Oralchirurgie 21.02.2011
Nahtmaterial und Wundheilung
Mit einer Naht soll nach einem operativen Eingriff ein stabiler Verschluss der Weichgewebswunde erzielt werden. Das Nahtmaterial bestimmt den Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung mit. Bei der Wahl des Nahtmaterials muss bedacht werden, dass jede Naht Einfluss auf die Wundheilung und auf das Operationsergebnis hat.
Der Verschluss einer Wunde besitzt bei den unterschiedlichsten chirurgischen Verfahren eine Bedeutung. Gerade in der Implantat- und Parodontalchirurgie (offene Kürettage, diverse Lappenoperationen, gesteuerte Geweberegeneration [GTR] mit Membranen etc.) will die Wahl des Materials genau überlegt sein. Die Naht dient dem festen Verschluss der Wunde nach einem chirurgischen Eingriff und der genauen Repositionierung der Wundränder zueinander, um die primäre Heilung zu unterstützen und zu beeinflussen. Bei ungenügendem Verschluss gelangen Bakterien in die Wunde und verschlechtern das gewünschte Operationsergebnis.
Besondere Bedeutung hat dabei auch die Erhaltung der Durchblutung der Weichgewebslappen. Zusätzlich reduziert der Nahtverschluss den postoperativen Schmerz und verhindert durch einen festen Verschluss eine Hämatombildung. Durch die Nahtführung kann die Adaption eines Lappens in die gewünschte Position manipuliert werden.
Nadel
Auch durch die Nadel wird das Gewebe erheblich verletzt. Seitdem in der Zahnmedizin nur noch atraumatische Nadel-Faden-Verbindungen (kein Einhacken oder Einführen des Fadens in die Nadel direkt vor der Benutzung, sondern Faden wird bereits in das Nadelende eingestanzt geliefert) verwendet werden, hat sich das Trauma durch die Nadel deutlich reduziert. Die Form der Nadelspitze ist schon entscheidend bei der Schonung des Weichgewebes. Dabei ist ausschlaggebend, welche Seite der Biegung der Naht scharf geschliffen ist. Bei innengeschliffenen Nadeln kommt es leicht zum Riss des Gewebes. Bei den heute gebräuchlichsten außen scharf geschliffenen Nadeln ist dies nicht der Fall. Sollte die Nadelspitze durch Knochenkontakt oder falschen Gebrauch von Instrumenten beschädigt werden, sollte die Naht nicht wiederverwendet werden, da der Gebrauch einer stumpfen Nadelspitze das Gewebe zu sehr traumatisiert.
Nahtmaterial
Die Merkmale eines idealen Nahtmaterials sind leichte Handhabung, minimale Gewebsreaktion, hohe Fadenzug- und Knotenbruchfestigkeit sowie hohe Knotensitzfestigkeit. Weiter sollte das Nahtmaterial eine gezielte geringe oder hohe Dehnbarkeit, Flexibilität, bestimmbare Funktionsdauer, geringe Sägewirkung, gutes Gewebegleitvermögen und keine Dochtwirkung zeigen. Zur besseren Sichtverfolgung dienen Schwarz-, Grün- oder Violettfärbung der Nahtmaterialien. Im Frontzahnbereich können jedoch aus kosmetischen Gründen ungefärbte Nähte zur Anwendung kommen. Das Nahtmaterial lässt sich anhand des Fadenaufbaus in polyfile (geflochtene) und monofile und ihrer Resorbierbarkeit nach in resorbierbare und nichtresorbierbare Nähte unterteilen. Ebenso lässt sich das Nahtmaterial in poly- und monofilamenten Fadenaufbau gliedern. Polyfilamente Fäden bestehen aus mehreren Fäden, die miteinander geflochten oder gezwirnt sind. Monofilamente Materialien bestehen aus nur einem Faden. Aus diesem Unterschied ergeben sich unterschiedliche Eigenschaften des Nahtmaterials.
Polyfile (geflochtene) Nahtmaterialien
Seide ist das am meisten verwendete natürliche polyfilamente Nahtmaterial in der Zahnmedizin. Weiter gibt es polyfilamentes Nahtmaterial aus Zwirn, Polyester und Polyglykolsäure. Alle zeichnen sich durch ihre gute Handhabung aus – sie sind biegsamer, geschmeidiger und flexibler, lassen sich gut knoten und haben eine sehr gute Knotensicherheit. Auch zeigen sie eine hohe Reißkraft. Nachteilig ist ihre Neigung zu einer größeren Plaqueansammlung an der Oberfläche und ihre Kapillarität, welche die Eigenschaft bezeichnet, Wasser in den interfilaren Spalten aufzunehmen und weiterzuleiten. Dadurch dringen Bakterien in das Kapillargeflecht ein und können eine Entzündung auslösen. Die eher schwere Gewebsreaktion des polyfilamenten Materials ist darauf zurückzuführen, dass Bakterien und Flüssigkeit in die Tiefe der Wunde befördert werden. Die Entzündung in der Umgebung eines polyfilamenten Fadens ist stärker als bei einem monofilamenten. Muss mit einer Wundkontamination gerechnet werden, sollten keine polyfilamenten, nichtresorbierbaren Fäden verwendet werden. Polyfilamente Nähte, durch ein Gewebe geführt, zeigen eine sägende Wirkung – ein Einreißen innerhalb des Gewebes ist möglich. Dies kann histologisch zu einer heftigeren entzündlichen Reaktion führen. Weiter unterliegen die Nahtmaterialien Seide und Flachs Schwankungen in ihren physikalischen Eigenschaften, da sie aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden. Daher sollten auf Grund ihrer Materialkonstanz synthetische Materialien bevorzugt werden. Bei den polyfilamenten geflochtenen Fäden bilden die synthetischen absorbierbaren Polyfilamente eine Ausnahme. Trotz ihrer Flechtstruktur sind Fadeninfektionen selten und heilen dank des Fadenabbaus aus. Die Gewebereaktionen und die Narbenbildung um den Faden sind im Allgemeinen gering.
