Parodontologie 21.02.2011

Parodontale Risikobestimmung und Festlegung des Recalls



Parodontale Risikobestimmung und Festlegung des Recalls

Mit dem Erkenntniszuwachs im Bereich der Ätiologie der Parodontopathien ergibt sich die Frage, wie der Recall im Rahmen der Erhaltungstherapie zu gestalten ist. Die Erfassung der Risikofaktoren gewinnt in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung. Die grafische Darstellung dieser Risikofaktoren ermöglicht eine individuell ausgerichtete Kommunikation, sodass die Vigilanz aufseiten der Patienten erhöht und die parodontale Gesundheit erhalten werden kann.

Eine in der (Zahn-)Medizin einzigartige und nicht nur wegen der beachtenswerten Dauer von 30 Jahren erwähnenswerte Langzeitstudie zur Auswirkung der regelmäßigen (nicht nur, aber auch professionellen) Plaquekontrolle auf die parodontale Gesundheit hat eindrucksvoll belegt, dass eine regelmäßige und individuell festgelegte Recallfrequenz im Zusammenspiel mit einer auf hohem Niveau etablierten häuslichen Mundhygiene dazu führt, dass Zähne selbst über lange Zeit­räume nicht verloren gehen müssen.


Axelsson et al. (2004) konnten dabei zeigen, dass bei einem anfänglich sehr intensiven (sechsmal pro Jahr) und nach zwei Jahren auf die individuellen Bedürfnisse (vier- bis zwölfmal pro Jahr) ausgerichteten Recallprogramm bei einer Kohorte von anfänglich 550 Patienten die parodontale Gesundheit erhalten oder sogar gesteigert werden konnte. Insgesamt war über den Zeitraum von 30 Jahren hinweg ein bemerkenswert geringer Zahnverlust (0,4 bis 1,8 Zähne, abhängig von den jeweiligen Altersgruppen) zu beobachten, wobei die Mehrzahl der Extraktionen auf Frakturen zurückgeführt wurde. Ebenfalls abhängig von den Altersgruppen lag die Zahl neu aufgetretener kariöser Läsionen zwischen 1,2 und 2,1; dabei handelte es sich in der überwiegenden Mehrzahl um Kariesrezidive.

Die parodontale Risikobestimmung setzt eine detaillierte Befundung des kompletten stomatognathen Systems voraus. Die Erhebung des Status quo deckt entsprechende Problemstellen, eine generell vernachlässigte Mundhygiene (Abb. 1) oder bereits etablierte pa­rodontale Läsionen auf, die dem Patienten in ihrer Dimension häufig nicht bewusst sind (Abb. 2), und häufig eine sofortige Therapie erfordern.

Nach einer erfolgreich behandelten Parodontitis ist bei allen Patienten das Risiko eines Rezidivs zu beachten. Mit Blick auf die von Axelsson et al. beschriebenen, sehr beeindruckenden Erkenntnisse zum Erfolg der präventivzahnmedizinischen Erhaltungstherapie stellt sich die Frage nach der geeigneten, auf das individuelle Risiko abgestimmten Recallfrequenz. Hierzu haben Lang und Tonetti (2003) eine gut fundierte Hilfestellung gegeben. Dabei werden die Risikofaktoren des Patienten grafisch aufgearbeitet und auf diese Weise visualisiert.

Zu den zu erfassenden Risikofaktoren zählen:

– der prozentuale Anteil der Parodontien, die nach Sondieren bluten (Bleeding on

   probing, BOP),

– die Häufigkeit von verbleibenden Taschentiefen ab 5mm,
– der Zahnverlust (basierend auf 28 Zähnen),

– der Verlust von parodontalem Stützgewebe in Relation zum Patientenalter (Quotient

   aus prozentualem Knochenabbau und Alter des Patienten),

– systemische und genetische Faktoren (z.B. der Interleukin-1-Genotyp oder Diabetes

   mellitus) sowie

– umweltbedingte Einflüsse (z.B. das Rauchen von Zigaretten).

