Kieferorthopädie 15.08.2011

Hightech-KFO höchster Präzision (2)



Hightech-KFO höchster Präzision (2)

Im Rahmen eines zweiteiligen Artikels stellt Woo-Ttum Bittner das SureSmile®-System* vor. Während Teil 1 (KN 6/2011) den Prozess­ablauf bei Anwendung der labialen Multibandtechnik beschrieb, widmet sich nun Teil 2 dem Einsatz von SureSmile QT® bei der Lingualtechnik.

Linguale Kieferorthopädie

In einer sich demografisch verändernden Gesellschaftsstruktur nimmt die Behandlung von erwachsenen Patienten einen immer größeren Stellenwert ein. Und gerade in dieser Patientengruppe nimmt der Wunsch nach einer möglichst unauffälligen, aber auch sicheren Zahnkorrektur stetig zu. Um so ein Therapieversprechen einzulösen, ist die Behandlung mit einer lingual befestigten Multibracketapparatur oft die einzige Option. Die bisher für die Lingualtechnik verfügbaren Behandlungssyste­me sind für eine geplant verlaufende Behandlung durchaus ausreichend, bieten aber nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, die laufende Therapie bei unvorhergesehenen Änderungen oder Nachkorrekturen in der Feineinstellungsphase aktiv zu beeinflussen.

SureSmile QT®

Als Weiterentwicklung des für die labiale Multibrackettechnik entwickelten SureSmile-Systems bie­tet Orametrix seit 2009 das Produkt SureSmile QT für die Lingualtechnik an. Mit diesem werden neben einer sehr ausgereiften Planungssoftware auch das erste Mal individuelle, dreidimensional gebogene Drähte für die linguale Orthodontie angeboten, die mit jedem im Handel erhältlichen 0.0180 x 0.0220 Slot-Bracket kompatibel sind. Theoretisch ist es somit sogar möglich, ein beliebiges labiales Bracket auf die Innenseite der Zähne zu kleben. Aufgrund der kleineren Bracketdimension empfiehlt es sich jedoch, hier auf speziell für die Lingualtechnik entwickelte Brackets zurückzugreifen. Mit SureSmile QT ist es möglich, sowohl edgewise als auch ribbonwise gebogene Drähte zu verwenden. Die Drähte sind in unterschiedlichen Dimensionen und Drahtqualitäten erhältlich. Das Ziel-Set-up kann vom Behandler auf den Zehntelmilli­meter genau für jeden einzelnen Zahn vorgegeben werden und ist jederzeit auch nachträglich veränderbar. Zusätzlich profitiert die SureSmile QT-Technik von den für die labiale SureSmile®-Technik ermittelten Vorteilen in der Behandlungsgeschwindigkeit als auch von den unzähligen Simulations- und Diagnostikmöglichkeiten des Programms.

Das Behandlungsprotokoll im Jahr 2011

Nach mehr als zwei Jahren praktischer Anwendung des Sure­Smile QT-Systems mit ca. 30 abgeschlossenen und mehr als 200 laufenden lingualen Behandlungen, hat sich das Ablaufprotokoll weiterentwickelt. So haben sich folgende Arbeitsschritte als sinnvoll erwiesen:

1. digitaler Scan des Diagnostikmodells und Erstellung eines digitalen Vor-Set-ups
2. Labor: Platzierung der gewünschten Brackets auf dem digitalen Modell und Berechnung der gewünschten Drähte
3. Labor: Umsetzung der Bracket-Platzierungssimulation am Gipsmodell mit realen Brackets und Herstellung einer Bracketmaske
4. indirektes Kleben der Brackets im Mund und intraoraler Scan der Zahnbögen mit Brackets in situ
5. Insertion eines konfektionierten initialen Drahtes bis zur Lieferung der individu­el­len SureSmile QT-Drähte
6. digitale Planung der Behandlung und Erstellung eines Ziel-Set-ups
7. Bestellung der SureSmile QT-Bogensequenz
8. Insertion der ersten individu­ellen SureSmile QT-Bögen ca. vier Wochen nach dem intra­oralen Scan.

