Kieferorthopädie 14.06.2011

Hightech-KFO höchster Präzision (1)

Im Rahmen eines zweiteiligen Artikels stellt Woo-Ttum Bittner das SureSmile®-System* vor. Während Teil 1 den Prozessablauf bei Anwendung der labialen Multibandtechnik beschreibt, widmet sich Teil 2 dem Einsatz von SureSmile QT® bei Einsatz der Lingualtechnik.

Digitale Kieferorthopädie

„Digital“ ist sicherlich eines der prägendsten Worte zu Beginn dieses Jahrtausends und mit dem Anspruch verbunden, Qualität zu verbessern und Abläufe zu erleichtern. Auch in der Kieferorthopädie gibt es bereits verschiedene Ansätze, in die Behandlung eines Patienten digital unterstützend einzugreifen. Doch auf dem euro­päischen Markt ist bisher kaum bekannt, das bereits seit Jah­ren eine aus­gefeilte digitale Behandlungsmethode für die Mul­tibra­cketthe­rapie existiert, die nachge­wiesen sehr effektiv funktioniert und inzwischen mehr als 300 Anwenderpraxen in den USA, Kanada und Australien aufweist.


Dieser Artikel befasst sich mit der Vorstellung des SureSmile®-Systems und unseren Erfahrungen mit der labialen Anwendung. Im kommenden zweiten Teil wird die lingu­ale Anwendung (Sure­Smile QT®) vorgestellt und ein Vergleich zu herkömmlichen lingualen Behandlungssystemen vorgenommen. Als erste Pilotpraxis außerhalb der USA können wir seit 2007 umfassend über die Erfahrung mit diesem System berichten.

 


SureSmile® und SureSmile QT®

SureSmile ist ein Behandlungssystem für die Multibrackettherapie, mit dem die Bracketposition auf den Zähnen digital erfasst und eine individuelle Behandlungsplanung am 3-D-Computermodell vorgenommen wird. Als Ergebnis dieser Planung wird dann eine Sequenz von robotergefertigten Drahtbögen geliefert, die am Patienten eingesetzt wird. Das System verspricht einmalige Möglichkeiten der Simulationstiefe, ei­ne um durchschnittlich 30% kürzere Behandlungszeit, mehr Präzision im Endergebnis und weniger notwendige Bogenwechsel.

 


Mit diesem System ist es in der Kieferorthopädie erstmals möglich:

• 3-D-Daten des gesamten Gebisses inklusive geklebter Brackets mit einem Scanner intraoral zu erfassen und als digitales 3-D-Modell zu visualisieren (Abb. 1, 3),

• unter Anwendung eines DVT-Scans auch Zahnwurzeln vollständig dreidimensional darzustellen (Abb. 12),

• anhand dieses 3-D-Modells ei­ne Behandlung unter Einbeziehung sämtlicher kieferorthopä­discher Behandlungsoptionen am Bildschirm zu planen, zu simulieren oder zu vergleichen (Abb. 4–6),

• hochgenaue individuelle Draht­bögen mit Biegungen jeglicher Ordnung anzufertigen (sowohl aus superelastischen als auch aus biegbaren Materialien,  und

• zu jedem Zeitpunkt der Behandlung diese beeinflussen zu können.


 

Die Entwicklung

Aus der im Jahre 1996 unter dem Namen „Bending Art“ in Berlin begonnenen Entwicklung eines CAD/CAM-Systems zur Unterstützung der kieferorthopädischen Behandlung entstand das Produkt „SureSmile“. Dahinter stehen inzwischen mehr als 15 Jahre Entwicklung, eine Übernahme der Patente im Jahr 1999 durch die OraMetrix GmbH mit Hauptsitz in den USA und die Finanzierung mit Wagniskapital. Inzwischen beschäftigt die OraMetrix GmbH 110 Mitarbeiter in Dallas und 30 Mitarbeiter in Berlin. Der Start auf dem europäischen Markt ist für 2011/2012 geplant.

