komplikationen, aber auch die wirtschaftliche Situation des Patienten zu beachten.
Ob die Vorstellung einer High- End-Versorgung nach multiplen Knochenaufbauten und festsitzendem Zahnersatz der Einstieg ein Aufklärungsgesprach sein sollte, wage ich zu bezweifeln. Der Schwerpunkt sollte auf einfachen, schnell umsetzbaren und auch wirtschaftlich verträglichen Versorgungen liegen. Die Einfachheit bezieht sich auf die Durchführung der Chirurgie und der prothetischen Versorgung, aber auch auf die Handhabung des Zahnersatzes.
Die Entnahme und das Einsetzen der Prothese sollte auch bei einer eingeschränkten manuellen Fähigkeit, zum Beispiel verursacht als Folge eine Schlaganfalls, dem Patienten mit wenig Übung gelingen. So sollte auch das Säubern der Prothese für den Patienten oder sein Pflegepersonal leicht möglich sein. Nicht jedem Patienten gelingt es so gut wie dieser 94-jährigen Patientin, ihre Prothese zu säubern (Abb. 2). Unter schneller Umsetzbarkeit verstehe ich den Verzicht auf nicht unbedingt notwendige chirurgische Begleitmaßnahmen.
Der betagte Patient zeigt oft eine gewisse Ungeduld, die auch nachvollziehbar ist. Die Frage ist wirklich erlaubt, welchen Sinn eine zweizeitige Augmentation mit Sinuslift macht, wenn vom ersten chirurgischen Eingriff bis zur Eingliederung des Zahnersatzes über ein Jahr vergeht. Man muss Realist genug sein, dass die Zeit, die Lebenszeit, hier ein besonderes Gut ist. Ebenso muss natürlich die allgemeinmedizinische Verfassung des Patienten in die Planung integriert werden.
Der multimorbide Patient bringt uns eine ganze Liste von Befunden und der mehrfachen Anzahl von Medikamenten mit. Hier können sich klare Kontraindikationen ergeben, zum Beispiel bei Zustand nach Bestrahlungen des Kiefers, aber auch ein vernünftiges Zeit- und Eingriffsmanagement bei Patienten, die beispielsweise blutverdünnende Medikamente nehmen müssen.
Ein nicht zu unterschatzender Faktor ist die wirtschaftliche Komponente. Die realen Einkommen vieler hochbetagter Rentner lassen nicht viel Spielraum für Kaufentscheidungen offen. Auch wenn ein gewisses Vermögen vorhanden ist, treibt viele dieser Altersgruppe der Gedanke um, a) kann ich mir eine eventuell notwendige Pflege später leisten, ohne zum Empfänger von Sozialleistungen zu werden, und b) kann ich meiner Familie noch eine Hinterlassenschaft bieten? Dies sollte man auch in die Planung und in die Gesprächsführung bewusst einflechten.
Strategie für den
zahnlosen Unterkiefer
Der zahnlose Unterkiefer ist in der konventionellen Totalprothetik eine der größten Herausforderungen an den Zahnarzt und sein Labor. Aber auch bei gewissenhaftestem Vorgehen und Anwendung jeglicher Spezialkonzepte gelingt es beim stark atrophierten Kieferkamm kaum, einen funktionell befriedigenden Zahnersatz zu inserieren. So ist folglich in dieser Situation die Integration von Implantaten extrem sinnvoll.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Versorgung mit einer festsitzenden prothetischen Lösung von der Altersgruppe der unter 50-jährigen bevorzugt wird. Hier spielen Faktoren wie eine bessere Stabilität, aber auch psychologische Faktoren eine entscheidende Rolle. Mit zunehmendem Lebensalter wird eine herausnehmbare Lösung bevorzugt. Hier werden Argumente wie die bessere Reinigungsmöglichkeit, aber auch die bessere Ästhetik der perioralen Weichgewebe genannt.
Auch die notwendige Anzahl der Implantate wurde in einigen Studien untersucht. So konnte gezeigt werden, dass die auf vier Implantaten abgestützte Deckprothese eine hohere Patientenzufriedenheit im Vergleich zu einer auf zwei Implantaten abgestützten Prothese ergab. Dieser Unterschied ist jedoch in Bezug auf Kauvermogen, Stabilität, Zufriedenheit und Komfort so geringfügig, dass eine Versorgung mit einer Deckprothese auf zwei Implantaten abgestützt propagiert werden kann. Der Einsatz allein von zwei anterioren Implantanten kann so schon eine enorme Steigerung der Lebensqualität bringen.
