Oralchirurgie 05.03.2011
Bedenklich: Veränderungen der Mundschleimhaut
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Von Präkanzerosen und Plattenepithelkarzinomen
Mundkrebs gehört weltweit zu den zehn häufigsten Tumoren. In Deutschland erkranken jährlich über 10.000 Menschen neu an bösartigen Mundhöhlengeschwüren. Jeder zweite Erkrankte stirbt innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren, nachdem die Diagnose gestellt wurde.
Laut dem aktuellen Eurobarometer
suchen 39 Prozent der deutschen Bundesbürger zweimal jährlich den Zahnarzt
im Rahmen einer Routinekontrolle auf. Neben der Bestandsaufnahme der
Zahnhartsubstanz sollte mindestens genauso viel Wert auf mögliche
Veränderungen der oralen Schleimhaut und der perioralen Strukturen
gelegt werden.24 Veränderungen
der Mundschleimhaut sind in der Regel ohne Symptome und werden häufig als
Zufallsbefund während der Routineuntersuchungen diagnostiziert. Durch
ihre Lokalisation im, für den Patienten unzugänglichen Bereich, ist oft
keine Aussage über die Dauer des bisherigen Fortbestehens möglich. Viele
dieser Veränderungen sind harmloser Natur und können durch eine Vielzahl
lokal mechanischer, thermischer oder chemischer Reize verursacht worden
sein. Auskunft darüber erfolgt durch eine gezielte Anamnese, dies
beinhaltet Nachfrage nach Einnahme bestimmter Genuss-/Nahrungsmittel, Medikamentenanamnese
und möglichen Verletzungen im Mundbereich. Dennoch bedarf es auch bei
primär harmloser Veränderung zumindest einer visuellen Nachkontrolle und
gegebenenfalls einer weiteren Abklärung.
Orale Farb- und Formveränderungen
Gesunde Mundschleimhaut ist rosafarben und von einem
dünnen klaren Speichelfilm überzogen. Eine Mundschleimhautveränderung kann
sich in erster Linie als entweder helle oder dunkle Farbveränderung, als Substanzveränderung
in Form eines Defektes oder einer Größenzunahme darstellen.3 Im Folgenden werden verschiedene apathologisch
anatomische Varianten der Mundschleimhaut beschrieben.
Heterotrope Talgdrüsen der Wangenschleimhaut stellen sich als einzelne oder gruppenweise dottergelbe Knötchen meist symmetrisch in der Schleimhaut dar.7 Darüber hinaus lassen sich zahlreiche Veränderungen von Form und Farbe an der Zunge beobachten. Diese sind meist ohne pathologischen Hintergrund, können aber ein Hinweis auf eine systemische Störung darstellen. Eine braunschwarze Farbveränderung der Zunge kann von Nikotinabusus und schlechter Mundhygiene herrühren oder bei längerer Anwendung einer chlorhexidinhaltigen Mundspüllösung auftreten.5
Diese Veränderung ist bei
Absetzen der verfärbenden Agentien und Wiederaufnahme der Mundhygiene
vollständig reversibel. Erscheint eine Zunge glatt und rot, bedarf es einer internistischen
Abklärung bei Verdacht auf eine Mangelerscheinung. Eine glatte rote Zunge
kann als Symptom bei Zöliakie, Vitamin-B12-Mangel oder Eisenmangelanämie
auftreten.18 Formveränderungen
der Zunge, die einem Zahnarzt sehr häufig begegnen, bedürfen in der Regel
keiner Behandlung. Patienten mit Lingua plicata sollten lediglich auf
besondere Hygienemaßnahmen mit einem Zungenreiniger hingewiesen
werden, um die zahlreichen teilweise tiefen Falten sauber zu halten.
Lingua geographika wird durch oberflächliche Epithelabstoßung der Papillae
filiformes hervorgerufen. Dabei sind auf der Zunge rote bis rosafarbene
Flecken mit weißem Saum zu finden. Auch diese Veränderung ist in der Regel
symptomlos und bedarf keiner Therapie. In seltenen Fällen berichten
Patienten über leichtes Zungenbrennen beim Verzehr scharfer und
saurer Speisen.6 Beide
Veränderungen können simultan auftreten. Weiterhin können zahlreiche
Metallablagerungen eine lokal abnorme Mundschleimhautpigmentierung hervorrufen.
