Kieferorthopädie 15.03.2022
Korrektes Trimmen von Twin-Block-Aufbissen
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Zur Behandlung falscher Bisslagen steht seit nunmehr 45 Jahren der von Dr. William J. Clark entwickelte Twin-Block zur Verfügung – ein aus zwei herausnehmbaren Platten bestehendes Therapiegerät zur Korrektur von Distal- oder Mesialbissen. Bis heute erfreut sich die weltweit erfolgreich eingesetzte funktionskieferorthopädische Apparatur großer Beliebtheit, wobei die Erzielung optimaler Behandlungsergebnisse stets eng mit dem korrekten Einschleifen der Aufbissblöcke zur Bisshebung verbunden ist. Doch was genau ist dabei zu beachten, damit die Bisskorrektur perfekt gelingt?
Die Frage nach dem korrekten Trimmen der Twin-Block-Apparatur wurde von deren Anwendern bei Fortbildungen mit Dr. William J. Clark immer wieder gern an den Geräteentwickler selbst gerichtet und von diesem ausführlich beantwortet. So manche klinischen Kniffe sowie wertvolle Tipps hatte dieser dann parat und gab sie gern mit all seinen langjährigen Erfahrungen an die (zumeist jungen) Kollegen weiter. Leider können die ungebrochen stark nachgefragten Kurse mit ihm coronabedingt schon seit längerer Zeit nicht mehr wie in der Vergangenheit stattfinden. Zu risikoreich wäre für den Experten die Reise nach Deutschland. Da der Wissensdurst rund um den Einsatz des Twin-Blocks jedoch ungebrochen groß ist, möchte der Autor dieses Artikels seine Erfahrungen weitergeben, die er in den letzten 15 Jahren intensiver Zusammenarbeit mit dem Twin-Block-Erfinder sammeln konnte.
Bevor auf das korrekte Trimmen der Blöcke zur Bisshebung eingegangen werden kann, soll zum besseren Verständnis der Grundlagen dieses Prozesses zunächst ein detaillierter Blick in die Literatur erfolgen.
Zusammenhang von Tiefbiss und Spee’scher Kurve bei der Klasse II-Behandlung
Bei nahezu 20 Prozent der Kinder wird ein Tiefbiss von mehr als 5 mm festgestellt, wobei die Prävalenz von Region zu Region unterschiedlich ist.1 Ein stark ausgeprägter Tiefbiss kann erhebliche Probleme verursachen, sich unter anderem negativ auf das Kiefergelenk auswirken, parodontale Erkrankungen hervorrufen oder die Schneidezahnpapille traumatisieren.2 Zudem ist er mitunter Ursache von psychologischen Problemen, die wiederum zu physischen Beeinträchtigungen führen. So berichten betroffene Patienten von Kopfschmerzen, nächtlichem Zähneknirschen, Kiefersteifheit oder einem „Klingeln“ in den Ohren.3 Proffit1 stellte einst fest, dass bei 25 Prozent der europäischen Bevölkerung ein starker Zusammenhang zwischen einem Tiefbiss und der Prävalenz einer skelettalen Klasse II besteht. Kumari et al.4 wiesen in ihren Untersuchungen signifikante positive Zusammenhänge zwischen Speeʼscher Kurve, sagittaler Frontzahnstufe und dem Tiefbiss nach. Auch Kumar und Tamizharasi5 zeigten diese Korrelationen. Folgt man ihren Studien, führt 1 mm Molarenextrusion im Ober- bzw. Unterkiefer zu einer effektiven Tiefbissreduktion um 1,5 bis 2,5 mm. Zudem wiesen sie darauf hin, dass eine tiefe SpeeKurve es nahezu unmöglich machen könne, ein Klasse I-Eckzahnverhältnis zu erreichen. Des Weiteren lehrten uns Kubein-Meesenburg et al.6, dass der tiefste Teil der Spee’schen Kurve der untere erste Molar sei. All diese Erkenntnisse gilt es bei der Korrektur von Klasse II-Malokklusionen mit Tiefbiss zu berücksichtigen.
Zur Behandlung von Klasse II-Fällen mit Tiefbiss stehen neben dem Twin-Block heute zahlreiche Therapiegeräte zur Verfügung. Ein kurzer Blick auf den Bionator zeigt uns dabei, dass wir mit dem Twin-Block auf dem richtigen Weg sind. In ihrer Erörterung der Bionator-Modifikationen verweist Janson7 auf die Arbeiten von Harvold8 sowie Harvold und Vargervik9. Diese nutzten die Seitenzahn-Aufbissfläche des Bionators, um eine Verlängerung der oberen Molaren zu verhindern, indem sie diese im Bereich der unteren Molaren trimmten. Somit konnten sie die Abflachung der Spee’schen Kurve fördern und den Biss erhöhen. Diesem Wirkprinzip folgt auch der Twin-Block. Sein Einsatz bewirkt nicht nur die Überbisskorrektur. Aufgrund des Gerätedesigns wird zudem eine Verlängerung der unteren ersten Molaren und so die Abflachung der Speeʼschen Kurve und Korrektur des Tiefbisses erreicht.10
Ein kurzer Blick auf den Konstruktionsbiss
Bevor das Trimmen der Blöcke besprochen werden kann, sollte kurz auf den Konstruktionsbiss eingegangen werden, da dieser letztlich deren korrekte Positionierung bestimmt. Die Erstellung des Konstruktionsbisses ist Chefsache und sollte am Patienten mit genügend Zeit und Sorgfalt erfolgen, schließlich ist dieser ausschlaggebend für die Fertigung der Twin-Block-Apparatur und somit den Behandlungserfolg. Bei Klasse II/1-Fällen empfiehlt Clark10 im Konstruktionsbiss eine Protrusion des Unterkiefers um bis zu 10 mm. Die Front steht dabei Kante zu Kante bei einer vertikalen Öffnung von 2 mm. Das entspricht einer Öffnung von 5 bis 6 mm im Bereich der ersten Prämolaren und 3 mm im Bereich der Molaren. Ehrenfeld et al.11 hingegen schlagen eine Vorverlagerung des Unterkiefers von nicht mehr als 7 mm vor, während Fränkel12 in solchen Fällen 3 mm als optimale Protrusion im Konstruktionsbiss ansieht. Schopf13 empfiehlt die „Einstellung des Unterkiefers auf die gewünschte Okklusionsposition (normalerweise in neutraler Okklusion = Klasse I) ohne Überkompension“.
