Parodontologie 21.02.2011

„Die heutigen Methoden in der Parodontalbehandlung genügen nicht“

DTI Chefredakteur Daniel Zimmermann sprach mit Prof. Rutger G. Persson, Forschungsleiter der Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern, zum aktuellen Stand der Parodontalforschung. (Bearbeitung von Anke Schiemann)

Daniel Zimmermann: Der Zusammenhang zwischen Periodontitis und Allgemeinerkrankungen ist momentan sehr stark im Gespräch. Wie beeinflusst das Wissen über diesen Zusammenhang momentan die Diskussion in der Parodontologie?
Prof. Rutger G. Persson: In den 80er Jahren hat eine finnische Gruppe erstmals Studien über den Zusammenhang von kardiovaskulären Krankheiten und Parodontitis durchgeführt. In der Universität Chapel Hill in North Carolina wurde das weiter beobachtet.

1997 gab es eine weltweite Sitzung zum Thema Parodontalmedizin. Man wusste seit langem, dass Diabetes mellitus Patienten stärker von Parodontitis betroffen sind, man wusste aber nicht ob dies den Diabetes erschwert. Danach gab es interessante neue Studien über Frühgeburten und Parodontitis und natürlich die kardiovaskulären Krankheiten.

Schon 1820 hat man über apikale Infektionen als Faktor in Rheuma (Fokalinfektion) gesprochen, das dauerte bis zum Anfang des 2. Weltkrieges und dann wurde gesagt, dass diesen Zusammenhang zwischen eine apikale Infektion und Rheuma nicht existiert. Danach war das Thema „verboten“. Jetzt kommt das Thema wieder zurück aber nicht als fokale Infektionslehre sondern mehr als Wissen über die mikrobiologischen Verhältnisse zur Entzündungsreaktion in Parodontitis.

Stichwort Biofilm?
Ja, weil Parodontitis ist keine so begrenzte Infektion und Entzündung. Es dreht sich um Strukturbildungen von Mikroorganismen die auch in den Bereichen Kardiologie und Geburtshilfe ein ganz besonderes Interesse bezüglich der Entzündungsreaktion zu mikrobiologische Belastung hat. Das bedeutet, dass uns ein gemeinsames Interesse an ätiologischen Faktoren verbindet.

Wie weit ist die Forschung inzwischen in der Beurteilung der mikrobiologischen Zusammenhänge?
Man muss zuallererst verstehen, dass es sich nicht nur um eine kleine Gruppe von Bakterien handelt, sondern vielleicht um die totale Belastung von Bakterien und die Immunantwort darauf. Streptokokken sind zum Beispiel sehr früh kolonisierte Bakterien, die bei anderen Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. In der Parodontologie hat man das vielfach noch nicht in Betracht gezogen.

Sehen Sie einen Bedarf an einer engeren Zusammenarbeit zwischen Zahn- und Allgemeinmedizinern?
Ich arbeite bereits eng mit Kardiologen und Gynäkologen der University in Seattle sowie mit Medizinern in Bern und Schweden zusammen, denn als Zahnmediziner habe ich vielleicht mikrobiologische Informationen, die sie nicht haben. Wir sind in den Bereichen der Parodontologie, Immunologie und „Social Behaviour“ inzwischen sehr eng verzahnt.

Trotz dieser Zusammenarbeit kommen wir sicherlich in einigen Fällen sicherlich schon zu spät. Einem 70jährigen Patienten bringt beispielsweise eine Parodontalbehandlung relativ wenig. Bei einem 30jährigen mit Parodontitis und Anzeichen von kardiovaskulären Erkrankungen gibt es vielleicht Möglichkeiten der Behandlung in Form von Diät, verbesserter Mundhygiene sowie antimikrobiellen oder entzündungshemmenden Behandlungen die kardiovaskuläre Verhältnisse beinflussen.