Die ersten Schritte

Im Jahr 2007 wurden wir gefragt, die erste Pilotpraxis au­ßerhalb der USA für dieses neue Behandlungssystem zu werden. Dazu war es notwendig, ein viertägiges Training am Hauptsitz in Dallas zu absolvieren. An diesem Training müssen alle Ärzte und Mitarbeiter teilnehmen, die diese Technologie anwenden möchten. An Hardware waren die Ins­tallation eines zusätzli­chen Servers, des Ora­Scanners, als auch einer S-DSL-Hochgeschwindigkeitsleitung für den Datenaustausch mit Dallas notwendig. Der Anwendersupport fand über den Standort in Berlin-Mitte in deutscher Sprache statt.

Das SureSmile-Protokoll

Nachdem die Hard- und Software installiert war, wurden die ersten Patienten mit diesem System behandelt.

1. Auswahl der Brackets
Die Bracketauswahl ist unlimitiert, die Datenbank umfasst alle nur erdenklichen 180- oder 220-Systeme. Sollte doch ein Bracketmodell fehlen, wird es auf Wunsch mit in die Da­tenbank aufgenommen. Der gro­ße Vorteil des Systems ist, dass in der Straight-Wire-Technik beliebige Bracketsysteme oder Bänder mitein­ander kombiniert und in einem Zahnbogen verwendet werden können. Durch die individuelle Bogenherstellung wäre es sogar möglich, unprogram­mier­­te Bracketsysteme zu verwenden. Auch alle selbstligierenden Bra­cketsysteme sind in der Da­ten­bank vorhanden, Anwender des DamonTM-Systems können entsprechende Damon-Bogenformen auswählen.

2. Kleben der Brackets und intraoraler Scan
Das Kleben der Brackets erfolgt so, wie in der Praxis üblich – entweder direkt oder indirekt. Danach kann sofort intraoral gescannt werden. Zum Scannen werden alle Zähne und Brackets mit einem Kontrastmittel bestrichen und danach mit dem Ora­Scanner frei Hand gescannt. Dieser Vorgang dauert ca. 30 bis 40 Minuten und wird von einer dafür qualifizierten Fachassistenz durchgeführt (Abb. 7). Nach dem Scan wird zur initialen Zahnbewegung bis zum Erhalt der Sure­Smile-Drähte ein handelsübli­cher Bogen eingesetzt.

3. Diagnostische Unterlagen
Um dem digitalen Labor in Dallas ausreichend Informa­tionen zu liefern, sind aktuelle Röntgenbilder sowie intra- und extraorale Fotos notwendig.

4. Behandlungsplanung
Etwa fünf Tage nach dem Versenden der Rohdaten bekommt der Behandler ein digitales Set-up-Modell in Okklusion zur Planung zurück (Abb. 3). Die Behandlungsplanung dient als Vorgabe für den Techniker im digitalen Labor und kann anhand von sogenannten „MACROS“ durch den Behandler in kurzer Zeit erledigt werden, oder de­zidierter in der Einstellung sämtlicher gewünsch­ter Bewegungsparameter für jeden einzelnen Zahn oder Kiefersegmente. Als Grundlage hierfür können auch vorher durchgeführte Behandlungssimulationen (Abb. 4) dienen; jeder einzelne Zahn des digitalen Set-ups ist in al­len drei Raumebenen beweglich. Wenige Tage nach dem Versenden der Behandlungsplanung liegt dem Behandler das digitale Ziel-Set-up vor, das entsprechend modifiziert oder bestätigt werden kann (Abb. 5).

5. Bogenbestellung
Die Grundbogenformen, die dem Ziel-Set-up zugrunde gelegt wurden, hat der Behandler  bereits mit der Behandlungsplanung definiert. Auch hier sind alle handelsüblichen Bogenformen verfügbar. Wem das nicht reicht, der kann diese sogar selber individualisieren. Als Bogenqualitäten stehen sowohl superelastische CuNiTi-Legierungen als auch verformbare Legierungen wie Elgiloy, Beta-Titanium etc. in allen Drahtstärken ab .016'' rund bis .019'' x .025'' zur Verfügung. Bei .022''er Slotsystemen kann das Torquespiel automatisch durch kontrollierte Überbiegungen des Drahtes durch den Roboter eliminiert werden. Die Bogensequenz wird individuell durch den Arzt definiert und bestellt, die Bogenanzahl pro Patient ist nicht begrenzt (Abb. 8).