Der SureSmile QT-Draht

Nachdem wir bei den ersten Patienten die Brackets direkt lingual in den Mund geklebt und danach sofort gescannt haben, hat sich gezeigt, dass es bei direktem Kleben in der Unterkieferfront häufig zu Biegekollisionen des Roboters bei der Herstellung der Drähte gekommen ist. Da die Interbracketdistanz dort gerade bei  Verwendung von sehr breiten Lingualbrackets sehr klein wird, ist es manchmal für den Roboter mechanisch unmöglich, die notwendigen Biegungen auf der kurzen Strecke unterzubekommen, was besonders bei größeren Drahtdimensionen der Fall ist. Die Biegungen in den drei Raumdimensionen werden nacheinander in den Draht gebracht, bei superelastischen Materialien erfolgt dabei noch eine thermische Behandlung der entsprechenden Drahtsegmente. Dieses Vorgehen bedingt eine gewisse Wegstrecke zwischen den Bracket­slots. Deshalb empfiehlt es sich besonders bei sehr schmalen Frontzähnen und kurzen klinischen Kronen, die Brackets vorher digital auf den Zähnen zu platzieren und diese Simulation als Vorgabe für die Bracketplatzierung im Labor zu nehmen. So können späte­re Biegekollisionen und Zahn-Bracket-Kontakte vermieden werden.

Die ersten Schritte mit SureSmile QT

Bei der Auswahl der ersten Patienten haben wir uns vorerst nur auf Klasse I-Patienten mit leichten Engständen fokussiert, die unter Umständen mit Set-up-Schienen hätten behandelt werden können. In den USA sieht die Zertifizierung im ersten Schritt sogar nur eine Freigabe der Lingualtechnik für den Oberkiefer vor. Da das linguale SureSmile QT aber hervorragend mit dem labialen SureSmile im Unterkiefer kombinierbar ist, stellt das für die Präzision der  Verzahnung am Ende der Behandlung keinen Unterschied dar. Die Brackets werden einfach digital auf der anderen Zahnseite platziert.

Extraktions- und kombiniert KFO/Chirurgie-Behandlungen mit SureSmile QT

Inzwischen ist auch die Behandlung von Extraktionsfällen kein Problem mehr, da bei den indi­viduellen Bögen einzelne Segmente auf Wunsch des Behandlers gerade gestaltet werden können, sodass ein bogengeführter Lückenschuss möglich ist. Als abschließende Bögen müssen dann nach erfolgtem Lückenschluss wieder voll individualisierte Bögen eingesetzt werden. Mit dem für SureSmile QT ebenfalls verfügbaren Chirurgiemodul können bis zu drei Segmente pro Kiefer gebildet und metrisch exakt zueinander als auch zum Gegenkiefer hin verschoben wer­den. Da die Positionierung der digitalen Kiefer anhand einer Überlagerung mit einer aktuellen FRS- oder DVT-Aufnahme erfolgt, ist eine sehr große Genauigkeit der OP-Simulation gegeben. Die zu bestellende Bogensequenz unterscheidet sich dann entsprechend in präoperative und postoperative Bogenformen. Bei impaktierten oder noch nicht durchgebrochenen Zähnen wird die Zahnbreite des Synergeten als Platzhalter angenommen und ein gerades Bogenstück in dem Bereich durch den Roboter vorgegeben. Nach Durchbruch oder Freilegung des entsprechenden Zahnes kann dieses später geklebte Bracket ohne Probleme umgehend nachgescannt und die neuen Bögen geordert werden.

Kosten

Für die Behandlung mit Sure­Smile QT fallen Kosten von 820,–€ pro Patient an, zu denen noch die Kosten für einen Satz Brackets, die Bracketmaske und den Aufwand für das Scannen hinzugerechnet werden muss. Die Anzahl der bestellten Bögen ist nicht kostenrelevant. In der Summe sind die Kosten etwas niedriger als für die derzeit auf dem Markt erhältlichen ande-ren lingualen Behandlungssysteme.

