Prophylaxe 21.02.2011
Hygiene in Zahnarztpraxen – eine Sache für Routiniers
Die Notwendigkeit und Sinnhaltigkeit hygienischer Maßnahmen in Zahnarztpraxen zum Wohl der Patienten, Mitarbeiter und Praxisinhaber steht außer Zweifel. Über den Arbeitsumfang und gerätetechnischen Aufwand für diese Maßnahmen wird immer wieder diskutiert, zum letzten Mal besonders heftig nach Erscheinen einer Neuauflage der Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“.
Unter sachlich-fachlichen Aspekten erstaunte diese intensive Diskussion, da die Empfehlung eine acht Jahre ältere Version fortschrieb und eine weitere, zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre alte RKI-Empfehlung „Anforderung an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ aufgriff sowie Vorgaben des Medizinproduktegesetzes vom August 2002 integrierte. Wahrscheinlich erklärt sich die Unruhe aus der Tatsache, dass die von Praxisbetreibern zu beachtenden Regularien so zahlreich sind, dass die älteren Regeln bei vielen nicht im Blick und wohl auch nicht im Bewusstsein waren.
Seitdem hat sich der Pulverdampf verzogen, Sterilisatoren und/oder Reinigungs-Desinfektionsgeräte (RDGs) sowie weitere für Hygieneprozesse nützliche Geräte wurden angeschafft und formale Regeln im Rahmen von umfassenderen übergeordneten sowie gesetzlich bindenden Vorgaben zur Installation eines Qualitätsmanagements (§§13ff, SGB V) eingeführt. In der Praxis gelebt, sind die Hygieneanforderungen der o.g. Empfehlung dann doch weder revolutionär noch unausführbar.
Hygienekosten aufgeschlüsselt
Inzwischen erfolgte auch mindestens eine betriebswirtschaftliche Analyse zu den ökonomischen Auswirkungen der Hygieneanforderungen, eine Analyse zum Qualitätsgewinn und messbaren Beitrag zur Infektionsprävention steht leider weiterhin aus. Die IDZ-Studie (Nowack K, Meyer VP, Gebhardt H et al. Hygienekosten in der Zahnarztpraxis – Ergebnisse aus einer kombiniert betriebswirtschaftlich-arbeitswissenschaftlichen Studie, IDZ Information 2/2008) errechnete für 30 Praxen im Raum Westfalen-Lippe Hygienekosten von jährlich 54.925€ für eine Einzelpraxis und 78.518€ für eine Gemeinschaftspraxis mit zwei Inhabern. Davon entfielen ca. 58% bzw. 53% auf die jeweiligen Hygienesachkosten. Gegenüber den Daten einer gleichartigen Studie aus dem Jahr 1996 erhöhten sich die Kosten für eine Einzelpraxis um ca. 84%. Diese Zahlen mögen innerhalb des Bundesgebietes schwanken, gemessen an den durchschnittlichen Umsätzen von Zahnarztpraxen in Mecklenburg-Vorpommern erscheinen sie recht hoch.
Unbestreitbar jedoch investieren Zahnärzte einen deutlich sichtbaren und über die Jahre steigenden Anteil ihrer Betriebsausgaben in Hygienemaßnahmen (IDZ Studie 1996: 17,7%; 2008: 19,0% für Einzelpraxen). In einer aktuellen IDZ-Studie (Meyer VP, Jatzwauk L. Hygienemanagement in Zahnarztpraxen, IDZ Information 2/2010) zum Hygieneverhalten von 500 bundesweit zufällig ausgewählten Zahnärzten wird dies für die Bereiche Aufbereitung von Medizinprodukten, Sterilisationsverfahren und Funktionsprüfung von Aufbereitungsverfahren bestätigt.
