Kieferorthopädie 28.02.2011
Effizienter Einsatz lingualer Orthodontie bei rotierten Zähnen
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Innerhalb der Lingualtechnik stellt die Derotation eine mitunter schwer zu lösende Behandlungsaufgabe dar. Wie Rotation und Torque dennoch effektiv und kontrollierbar übertragen und Zähne in ihre Idealposition bewegt werden können, demonstriert folgender Beitrag von Prof. Dr. Rubens Demicheri.
Einleitung
Immer mehr Erwachsene wünschen heutzutage eine kieferorthopädische Behandlung, wobei der Einsatz der Lingualtechnik in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat.1,2 Die biomechanischen Prinzipien für das Bewegen von Zähnen sind dabei unabhängig davon, ob sich die Brackets auf der Labial- oder Lingualseite befinden. Dennoch gibt es Unterschiede hinsichtlich des Kraftansatzes und der Kraftwirkung. Für einige Zahnbewegungen in der Lingual-, aber auch Labialtechnik spielt die Position der Bracketslots einen entscheidenden Einfluss auf die Effizienz einer kieferorthopädischen Behandlung. Wie in der Labialtechnik ist auch bei Einsatz der lingualen Technik das Nivellieren vermutlich die wichtigste Aufgabe zu Behandlungsbeginn. So sollte das Angleichen der Zahnpositionen mit geringen Kräften schnell, akkurat und effektiv erreicht werden.
Anforderung für das Nivellieren:
• Vertikalbewegung
• Bukkal-palatinal-Bewegung (In-out-Bewegung)
• Angulation
• Rotation
Einflussfaktoren auf das Nivellieren:
• adäquater Abstand der Brackets (Interbracketabstand)
• geringe und elastische Kräfte
• vorgeformte Bögen mit Memory-Effekt
Einer der Vorteile von NiTi- und superelastischen Bögen ist, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt der Behandlung slotfüllende Bögen eingesetzt werden können. Verglichen mit der Labialtechnik ist in der Lingualtechnik die Derotation eines einzelnen Zahnes nicht einfach zu erreichen.3 Hierbei sind zahlreiche Punkte zu beachten.
Bewegen von rotierten Zähnen
Das einzige Kraftsystem, mit dem man eine reine Rotationsbewegung erzeugen kann, besteht aus einem Paar parallelen, gegenläufigen Kräften gleicher Größe.4 Das Rotationsmoment ist abhängig vom Kraftmoment. Dies wiederum ist gleich der applizierten Kraftgröße, multipliziert mit dem lotrechten Abstand zwischen der Aktivitätsebene und dem Widerstandszentrum. Diese am Zahn angreifende Kraft führt zu einer effizienten Rotation. In der Labialtechnik ist das Derotieren eines Zahnes möglich, auch wenn das Kraftsystem nicht so exakt platziert ist. In der Lingualtechnik hingegen wirken sich diesbezügliche Fehler wesentlich stärker aus.
Vorgeformte Memory-Bögen in großer, slotfüllender Dimension lassen nicht nur eine gute Kontrolle der Zahnbewegung zu, sondern ermöglichen zudem eine kürzere Behandlungszeit. In der Labialtechnik, verglichen mit der Lingualtechnik, scheint das Nivellieren einfacher und in kürzerer Zeit möglich zu sein (Abb. 1, 2). In der Lingualtechnik bewegt der Bogen die Zähne zwangsläufig in lingualer Richtung.5 Dies ist auch der Grund, warum manche Bewegungen schwieriger zu realisieren sind als in der Labialtechnik. So treten folgende Probleme auf:
• Bei der Rotation bewegen sich die Zähne in oraler Richtung. Dort ist, bedingt durch das geringere Platzangebot auf der Oralseite des Zahnbogens weniger Raum für die Zähne vorhanden (Abb. 3).
• Bedingt durch die geringere Dimension des Zahnbogens ist der Abstand zwischen den Brackets zwangsläufig geringer (Abb. 4).
• Die Kontrolle des Bogens im Bracketslot ist geringer.
Das Kraftmoment wird notwendigerweise durch den geringeren Abstand zwischen den Brackets sowie dem verkürzten Hebel zum Widerstandszentrum bestimmt. Dieser Effekt ist im Unterkiefer durch den noch stärker eingeengten Zahnbogen, insbesondere im Frontzahnbereich (Abb. 4b), noch ausgeprägter.5 In einigen Fällen kann es darum erforderlich sein, zunächst Platz zu schaffen, um dann anschließend in einem zweiten Schritt die Derotation durchzuführen.
Slotposition
Betrachtet man die Derotation als isolierten Schritt, wirkt die Kraft nur in der Horizontalebene. Demzufolge kann bei allen Lingualbrackets mit einem nach oral offenem horizontalen Slot der Bogen aus diesem herausrutschen (Abb. 5). Durch zwei Dinge lässt sich dieser Effekt vermeiden. Erstens, die Ligatur hält den Bogen sicher im Slot und unterstützt die Kraftrichtung, wie dies in der Labialtechnik meist der Fall ist.6 Dieser Effekt hebt sich in der Lingualtechnik jedoch auf, wenn bedingt durch die Kraftrichtung der Bogen aus dem Slot gezogen wird. Verstärkt wird das Problem, wenn mit gering dimensionierten Bögen und damit geringen Kräften gearbeitet wird. In solchen Fällen ist die Derotation in der Nivellierungsphase deutlich erschwert oder gar unmöglich. Abhängig von den verschiedenen Kraftrichtungen und -ansätzen eines lingualen oder labialen Bogens hat die Position des Slots unterschiedliche Konsequenzen. Der horizontale Slot macht in der Labialtechnik weniger Probleme als in der Lingualtechnik. Die meisten Lingualbrackets haben einen horizontalen Slot. Dies bedeutet, dass bei der Derotation der Bogen nur durch die Ligatur im Slot gehalten werden muss. Elastische Ligaturen sind dafür nicht stark genug. Aber auch Stahlligaturen lösen das Problem nicht unbedingt. Selbst milde Rotationsbewegungen können auch bei Stahlligaturen zu Problemen führen. Was ist die Lösung?
