Oralchirurgie 26.05.2011

Mit GBR dimensionalen Veränderungen entgegenwirken



Mit GBR dimensionalen Veränderungen entgegenwirken

Socket Preservation – Konditionierung, Post-Extraktion und Prä-Implantation

Schon seit Mitte der Achtzigerjahre wird in der Parodontologie erfolgreich der Wiederaufbau von Stützgewebe mit der Technik der gesteuerten Geweberegeneration durchgeführt. Heute macht sich auch die Implantologie diese Technik zunutze.

Gerade bei der Implantologie geht es darum, die vertikale und horizontale Dimension des Alveolarfortsatzes nach einer Zahnextraktion zu erhalten oder zu rekonstruieren (Gottlow, Nyman et al. 1986; Dahlin, Linde et al. 1988; Karring, Nyman et al. 1993; Hämmerle und Karring 1998; Hämmerle und Lang 2001). Das Wiederentstehen zerstörter oder verloren gegangener Strukturen aus eigener Kraft ist eine Eigenschaft der Natur. Dies versucht die moderne Medizin gezielt zu nutzen, indem sie nicht nur repariert, sondern auch Regenerationsprozesse auslöst.

Nach einer Zahnextraktion unterliegt der Alveolarfortsatz einem physiologischen Remodellationsprozess. Dieser scheint lokal sehr unterschiedlich zu verlaufen (Schropp et al. 2003) und zusätzlich von der Defektgröße und Zusammensetzung des Knochens abhängig zu sein (Atwood, 1962; Hedegard, 1962; Tallgren, 1972). Bei sehr großen Defekten kann das Blutkoagulum nicht ausreichend stabilisiert und in der Folge nicht vollständig organisiert werden, sodass eine knöcherne Regeneration häufig nur unvollständig stattfindet.

 

Im Oberkiefer verlaufen die resorptiven Veränderungen im Bereich des bukkalen Anteils der knöchernen Alveole ausgeprägter als im palatinalen Anteil (Araujo und Lindhe, 2005; Pietrokovski und Massler, 1967). Hierdurch kommt es vor allem in den ersten drei Monaten nach Zahnextraktion (Johnson, 1963; Schropp et al. 2003) zu einer Verschiebung des zentralen Alveolarfortsatzes in oraler Richtung (Pietrokovski und Massler, 1967).

Es wurde in klinischen Untersuchungen gezeigt, dass eine horizontale Atrophie innerhalb von vier bis zwölf Monaten nach Zahnextraktion um ca. 50% (3,1 bis 5,9mm) der initialen Breite des Alveolarkammes stattfindet (Camargo et al. 2000; Iasella et al. 2003; Lekovic et al. 1997; Lekovic et al. 1998; Schropp et al. 2003). Die vertikale Atrophie betrug in diesem Beobachtungszeitraum zwischen 0,7 und 1,5mm (Camargo et al. 2000; Iasella et al. 2003; Schropp et al. 2003). Zudem scheint die Atrophie in apiko-koronaler Richtung nach multiplen Zahnextraktionen stärker ausgeprägt zu verlaufen (Lam 1960; Johnson 1963). Daher stellt die richtige Positionierung eines Implantates eine wichtige Voraussetzung für die langzeitstabile Aufrechterhaltung von Ästhetik und Funktion dar. Ein zu weit vestibulär inseriertes Implantat führt ­aufgrund der nur dünnen bukkalen Knochenlamelle zu ästhetisch ungünstigen Rezessionen an der bukkalen Schleimhaut oder einem transmukosalen Durchscheinen des Titankörpers. Eine zu weit orale Position kann die prothetische Versorgung erschweren. Die mesiale und distale Knochenhöhe am Implantat spielt bei der Rot-Weiß-Ästhetik eine entscheidende Rolle (Tarnow et al. 1992). Diese und andere Faktoren machen deutlich, wie groß die Notwendigkeit eines ausreichenden Hartgewebslagers bei Implantatbehandlungen im Vordergrund steht und führte zu der Überlegung, gerade bei implantologischen Rehabilitationsansätzen regelhaft stattfindenden Resorption bereits zum Zeitpunkt der Zahnextraktion prophylaktisch entgegenzuwirken.

Kollagene sind wichtige Bestandteile aller Binde- und Stützgewebe im gesamten Organismus. Sie sind optimaler Träger für Zell- und Gewebekulturen, da sie das natürliche Wachstumssubstrat für viele Gewebe darstellen. Fiorellini konnte zeigen, dass die Qualität des Implantatbettes nach der Applikation von Kollagenmaterialien deutlich besser war und das Risiko der Periimplantitis gesenkt wurde (Fiorellini et al. 2005). Im Bereich des Tissue Engineering erwiesen sich die Kollagenprodukte als ideale Matrix für das Wachstum und die Vermehrung schwer kultivierender Zellen. So hat die Medizin in den vergangenen Jahren einen Weg gefunden, um außerhalb des Organismus Zellen und Gewebe zu kultivieren und Defekte erfolgreich zu therapieren (Hidaka, Su et al. 2007; Ophof, Maltha et al. 2008). Ein gewisser Nachteil nativer Kollagene ist ihre geringe mechanische Stabilität aufgrund der Biodegradation über gewebespezifische Proteasen und Kollagenasen (Tatakis, Promsudthi et al. 1999). Bei der dentalen Anwendung ist zu beachten, dass zudem verschiedene parodontopathogene Mikroorganismen zur Kollagenasenproduktion befähigt sind (Sela, Kohavi et al. 2003). Als Folge werden zur Mundhöhle exponierte Kollagene besonders schnell degradiert.

