Kieferorthopädie 12.04.2017

„Der Nutzen wiegt Zeit und Aufwand auf“



„Der Nutzen wiegt Zeit und Aufwand auf“

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Der Gedanke an eine abdruckfreie KFO-Praxis ist längst Realität geworden. Manche Praxis verfügt sogar über einen eigenen 3D-Drucker. Jedoch müssen vor Integration solcher Technologien einige Aspekte in Betracht gezogen werden. Dr. Edward Lin erläutert im KN-Interview, welche das sind.

Wie unterscheiden sich Intraoralscanner aus Sicht des Behandlers?

Dies ist wirklich eine sehr tiefgreifende Frage. Wir intraoralscannen in unseren Praxen seit Februar 2004, um SureSmile® zu nutzen. Im Laufe der Jahre hat sich die Intraoralscanner-Technologie auf sprunghafte Weise signifikant verbessert. So stellt das Intraoralscannen meiner Meinung nach einen Impulsgeber in der Zahnmedizin dar und verändert die Art, wie wir heute praktizieren, komplett. Wir nutzen derzeit drei 3Shape Trios 3 Pod Intraoralscanner in unseren Praxen und planen, mindestens noch einen bzw. wenn möglich, sogar noch zwei weitere Scanner in diesem Jahr anzuschaffen. Das Ziel für all unsere Praxen ist es, auf eine abdruckfreie Kieferorthopädie umzustellen und ich gehe davon aus, dass wir Ende 2017 diesem Ziel sehr nahe sein werden. In den letzten vier Jahren haben wir zudem begonnen, das Intraoralscannen für die Erstellung von Retainern, die Alignerbehandlung sowie Phase I-Apparaturen zu nutzen. Es gibt verschiedene Gründe für die Integration von Intraoralscannern in die kieferorthopädische Praxis:

a) Aus Sicht der Patienten hassen diese Abdrücke. Das ist nicht zu unterschätzen. Wie viele von uns haben schon Patienten gehabt, die während der Abdrucknahme entweder würgen oder sich in der Praxis erbrechen? Wenn so etwas in der Praxis passiert, stellt das kein schönes Erlebnis für den Patienten dar, zudem ist es nicht gerade förderlich für die Praxis. Außerdem werden solche Patienten ihre Erfahrungen mit der Familie sowie Freunden teilen, und in der heutigen Welt höchstwahrscheinlich auch in den Social Media­-Netzen.

b) Klinische Effizienz. Für mich ist die Technologie des Intraoralscannens dort, wo sie sich heutzutage befindet, absolut beeindruckend. Mit unseren 3Shape Intraoralscannern schaffen wir es momentan, zwei Zahnbögen in ca. einer Minute zu scannen. Der Scanprozess ist heute schneller als die Zeit, die es braucht, einen Alginatabdruck zu nehmen. Zudem fallen die ganzen anderen Dinge, welche mit der Abdrucknahme verbunden sind (z. B. Mixen, Säubern, Aufräumen) weg.

c) Laboreffizienz. Dies ist für mich ebenfalls schwer zu beantworten. Mit dem Intraoralscan müssen wir uns um ungenaue Abdrücke keine Sorgen machen. Es gibt kein Model, das beim Ausgießen Blasen bekommt. Das Trimmen der Modelle entfällt und wir müssen uns keine Sorgen machen, dass das Modell brechen könnte. Unsere Intraoralscans können sofort hochgeladen bzw. an ein externes Labor (wie z. B. SureSmile®) für die Herstellung von Alignern und dreidimensional gedruckten Klebetrays übertragen werden. Unsere Retainer fertigen wir alle im eigenen Praxislabor auf Grundlage von 3D­-Modellen, sodass wir einen Retainer bei Bedarf binnen weniger Stunden vorliegen haben. Wir haben unsere Intraoralscans auch schon zur Fertigung von GNE­-Apparaturen verschickt. Jedoch ist es unser Ziel, irgendwann in diesem Jahr in der Lage zu sein, alle kieferorthopädischen Apparaturen inklusive Phase I­ Apparaturen auf Grundlage von intraoralen Scans in unse­rem KFO­-Labor zu realisieren. Der uns derzeit dabei limitierende Faktor ist unsere 3D­ Druck­-Kapazität. So haben wir deswegen gerade zwei weitere 3D­-Drucker für unser KFO-­Labor angeschafft (insgesamt sind es damit jetzt vier) und zwei Labortechniker eingestellt – einer soll unser 3D­ Druck­-Spezialist werden und der andere hilft uns dabei, die Maschinen am Laufen zu halten.