6. Behandlung
Bei zügiger Bearbeitung der digi­talen Behandlungsaufgaben bekommt der Behandler etwa drei bis vier Wochen nach dem intra­oralen Scan die robotergefertigten Bögen zugesandt. Diese werden nacheinander am Patienten eingesetzt. Es empfiehlt sich, Rotationen der Zähne und Lücken vor dem Einsetzen des ers­ten Drahtes soweit wie möglich zu beseitigen. Die Bögen werden wie gewohnt ligiert.

7. Korrekturen
Sollten während der Behandlung ungewollte Zahnbewegungen entstehen oder sich das Behandlungsziel ändern, ist jederzeit das Nachordern von Korrekturbögen oder eine komplett neue Behandlungsplanung möglich.


Kosten

Neben den einmaligen Anschaffungskosten für den Server, den Scanner und die Software fallen noch Unterhaltskosten für den zusätzlichen S-DSL-Internetzugang an sowie eine Fallpauschale von ca. 600€ pro Patient. Diese Pauschale variiert je nach Fallzahl und zusätzlichen Leistungen wie Dauerretainer oder digitalen Modellen, die noch gewünscht sind.


Diskussion

Die Einführung einer so komplexen Technologie wie SureSmile bei laufendem Betrieb in unsere Praxis war eine Kette von kleinen und großen Herausforderungen. Als eine der größten Herausforderungen ist sicherlich die Sprachbarriere zu nennen. Auch wenn gute Englischkenntnisse unter den Ärzten verbreitet sind, so ist doch eine fließend Englisch sprechende Zahnmedizinische Fachangestellte nicht so häufig zu finden.


Die zusätzlichen Scantermine, die speziellen Anforderungen an die diagnostischen Unterlagen und auch das Management der Bogenbestellung erforderten einige Umstellung in der Sprechstunde. Für den Behandler sicherlich gewöhnungsbedürftig ist die prospektive Art des Be­handelns. Er ist gezwungen, die Behandlung von Anfang bis Ende konsequent durchzuplanen, da alle Bögen dafür am Anfang bestellt werden sollten, um sie bei Bedarf vorrätig zu haben.


Ebenfalls verlagert sich ein Teil der Behandlung an den Computer, was entsprechende Anforderungen an das Zeitmanagement des Behandlers stellt. Die Einarbeitung in das sehr komplexe Programm erfordert viel Zeit, eine gewisse Computeraffinität des Arztes ist sicherlich hilfreich. Die Mehrkosten für den Zeit- als auch Materialaufwand von geschätzt insgesamt ca. 800 bis 1.200€ pro Behandlung zusätzlich zu den bereits bestehenden außervertraglichen Leistungen sind dem Patienten nicht immer transparent zu machen. Für den Patienten sind sowohl die bessere Behandlungsqualität als auch eine schnellere Behandlung1 manchmal zu abstrakt.


Aufgrund der vielen positiven Erfahrungen sehen wir SureSmile aber inzwischen bei uns als Vo­raussetzung für komplexe Behandlungen u.a. bei PA-vorgeschädigten Gebissen, präprothetischer KFO, kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirugischen Behandlungen und insbesondere bei lingualen Multibracketapparaturen.
Mit inzwischen mehr als 200 laufenden Behandlungen mit Sure­Smile und SureSmile QT kann man von einer erfolgreichen In­tegration dieser Behandlungs­op­­tion in unser Praxiskonzept sprechen, auch wenn das Ende der Lernkurve für uns noch nicht in Sicht ist.

Klinische Anwendung

Fall 1 (Abb. 9 bis 14)
14-jähriger Junge, Kleben der Multibracketapparatur im Dezember 2007, Entfernen der MB-Apparatur im Juli 2008, Behandlungszeit acht Monate.

Fall 2 (Abb. 15 bis 20)
44-jährige Patientin, Extraktionsbehandlung, Kleben der Multibracketapparatur im April 2008, Entfernung der MB-Apparatur Mai 2009, Behandlungszeit 13 Monate.

Fall 3 (Abb. 21 bis 26)
33-jährige Patientin, Kleben der Multibracketapparatur im Juni 2009, Entfernung der MB-Appa­ratur im August 2010, Behandlungszeit 14 Monate, OP (Unterkiefervorverlagerung und Kinnplastik) erfolgte im März 2010.

1 A.K. Saxe et.al.; WJO 2010; 11; 19–22

Mehr Fachartikel aus Kieferorthopädie

ePaper