Sehr viel Potential sehe ich in den sogenannten cross-sectional Interventionsstudien. Dort untersucht man gesunde und kranke Patienten und schaut dann, wie die zahnmedizinischen Verhältnisse bei beiden Gruppen aussehen und wie medizinische und zahnmedizinische Bedingungen sich als Resultat der Behandlung verändern.

Gibt es Beispiele aus der Praxis?
Man könnte vielleicht die epidemiologischen Studien von Jönköping (Provinz in Schweden: die Redaktion) Anfang der 1970er Jahre bis heute heranziehen. Im Jahr 1970 hatten etwa 80 Prozent der dortigen Bevölkerung eine leichte und eine eher kleine Zahl - vielleicht 15 Prozent- eine schwere Parodontitis. In den letzten 30 Jahren hat sich dieses Verhältnis verändert. Es gibt jetzt vielleicht 80 Prozent Menschen, die nicht Parodontitis haben, d.h. die Mehrzahl ist gesund. Die Gruppe mit schwerer Parodontitis hat sich jedoch nicht verändert.

Woran liegt das?
Das liegt sicherlich in erster Linie am schwedischen Gesundheitssystem. Die Patienten mit Parodontitis wurden zwar behandelt, aber in der Gruppe mit schwerer Parodontitis nicht erfolgreich.

Meiner Meinung nach genügen die heutigen Methoden in der Parodontalbehandlung auch nicht. Eine mechanische Behandlung „Scaling and Rootplaning“ ist nicht ausreichend, um die Bakterien bei Patienten, die krank sind, zu entfernen. Es könnte sogar sein, dass man durch Einschwemmung die Bakterien im Gefäßsystem nicht reduziert, sondern eher verbreitet. Hinzu kommt die Immunantwort.

Es gibt dazu eine österreichische und britische Studie, die die Durchblutung des Arms untersucht hat. Dort stellte man fest, dass der Wert eines bestimmten Proteins unmittelbar nach einer Parodontalbehandlung wesentlich erhöht ist. Das geht von Werten von 2mg/l bis 15-20. Die Werte gehen dann zwar wieder zurück, verbessern sich aber nicht. Die Behandlung führt also nicht zur Reduktion im Sinn der Entzündung. Für mich heißt dass, dass die Behandlung nicht erfolgreich war. Dann kann man nicht erwarten, dass Patienten mit kardiovaskulären Krankheiten oder dem Risiko einer Frühgeburt wirklich erfolgreich behandelt sind, denn die Studien haben gezeigt, dass das Risiko gleich bleibt.

Wir brauchen insgesamt mehr Wissen über die Zusammenhänge und welche Rolle Mikroorganismen und Immunabwehrsysteme spielen. Zudem gibt es sozioökonomische bzw. genetische Faktoren, die wir mithilfe eine Therapie nicht ändern können. Ich hoffe daher, dass die Politiker die Förderung der gemeinsamen Forschung von Zahnmedizin und Medizin an den Universitäten unterstützen.

Wird Ihrer Meinung nach zu wenig gefördert?
Ja, obwohl ich denke, dass es in der Medizin genügend Gelder für die Forschung gibt. Für die Zahnmedizin jedoch ist es immer noch schwierig hier mit der Medizin zu konkurrieren, denn sie ist eine relativ kleine Disziplin. Durch eine bessere Zusammenarbeit von Medizin und Zahnmedizin könnte man das Risiko von Frühgeburten und kardiovaskulären Krankheiten jedoch wesentlich reduzieren.

Eine andere interessante Frage ist der Zusammenhang zwischen Zahnimplantaten und Zahnfleischentzündungen, die sogenannte Peri-implantitis. Das ist ja ein relativ neues Feld.
Die Behandlung mit Implantaten ist als Ersatz für verlorene Zähne sehr interessant. Wir wissen aber überhaupt noch nichts über die Mechanismen zwischen Periimplantitis und Systemkrankheiten. Zwar ist bekannt, dass sich z.B. Staphylococcus aureus im Biofilm sehr gut an Titan anheften und Entzündungen hervorrufen kann. Das konnte man bereits anhand von medizinischen Studien an Titanprothesen in der Hand- oder Gelenkchirurgie nachweisen.