Linguale Dauerretainer

Ein besonderer Vorteil des Sure­Smile QT-Systems ist, dass die lingualen 3–3-Retainer nach dem entsprechenden digitalen Ziel-Set-up bereits mit den Bögen mitbestellt werden können. Damit liegen die Retainer rechtzeitig zum Entbänderungstermin bereit, was gerade bei der Lingualtechnik sonst nicht ohne Weiteres möglich ist. Die hervorragende Passgenauigkeit die­ser Retainerdrähte ist ein Zeichen der hohen Präzision der erreichten Behandlungsergebnisse. Für die Retainer werden Zusatzgebühren in Höhe von 50,–€ erhoben.

Bewertung im Gegensatz zu anderen Systemen

Aus unserer Sicht ist SureSmile QT derzeit das linguale Bracketsystem, das dem Behandler die beste Kontrolle über die Behandlung gibt. Mit seiner Fle­xibilität und den vielfältigen di­gitalen Simulations- und Kontrollmöglichkeiten ist es einzigartig.
Leider erfordern die Einarbeitung in die Software und der Umgang mit den digitalen Modellen einen erheblichen Zeitaufwand, auch ist die Vielfalt der Einstellungsmöglichkeiten am Anfang für den An­wender etwas erschlagend. Die Me­nüführung erfolgt in eng­li­scher Sprache, gute Englischkenntnisse sind somit Vo­r­aussetzung. Die konfektionierten Brackets sind im subjektiven Vergleich zu den vorher bei uns verwendeten individualisierten Brackets des IncognitoTM-Systems nicht we­niger komfortabel. Sogar die Patienten, bei denen wir in der laufenden Behandlung von IncognitoTM auf SureSmile QT mit konfektionierten Brackets umsteigen mussten, berichten über keine Komforteinbußen.

Behandlungsqualität

Die Behandlungsqualität des digitalen Set-ups wird u.a. nach ABO-Score sofort ermittelt und dem Kieferorthopäden sofort bei jeder Zahnbewegung am digitalen Modell dargestellt. Es steht dem Behandler frei, in welchen engen Qualitätsgrenzen er sein Set-up gestaltet. Eine Untersuchung der ersten zehn Behandlungsabschlüsse in einem digitalen Überlagerungsverfahren an der Charité ergab ei­ne hervorragende Behandlungsqualität. Weitere Untersuchungen laufen.

Zusammenfassung

Nach unserem Umstieg von der modifizierten Hiro-Technik und dem Incognito-System zu Sure­Smile QT haben wir ein enormes Ansteigen unserer Patienten mit Lingualtechnik beobachtet, was vielleicht mit unserem gestiegenen Selbstvertrauen durch dieses hochpräzise Behandlungssystem zu tun hat. Die sehr flexible Anwendung dieses Systems hat das Indikationsspektrum für die Lingualtechnik in unseren Praxen erheblich vergrößert. Die digitale Behandlungsplanung zwingt den Behandler, sich im positiven Sinne vor dem Einsetzen des ersten Bogens Gedanken über den gesamten noch folgenden Behandlungsablauf zu machen. Die einzigartige Möglichkeit, mithilfe eines DVT-Scans auch eine korrekte dreidimensionale Darstellung der Zahnwurzeln zu erhalten, eröffnet völlig neue Ho­rizonte in unserer Behandlung. Sure­Smile QT vermittelt uns, es im Praxisalltag mit einer sehr si­cheren, sehr präzisen und sehr prospektiven Art der kieferorthopädi­schen Behandlung zu tun zu haben.

Klinische Anwendung

Fall 1 (Abb. 4 bis 9)
25-jähriger männlicher Patient, zehn Monate Gesamtbehandlungszeit inklusive OP in beiden Kiefern (OK LeFort 1, UK modifizierte Obwegeser/DalPont).
 

Fall 2 (Abb. 10 bis 15)
25-jährige weibliche Patientin, neun Monate Gesamtbehandlungszeit.
 

Fall 3 (Abb. 16 bis 21)
44-jährige weibliche Patientin, 14 Monate Gesamtbehandlungszeit inklusive OP im Unterkiefer (UK modifizierte Obwegeser/ DalPont).

Mehr Fachartikel aus Kieferorthopädie

ePaper