Die richtige Positionierung der Aufbissblöcke
Was die korrekte Positionierung der oberen und unteren Aufbissblöcke betrifft, liegt der Schlüssel zum Erfolg in der posterioren Kante des unteren Blocks begründet. Dieser sollte sich laut Clark10 optimalerweise distal zum bukkalen Höcker des unteren zweiten Prämolaren oder des Milchmolaren erstrecken und kurz vor dem distalen Randkamm enden. Der Autor neigt dazu, diese Vorgabe für seine Techniker folgendermaßen zu formulieren: „Der untere Block sollte sich nicht über das letzte Drittel des unteren zweiten Prämolaren hinaus erstrecken oder im letzten Drittel des Milchmolaren enden“ (Abb. 1). Diese Positionierung ermöglicht ein optimales Trimmen der Twin-Block-Aufbissflächen, sodass sich der untere erste Molar verlängern kann – vorausgesetzt, der Durchbruch wird nicht durch eine falsche Platzierung von Halteklammern in diesem Bereich behindert.
Klinisches Management
Nun haben wir endlich unsere Vorarbeit geleistet und können detailliert auf das Trimmen an sich eingehen. Vorab muss an dieser Stelle noch einmal deutlich darauf hingewiesen werden, dass sich ein Abweichen von den in der Literatur empfohlenen Aktivierungsprotokollen negativ auf das angestrebte Therapieergebnis auswirken kann.
Hinsichtlich der Justierung und dem klinischen Management von Twin-Block-Fällen gibt Clark10 folgende Empfehlungen: Nach der Erstanpassung der Apparatur sollte sich der Patient zunächst zehn Tage an das Gerät gewöhnen, einschließlich des Essens mit Twin-Block im Mund. Danach sollte er damit beginnen, die Schrauben wöchentlich um eine Vierteldrehung zu aktivieren. Der obere Aufbiss sollte in dieser Phase so weit getrimmt werden, dass ein Abstand von 1 bis 2 mm zu den unteren Molaren entsteht, damit diese ungehindert durchbrechen können (Abb. 2). Damit sich der Patient bei der Aktivierung der Expansionsschrauben wohler fühlt, schlägt der Autor vor, die von Clark vorgeschlagene Aktivierung zu teilen und die Schrauben zweimal wöchentlich (Mitte und Ende der Woche) um jeweils eine Achteldrehung weiterzustellen.
Nach vier Wochen sollte der nächste Kontrolltermin mit entsprechender Anpassung erfolgen, anschließend reicht ein sechswöchiges Intervall. Zur Überwachung des Behandlungsfortschritts sollte der Überbiss bei jedem Praxisbesuch gemessen und der Wert notiert werden. Clark10 empfiehlt das regelmäßige Trimmen der Aufbisse, wobei der Abstand zwischen dem oberen Block und den unteren Molaren so gering wie nötig gehalten werden sollte (Abb. 3). Somit wird sichergestellt, dass die Zunge aus dem posterioren Bereich „herausgehalten“ und der Durchbruch der unteren Molaren nicht durch sie behindert oder gar blockiert wird. Um den Überbiss zu fördern, sind die Aufbisse in der aktiven Phase selektiv zu trimmen.
Clark10 empfiehlt das fortlaufende Trimmen der oberen und unteren Blöcke, bis die gesamte okklusale Abdeckung entfernt ist und die unteren Molaren in Okklusion durchbrechen können. Wichtig ist, dass während der gesamten Trimmsequenz die Vorderkante der schiefen Ebene nach und nach vorsichtig reduziert wird. Nur so kann ein angemessener funktioneller Vorschub gewährleistet werden, bis schließlich der okklusale Kontakt der Molaren erreicht wird (Abb. 4).
Zusammenfassung
Der Twin-Block ist eine effiziente und effektive Apparatur zur Behandlung von Klasse II-Anomalien mit Tiefbiss sowie weiteren Malokklusionen, auf die in diesem Artikel nicht näher eingegangen wurde.
Der Autor hofft, mit diesen Ausführungen ein paar hilfreiche Hinweise zum korrekten Trimmen der Aufbissblöcke geben zu können, die auf den Erfahrungen seiner langjährigen Zusammenarbeit mit dem Geräteentwickler Dr. William J. Clark beruhen.
Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.