Monofiles Nahtmaterial
Das monofile Nahtmaterial hat eine glatte Oberfläche und führt somit zu einer geringeren Plaqueakkumulation. Als Material stehen Stahl, Polyester, Polyamid und Polypropylen zur Verfügung. Sie sind generell glatter, steifer, gleiten leichter durch Gewebe, erzeugen weniger Gewebereaktionen und zeigen eine größere Reißkraft. Allerdings zeigen sie eine hohe Steifigkeit, sind dadurch auch schwieriger zu handhaben und erfordern eine größere Anzahl von Knoten. Homogene Monofilamente besitzen keine Kapillarität und in der Regel ein sehr gutes Gewebeverhalten.
Pseudomonofiles Nahtmaterial
Vom Aufbau her zwischen geflochtenen und monofilamenten Materialien stehend, soll die Beschichtung eines polyfilamenten Nahtmaterials die negativen Eigenschaften der beiden erstgenannten Nahtmaterialien kompensieren. Durch die Ummantelung mit einem impermeablen Material gelingt es, die Kapillarität aufzuheben. Jedoch kann beim Knüpfen der Mantelschutz beschädigt werden, wodurch Wasser und Bakterien doch wieder die Möglichkeit haben, in das Fadeninnere einzudringen. Durch die Beschichtung verringert sich die Sägewirkung des Fadens, es muss aber eine aufwändigere Knotentechnik in Kauf genommen werden.
Resorbierbare Nähte
Resorbierbare Nähte sind die erste Wahl, wenn die Entfernung der Naht schwierig oder unmöglich ist. Die synthetischen absorbierbaren, auf Polyglykolsäurebasis hergestellten Nahtmaterialien, sind den natürlichen und auf Kollagenbasis beruhenden überlegen. Der Abbau von Polyglykolsäuren und Polyglykonat verläuft rein hydrolytisch und gleichförmig bei einer minimalen Gewebeentzündung und geringerer Narbenbildung. Es besteht eine größtmögliche Materialkonstanz. Kurze Resorptionszeiten, wie bei Polyglykolsäuren, führen zu einer reduzierten Fremdkörperreaktion und somit zu einer geringeren Entzündung. Nach 16 bis 18 Tagen beträgt der Halteverlust 50 Prozent und nach 90 bis 120 Tagen sind sie absorbiert. Wegen seiner außerordentlichen Biokompatibilität wird Polyglactin seit 20 Jahren in allen Bereichen der Chirurgie als resorbierbares Nahtmaterial erfolgreich eingesetzt. Bereits nach zwölf Tagen besteht bei schnell resorbierbarem Material keine Reißfestigkeit mehr. Die vollständige Resorptionszeit beträgt zwischen 42 und 70 Tagen. Verwendet werden die resorbierbaren Fäden bei einem versenkten Verlauf der Naht zu einem schichtweisen Wundverschluss, z.B. bei einem subepithelialem Bindegewebstransplantat.
Nichtresorbierbare Nähte
Dies sind Baumwolle, Draht, Seide, Polyester (Mersilene, Dacron), Polyamide, Propylen (Prolene, Surgilene), Polyethylen und Polyester (elastisch). Nichtresorbierbare Fäden unterliegen einer permanenten Fremdkörperreaktion bis zur Abkapselung. Eine Zerstörung oder ein Zerfall der Fadenstruktur (wie Seide, Polyamid) verläuft auch hier, jedoch über einen viel längeren Zeitraum. Im Allgemeinen ist die Intensität der Gewebsreaktion auf Nahtmaterialien von der Art des implantierten Nahtmaterials abhängig. Aber nicht nur die verwendete Substanz, auch die Verarbeitungsform hat Einfluss auf die Stärke der Gewebereaktionen. Leider sind gute Handhabung, Geschmeidigkeit, gutes Gewebegleiten und günstige Knüpfeigenschaften nicht gleichermaßen in einem Nahtmaterial zu vereinen. Gute physikalische Eigenschaften stehen oft nicht im Einklang mit der Gewebeverträglichkeit.
Diskussion
Die Auswahl des Nahtmaterials erfordert auf Grund der hohen Keimbelastung bei dentoalveolären und parodontologischen Eingriffen eine besondere Aufmerksamkeit. Die schnellen Wundheilungsvorgänge, verbunden mit den besonderen immunologischen Mechanismen, bedingen einen natürlichen Schutz vor Fadeninfektionen und den Folgen von Keimverschleppungen. Monofile Nähte sind bei infizierten und infektionsgefährdeten Wunden zu verwenden, da polyfile Nahtmaterialien eine stärkere Keimbesiedlung und eine größere Kapillarität (Dochtwirkung) aufweisen. Die Probleme der schwierigeren Handhabung der monofilen Fäden werden durch die pseudomonofilen, beschichteten Materialien gelöst. Durch Modifikationen der Schnitttechniken versucht man funktionell bessere Ergebnisse zu erzielen, dabei werden aber auch höhere Anforderungen an die Nahttechnik und die Materialien gestellt. So gilt, dass der dünnste Faden, der eine sichere Adaptation der Wundränder ermöglicht, die erste Wahl ist. Generell ist ein nichtresorbierbarer, monofiler Faden mit der Stärke von 5-0 oder dünner am besten für den Wundverschluss in der Mundhöhle geeignet. Jedoch richtet sich die Auswahl des Nahtmaterials nach der Indikation und ist immer fallbezogen.
Autor: Dr. Mark Thomas Sebastian, München