Kieferorthopädie 21.06.2016
Intraoralscanner und digitalisierter Workflow in der KFO
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Digitale Scanner haben in den letzten Jahren vermehrt ihre Einsatzbereiche in der Zahnmedizin gefunden und werden hier seit Jahren für präzise Abformungen und die Herstellung von exakten prothetischen Arbeiten genutzt. Nur der Bereich KFO hinkte bislang ein wenig hinterher.
Nun kommen wir auch in der Kieferorthopädie in einer voll digitalisierten Welt an, da nicht nur die Anforderungen an Präzision in der Herstellung kieferorthopädischer Apparaturen steigen, sondern auch der Anspruch auf Genauigkeit, Schnelligkeit und virtuelle Animation wächst, angetrieben von der heutigen Generation von Patienten, die mit Smartphones und Animationen aufwächst. Für unsere jungen Patienten ist der Einsatz von Computern, digitalen Bildern und Behandlungsanimationen eine Selbstverständlichkeit. Diese Mechanismen können und müssen daher bald auch aus forensischen Gründen in der KFO Einzug finden.
Warum Intraoralscanner?
Für unsere Praxis war 2015 klar, dass die Digitalisierung vor der rein kieferorthopädischen Praxis nicht Halt machen wird, da auch die Krankenkassen beginnen, digitale Modelle von niedergelassenen Kieferorthopäden anzufordern. Daher haben wir die Anschaffung eines Modellscanners und intraoralen Scanners abgewogen. Vorerst haben wir uns auf die Suche nach einem passenden Intraoralscanner gemacht, da uns dies eine Erleichterung und Beschleunigung der Arbeitsabläufe in der KFO versprach. Nach genauer Marktanalyse entschieden wir uns aufgrund der hohen Genauigkeit (nur 0,1 % Genauigkeitsfehler bei einem Ganzkieferscan) und des zurzeit kleinsten Scankopfes für den 3M True Definition Oralscanner. Einen weiteren Vorteil sahen wir in der kabellosen Einbindung über WLAN in unser Netzwerk und in der freien Wahlmöglichkeit zwischen geschlossenen bzw. offenen Workflows. Bei der geschlossenen Übertragung werden die Scandaten direkt vom Scanner über sichere Verbindungen (Trusted Connections) an verschiedene Empfänger übertragen. Voreingestellt als Empfänger sind hier Invisalign®, das TMP Center für IncognitoTM-Apparaturen bzw. andere 3M-Labore. Die Empfängerliste lässt sich aber auf selbst gewählte Kooperationslabore, wie z. B. CA DIGITAL, ausweiten. Beim offenen Workflow kann man die STL-Dateien von einer Cloud-basierenden Datenbank (3M Connection Center) herunterladen und frei weiterverarbeiten, beispielsweise im OnyxCephTM.
Als Nachteil schien uns anfänglich die obligatorische Anwendung des Puders, doch stellte sich nach der ersten Demonstration heraus, dass dies nicht vergleichbar ist mit dem Einsatz von Puder bei anderen Produkten. Um das richtige Scannermodell zu finden, wurde mit mehreren Herstellern ein Reality Check vereinbart, das heißt, ein Patient sollte vor Ort in unserer Praxis gescannt werden, damit wir den tatsächlichen Zeitaufwand und die Handhabung lebensnah beurteilen konnten. Dies war für die Trainerin von 3M keine Herausforderung und sie demonstrierte mit Leichtigkeit einen Scan an einer Angstpatientin, für die eine Präzisionsabformung für eine linguale Apparatur unvorstellbar war. Die Dame hatte Angst vor allen Gegenständen und Materialien, die zur oralen Untersuchung und Analyse benötigt werden. Weder Puder (sensorisch für den Patienten kaum wahrnehmbar) noch der Scankopf führten zu Würgreizung. Sehr hilfreich war auch die Möglichkeit, jederzeit eine kleine Pause machen zu können, was bei einer herkömmlichen Abformung unmöglich ist. Die Einführungsschulung dauerte einen Vormittag, und hier lernten unsere Assistentinnen den richtigen Scanpfad und Workflow mit dem Oralscanner. Die Lernkurve ist steil und der Umgang mit der Hand-Scankopf- und Auge-Bildschirm-Koordination für unsere jungen, Smartphoneaffinen Assistentinnen keine Herausforderung. Im Gegenteil – sie haben Spaß am schnellen Scan (ein Scan dauert heute pro Kiefer zwischen drei und fünf Minuten) und mit der anschließenden Präsentation am Touchscreen, was für die Patienten schlussendlich immer einen Wow-Effekt darstellt.