Interessanterweise erwiesen sich jüngere Zahnärzte in den verschiedenen Kategorien häufig als weniger hygienebewusst – hier gibt es offensichtlich einen Verbesserungsbedarf bei der universitären Ausbildung. Lediglich bei der Nutzung der persönlichen Schutzausrüstung (Handschuhe, Brille, Mund-Nasen-Schutz, Kittel) lag die Relation stark zugunsten der Jüngeren.
Hier sei betont: die Infektionsanfälligkeit nimmt im Alter zu, nicht ab!
Infektionsgefahren erkennen
Für die nächsten Jahre bis zu einer erneuten Anpassung der RKI-Empfehlung an die dann geltenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Gesetze stellen sich folgende Fragen: Wo in den Zahnarztpraxen lauern objektivierbar die größten Infektionsgefahren für Patienten und Mitarbeiter? Welche der Regeln und Maßnahmen sind für die Patienten- und Mitarbeitersicherheit als besonders wichtig und welche als eher überdenkenswert einzuordnen?
Angesichts aller gesetzlichen Auflagen und nachgeschalteten Vorgaben und Empfehlungen erstaunt es, wie wenig objektivierbare Daten zu Infektionsgefahren aus Zahnarztpraxen vorliegen. Unter Einbeziehung der Parameter Prävalenz infektiöser Personen, in Zahnarztpraxen vorhandene Übertragungswege, Schwere der Erkrankung und Therapierbarkeit sind systemische Virusinfektionen durch Hepatitis B- und C-Virus sowie HI-Virus in Zahnarztpraxen besonders ernst zu nehmen. Tatsächlich existieren in den Industrieländern keine epidemiologischen Studien zu entsprechenden Patienteninfektionen durch eine Behandlung in Zahnarztpraxen. Aus den ca. 55.000 deutschen Zahnarztpraxen werden jährlich mit mittelfristig abnehmender Tendenz ca. 10–0 HBV- und HCV- sowie 0–2 HIV-Infektionen als berufsassoziiert bei der BGW geltend gemacht und ungefähr die Hälfte als solche anerkannt. Auch bei einer möglichen Dunkelziffer ist dies ein, gemessen an der Zahl der Betroffenen, geringes Problem, für jede der Personen allerdings eine lebensverändernde Erfahrung. Im Fall der besonders effizient übertragbaren HBV-Infektion ist jeder Fall ein Fall zu viel, da suffiziente Impfmöglichkeiten existieren und die Impfung (auf Kosten des Arbeitgebers!) vor Aufnahme einer Arbeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Glücklicherweise sinkt das HBV-Übertragungsrisiko in Deutschland in den letzten Jahren ständig, weil die Regelimpfung im Säug-lingsalter die für die Erkrankung empfänglichen Bevölkerungsanteile stetig schrumpfen lässt.
Um mehrere Größenordnungen häufiger sind Norovirus- bzw. Rotavirus-Infektionen (ca. 200.000 bzw. 60.000 jährlich dem RKI gemeldete Neuerkrankungen bei hoher Dunkelziffer gegenüber ca. 1.700 jährlich gemeldeten HBV Neuinfektionen). Insbesondere im Winterhalbjahr ereignen sich typischerweise gleich mehrere Kleinepidemien in unserer jeweiligen Umgebung und selbst im Hochsommer sind Noro- wie auch Rota-Virus-Infektionen immer wieder zu beobachten. Anders als die vorgenannten Viren stellen Noro- und Rotaviren in der Regel keine Bedrohung unseres Lebens dar, aber der durch sie bewirkte Brech-Durchfall zwingt Zahnärzte und Fachangestellte zu einer mehrtägigen Unterbrechung ihres gewohnten (Arbeits-)Lebens.