d) Aus Sicht des Behandlers glaube ich, dass die folgenden Aspekte die wichtigsten sind, die alle Kieferorthopäden von einem Intraoralscanner erwarten: 1) Einen Intraoralscanner, der preisgünstig ist, 2) unheimlich schnell ist, 3) eine hohe Auflösung hat, 4) ohne Puder auskommt, 5) eine kurze Regenerationszeit hat, sodass er sofort wieder einsatzfähig ist, und 6) klein und portabel ist, sodass er problemlos innerhalb der Praxis bewegt bzw. von einer Praxis in die andere transportiert werden kann.

e) Die letzte Komponente bezüglich Ihrer Frage stellt schließlich die Software dar. Ich glaube, dass ist unterschiedlich zu betrachten und hängt davon ab, was die jeweiligen Absichten für den Einsatz eines Intraoralscanners sind. Haben Sie eine Praxis, die alles an Firmen wie Invisalign®, Clear Correct® oder SureSmile® oder an kieferorthopädische Labore auslagern möchte, damit diese dann sämtliche Apparaturen für Ihre Praxis fertigt, benötigen Sie wirklich nur die Basissoftware, die mit dem Intraoralscanner geliefert wird, da diese dann lediglich für den Datentransfer benötigt wird. Möchten Sie hingegen Aligner in Ihrer Praxis fertigen, indirekte digitale Bracket­-Set­ups, 3D­gedruckte indirekte Klebetrays sowie Phase I ­Apparaturen in der eigenen Praxis realisieren, dann benötigen Sie zusätzliche Software, die jene Intraoralscandaten entsprechend verarbeiten kann. Die zwei Softwareprogramme, mit denen ich hauptsächlich arbeite, sind Ortho AnalyzerTM (Fa. 3Shape) und Ortho Studio (Maestro 3D).

Wie lange benötigt eine erfahrene Assistenz für einen Intraoralscan (OK/UK und Bissrelation)?

Das ist eine ausgezeichnete Frage, denn die Menge an Zeit, die für das Training einer Technologie investiert wird, muss hinsichtlich des Aufwandes für die Integration dieser Technologie in der Praxis mit berücksichtigt werden. Die Antwort auf diese Frage ist: „mit ein bisschen Übung nicht sehr lang“. Ich kann Ihnen hierzu ein Beispiel liefern, wie es sich Ende letzten Jahres in unserer Praxis zugetragen hat. Wir hatten gerade eine neue Assistenz von einer anderen KFO­-Praxis übernommen. Sie kam aus einer Praxis, die noch mit Papierkarteikarten arbeitete und noch immer PVS­-Abdrücke für Alignerbehandlungen nahm. Insofern hatte unsere neue Mitarbeiterin keine vorherige Erfahrung mit dem Intraoralscannen. An ihrem vierten Arbeits­- bzw. Übungstag in unserer Praxis scannte sie mit dem Trios Scanner einen Oberkiefer unter Anleitung eines unserer „Trainer“ in nur zwei Minuten. Unser Ziel ist es, dass unsere Assistentinnen beide Kiefer in ca. einer Minute scannen und ich bin davon überzeugt, mit lediglich ein paar mehr Scans Übung werden sie unsere Erwartungen erfüllen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es hierfür auch einer Assistenz bedarf, die willens ist, diese Technologie anzunehmen und nicht deren Einsatz scheut. Wir sind in der Vergangenheit auf dieses Problem gestoßen und ich kann nur dazu raten, sich sofort mit diesem auseinanderzu­ setzen. Anderenfalls, wenn mit solch einer Situation nicht korrekt umgegangen wird, kann das erhebliche Kosten bedeuten. Ich kann Ihnen sagen, dass jene Assistentinnen, die sich der Integration des Intraoralscannens in unserer Praxis verweigerten, heute nicht mehr für uns tätig sind.