Scanablauf – digitale Abformung
OptraGate Wangen-/Lippenhalter (Ivoclar Vivadent) haben sich gut für die Trockenlegung beim Intraoralscan bewährt, aber auch herkömmliche Wangenhalter können verwendet werden. Es folgt die Applikation einer dünnen Pulverschicht mit der 3M-Pulverpistole, die ein gleichmäßiges und schnelles Auftragen ermöglicht. Der Scanprozess verläuft nach vorgegebenem Scanpfad, der sehr leicht erlernbar ist. Hierbei können verschiedene Scanpositionen, auch eine 12-Uhr-Position, eingenommen werden, je nach Vorliebe des Mitarbeiters. Der Prozess kann jederzeit unterbrochen, im Scanverlauf kann zurückgespult und der Scan ergänzt werden. Oberkiefer und Unterkiefer werden getrennt erfasst, dann erfolgt die Zusammenführung durch die Registrierung des Bisses, wobei beidseitig bukkal ein kleines Scanareal ausreichend ist. Nach Abschluss kann die Aufnahme auf dem Touchscreen präsentiert bzw. auf Vollständigkeit und Richtigkeit des Bisses geprüft werden. Bei Erkennung von Scanfehlern oder Datenlöchern kann beliebig nachgescannt werden. Die Daten werden dann direkt vom Oralscanner aus via Unitek Treatment Management Portal an das Ziellabor übermittelt. Lernkurve und Scanerfahrung steigen sehr schnell und verkürzen zunehmend die Scanzeit. Es hat sich als wertvoll herausgestellt, den Scan in einem nicht zu hellen Raum durchzuführen, da aufgrund der Lichtsensibilität des Scanners die Datenerfassung durch direkte Lichtquellen negativ beeinflusst und verlangsamt werden kann.
Welche Einsatzbereiche in der KFO?
Diagnostik
Unser langfristiges Ziel ist es, die herkömmliche Abformung und Modellherstellung weitgehend aus unserer Praxis zu verbannen. Die Herstellung, der Umgang und die jahrelange Lagerung von Modellen stellt logistisch eine zeitaufwendige Herausforderung dar. Auch der Versand von Gipsmodellen zu Kollegen/Kieferchirurgen bzw. zu den Krankenkassen in herkömmlicher Weise ist oft mit einer hohen Fehlerquelle verbunden. Digitale 3-D-Modelle eröffnen hier einen ganz neuen Zugang in KFO-Workflows. Wir nutzen die OnyxCephTM-
Planungssoftware (Image Instruments) zur 2-D- und 3-D-Analyse und Archivierung aller kieferorthopädischen Patienten. Dieses Programm ist über eine VDDS-Schnittstelle in unsere Praxisverwaltungssoftware eingebettet. Standardisiert werden alle intraoralen/extraoralen Fotos, Panoramaröntgen und Fernröntgen gegliedert in Befundsitzungen gespeichert. Die vom True Definition gescannten 3-D-Modelldaten werden im STL-Format automatisch in einer Cloud-basierenden Datenbank (3M Connecion Center) gespeichert, sind frei zugänglich (offener Workflow) und werden ins OnyxCephTM importiert. Dort werden die Modelle beschnitten, getrimmt und segmentiert. So stehen sie für eine Vielzahl von digitalen Modelanalysen zur Verfügung. Hervorheben möchte ich hier die Möglichkeit der digitalen IOTN-Klassifizierung, die in Österreich seit der Einführung der „Gratiszahnspange“ an Bedeutung gewonnen hat.
Invisalign®
Wir arbeiten mit dem Invisalign®-System als Alignertherapie. Hierfür haben wir früher Präzisionsabformungen gemacht und via UPS versandt. Die Verwendung unseres Scanners stellt eine enorme zeitliche und logistische Arbeitserleichterung im Arbeitsablauf gegenüber einer herkömmlichen Silikonabformung dar. Früher kam es schon Mal vor, dass eine Abformung nach der Digitalisierung von Align Technology als mangelhaft eingestuft wurde, dies aber am Abdruck nicht ersichtlich war und wir die Abformung wiederholen mussten. Dies bedeutete auch aufgrund des erneuten Versandes eine enorme zeitliche Verzögerung und zusätzliche Arbeitsschritte. Seit wir den neuen Oralscanner verwenden, können die Ober- und Unterkieferscans sowie Okklusion direkt am Touchscreen visuell auf Vollständigkeit und Richtigkeit geprüft und gegebenenfalls sofort ergänzt werden. Seither gibt es keine Wiederholung von Abformungen mehr in unserer Praxis. Die Daten werden über eine Direktverbindung (Trusted Connection) mit nur ein paar Klicks vom Oralscanner an Align Technology versandt. Die Zeitspanne dieses Arbeitsablaufes beträgt nun für die digitale Abformung inklusive Präsentation und Erklärung für den Patienten und Übertragung nur mehr wenige Minuten. Die digitale Abformung steht dann automatisch auf der Invisalign®-Behandler-Website zur Weiterverarbeitung bereit.