Werden diese Faktoren erfasst, können sie in einem das aktuelle Risiko beschreibenden Funktionsdiagramm zusammengetragen werden (Abb. 3). Diese grafische Darstellung ermöglicht auch dem Patienten, sein individuelles Risiko nachzuvollziehen. Das hierdurch gesteigerte Problembewusstsein erleichtert darüber hinaus die Einsicht in ggf. vorhandene Mundhygienedefizite und in die Notwendigkeit einer erhöhten Recallfrequenz. Dabei liegt ein geringes Risiko vor, wenn alle Parameter innerhalb des inneren (grünen) Bereichs (oder lediglich ein Parameter im mittleren weißen Bereich) liegen. Bei Patienten mit mittlerem Risiko sind wenigstens zwei Parameter im weißen (oder höchstens ein Parameter im roten) Bereich lokalisiert. Liegen mindestens zwei Parameter im äußeren (roten) Bereich, hat der entsprechende Patient ein hohes Risiko. Entsprechend dieser Kategorisierung lassen sich die Recalltermine bestimmen, die von zwei- (geringes Risiko) bis viermal und mehr pro Jahr (hohes Risiko) reichen können.

Erweiterung des Modells und Erfassung mehrerer Parameter

Das von Lang und Tonetti (2003) beschriebene Risikomodell hat sich im routinemäßigen Einsatz bewährt, auch wenn es wegen der Nichterfassung weiterer Ri­sikofaktoren verschiedentlich kritisiert wurde. So hat Chandra (2007) eine Erweiterung vorgeschlagen, die neben dem kumulativen Parodontalstatus (Bluten nach Sondieren, Sondierungstiefen, Zahnverlust und Quotient aus Attachmentverlust und Patientenalter) und den Risikofaktoren (Rauchen und Diabetes) auch Risikodeterminanten (Stress und sozioökonomischer Status) einschließt. Die erfassten Parameter werden bei diesem Modell in einer 5-Punkte-Skala vereinfacht dargestellt (Abb. 4). Diese umfasst im Einzelnen:
– die prozentualen Werte für Bluten nach Sondieren (0,<5, <10, <17, <25 und >25%),

– die absolute Häufigkeit von verbliebenen Taschentiefen ab 5mm (keine, weniger als drei,

   fünf, sieben oder neun bzw. mehr als neun Parodontien),

– die Zahl der extrahierten Zähne (keine, weniger als drei, fünf, sieben oder neun bzw.

   mehr als neun Zähne),

– den Verlust von parodontalem Stützgewebe in Relation zum Patientenalter (Quotient

   aus prozentualem Knochenabbau und Alter des Patienten; 0, <0,26, <0,51, <0,76,

   <1, >1),

– den diabetischen Status (Glukosetoleranz; <102, <110, <118, <126, <134, >134mg/dl),

– den Zigarettenkonsum pro Tag (Nichtraucher, ehemaliger Raucher, <10, <20, 20,

   >20 Zigaretten),

– das Zusammenspiel von systemischen Faktoren und Zahnstatus (gesund, kleinere

   gesundheitliche Probleme, allgemeine Probleme mit Auswirkung auf die parodontale

   Gesundheit, schwere Einschränkung der Allgemeingesundheit) sowie

– Hintergrundvariablen (sozioökonomischer Status, leitende Tätigkeit bis arbeitslos

   sowie allgemeine Belastung, kein Stress bis sehr belastende Umgebung).


In diesem Modell werden lokale und systemische sowie umweltbedingte Faktoren kombiniert, sodass eine ausgewogenere Risikoabwägung möglich wird. In einer ersten Vergleichsstudie konnten hinsichtlich der Risikobestimmung keine Unterschiede zu dem von Lang und Tonetti (2003) beschriebenen Modell zur Risikoabschätzung festgestellt werden. Aus diesem Grund scheinen beide Modelle für die Anwendung in der Praxis geeignet.

Schlussfolgerungen

Aus zahnmedizinischer Sicht ist hervorzuheben, dass sich die individuelle Festlegung der Recallintervalle nach zuvor evaluierten Kriterien richten muss. Auch in diesem Bereich kann die Recallfrequenz keinesfalls pauschal (zweimal pro Jahr) erfolgen. Die Etablierung und konsequente Anwendung eines Risikomodells über längere Zeiträume erleichtert die Entscheidungsfindung im Falle notwendiger therapeutischer Maßnahmen und ermöglicht die Betreuung der Patienten auf einer individuellen Basis. Auf diese Weise wird langfristig die Erhaltung der parodontalen Gesundheit sichergestellt.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.


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