Zu den – im Sinne der Viren – immensen Erfolgszahlen trägt die große Menge ausgeschiedener Viren durch infizierte Personen, die niedrige Infektionsdosis und die für Viren hohe Umweltstabilität der Erreger bei. Die Notwendigkeit zur Händehygiene vor und nach jedem Patientenkontakt ist den Zahnärzten in der überwiegenden Mehrzahl eingängig. Zur effizienten Bekämpfung der Noro- und Rotaviren ist sie absolut zwingend. Zudem müssen dazu explizit Viruswirksame Händedesinfektionsmittel („Wirkbereich B“ bzw. spezifische Deklaration) genutzt werden. Solche Mittel (z.B. Desderman pur, Softaman akut, Sterillium virugard) können wegen ihrer geringeren Hautverträglichkeit nicht immer genutzt werden, sollten aber in jeder Praxis in einem kleinen Vorrat vorgehalten werden, um bei entsprechender Information aus den lokalen Medien über gehäufte Infektionen genutzt werden zu können.
Noch weniger als für Virusinfektionen gibt es zu den in Zahnarztpraxen möglichen Bakterieninfektionen allgemeine und erst recht keine zahnmedizinisch spezifischen Prävalenzdaten. Gerade für Erreger banaler, aber potenziell gefährlicher Infektionen wie z.B. Staphylococcus aureus in seinen b-Lactam-Antibiotika-sensiblen und -resistenten Varianten wäre dies wünschenswert, weil es Basis für ein aussagekräftiges Qualitätsmanagement ist. Daher gibt es gerade für diese Infektionen noch reichlich Nachholbedarf für mindestens eine prospektive epidemiologische Studie zur Prävalenz und Übertragung in deutschen Zahnarztpraxen.
Händedesinfektion wichtigste Maßnahme
Auch nach Vorliegen einer solchen Studie wird die wichtigste Maßnahme zum Patientenschutz die Händedesinfektion vor und zum Mitarbeiter- und Selbstschutz nach jedem Kontakt mit der Haut- oder Mundschleimhaut des Patienten sein – auch wenn Handschuhe getragen werden. Hier weist die IDZ-Studie für die männlichen Zahnärzte nach dem Patientenkontakt noch einen gegenüber den weiblichen Zahnärzten signifikant hohen Nachholbedarf aus.
Laut IDZ-Studie differiert das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung – Handschuhe haben eine erfreulich hohe, der Mund-Nasenschutz und insbesondere die Schutzbrillen eine (erschreckend) niedrige Akzeptanz. Offenbar hat es sich noch bei zu wenigen Zahnärzten herumgesprochen, dass zahlreiche Erreger, darunter auch HBV und HIV, nachgewiesenermaßen über die Bindehaut infizieren können. Bei der Schutzkleidung besteht auch aus eigener Erfahrung eine Unkenntnis: Die bei der Arbeit getragene reguläre Arbeitskleidung wird mit der zusätzlich über dieser Kleidung zu tragenden Schutzkleidung verwechselt. Zudem kommen hier seltsame Philosophien zum Tragen: In Kliniken tragen auch Zahnärzte ohne Qualitätseinbußen ihrer Arbeit die Schutzkleidung, in Praxen scheint genau das nicht möglich zu sein.
Bezüglich der Notwendigkeit des Wechselns der Schutzhandschuhe nach dem Abtreten vom behandelten Patienten haben neue Produkte Erleichterung gebracht: Es sind nunmehr problemlos desinfizierbare Handschuhe verfügbar. Zu beachten ist dabei, dass die Handschuhe unversehrt sowie nicht mit Blut oder Schleim verschmiert sein dürfen und dass die Zahl der Desinfektionen produktspezifisch begrenzt ist. Selbstverständlich müssen die Handschuhe für die Desinfektion zertifiziert sein.
Instrumentenaufbereitung muss nachprüfbar sein
Die IDZ-Studie besagt auch, dass die Aufbereitung der zahnärztlichen Medizinprodukte noch zu häufig auf rein bzw. teil- manueller Basis geschieht. Problem dabei ist die mangelnde Validierbarkeit und schwankende Qualität dieser Prozesse. Dagegen stehen der berechtigte Anspruch eines jeden Patienten auf eine gleichbleibende und nachprüfbare Qualität der Aufbereitung von Instrumenten und technischen Hilfsmitteln. Die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben im Blick fordern die Aufsichtsbehörden dies zudem ein.