Welches sind die Vorteile eines 3D­-Druckers im täglichen Praxisworkflow?

Die Vorteile eines praxisinternen 3D­-Druckers sind, dass man in der Lage ist, ein 3D-­gedrucktes Modell oder eine Apparatur fertigen zu können, ohne den Auftrag an ein externes Labor oder einen externen Anbieter geben zu müssen. Dies sollte dazu führen, dass man eine schnellere Durchlaufzeit bezüglich des Modells bzw. der herzustellenden Apparatur hat, zudem fallen die Versandkosten weg. Jedoch, da die Termine für einen Intraoralscan in unserer Praxis signifikant angestiegen sind, hat dies längere Durchlaufzeiten bei unseren 3D­-Druck­-Aufträgen verursacht, sodass wir viele Druckaufträge in der Warteschleife hatten. Infolge dessen haben wir gerade zwei zusätzliche 3D­-Drucker für die Praxis erworben, um den Druckaufträgen schneller gerecht werden zu können.

Welchen 3D­-Drucker würden Sie für den täglichen KFO-­Praxisbetrieb empfehlen?

Wir haben momentan zwei Envision TEC Vida 3D­Drucker in Betrieb, welche mit DLP-­Technologie (Digital Light Processing) arbeiten. Davor hatten wir schon zwei Jahre lang 3D-­Drucker von Envision TEC in unserer Praxis, die ich absolut empfehlen kann, da sie wahre „Arbeitstiere“ für uns darstellen. Der Genauigkeitsgrad und die Druckzeit sind ausgezeichnet für all unsere Aligner und Retainer.

Wir hatten zunächst ein paar Probleme mit den 3D­-Druckern, doch diese wurden mit Envision TEC gelöst und ich muss zugeben, dass dies alles in einem sehr kleinen Zeitrahmen erfolgte. Ich glaube, dass der Support eines Unternehmens – egal, um welchen technischen Anbieter es sich handelt – hier eine wichtige Komponente bei der Integration dieser Technologie darstellt. Wie erwähnt, haben wir uns gerade zwei zusätzliche 3D­-Drucker angeschafft, um unseren Anforderungen entsprechen zu können. Wir haben uns dazu entschieden, diesmal zwei andere 3D-Dru­cker anzuschaffen, da wir weitere, derzeit in der Zahnmedizin ver­fügbare 3D-Druck­Technologien kennenlernen wollten. Die 3D­-Drucker, die wir uns zugelegt haben, sind zum einen der Stratasys Orthodesk 3D-­Drucker, wel­cher die Polyjet­-Drucktechnologie nutzt, und zum anderen ein Form­labs Form 2 3D­-Drucker, der die Stereolithografie­ 3D-­Druck­-Technologie nutzt. Momentan befinden wir uns noch in der Installierungs- und Trainingsphase, sodass ich hinsichtlich dieser neuen beiden 3D­-Drucker noch keine Empfehlung geben kann.

Der Grund, warum wir zwei verschiedene 3D-­Drucker mit unterschiedlichen dreidimensionalen Drucktechniken gekauft haben, ist, weil ich mehr über die drei Hauptverfahren des 3D-­Drucks (Digital Light Processing, Stereolithografie und Polyjet), die momentan in der Zahnmedizin Anwendung finden, erfahren wollte, um diese wirklich beurteilen zu können.

Wie viele gedruckte Modelle pro Monat sind erforderlich, um den sogenannten „break even“ bei dieser Investition zu erreichen?

Vor der Anschaffung unserer ersten 3D­-Drucker haben wir unsere Intraoralscan­/STL-­Daten zum 3D-­Druck an ein externes Labor geschickt. Die Kosten für jedes gedruckte 3D­-Modell betrugen zwölf Dollar zzgl. Versandkosten. Die Kosten für einen unserer Envision TEC Vida 3D­-Drucker inklusive aller Steuern, Installierungs- und Schulungskosten betrugen rund 35.000 Dollar. Wir haben in 2016 rund 4.000 Modelle 3D gedruckt, wobei sich die Kosten für den Druck eines Modells über rund acht Dollar bzw. den Druck aller Modelle über 32.000 Dollar beliefen. Hätten wir all unsere 4.000 Modelle zum 3D­-Druck an ein externes Labor gegeben, wären dies Kosten von rund 50.000 Dollar inklusive Versandkosten gewesen. Demzufolge haben wir 2016 etwa 18.000 Dollar durch unseren In­House­ 3D­-Drucker gespart. Insofern wird sich unser 3D­-Drucker über einen Zeitraum von zwei Jahren amortisiert haben.