Die Passgenauigkeit der Schienen ist mit denen, die nach dem alten Verfahren hergestellt worden sind, nicht zu vergleichen. Auch Refinements und Mid-Course-Corrections werden so schnell und effizient umgesetzt. Das Arbeiten mit diesem Alignersystem hat an Geschwindigkeit gewonnen und macht durch die gezeigte Kontinuität und dem gut umgesetzten digitalen Workflow mit dem ClinCheck® mehr Spaß. Es ist aus unserem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken. Wir haben auch den iTero Scanner von Align Technology auf der Suche nach dem für uns passenden Oralscanner in Erwägung gezogen. Dieser hat gewiss auch Vorteile, wie z. B. das Arbeiten ohne Puder und spezielle Features bei der Arbeit mit Invisalign®. Da in unserer Praxis jedoch die Lingualtechnik mit dem IncognitoTM Appliance System einen großen Schwerpunkt darstellt, hat sich beim Praxistest die Effizienz des kleinen True Definition Scankopfes vor allem bei Malokklusionen mit schmalem Frontzahnbereich oder geringer Mundöffnung bei jungen Patienten gezeigt, sodass sich bei uns letztendlich der 3M True Defintion Oralscanner durchgesetzt hat.
Incognito™
Die individualisierte Herstellung von Brackets und Bögen bei der lingualen Behandlung mit IncognitoTM stellt bei allen Arbeitsabläufen sehr hohe Ansprüche an die Präzision. Da wir es hier meist mit sehr anspruchsvollen und Ästhetikaffinen Erwachsenen zu tun haben, müssen wir der gesteigerten Erwartungshaltung von einer sehr guten Passgenauigkeit und einem perfekten Endergebnis nachkommen bzw. die Behandlung visualisieren. Der Qualitätsunterschied zur herkömmlichen Silikonabformung ist uns erst wirklich seit der Implementierung des 3M True Defintion Scanners bewusst geworden. Es gab früher Situationen, bei denen das Silikon-Übertragungstray nicht hundertprozentig an manchen Stellen in situ saß. Die Passungenauigkeit jedoch war so gering, dass man dies während der Anprobe nicht feststellen konnte, da das Silikontray undurchsichtig ist. Erst beim Bonding zeigte sich dann das Problem. Seit der Verwendung des Intraoralscanners in Kombination mit dem durchsichtigen IncognitoTM Clear Precision Tray haben wir keine Klebefehler mehr und eine stark verbesserte Passgenauigkeit der Apparatur. Dies macht sich insbesondere bei der Reduktion der Anzahl von Feineinstellungen in der Finishingphase und dadurch in einer verkürzten Behandlungszeit positiv bemerkbar. Eine weitere große Arbeitserleichterung bringt der Oralscanner bei der nachträglichen Bestellung von Brackets für Zähne, die initial in der Abformung nicht erfasst werden konnten, z. B. impaktierte Eckzähne oder nur teilweise durchgebrochene 7er. Hier war früher die konventionelle Präzisionsabformung mit Silikon bei einem Kiefer mit einer vorhandenen IncognitoTM-Apparatur in situ eine aufregende Angelegenheit. Nun werden die neu durchgebrochenen Zähne einfach neu gescannt und vom betroffenen Kiefer genügt ein schneller Übersichtscan.
MEMOTAIN- Sublingualretainer
Eine festsitzende Retention ist ein wichtiger Bestandteil nach abgeschlossener KFO-Behandlung, vor allem nach der Auflösung von anterioren Engständen. Die digitale Planung und Herstellung von CAD/CAM-gefertigten Lingualretainern überzeugt durch ihre interdentalen Einziehungen und deren Passgenauigkeit. Sie werden aus Nitinol hergestellt und ermöglichen auch eine Platzierung bei eingeschränkten okklusalen Platzverhältnissen in der Oberkieferfront. Nach einem schnellen Ober- und Unterkieferfrontzahn- und Biss-Scan lassen sich die Platzverhältnisse gut beurteilen, und der passgenaue, inaktive Lingualretainer kann auch über eine direkte Trusted Connection Verbindung zu CA DIGITAL direkt vom Oralscanner aus – ohne zusätzliche externe Dateienverarbeitung – weitergeleitet werden.
3-D-Modelldruck
Direkte Übertragung von Modelldaten an ausgewählte Labore, die 3-D-Modelle drucken und dann z. B. auch herkömmliche, herausnehmbare Zahnspangen darauf herstellen, machen auch hier bisherige Alginatabformungen überflüssig. Diesen Anwendungsbereich haben wir zu Beginn der Anwendung des Oralscanners gar nicht in Betracht gezogen, bis eine achtjährige Patientin mit ihren Eltern vorstellig und die Abformung mit herkömmlichem Alginat aufgrund schlechter Erfahrung abgelehnt wurde. Daher kam unser neuer Oralscanner zur Anwendung und es konnte problemlos ein Scan von einem sehr kleinen Kiefer angefertigt werden. Auch hier stellte sich der Einsatz eines kleinen Scankopfes unter Beweis, da man sonst den schmalen Zahnbogen nicht hätte erfassen können.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Effizienz und Effektivität des Oralscanners unseren Praxisalltag bereichert. Natürlich entwickelt sich der Scanner-Markt rasant weiter und wir können in Zukunft sicherlich mit noch schnelleren und optimierten Modellen rechnen.
(Originalartikel erschienen im dental journal austria, Nr. 03/2016)