So haben wir in unserer Praxis als absolutes Basiskonzept die Versorgung des zahnlosen Unterkiefers mit zwei Implantaten, der späteren Versorgung mit Locatoraufbauten und einer Deckprothese formuliert. Zur Bestimmung der Implantatposition und zur Vermeidung von intraoperativen Überraschungen, wie ein vertikal unzureichendes Knochenangebot (Abb. 3), fertigen wir paroperativ ein DVT an. Es folgt die Implantation von zwei Implantaten, hier von zwei tioLogic (DENTAURUM Implant) Implantaten (Abb. 4 und 5), die eine hohe Primarstabilität aufweisen. In diesen Fallen bevorzugen wir eine transgingivale Einheilung, indem wir Gingivaformer einbringen, die epigingival liegen sollen (Abb. 6).
Dieses Vorgehen hat zwei Vorteile. Erstens wird damit kein chirurgischer Zweiteingriff notwendig, was beispielsweise bei Patienten, die blutverdünnende Medikamente nehmen und vor jedem operativen Eingriffe substituieren mussen, sinnvoll ist. Auch spart dieses Vorgehen dem Patient die Kosten für die Freilegung.
Zum zweiten beginnen wir mit der Herstellung des definitiven Zahnersatzes bereits zwei Wochen nach der Implantatinsertion. Da der Zahntechniker die Lage der Implantate und damit der späteren Locatoren erkennen kann, ist es möglich, ein gegossenes Basisteil schon zu diesem Zeitpunkt zu fertigen. Unser Ziel ist es, sechs Wochen nach der Implantation den implantatretinierten Zahnersatz fertiggestellt zu haben.
Strategie für den zahnlosen Oberkiefer
Im Oberkiefer ist oft der Leidensdruck nicht so hoch wie im Unterkiefer. Die obere Totalprothese zeigt zumeist einen deutlich besseren Halt als eine untere Prothese, zudem kann hier eine Verbesserung der Haftung durch die Verwendung eines Prothesenklebers erreicht werden. So sehen wir die Integration von Implantaten als Möglichkeit zur Schaffung einer gaumenfreien Versorgung. Auch hiermit kann eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden, da das Fremdkörpergefühl reduziert wird und der Geschmackssinn dem Patienten zurückgegeben wird.
Zur Abtützung einer gaumenfreien Deckprothese inserieren wir vier Implantate in einer möglichst distalen Region der ehemaligen Prämolaren und im Bereich der Eckzähne (Abb. 7). Damit kann eine möglichst flachige Abstützung erfolgen und eine harmonische Aufstellung der Zähne im Frontzahnbereich vorgenommen werden.
Zahlreiche Studien haben belegt, dass vier Implantate eine ausreichende Anzahl darstellen. Die Wahl der prothetischen Verankerungselemente ist ein sehr individuelles Geschehen aus der Situation beim einzelnen Patienten, aber vor allem auch aus der Erfahrung und Präferenz des Behandlers. Die wissenschaftliche Datenlage erlaubt kaum klare Richtlinien für eine Entscheidungsfindung. So hatten wir ursprünglich individuelle Stege aus einer hochgoldhaltigen Legierung bevorzugt (Abb. 8). Aufgrund der hohen Neigung einer Plaqueakkumulation, insbesondere unter den Stegen, und des enormen Goldpreises haben wir dieses Verfahren verlassen.
Als Standardversorgung verwenden wir seit Jahren erfolgreich teleskopretinierte Deckprothesen (Abb. 9 und 10). Die Teleskope sind gut zugänglich und reinigungsfähig. Die Sekundärteleskope in der Prothese stellen bei der Reinigung eine größere Herausforderung dar. Hier empfehlen wir den Patienten oder ihren Betreuern die Verwendung von Ultraschallbädern.
Momentan untersuchen wir den Einsatz von gefrästen Stegen aus einer Chrom-Kobalt-Legierung (Abb. 11 und 12). Das Material scheint uns aufgrund seiner Eigenschaften und natürlich auch des Preis-Leistungs-Verhältnisses für geeignet. Auch stellen wir eine deutlich geringere Plaqueanlagerung unter den Stegen fest, was vermutlich auf die hohe Präzision der gefrästen Stege zurückzuführen ist.
Fazit
Der angemessene Einsatz von Implantaten im zahnlosen Kiefer und die Versorgung mit implantatretinierten Deckprothesen führen zu einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität unserer Patienten. Die Konzepte sollten durch ihre Einfachheit bestechen, einfach im chirurgischen Handling, einfach in der prothetischen Versorgung und vor allem einfach im Gebrauch für den Patienten und Betreuer sein. Eine Beratung über implantatretinierte Versorgung im zahnlosen Kiefer muss heute aus medizinisch-ethischen Gründen, aber auch aus forensischen Gründen stets erfolgen. Auch für den nicht implantchirurgisch tätigen Zahnarzt stellt die prothetische Versorgung mit implantatgestützten Deckprothesen eine beherrschbare und sehr befriedigende Tätigkeit dar und bringt zufriedene und dankbare Patienten.