Der derzeitige Aufwand für intraorales Scannen und 3D­-Druck nimmt bei uns etwa 65 Prozent der Praxiszeit in Anspruch, und wir nehmen in ca. 35 Prozent der Zeit noch immer Abdrücke. Daher werden unsere 3D­-Druck­-Ansprüche definitiv weiter steigen und dementsprechend wird unsere Ersparnis weiter wachsen, da wir uns zu einer komplett abdrucklosen Praxis mit internen 3D­Druckern entwickeln. Dies berücksichtigt zudem nicht die Ersparnis der Kosten für Gips etc., welche sich in unserer Praxis auf 5.000 Dollar jährlich belaufen. Die Kosten für unseren zweiten Envision TEC 3D-­Drucker habe ich in meiner Kostenaufstellung bewusst außen vorgelassen, da wir diesen gerade erst vor rund einem Monat in Betrieb genommen haben.

Erweist sich ein 3D­-Drucker wirklich als profitabel, wenn wir die Anschaffungskosten des Geräts, die Kosten für Verbrauchsmaterialien und insbesondere die Mitarbeiterzeit mit berücksichtigen?

Ich denke, dass wenn Sie einen internen 3D­-Drucker regelmäßig verwenden, Sie einige Ersparnisse/Einnahmen über einen Zeitraum von fünf Jahren erzielen werden. Ich betrachte einen 3D­-Drucker als ein Gerät mit einer Lebensdauer von fünf bis sieben Jahren und dann muss er aufgrund normaler Abnutzung und technischer Verbesserungen ersetzt werden. Er ist quasi wie ein Computer. Die Technologie entwickelt sich nur weiter, um besser zu werden. Die Kosten für Verbrauchsmaterialien laufen weiter und sind sehr leicht auf Basis des Auslastungsgrades im Verhältnis zur Kostenersparnis kalkulierbar.

Bezüglich der Mitarbeiterzeit glaube ich, dass dies lediglich ein Verschieben der Verantwortlichkeiten darstellt. Und zwar von der Zeit, die sich unser Labortechniker im Nassraum mit dem Gießen und Trimmen der Modelle nimmt, zum vergleichbaren Maß an Zeit am Computer mit dem Aufrüsten des 3D-­Druckauftrags, anschließendem Reinigen/Aufräumen und Organisieren der 3D-­gedruckten Modelle. Wir evaluieren derzeit, unseren 3D-­Druckservice für andere lokale Zahnärzte zugänglich zu machen, damit diese z. B. ihre chirurgischen Schablonen für dentale Implante drucken können, was zu einem unglaublich großem Markt geworden ist. Dies könnte uns eventuell in Zukunft helfen, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Jedoch arbeiten wir momentan noch daran. Nach meiner vorsichtigsten Schätzung, gehe ich davon aus, dass wir über einen Zeitraum von fünf Jahren rund 50.000 Dollar sparen könnten, wenn wir unsere Intraoralscan­/STL­Daten nicht an ein externes Labor geben. Das ist keine riesige Summe, jedoch der Nutzen würde Zeit und Aufwand aufwiegen. Zudem sind unsere Patienten der Meinung, dass es unglaublich cool ist, dass wir einen In­House­-3D-­Drucker haben. Jede Woche unterhalte ich mich regelmäßig mit Erwachsenen und Teenagern über das 3D­ Drucken. Dies stellt wirklich ein großartiges Marketingtool dar, das unseren Patienten signalisiert, dass wir an der Spitze des
Technologiewandels stehen, der ein höheres Versorgungsniveau und einen besseren Service für unsere Patienten bietet. Wie wertvoll ist das?

Haben Sie vielen Dank für das Interview.

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