Branchenmeldungen 18.07.2013
Arme Schweizer verzichten auf Zahnarztkontrolle
Das Bundesamt für Statistik BFS hat jüngst eine aktuelle Studie zur Erhebung über die Einkommen und die Lebensbedingungen (SILC) 2011 veröffentlicht. Das Resultat: Von Armut betroffene Menschen nehmen seltener Pflegeleistungen wie beispielsweise zahnärztliche Untersuchungen in Anspruch. Zugleich bewerten sie ihren eigenen Gesundheitszustand als eher schlecht.
Der Verzicht auf Pflegeleistungen aus
finanziellen Gründen dient als Indikator für den Zugang zur
Gesundheitsversorgung1, dessen Gewährleistung eine Herausforderung
für die Gesundheits- und Sozialpolitik darstellt. Die Frage nach dem
Verzicht auf Pflegeleistungen beantworten zu können, setzt voraus,
dass man den eigenen Pflegebedarf erkennt. Diese Fähigkeit variiert
je nach sozialen Merkmalen und der Gesundheit einer Person.
Im Jahr 2011 gaben 4,7% der
Wohnbevölkerung ab 16 Jahren an, innerhalb eines Jahres mindestens
einmal aus finanziellen Gründen auf eine medizinische oder
zahnärztliche Untersuchung verzichtet zu haben. Die grosse Mehrheit
hat auf eine zahnärztliche Untersuchung verzichtet (4,0% gegenüber
0,3% bei den medizinischen Untersuchungen und 0,4% bei beiden
Untersuchungsarten), die nicht von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung übernommen werden.
Definition
Die befragten Personen geben an, ob sie
«in den vergangenen zwölf Monaten eine Zahnkontrolle oder eine
Behandlung nicht machen» konnten oder ob sie «einen Arzt nicht
besuchen» konnten oder «eine Behandlung [beim Arzt] nicht gemacht»
haben, obwohl sie dies nötig gehabt hätten. Bei Bejahung wird nach
dem «Hauptgrund» für den Verzicht gefragt. Die erste der acht
möglichen Antworten lautet: «aus finanziellen Gründen». Diese
Antwort wird mit Abstand am häufigsten genannt. Personen, die aus
finanziellen Gründen auf einen Zahnarzt- oder Arztbesuch verzichtet
haben, werden zusammengefasst.
Der Anteil der Personen, die auf eine
medizinische oder zahnärztliche Untersuchung verzichtet haben,
weisen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede auf (G7). Bei den
25- bis 64-Jährigen (5,7%), bei Personen ohne nachobligatorische
Ausbildung (8,5%) und bei ausländischen Staatsangehörigen,
insbesondere bei solchen aus Südeuropa (9,8%), sind die Anteile am
höchsten.
Armutsgefährdete Personen verzichten
2,5-mal häufiger auf medizinische oder zahnärztliche Untersuchungen
als andere Personen (10% gegenüber 4%) (G8). Noch ausgeprägter ist
die Diskrepanz im Falle von materieller Entbehrung (32% gegenüber
4%). Selbst bei den Personen mit nicht gutem selbst wahrgenommenem
Gesundheitszustand geben armutsgefährdete oder von materieller
Entbehrung betroffene Personen häufiger an, aus finanziellen Gründen
auf Pflegeleistungen zu verzichten. Dasselbe Bild zeigt sich bei
Personen, die von dauerhaften Gesundheitsproblemen oder
Aktivitätseinschränkungen betroffen sind. Der Gesundheitszustand
allein erklärt diese Unterschiede somit noch nicht, zusätzlich
spielen ein sehr tiefes Einkommen oder materielle Entbehrung im
Zusammenhang mit dem Verzicht auf Pflegeleistungen aus finanziellen
Gründen eine wichtige Rolle.
Personen, die aus finanziellen Gründen
auf eine medizinische oder zahnärztliche Untersuchung verzichtet
haben, geht es gesundheitlich weniger gut als den übrigen Personen
(G9). So nehmen beispielsweise 38% davon ihren Gesundheitszustand als
nicht gut wahr gegenüber 18% bei den Personen, die nicht auf
Pflegeleistungen verzichtet haben. Derselbe Unterschied ist bei den
armutsgefährdeten Personen zu beobachten, wenn auch weniger stark
ausgeprägt. Bei den von materieller Entbehrung betroffenen Personen
ist diese Diskrepanz hingegen nicht signifikant. Dies lässt sich
teilweise dadurch erklären, dass die materielle Entbehrung mit einem
schlechteren Gesundheitszustand einhergeht. Der Verzicht auf
Pflegeleistungen wirkt sich somit weniger stark auf den selbst
wahrgenommenen Gesundheitszustand aus.
Der Zusammenhang zwischen dem Verzicht
auf Pflegeleistungen aus finanziellen Gründen und einem schlechteren
Gesundheitszustand könnte sich dadurch erklären lassen, dass
gesundheitlich beeinträchtigte Personen häufiger Pflegeleistungen
benötigen. Deshalb müssen sie häufiger entscheiden, welche
Pflegeleistungen sie in Anspruch nehmen wollen. Damit erhöht sich
die Gefahr, dass sie auf Pflegeleistungen verzichten. Am tiefsten ist
der Anteil der Personen, die auf Pflegeleistungen verzichten, jedoch
bei den älteren Menschen, die in der Regel einen weniger guten
Gesundheitszustand aufweisen. Der umgekehrte Fall – dass sich der
Verzicht auf Pflegeleistungen negativ auf die Gesundheit auswirkt –
muss somit ebenfalls berücksichtigt werden.
Über SILC
Ziel der Erhebung über die Einkommen
und die Lebensbedingungen (SILC) ist die Untersuchung der
Einkommensverteilung, der Armut, der sozialen Ausgrenzung und der
Lebensbedingungen anhand europäisch vergleichbarer Indikatoren. Die
SILC basiert in der Schweiz auf einer Zufallsstichprobe von rund 7000
Haushalten und 17’000 Personen. Grundgesamtheit ist die ständige
Wohnbevölkerung in Privathaushalten.
1 vgl. Direction de la recherche, des
études, de l’évaluation et des statistiques, DREES (2012)
(Frankreich), Renoncement aux soins. Acte du colloque, Collection
études et statistiques, Paris
Quelle: Bundesamt für Statistik BFS,
Erhebung über die Einkommen und die Lebensbedingungen (SILC) 2011