Die Anwendung von Kollagenen bei der Extraktionswundversorgung kann eine Unterstützung der Wundheilung im Bereich des Weichgewebsverschlusses darstellen. Nach Applikation ist der Knochendefekt bis zur vollständigen Epithelisation auch im Falle von Nahtdehiszenzen geschützt. Abhängig von der vorliegenden Mikroflora wird diese Schutzfunktion jedoch durch die bakterielle Enzymaktivität verkürzt. Um diesen Effekt zu minimieren, wurden antibiotikahaltige Kollagenmaterialien entwickelt. Mit dem resorbierbaren Kollagenkegel GENTA-COLL resorb® MKG Dentalkegel, der mit dem Antibiotika Gentamicin versetzt ist, war es möglich, kleinere horizontale und vertikale Defekte des Alveolarfortsatzes simultan mit der Implantatinsertion knöchern zu regenerieren (Streckbein et al. 2006). Auch die Kombination mit Knochenersatzmaterial hat sich in der augmentativen Therapie von horizontalen Knochendefekten bewährt (Götz et al. 2008). Ihre Anwendung könnte sich auch positiv auf die Knochenatrophie nach Zahnextraktion auswirken, Augmentationen vermeiden und die Behandlungsdauer verkürzen. Obwohl allogene, xenogene und alloplastische Knochenersatzmaterialien in anderen Fallberichten die Knochenregeneration im Bereich der Extraktionsalveole positiv beeinflussen konnten, war deren Resorbierbarkeit im jeweiligen  Beobachtungszeitraum in vielen Fällen nicht nachweisbar (Wiesen et al. 1998; Yang et al. 2000). Becker et al. beobachteten dagegen, dass sowohl allogene, xenogene als auch autogene Knochentransplantate zu einer Verzögerung der Wundheilung in der Alveole führten. Generell lässt sich sagen, dass die Resorption im Bereich des Alveolarkammes nach einer Zahnextraktion durch die Anwendung von Knochenersatzmaterialien und Membranen im Vergleich zu unbehandelten Kontrollgruppen positiv beeinflusst werden kann (Darby et al. 2009).

In den vorliegenden Fällen soll die Weichgewebs- und Knochenwundheilung nach Extraktionwundversorgung mit nativen, antibiotikadotierten Kollagenkegeln und Knochenersatzmaterial unter besonderer Berücksichtigung der Volumenstabilität des Alveolarfortsatzes beurteilt werden. Extraktionsalveolen ohne Wundversorgungsmaterial dienen als Kontrolle.

Material und Methode

Als unmittelbare Extraktionswundeinlagen kommen ­PARASORB® Dentalkegel, GENTA-COLL resorb® MKG ­Dentalkegel und Ossceramnano® zur Anwendung. PARASORB® Dentalkegel ist ein lokales Hämostyptikum zur Blutstillung nach Zahnextraktion oder Abdeckung operativer ­Gewebedefekte. Die Resorptionszeit beträgt zwischen zwei und fünf Wochen. Im Gegensatz dazu wurde bei GENTA-COLL resorb® MKG Dentalkegel die Kollagen­matrix mit 16mg Gentamicinsulfat versetzt. Die Resorptionszeit beträgt zwischen zwei und vier Wochen. Beide Kollagene haben hinsichtlich der Makrotopografie eine gleiche Konsistenz. Ossceramnano® ist ein synthetisches resorbierbares Knochenersatzmaterial 40% b-Trikalziumphosphat und 60% Hydroxylapatite. Nach ca. vier bis sechs Monaten ist das Knochenersatzmaterial zufriedenstellend mit Osteoblasten besiedelt und stellt ein gutes Implantatlager dar.

Chirurgisches Vorgehen

Nach eingehender klinischer und radiologischer Unter­suchung (z.B. digitales Volumentomogramm, Abb. 1) werden die betroffenen Zähne in Lokalanästhesie extrahiert. Es erscheint offensichtlich, dass bereits das chirurgische Vorgehen bei der Extraktion einen wesentlichen Einfluss auf den zu erwartenden Hartsubstanzverlust nach Zahnentfernung unterhält. Dabei ist ein atraumatisches Vorgehen, vor allem im Hinblick auf die bukkale Lamelle, unabdingbar. Spezielle Extraktionssysteme wie unterschiedlich geformte Periotome, Hebeln und Spezialzangen erleichtern dabei das chirurgische Vorgehen ungemein. Dabei sind großzügige Aufklappung oder Osteotomie von bukkal zu vermeiden, da gerade hier der Alveolarkamm die höchste Resorptionstendenz zeigt (Auraujo, Lindhe 2005).