Die Variationsbreite der Farbe wird von Graublau über Dunkelbraun bis Gelb
beschrieben.17 Diverse
metallhaltige prothetische Restaurationen oder Füllungswerkstoffe gelangen
im Rahmen zahnärztlicher Maßnahmen in die Mundhöhle und somit in die Schleimhaut.
In der Regel ist die so oft diagnostizierte Amalgamtätowierung nicht mehr
mit einer benachbarten Amalgamfüllung assoziiert, und der Patient erinnert
sich nicht mehr, dort eine metallische Restauration gehabt zu haben.
Farbliche Veränderungen innerhalb der Mundschleimhaut werden nicht
ausschließlich durch Amalgam verursacht. Eine Reihe von beruflichen Expositionen
kann eine Metallablagerung innerhalb der Haut und Schleimhaut bedingen.
Dazu gehören neben Quecksilber auch Blei, Kadmium und Arsen. Berufsgruppen, die
eine starke Exposition mit diesen Metallen aufweisen sind beispielsweise
Schweißarbeiter, aber auch Personen aus der Leder-, Foto- und
Gummiindustrie.17 Dabei sei
auf die Bedeutung der Anamneseerhebung erneut hingewiesen.
Potenziell gefährlich: Leukoplakie der Mundschleimhaut
Neben
diesen zahlreichen eingangs beschriebenen „harmlosen“
Mundschleimhautveränderungen existieren in der Mundhöhle weitere
potenziell maligne Veränderungen. Diese werden zusammenfassend als
intraepitheliale Neoplasie bezeichnet. Zu den häufigsten intraepithelialen
Neoplasien zählt orale Leukoplakie.13 Eine Präkanzerose (veralt.) beschreibt eine prämaligne Erkrankung,
die sich nach Schwere des Dysplasiegrades innerhalb eines unbestimmten
Zeitraumes zu einem Malignom entwickeln kann.15 In Deutschland
liegt die Prävalenz für orale Leukoplakie bei Männern bei 2,3% und bei
Frauen bei 0,9%. Orale Leukoplakie wird dabei am häufigsten bei Männern
mittleren oder fortgeschrittenen Lebensalters beobachtet.21 Sie ist lediglich
eine Beschreibung einer weißen nicht abwischbaren Veränderung der
Mundschleimhaut, die klinisch keiner anderen Erkrankung zugeordnet werden kann
(Abb. 1). Lediglich in 20 % der Leukoplakien können Epitheldysplasien
nachgewiesen werden.12 Abhängig vom
Dysplasiegrad steigt das Transformationspotenzial einer Vorläuferläsion.
In der aktuellen Nomenklatur steht die Abkürzung SIN für die englische
Bezeichnung der intraepithelialen Neoplasie (Squamous Intraepithelial Neoplasia).
Man unterscheidet analog zum Dysplasiegrad zwischen niedriggradiger,
mäßiggradiger und hochgradiger intraepithelialer Neoplasie (SIN 1 – SIN
3). In dieser Nomenklatur entspricht die hochgradige intraepitheliale Neoplasie
(SIN 3) dem alten Begriff des Karcinoma in situ (Karzinomrisiko von 90%).10 Bei einer hochgradigen Dysplasie
(Abb. 2) beobachtet man im Vergleich zur mäßiggradigen Dysplasie gesteigerte
Zellpolymorphie und erhöhte Mitoserate bei Aufhebung der Zellschichtung, allerdings
ohne Stromainvasion.8 Auf
eine hochgradige Dysplasie folgt ein invasives Karzinom. Leukoplakie
kann als planhomogene, flache oder leicht erhabene fleckige Veränderung auftreten.
Histologisch zeigt sich ein Bild von Para- oder Orthokeratose, bei
variablem Dysplasiegrad. Bei einer getüpfelten ulzerierenden Oberfläche
steigt das Entartungsrisiko auf bis zu 38%. Dies liegt im Vergleich bei
der planen Leukoplakie nur bei ca. 3%.12 Eine Sonderform der weißen Leukoplakie ist eine rote
Mundschleimhautveränderung, die als Erythroplakie bezeichnet wird.
