Prophylaxe 24.10.2017
Zahnmedizinische Kooperation mit Altenheimen – ein Erfahrungsbericht
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Die Lebensqualität und Allgemeingesundheit von Bewohnern in Altenpflegeheimen wird entscheidend davon bestimmt, wie sie auch im Alter noch lachen, in Gemeinschaft essen und sich artikulieren können. Dazu gehören gesunde und funktionsfähige Zähne. Wir Zahnärzte können dazu beitragen, wenn wir Kooperationsverträge mit Altenpflegeheimen eingehen und präventiv tätig werden.
Die Zahngesundheit hat einen wesentlichen Einfluss auf die Allgemeingesundheit, gerade bei pflegebedürftigen, oft multimorbiden Menschen. Ein funktionstüchtiges Kauorgan ist wichtig für die Aufnahme und Zerkleinerung der Nahrung und damit für die Sicherung einer vielseitigen, ausgewogenen Ernährung. Kauen regt den Speichelfluss an und bereitet die Verdauung vor. Aus vielen Studien geht hervor, dass Bewohner in Altenpflegeheimen mit einer gepflegten Mundhöhle weniger Fiebertage im Jahr haben, dass das Risiko, an einer Lungenentzündung zu erkranken, fällt, wenn Zahnfleisch und Zähne gesund sind, und auch die Zusammenhänge zwischen Zahngesundheit und Diabetes sind hinlänglich belegt.
All dies sind Argumente, um als Zahnarzt bzw. Zahnärztin ein Altenpflegeheim regelmäßig zu betreuen. Die Betreuung soll sich nicht auf die Behandlung der Bewohner beschränken, sondern es geht auch darum, präventiv tätig zu sein, d. h. Durchführung regelmäßiger Kontrollen, Schulung des Pflegepersonals, Organisieren von Angehörigenabenden.
„Altern mit Biss“
Das sachsen-anhaltinische Projekt „Altern mit Biss“ der Jahre 2004 bis 2007 hat gezeigt, dass die Zahn- und Mundhygiene in Altenpflegeheimen sehr zu wünschen übrig lässt. Bei diesem Projekt wurde herausgearbeitet, dass einmal die Bewohner selbst zu besserer Zahnhygiene angehalten werden sollten – zumindest die, die von Feinmotorik, kognitiven Fähigkeiten und Sehkraft her noch in der Lage zu adäquater Mundhygiene sind. Ein weiterer Punkt war die Sensibilisierung der Angehörigen zu diesem Thema. Sie wurden darüber aufgeklärt, wie die Zahn- und Mundgesundheit zur Verbesserung der Allgemeingesundheit und damit auch zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt.
Ein Patenschaftszahnarzt – oder seit dem 1. April 2014 besser ein Kooperationszahnarzt – sollte betreuend für das Pflegeheim da sein, ortsnah und präventiv tätig. Ein ganz wichtiger Aspekt war bei dem Projekt die Schulung des Pflegepersonals (theoretisch und praktisch) in Sachen Zahn- und Mundhygiene. Hier war uns wichtig, dass der Zahnersatz regelmäßig mechanisch gereinigt wird, dass der Restzahnbestand adäquat mit allenzur Verfügung stehenden Mitteln wie Zahnbürste, Zahnpaste, Zahnseide und Interdentalbürste gesäubert wird, dass das Pflegepersonal Unregelmäßigkeiten erkennt und den Zahnarzt hinzuzieht. Bei der theoretischen Ausbildung ist immer wieder aufgefallen, dass die Zahn- und Mundgesundheit in der Ausbildung der Pflegekräfte zu kurz kommt.1
Kooperation mit Altenpflegeheimen
Nach den Erkenntnissen des Projektes „Altern mit Biss“ belebe ich seit 2009 (damals noch Patenschaft) meine Kooperation mit einem Altenpflegeheim. Nachdem die Heimleitung von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Betreuung durch einen Zahnarzt überzeugt wurde, bot man mir ein Zimmer an, welches ich nach meinen Wünschen, aber auch nach meinen finanziellen Mitteln einrichten konnte. Aus ergonomischen Gründen habe ich einen alten Zahnarztstuhl integriert (Abb. 1), auf dem ich die Patienten gut lagern kann. Das Pflegepersonal hilft dabei. Bettlägerige Patienten werden natürlich in ihren Zimmern aufgesucht. Meine mobile Einheit (Abb. 2) hat mir schon gute Dienste geleistet. Kleinere kariöse Defekte und hartnäckiger Zahnstein können hiermit therapiert werden. Und da die Prophylaxe das A und O ist, können wir mit der Einheit die Zahnoberflächen polieren und mit Chlorhexidinlösung spülen, denn die Absaugung erlaubt uns dieses Vorgehen auch bei Patienten, die aspirationsgefährdet sind.