In diesen drei Fällen wurde bei einem Patienten in jeweils eine Alveole GENTA-COLL resorb® MKG Dentalkegel, ­PARASORB® Dentalkegel, kein Wundversorgungsmaterial eingebracht und die Wundränder mit einer resorbierbaren Naht (PGA-Resorba 4-0, Resorba, Nürnberg) adaptiert. Anschließend wird der Patient über die allgemeinen Verhaltensmaßnahmen nach Zahnextraktion aufgeklärt. 

Im zweiten Fall wurde die Alveole nach Einbringung eines PARASORB® Dentalkegel (Abb. 2) mittels Punch-Technik (Abb. 3) mit einem Schleimhauttransplantat aus dem Gaumen (Abb. 4) abgedeckt und die Wundränder mit einer resorbierbaren Naht (PGA-Resorba 4-0, Resorba, Nürnberg) adaptiert Die Nachuntersuchungen zur Beurteilung der weichgeweblichen Heilung erfolgen nach einer Woche sowie drei Monaten.

Im dritten Fall wurde die Extraktionsalveole mit Ossceramnano® (Abb. 5) aufgefüllt und mit einem Kollagen­vlies (Kollagen-resorb®) (Abb. 6) abgedeckt und wiederum mit einer resorbierbaren Naht (PGA-Resorba 4-0, ­Resorba, Nürnberg) adaptiert. Es erfolgte eine klinische Nachkontrolle von 7 und 14 Tagen. Dabei wurde zur Beurteilung des Weichgewebes die Alveole, Nahtdehiszenz, Wundheilungsstörungen, Infektionen und Blutungen aus der Nase kontrolliert und dokumentiert.

Bei dem Kontrolltermin nach drei Monaten wurde beim ersten und dritten Fall zudem die hartgewebliche Re­generation mittels eines zweiten DVTs dokumentiert (Abb. 7). Zusätzlich erfolgte im ersten Fall zur Beurteilung hartgeweblicher Alveolenregeneration eine prä- und postoperative DVT zur volumetrischen Auswertung und die Differenz des Hartgewebes innerhalb der Extraktionswunde wurde berechnet (Abb. 8 und 9). Im dritten Fall erfolgte vier Monate später bei der Implantation eine histologische Aufbereitung des Knochens (Abb. 10).

Ergebnisse

Auf Grundlage derzeit verfügbarer Ergebnisse lassen sich folgende Schlussfolgerungen formulieren:

1.    Unter klinischen Gesichtspunkten sollte bei der Entfernung eines nicht erhaltungswürdigen Zahnes grundsätzlich so viel Knochen wie möglich erhalten werden (Gottlow, Nyman et al. 1986; Dahlin, Linde et al. 1988).
2.    Auch nach atraumatischer Extraktionsweise und komplikationsloser postoperativer Wundheilung unterliegt die Extraktionsalveole vor allem innerhalb der ers­ten drei Monate einer dimensionalen Veränderung,
die im Bereich der vestibulären Alveolenwand am stärksten ausgeprägt ist (Araujo und Lindhe, 2005).
3.    Durch eine Sofortversorgung mittels Kollagenkegel mit und ohne Antibiotikadotierung können die horizontalen und vertikalen dimensionalen Veränderungen im Bereich der vestibulären Alveolenwand nicht vollständig verhindert werden (Abb. 9 und 10).
4.    Der Einsatz von antibiotikadotierten Kollagenkegel scheint im OK eine postoperative Resorption des umgebenden Hartgewebes zu verringern (Abb. 9 und 10).
5.    Die Kombination aus schonender Extraktion, Sofortversorgung mittels Knochenersatzmaterial (Ossceramnano®) und Abdeckung mittels Kollagenvlies, zeigte die geringste ­postoperative Knochenatrophie. Auch histologisch konnte eine gute knöcherne Regeneration festgestellt werden.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass neben einer schonenden Extraktionstechnik das Verfahren der Socket Preservation mit Knochenersatzmaterialien und Membranen/Bindegewebstransplantaten gerade im ästhetischen Bereich als etablierte  Therapie angesehen werden kann. Wobei festzuhalten ist, dass jede Manipulation die natürlichen Wundheilungsabläufe in der Extraktionsalveole verändert. Zudem kann festgehalten werden, dass trotz teilweise bindegewebiger Einscheidung von Knochenersatzmaterial bei resorptionsstabilen Materialien damit zu rechnen ist, dass durch die Abstützung des Weichgewebes die Weichgewebskontur erhalten bleibt. Eventuell entstandene Knochendefekte können so bei der Implantatinsertion leichter rekonstruiert werden.

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