Parodontologie 23.01.2014

Parodontologie als Basis des Praxiskonzeptes



Parodontologie als Basis des Praxiskonzeptes

Parodontale Aspekte und Kenntnisse auf diesem Fachgebiet sind nicht nur in der Restaurativen Zahnheilkunde erfolgsentscheidend, sondern auch in der Kieferorthopädie und Implantologie.

„Parodontologie ist die Königsdisziplin innerhalb der zahnmedizinischen Fachdisziplinen“ – zu dieser Einsicht kommen bekanntlich hierzulande ausgebildete Zahnärzte kaum. Wird doch selbst der Kieferorthopädie innerhalb der zahnärztlichen Ausbildung trotz einer möglichen postdoktoralen Facharztausbildung mehr Raum gegeben wie der Parodontologie.

Spätestens nach meinem Postgraduate Studium bei Prof. Ramfjord in Ann Arbor, Michigan, 1977/78, ein Jahr nach Beginn meiner beruflichen Laufbahn, war mir diese Einschätzung jedoch klar geworden und sie wird heute von vielen, vornehmlich restaurativ tätigen Zahnärzten und Spezialisten, geteilt.

So wurde meine ursprüngliche damalige Intention, Okklusion und Funktionslehre in den USA fundiert zu erlernen, vom Leiter der Abteilung, Prof. Ash, schnell relativiert, indem er mich zu seinem Kollegen Prof. Ramfjord in die PA-Abteilung führte, die damals durch ihre Forschungsergebnisse zur sogenannten Michigan-Studie bereits Weltruhm besaß, und meinte: „This is going to become the waymost important disciplin in the field.“

35 Jahre später kann ich nur sagen, er hatte Recht, denn ich kann die Parodontologie in ihrem gesamten heutigen Wissensumfang als das wichtigstes Korrektiv für die Qualität des gesamten zahnmedizinischen Behandlungsspektrums tagaus, tagein erkennen. Ramfjords klassisches Paper aus 1974 „Periodontal aspects of restorative dentistry“1 hat mir dabei immer den Weg gewiesen, wobei auch die später dazugekommene Implantologie keine Ausnahme macht.

Und wenn wir uns heute um die geriatrischen Probleme in der Zahnheilkunde kümmern, hat z.B. die kompetente Biofilmentfernung bei hospitalisierten Patienten zum Ziel, die oft letale Alterspneumonie, die durch Aspiration2 entsprechender Keime aus der Mundhöhle entsteht, zu vermeiden. Erneut eine wichtige Aufgabenstellung für die Parodontologie.

Standardisiertes Motivationsgespräch

Im Zeitalter von „Periodontal Medicine“ geht es beileibe nicht mehr nur um den Verbleib von Zähnen in einer Mundhöhle, sondern viel eher um eine Mundhöhle, die frei ist von chronischer Entzündung. So ist meines Erachtens heute auch eine Mundhöhle voller, auf Berührung blutender Papillen, nicht mehr nur als eine zu vernachlässigende lokale Entzündung zu betrachten, sondern muss vielmehr als ernstzunehmender Beitrag zum Risiko des gesamten chronischen Entzündungspools eines Organismus mit all seinen bekannten Konsequenzen betrachtet und als solcher dem Patienten zum Bewusstsein gebracht werden.

Nur ein sehr hoher Standard bei der täglichen Mundhygiene und eine hohe Qualität an professioneller Hilfestellung und regelmäßiger Erhaltungstherapie durch hochmotiviertes und gut ausgebildetes Hilfspersonal kann dieses Ziel erreichen. Dies beginnt in unserer Praxis bei der ersten Sitzung des schmerzfreien Patienten mit seinem zukünftigen Behandler. Dabei haben wir in den letzten dreißig Jahren ein standardisiertes Motivationsgespräch entwickelt, das aus drei Teilen besteht:

  • 1. Die intraorale Demonstration des Bezugs zwischen gingivanahem Belag und Blutung sowie einer belagsfreien, gesunden Stelle ohne Gingivablutung (Abb. 1).
  • 2. Pathogenesezeichnung, welche die Entwicklung der papillären Entzündung und ihre Risiken für die orale und systemische Gesundheit auf der Basis der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse verständlich entwickelt, und daraus die korrekte Mundhygienefrequenz sowie die fallspezifisch richtigen Hilfsmittel, zeichnerisch erklärt (Abb. 2).3
  • 3. Die Erstdemonstration dieser Hygienehilfsmittel konsequent durch sämtliche Interdentalräume und Oral-/Lingualflächen, sowie die Erklärung ihrer technisch richtigen Anwendung; Einführung der Rolle der Hygienikerin während der Hygienephase und des gesamten Therapieverlaufs und posttherapeutisch durch den Zahnarzt selbst sowie Einbettung einer ganz grob beschriebenen Therapievorstellung in die Sitzungen bei der Hygienikerin und deren Funktion als Hilfestellerin bei der Verwirklichung dieser Vorgaben auf Dauer (Abb. 3).

Diese Vorgehensweise bei der ersten Sitzung ist essenziell und wurde über drei Jahrzehnte, motiviert durch den kontinuierlichen Erfolg, verfeinert und dem neuesten wissenschaftlichen Stand angepasst. Bei vielen Patienten löst sie eine direkte persönliche Betroffenheit aus und macht die Pforten für eine mögliche Verhaltensänderung bei den täglichen Hygienegewohnheiten in ihrer Mundhöhle weit auf.

Es ist so gut wie nie eine Frage, dass neue Patienten im Anschluss an diese Sitzung ihre Termine bei der Hygienikerin gerne vereinbaren, auch wenn ihr Kostenträger dafür nicht aufkommt. Aufwendige Behandlungen beginnen wir erst, wenn der Entzündungswert für eine papilläre Blutung (PBI) in akzeptable Bereiche kommt.

Bei der Behandlungsplanung und Terminvergabe folgen wir der Systematik von Ramfjord als Grundschema für alle Patienten:

  • Systemische Phase
  • Hygienephase I und II
  • Korrektive Phase I und II
  • Posttherapeutische Betreuung (modifiziert)
  • Erhaltungsphase

Verwendung von Mundhygienemitteln – wirklich notwendig?

Was den Erfolg dieser gesamten Aktivitäten zur Patientenmotivation und Betreuung sowie zur wirkungsvollen häuslichen Mundhygiene unserer Patienten anbelangt, so wurde es in den letzten Jahren immer klarer, dass nur Zahnärzte und Hygieniker/-innen mit ständiger Selbsterfahrung durch Einbindung ihrer eigenen Mundhöhle in das Betreuungssystem ihrer Praxis dazu in der Lage sind.4 Dazu gehören neben der qualifizierten Basisausbildung auf dem Gebiet der Prävention und kontinuierlich erneuerten wissenschaftlichen Weiterbildung auch Erkenntnisse auf dem Gebiet der medizinischen Psychologie, die allerdings bisher wenig systematisiert sind und eher aus dem Umgangsbereich mit den Problemen des Nikotin- und Drogenabusus stammen5 und so nicht direkt übertragbar erscheinen.

Hier sind dringend neue Denkansätze auf der Basis positiver empirischer und theoretischer Erkenntnisse vonnöten. Wir bauen bis dato auf unser System. Auch die vorhandenen Studien zur Wirksamkeit einzelner Mundhygienemittel, vor allem auf dem Gebiet der Interdentalhygiene, sind bei näherer Betrachtung eher dürftig.6 So gibt es bis heute keine einzige Untersuchung, die den täglichen Einsatz von Zahnseide wissenschaftlich rechtfertigen würde. Dabei ist ein Artikel wie das Dentotape der Firma Johnson & Johnson seit 1898 im Handel (Abb. 4).