Erythroplakie kann eine noduläre Form aufweisen und ist mit einem höheren Entartungsrisiko
behaftet.
Differenzialdiagnostik der Leukoplakie
Differenzialdiagnostisch kommen weitere ähnlich aussehende Veränderungen
auf Schleimhautniveau infrage und müssen klinisch und histologisch von
einer Leukoplakie abgegrenzt werden. Dazu gehören z.B. abwischbare Beläge,
verursacht durch eine Candida-Infektion, wobei Candida albicans in
geringer Anzahl zur gesunden Mundflora gehört und nur bei Ungleichgewicht pathologisch
wird.25 Des
Weiteren kann hinter einer weißlichen Veränderung eine lokale Verätzung
der Schleimhaut z.B. durch Säuren oder Medikamente versteckt sein.
Eine mechanische Irritation durch Einsaugen der Wange, bekannt unter
Morsicatio buccarum, stellt sich ebenfalls weißlich dar. Weitere weißliche
Veränderung tritt bei einer lichenoiden Veränderung im Bereich von
Amalgamfüllungen, Goldrestaurationen (Abb. 3) oder abstehenden Kronen-
oder Füllungsrändern auf.6 Eine lichenoide Reaktion hat im Gegensatz zum echten
oralen Lichen planus kein Malignitätspotenzial und ist reizbedingt. Eine
Abgrenzung der beiden ist sowohl auf klinischer wie auch auf
histologischer Ebene sehr schwierig. Klassischerweise erscheinen klinisch beide
mit einem retikulären Muster mit stellenweise ulzerierenden Läsionen. Da
eine lichenoide Reaktion immer eine Reizantwort der Schleimhaut ist, müsste
nach Reizbeseitigung (z.B. Kronen-/Füllungsaustausch) die Läsion
abklingen.9
Als
bedeutendste Differenzialdiagnose zu Leukoplakie sei eine weitere intraepitheliale
Neoplasie in Form des oralen Lichen planus erwähnt. Das klinische Erscheinungsbild
eines Lichen planus (Abb. 4) ist sehr variabel und kann von einer Leukoplakie
oft nur histologisch abgegrenzt werden. Im Gegensatz zur Leukoplakie geht
Lichen planus mit einer 45%igen Hautbeteiligung einher. Daher ist es zwingend
erforderlich, bei einer Verdachtsdiagnose den Patienten nach weiteren
Beschwerden im Bereich der Schleimhaut und Haut zu befragen. Das
subjektive Beschwerdebild reicht von Brennen und Schleimhaut - trockenheit
bis hin zu lokalen Schmerzen. In solchen Fällen ist eine weiterführende
interdisziplinäre Behandlung erforderlich.2 Viele Patienten, die sich mit einer Überweisung zur
Abklärung von Mundschleimhautveränderungen in der Praxis vorstellen,
sind oft besorgt, es könnte ein Plattenepithelkarzinom diagnostiziert
werden. In erster Linie gilt es, eine ausführliche Anamnese zu erheben.
Dazu gehören neben der Sozialanamnese auch Angaben über Häufigkeit
und Mengen an Konsum von Genussmitteln wie Tabak und Alkohol. Die
kanzerogene Wirkung von in Tabak enthaltenen Nitrosaminen erhöht das
Krebsrisiko des gesamten oberen Aerodigistivtraktes um das 30-Fache. 26 Alkohol an sich wird primär nicht als
Kanzerogen eingestuft, jedoch führt häufiger Konsum hochprozentiger Spirituosen
zu einer Erhöhung der Epitheldurchlässigkeit. Somit besteht ein
synergetischer Effekt zwischen Alkohol- und Tabakkonsum bei der Entstehung von
Plattenepithelkarzinomen.16
Das Plattenepithelkarzinom
Die Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms kann entweder während
einer Vorsorgeuntersuchung gestellt werden oder während sich der Patient
gezielt mit Beschwerden beim Zahnarzt vorstellt. Das Beschwerdebild wird
häufig durch brennendes Gefühl im Mund dominiert, reicht hingegen von
schlecht passenden Prothesen bis hin zu eingeschränkten und/oder
schmerzhaften Zungenbewegungen. Demnach kann sich hinter der Ursache
für schlechte Prothesenpassung ein ausgedehnter Tumor verbergen (Abb. 5).