Für die Derotation sollte der Slot in Kraftrichtung geschlossen sein (Abb. 6). Im Prinzip könnte ein Röhrchen das Problem lösen. Jedoch machen Röhrchen an allen Zähnen das Einführen des Bogens unmöglich. Ist während der Nivellierungsphase eine Derotation erforderlich, stellt ein vertikaler Slot die Alternative dar. Während der Derotation kommt der Bogen in Kontakt zum Bracketkörper (Abb. 6, 7, 9). Dadurch wird die gesamte Kraft des Bogens komplett auf den Zahn übertragen.
Anderseits bereitet ein vertikaler Slot Probleme in der Nivellierungsphase, wenn vertikale Zahnbewegungen (z.B. Intrusion) erforderlich sind. Hier treten analoge Probleme mit der Übertragung der Kräfte auf, wie bei der horizontalen Kraftrichtung und dem horizontalen Slot.
Die clevere Lösung
Eine befriedigende Lösung für die dargestellten Probleme wäre ein Lingualbracket mit einem vertikalen und horizontalen Slot. Dies wäre eine technische Herausforderung in Anbetracht der Tatsache, dass die Brackets möglichst klein sein sollten.7 Anderseits müssen sie eine Reihe von technischen Eigenschaften bieten. Einen guten Kompromiss hinsichtlich Größe und Funktionalität bieten die magic®-Lingualbrackets (Fa. DENTAURUM). Die magic®-Brackets für die Frontzähne haben einen horizontalen Slot (Abb. 8), bei denen im Gegensatz zu anderen Lingualbrackets der Bogen über einen vertikalen Slot eingeführt wird.8 Befindet sich der Bogen in Position, wird er im horizontalen Slot gehalten. Bei entsprechender Belastung wird der Bogen gegen den Bracketkörper gedrückt und kann nicht aus dem Slot gleiten (Abb. 9). Die Kräfte zur Derotation eines Zahnes werden somit komplett und sicher übertragen. Dies gilt sowohl in der Nivellierungsphase als auch für fast alle vertikalen, bukkal-palatinalen (In-out) und angulierenden Momente.
Im Seitenzahnbereich haben die magic®-Brackets einen vertikalen Slot (Abb. 7). Auch hier werden bis auf eine Ausnahme alle Kräfte sicher auf den Zahn übertragen. Lediglich vertikale Kraftmomente könnten Probleme beim sicheren Halt eines Bogens im Slot bereiten. In einer kompletten Dentition wird es im Seitenzahnbereich, bedingt durch die Okklusionskontakte, kaum Abweichungen in der Vertikalposition geben. Damit sind Nivellierungen in diese Richtung in der Regel nicht erforderlich. Der vertikale Slot bietet – nicht nur in der Lingualtechnik – einige Vorteile, wie eine bessere Torquekontrolle, Rotation und „En masse“-Retraktion (Abb. 10). Des Weiteren lässt sich der Bogen leichter inserieren, da man einen direkten Blick in den Slot hat. Die effiziente Übertragung und Kontrolle von Rotation und Torque erfordert Brackets mit einer möglichst langen mesialdistalen Ausdehnung (Abb. 11).9 Dies verkürzt natürlich den Abstand zwischen den Brackets, was wiederum die Bewegungsfreiheit für den Bogen einschränkt. Eine Lösung oder Minimierung des Problems erreicht man durch den Einsatz von vorgeformten, superelastischen Bögen, wie z.B. den Tensic®-Lingualbogen (Fa. DENTAURUM). Die Slotposition und damit zusammenhängend die effiziente Übertragung der Kräfte wird natürlich auch durch die Position des Brackets auf dem Zahn bestimmt. Dies ist mit einer der Gründe, warum Lingualbrackets immer indirekt geklebt werden sollten. Dies reduziert deutlich Abweichungen in der Rotation und bei den anderen Bewegungen.10
Schlussfolgerung
Die Derotation von Zähnen ist in der Lingualtechnik viel schwieriger zu erreichen als in der Labialtechnik. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Der wichtigste Grund liegt in der Verwendung von Brackets mit einem nach oral offenem horizontalen Slot. Bedingt durch dieses Design ist die Derotation von einzelnen Zähnen oder einer Gruppe von Zähnen schwierig und zeitaufwendig. magic®-Lingualbrackets mit ihrem nach oral geschlossenem horizontalen Slot im Frontzahnbereich verhindern das Herausgleiten des Bogens aus dem Slot. Dadurch werden die Kräfte, insbesondere in der Nivellierungsphase, effektiv und effizient vom Bogen auf den Zahn übertragen.
Zum Artikel „Effizienter Einsatz lingualer Orthodontie bei rotierten Zähnen“ steht auf www.zwp-online.info in der Rubrik „Fachgebiete“ unter „Kieferorthopädie“ eine Literaturliste zum Download bereit.