Anders als andere Kollegen bin ich der Meinung, dass eine zahnärztliche Umgebung gerade bei Patienten mit Demenz sehr hilfreich ist, da sich diese Patientenklientel besser an diese Umgebung erinnert als in ihrem Pflegezimmer. Hier ist die Compliance oftmals sehr schlecht. So habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch die tägliche Mundpflege im „Zahnarztzimmer“ einfacher funktioniert und die Behandlung dort besser möglich ist.
So ausgestattet sind wir regelmäßig wöchentlich in der Einrichtung. Im Bewohnerservice liegt eine Liste aus, in die sich Bewohner mit Beschwerden eintragen können, beziehungsweise wenn sie eine Zahnreinigung möchten. Das Pflegepersonal kann außerdem Bewohner eintragen, bei denen sie Unregelmäßigkeiten feststellen mussten. Diese Liste bekommen wir gefaxt und können so unsere Container packen, sodass wir bei jedem Besuch gut vorbereitet sind. Sollten akute Beschwerden auftreten, machen wir einen Besuch auch außerhalb der Reihe möglich.
Zweimal jährlich werden alle Bewohner, die von uns betreut werden, untersucht, und dem Pflegepersonal werden Mundhygieneinstruktionen direkt am Bewohner erteilt. Wir geben Tipps, wie das Pflegepersonal vorgehen kann und wo Schwachstellen existieren. Bei festen Belägen erhalten die Bewohner zeitnah einen Termin zur Zahn- und Prothesenpflege durch mich und meine Dentalhygienikerin, die nicht allein in der Einrichtung tätig ist, sondern mir zur Hand geht. Hier bin ich ganz bei der Meinung der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin. Menschen in Pflegeeinrichtungen, die nicht mehr in die Praxen kommen können, sind oft multimorbide, nehmen viele Medikamente und hier sollte der Zahnarzt zugegen sein. Ein Zwischenfall ist immer möglich, auch wenn nur Zahnstein entfernt wird.
Diese jährlichen Kontrollen werden auf den von der KZV vorgesehenen Formularen dokumentiert und in der Pflegeakte abgeheftet. Wir haben zusätzlich ein weiteres Dokumentationsblatt, auf welchem uns per Unterschrift vom Bewohner selbst oder vom Betreuer bestätigt wird, dass wir die zahnärztliche Betreuung vornehmen sollen sowie die jeweiligen Behandlungsmaßnahmen und Hinweise an das Pflegepersonal. So wird beispielsweise dokumentiert, ob die Prothese mit ins Labor genommen wurde – unnötige Suchaktionen auf den Stationen können somit vermieden werden. Zudem kann das Pflegepersonal entsprechend reagieren, wenn es nach Zahnextraktionen zu Blutungen kommt.
Zeitnah versuchen wir nach den Kontrollen, Auffälligkeiten zu beheben, Zähne und Prothesen zu reinigen, Füllungen zu legen, lockere Zähne zu extrahieren, Reparaturen und Unterfütterungen durchzuführen oder auch neue Prothesen anzufertigen. Der Kontakt zu den Hausärzten ist bei all unserem Tun essenziell, um Medikationen abzusprechen oder eventuell Krankenhausaufenthalte zu planen, wenn eine Sanierung in Intubationsnarkose stattfinden muss.
Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Prävention. Wenn alle an einem Strang ziehen, wir die Grundlagen für saubere und funktionsfähige Verhältnisse im Mund schaffen, das Pflegepersonal den Zustand hält und auch die Angehörigen sensibilisiert sind, dann können größere Sanierungen vermieden werden. Und dazu gehört natürlich die Aufklärung über Krankheitsursachen, präventive Maßnahmen, Möglichkeiten bei der Zahn- und Mundhygiene und das Bewusstmachen, wie die Zahngesundheit die Lebensqualität beeinflusst. Der Satz „Das lohnt nicht mehr“ muss raus aus den Köpfen der Angehörigen. Wir organisieren im Pflegeheim jährlich den Tag der Zahngesundheit (Abb. 3), hier können sich nicht nur Bewohner Tipps holen, sondern wir stehen auch Angehörigen Rede und Antwort. Und wenn wir dann erzählen, dass wir einer 99-Jährigen (Abb. 4) eine neue Oberkieferprothese mit zwei Teleskopen gefertigt, ihre Unterkieferzähne gesäubert und gefüllt haben (Abb. 5) und diese Dame 103 Jahre alt geworden ist und wieder aktiv am Leben teilgenommen hat, sind die meisten doch erstaunt – die vier Jahre haben sich gelohnt.
Das Pflegepersonal erhält von uns zweimal jährlich ein Fortbildungsangebot. Nicht nur theoretische Vorträge stehen auf dem Programm, sondern auch praktische Übungen wie die Mundpflege am Bett (Abb. 6). Diese Veranstaltungen sind gut besucht und jeder Teilnehmer erhält einen Fortbildungsnachweis. Da es in den Einrichtungen doch häufig zu Wechseln beim Pflegepersonal kommt, ist auch hier eine Regelmäßigkeit wichtig, damit das Personal immer weiß, worauf wir Wert legen.
Ein weiterer Punkt, der zur Betreuung gehört, ist die Schulung der Bewohner selbst, denn jeder soll so lange wie möglich mobil bleiben und möglichst selbst die Zahn- und Mundhygiene durchführen. Wenn die Feinmotorik nachlässt, empfehlen wir den Bewohnern Griffverstärker für die Zahnbürsten oder eine elektrische Zahnbürste und zeigen den Umgang damit. Hat ein Patient nach einem Hirninfarkt nicht mehr die Möglichkeit, mit der rechten Hand zu putzen, stellen wir ihn auf die linke Seite um (Abb. 7). Und wenn wir sehen, dass es allein nicht mehr geht, bitten wir das Pflegepersonal, erstmal nur zu helfen, bevor die Zahnpflege ganz übernommen wird.
Fazit
Mir ist es wichtig, ein Altenpflegeheim so zu betreuen, dass die Bewohner ihre Lebensqualität behalten oder zurückbekommen. Dazu ist es wichtig, strukturiert vorzugehen und die Prävention in den Vordergrund zu stellen. Wir müssen uns stets vorstellen, wie wir im Alter lächeln wollen, unsere Nahrung zu uns nehmen möchten. Können wir uns vorstellen, nur passierte Kost zu essen? Nein. Wir möchten unsere eigenen Zähne ein Leben lang behalten, wir möchten, dass sie sauber und gesund gehalten werden, wenn wir es nicht mehr können. Und so kann ich nur jeden Kollegen aufrufen, einen Kooperationsvertrag einzugehen. Es ist auch längst finanziell kein Verlustgeschäft mehr und manchmal ist eben ein dankbares Lächeln mehr wert.
Die vollständige Literaturliste gibt es hier.
Der Beitrag ist im Prophylaxe Journal 5/2017 erschienen.