Eine zeitgenössische vergleichende Untersuchung zur Wirksamkeit einer Mundspüllösung im Vergleich zur Zahnseide sieht so aus, dass den Patienten zur Instruktion und Motivation für maximal zwei Minuten an einem Zahnmodell der Gebrauch von Zahnseide gezeigt wurde. So wird verständlich, warum die Gruppe der Zahnseideanwender schlechter abschneidet.7

In einer anderen Studie wird die Anwendung von Interdentalbürstchen der Zahnseide vorgezogen, ohne zu wissen, welche Hygienemittel diese Patienten vorab der Studie gewohnheitsmäßig bereits eingesetzt haben.8 Aus einer weiteren Studie zur Kariesprävention geht hervor, dass Zahnseide überhaupt nur dann eine Wirkung zeigt, wenn sie von Profis, also von Dentalhygienikerinnen durchgeführt wird.9

Unabhängig von der Wahl der Hygienehilfsmittel ist klar, dass es besonders am erkrankten Patienten Situationen gibt, bei denen jedes dieser beiden Hilfsmittel lokal spezifische Mängel und Vorteile besitzt, die der Fachmann beachten und beherrschen muss (Abb. 5a und b).

So ist z.B. nur Zahnseide in der Lage, iatrogen produzierte Schäden an zahnärztlichen Zahnrestaurationen zu identifizieren und rechtzeitig zu bemängeln. Es ist seit Langem bekannt, dass solche Hygieneobstruktionen beim parodontal erkrankten Patienten nicht nur zu Entzündung, sondern zu zusätzlichem Attachmentverlust, also zu iatrogenen Schäden führen (Abb. 6).10

Die Erkenntnis, dass alle Hygienehilfsmittel, insbesondere für den Interdentalraum, intensive Hilfestellung und Training zur wirkungsvollen Durchführung benötigen, hat dazu geführt, dass wir unseren Patienten als einen zusätzlichen Baustein ein Lernvideo in drei Sprachen auf unserer Website zur Verfügung stellen (www.wolfstrasse.com).

Als Verlaufskontrolle für die Behandler und Motivationskurve für die Patienten dient uns im Rahmen der Hygienephase der PBI11 bzw. im Rahmen der Erhaltungstherapie der BOP.12

In diesem Zusammenhang tritt natürlich immer wieder auch die Frage auf, wie qualifiziert muss die Ausbildung unserer „Co-Therapeuten“ Dentalhygieniker sein? Speziell bei den Ausbildungsgängen in Deutschland, egal ob nun mit oder ohne Bachelor, erscheint mir nicht mehr so sehr der theoretische Umfang der Ausbildung, als vielmehr der praktisch klinische Anteil am Patienten ein Problem zu sein.

Zahnärzte bzw. PA-Spezialisten als Ausbilder innerhalb ihrer Praxen sind meist nicht trainiert, Scaling und Root Planing aus dem Ellenbogen und der Schulter zu unterrichten, sondern wenn überhaupt, dann werden sie aus der Praxisroutine das sogenannte „Picking“ vermitteln können, was für die Berufsgruppe der tagaus, tagein „Instrumentierer“ die völlig falsche Muskulatur trainiert und damit frühzeitig zu den entsprechenden Berufskrankheiten wie Karpaltunnelsyndrom oder Tennisarm führt.13

Die Zahnarztpraxis der Zukunft

Ein zusammengeführtes Team aus Allgemeinpraktikern und Spezialisten ist ohne eine Dentalhygienikerin, die nach internationalem Niveau ausgebildet ist, nicht denkbar! Parodontale Aspekte und Kenntnisse in der Parodontologie sind nicht nur in der Restaurativen Zahnheilkunde erfolgsentscheidend, sondern auch in der Kieferorthopädie und der Implantologie. Eine perfekt aufgestellte Zahnreihe bedeutet per se bereits Karies- bzw. Parodontitisprävention. Umgekehrt heilt durch das Aufrichten und die Intrusion ein vorab parodontal erkrankter Zahn dadurch erst richtig aus (Abb. 7).

Erfolgreiche Implantologie ist auf die Dauer nur realisierbar, wenn die Techniken der perioplastischen Chirurgie beherrscht werden und so immer ein breites Hart- und Weichgewebsangebot, das auf der Unterlage verwachsen ist, kreiert werden kann (Abb. 8a–c).

Es ist somit die Parodontologie und ihr gesamtes wissenschaftliches Umfeld, welche ganz wesentlich die Nachhaltigkeit unseres zahnärztlichen Tuns erst ermöglicht, und dadurch ganz offensichtlich nicht nur zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch zur Allgemeingesundheit und damit zur Lebensdauer beiträgt.

Hier gibt's die vollständige Literaturliste.

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