Gründe für das späte Aufsuchen eines Arztes sind vielschichtig und reichen von
beruflichen und/oder privaten Problemen, Angst vor einer Diagnose oder
einer allgemein niedrigen Grundhaltung der Gesundheit gegenüber.
Diagnostik
Die
zuverlässigste Diagnosesicherung erfolgt durch eine Skalpellbiopsie. Dabei
sollten sowohl veränderte als auch gesunde Schleimhautstellen erfasst
werden. Bei niedergelassenen Zahnärzten ist vorwiegend die Methode
der Bürstenbiopsie verbreitet. Dieses Vorgehen folgt aus der allgemein
vorherrschenden Regel, dass eine Exzision dort erfolgen sollte, wo eine
spätere Therapie erfolgt. Die Erkennung von Mundschleimhautläsionen und
deren Malignitätspotenzial kann durch eine Reihe diagnostischer
Hilfsmittel erfolgen. Eine dieser Möglichkeiten stellt die Methode der
Autofluoreszenz dar, die nicht erkennbare Gewebeveränderungen sichtbar macht.
Das Verfahren bedient sich der natürlichen Eigenschaft des Gewebes, deren
enthaltene Fluorophore bei einer Lichtwellenlänge von 400–460nm
fluoreszieren. 4,20 In
Bereichen mit maligner Transformation ist eine Reduktion der Fluoreszenz
im Grünbereich des sichtbaren Lichtes zu beobachten. Die Problematik liegt in
der ebenfalls herabgesetzten Fluoreszenz ischämischer oder entzündeter
Mundschleimhautbereiche, die eine klare Ursache für die
Gewebsveränderungen nicht zulassen. Eine weitere nicht invasive Methode
stellt die bereits vorgehend angesprochene Bürstenbiopsie dar. Dabei
werden oberflächliche Epithelanteile mithilfe einer Bürste gewonnen und
computerunterstützt ausgewertet. Letztendlich stellen beide Methoden eine
für den Patienten primär schonende und minimalinvasive diagnostische
Möglichkeit dar. Allerdings wird im Falle eines positiven Ergebnisses eine
Skalpellbiopsie zur Diagnosesicherung gefordert.19
Zahlreiche Studien
beschäftigen sich mit der Frage einer medikamentösen Therapie zur
Prävention einer Malignitätstransformation von leukoplaken Veränderung. Lodi
et al.14 untersuchten
in ihrem aktuellen Review „Interventions for treating oral leukoplakia“
Therapieergebnisse aus neun randomisiert kontrollierten Studien. Während
sich ein Großteil der Therapieansätze mit Vitamin A/Retinoiden
beziehungsweise Beta-Carotin/Carotinoiden beschäftigte, wurde in einer
Studie die Wirkung des Zytostatikums Bleomycin untersucht. Zusammenfassend konnten
keine Anhaltspunkte für eine wirksame Behandlung im Hinblick auf die
Prävention vor einer Malignitätstransformation mit den eingesetzten Medikamenten
nachgewiesen werden. Die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen der Lippe, Mundhöhle
und des Pharynx liegt in Deutschland zwischen 4 (weiblich) und 10–15 (männlich) Fällen pro
100.000 Einwohner pro Jahr. Bei 60 Prozent der Patienten werden regionäre Lymphknotenmetastasen
diagnostiziert.22 Eine
Therapieverzögerung von mehr als vier Wochen hat einen signifikant
negativen Einfluss auf die Überlebens - prognose.1,11 Die Rolle der Früherkennung wird bei der
statistisch erhobenen Fünf-Jahres-Überlebensrate noch deutlicher. Der
Prognosewert hierbei liegt bei 30–40% nach Erstdiagnose eines
Plattenepithelkarzinoms. 23 Deshalb ist regelmäßiger Zahnarztbesuch als aktive Krebsvorsorge
von großer Bedeutung.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Autoren: Oksana Petruchin, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Robert Sader