Auch unter betriebswirtschaftlichem Blickwinkel ist die manuelle Aufbereitung fragwürdig – sie bindet Arbeitskraft, die an anderer Stelle in der Praxis lohnender eingesetzt werden könnte, und erfordert den Einsatz von im Vergleich zur apparativen Aufbereitung größeren Mengen Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Dies erhöht die laufenden Kosten einer Praxis und verschlechtert deren Ökobilanz.
Außerdem ist die maschinelle Aufbereitung gründlicher und verlängert damit die Lebensdauer teurer Instrumente. Wer seine Hand- und Winkelstücke nach Jahren der manuellen Vorreinigung und Desinfektion das erste Dutzend Mal in einem Reinigungs-/Desinfektionsgerät (RDG) aufbereitet und nach der Aufbereitung die Restflüssigkeit aus den Instrumentenkanälen betrachtet hat, kann dieser Aussage nur zustimmen. Jede Praxis braucht in Abhängigkeit vom Patientenstamm und den bevorzugten therapeutischen Techniken einen individuell zugeschnittenen Maschinen- und Instrumentenpark auch für die Hygienemaßnahmen. Dieser beinhaltet nicht zwingend ein RDG. Allgemein akzeptiert sein sollte jedoch, dass die Aufbereitung der Medizinprodukte grundsätzlich auf einer validierbaren Basis, d.h. soweit wie möglich mit Geräten, vollzogen wird.
Zu den überdenkenswerten Themen der Praxishygiene gehören die Maßnahmen rings um die wasserführenden Systeme. So lassen sich die weltweiten Fallberichte zu Patienteninfektionen durch kontaminiertes Wasser im Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungen an zwei Händen abzählen, und in keinem Fall ist die Kausalkette über jeden Zweifel erhaben. Auch für Zahnärzte und deren Personal, die um Größenordnungen häufiger und länger den über Aerosole verbreiteten Wasserkeimen exponiert sind, konnte nicht reproduzierbar und zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass sie häufiger z.B. an Legionellosen – selbst in der leichteren Form des Pontiac-Fiebers – erkranken. Insofern ist die RKI-Empfehlung bezüglich der täglichen Spülung der wasserführenden Systeme vor Aufnahme der Arbeit und jeweils kurz nach jeder Patientenbehandlung akzeptabel, zumal sie im letzteren Fall auch zur Vorreinigung der noch aufgesetzten Instrumente dient. Darüber hinausgehende Überlegungen wie die endständige Filterung erscheinen dagegen deutlich überzogen.
Dieses letzte Beispiel führt wieder vor Augen, dass zu wenig über die Eintrittswahrscheinlichkeit von Infektionen durch die Behandlung oder Tätigkeit in Zahnarztpraxen bekannt ist. Damit beruhen viele Hygienevorgaben für diesen Bereich auf Plausibilitätsüberlegungen und ein auf die kritischen Foci abgestimmtes hygienisches Risikomanagement im engeren Sinne ist nicht möglich. Wenn sich keine Geldgeber seitens der öffentlichen Hand oder Industrie für ergebnisoffene epidemiologische Studien findet, sollte die Zahnärzteschaft überlegen, ob sie eine Studie selber auflegt. So würde sie zukünftig wissen, wo der Schuh in Sachen Hygiene mehr oder weniger drückt und an welchen Stellen welcher Aufwand gerechtfertigt erscheint. Die bereits jetzt durchgeführten Hygienemaßnahmen bekämen so eine zusätzliche Motivation – und Motivation kann die Infektionsprävention bei aller Routine immer brauchen.
Autor: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Andreas Podbielski