Ich denke, dass die Bedingungen für die Bakterienkolonisation an Implantatoberflächen andere sind als an Zähnen, denn natürliche Zähne und Implantate sind nicht gleich.
Zusätzlich ist es viel schwieriger ein Implantat zu reinigen. Das Problem ist, dass die Industrie die Behandlung mit Implantaten verständlicherweise sehr erfolgreich einstuft, obwohl das meiner Meinung nach etwas sehr kurzfristig gedacht ist.

Warum?
In Schweden zum Beispiel gibt es ein Register in dem alle Gelenkimplantate aufgenommen sind. Man weiß ganz genau wie viele gesetzt sind und wie viele davon nicht erfolgreich waren. In der Zahnmedizin gibt es meines Wissens nach kein solches Register, d.h. wir haben keine Ahnung, wie viele Implantate überhaupt gesetzt wurden und wie viele davon erfolgreich sind.

Dazu kommt, dass es bei natürlichen Zähnen etwa 20 Jahre dauert, um Parodontitis zu entwickeln. Die ersten Implantate sind jetzt 20- 30 Jahre alt d.h. jetzt kann man eine Entwicklung erkennen. In den ersten Jahren war man sehr vorsichtig und hat nur Patienten ohne Risiko auf Periimplantitis behandelt, inzwischen kann jeder Zahnarzt in jedem Land Implantate setzten, auch wenn man chirurgisch oder mechanisch nicht genügend qualifiziert ist. Da spielen natürlich dann andere Interessen mit rein und man sieht heute Patienten, bei denen man keine Implantate hätte setzen sollen. Das bringt mechanische und technische Fehler mit sich. Doch wie separiert man die fehlbehandelten Patienten von den Patienten, die Infektionen, Entzündungen und Pathogenese haben? In dem Fall hat man nicht gut analysiert.

Das Thema wird die Zahnmedizin aber immer stärker beschäftigen. Wo soll man da ansetzen?
In Bern wird seit Jahren das gleiche Implantatsystem benutzt und es wurden in den letzten 10 Jahren etwa 1000 Implantate gesetzt. Man hat mindestens 5-7 Jahre follow up time. So kann man schlussfolgern, wie erfolgreich eine Behandlung war. z.B. in mikrobiologischen, ethnologischen, klinischen, sozioökonomischen Untersuchungen aus denen man die Faktoren einer erfolgreichen Behandlung bestimmen kann.

In multiple centre Studien können wir die Mechanismen erkennen und können in Zukunft die Patienten besser auswählen, die kein Risiko sind. Vielleicht finden wir so auch Methoden, um Periimplantitis zu behandeln. Ich denke, dass man sicherlich auch in Richtung Antibiotika und entzündungshemmende Präparate denken muss. Eine Reinigung von Implantaten mit Handinstrumenten oder der Zahnbürste zu Hause bringt nicht viel.

Welche Rolle könnte da die Industrie spielen? Nobel Biocare arbeitet ja sehr eng mit Universitäten zusammen.
Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe gestern mit einem Kollegen aus Stockholm diskutiert. Wir sind beide der Meinung, dass die größten Entwicklungen in den 80er und 90er Jahren die Fluorzahnpasten waren, die nicht aus der universitären sondern aus der industriellen Forschung kamen. Dies zeigt, dass die Industrieforschung sehr erfolgreich ist.

Ich persönlich sehe darin kein Problem, denn die Implantatfirmen verdienen viel Geld und es ist sinnvoll, wenn die Verantwortlichkeit besitzen und das Geld weiter zurück in die Forschung geben und nicht nur in die Entwicklung von neuen Implantatsystemen. Das könnte zu einem besseren Verständnis über die Mechanismen von erfolgreichen und nichterfolgreichen Implantaten führen. Die Regierung und Behörden/ Gesundheitsministerien werden darin eine sehr wichtige Rolle hinsichtlich der Kontrolle dieser Studienabläufe spielen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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