Branchenmeldungen 19.09.2016
Dentalimplantate – Luxus oder Notwendigkeit?
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Implantate sind ein fester Bestandteil zahnärztlich-prothetischer Behandlungskonzepte. Demgegenüber irritiert manche Rechtsprechung, die Implantate als „Luxusversorgung“ bezeichnet.1,2 Mit dieser Auffassung setzt sich der nachfolgende Artikel kritisch auseinander. Im gleichen Zug wird auch erörtert, ob Zahnimplantate der wunscherfüllenden Medizin zuzuordnen sind.
Einführung und Problemstellung
Die Wertung, implantatgestützten Zahnersatz als Luxus zu bezeichnen, liegt im Allgemeinen der Überzeugung zugrunde, einfacher Zahnersatz stelle eine ausreichende Versorgung des defekten Kauorgans dar. Davon ausgehend wäre es nur ein kleiner Schritt, Implantate der wunscherfüllenden Medizin zuzuordnen. Die Negierung der medizinischen Notwendigkeit dentaler Implantate ist weitverbreitet, man denke nur an die gesetzlich festgeschriebene Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die implantatgetragenen Zahnersatz zur Ausnahme erklärt.3
Die Frage, ob die medizinische Notwendigkeit mit dem Einsatz von Implantaten überschritten werde, ist insofern bedeutsam, weil Übermaßbehandlungen besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen. Die aus Patientensicht wohl bedeutendste Bedingung ist das Kürzungsrecht der privaten Krankenversicherungen.4 Gerade weil die gesetzliche Krankenversicherung bei Zahnimplantaten im Regelfall nicht greift, werden zunehmend private Zusatzversicherungen unterhalten, um die sozialgesetzliche Deckungslücke zu schließen.5,6 Nicht selten laden Patienten ihren Unmut bei Erstattungskürzungen von Krankenversicherungen beim Zahnarzt ab, der es aus ihrer Sicht als Fachmann hätte besser wissen müssen. Da die Rechtslage bei Behandlungen jenseits einer medizinischen Notwendigkeit höhere und besondere Anforderungen auferlegt, berührt die Frage der medizinischen Notwendigkeit von Heilmaßnahmen auch die Praxis direkt.
Lösungsansatz
Die medizinische Notwendigkeit von Behandlungsmethoden erwächst aus ihrer Eignung der Erkrankung zu begegnen. Dahingehend verweist jedenfalls die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.7 Bewertungen der therapeutischen Eignung sind erst mit Kenntnis eines konkreten Behandlungsziels möglich, an dem sich die Heilmaßnahme qualifizieren will. Kennzeichen der medizinischen Notwendigkeit sind demnach: Vorliegen einer Krankheit, Eignung der Heilmaßnahme im Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungsziel.
An diesen drei Prüfsteinen soll nachfolgend bemessen werden, ob der Methodenkomplex „Versorgung des teil- und unbezahnten Gebisses mittels implantatgestütztem Zahnersatz“ grundsätzlich der medizinischen Notwendigkeit unterliegt oder ob er eine darüber hinausgehende Übermaßbehandlung darstellt – plakativ als Luxus bezeichnet.
Definition der Krankheit
Die Abgrenzung des Gesunden vom Kranken ist nicht immer eindeutig. In der früheren Rechtsgeschichte war auch die Einordnung des Fehlens von Zähnen als Krankheit lange umstritten. Nicht mehr heutzutage. Bei Unklarheiten der Rechtslage hilft der Blick in das Gesetz, scherzen Juristen. Das Zahnheilkundegesetz regelt: „Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung … anzusehen, einschließlich … des Fehlens von Zähnen“. Für eine andere Interpretation bleibt kein Raum, da ein möglicher Verstoß dieser Regelung gegen höherrangiges Recht sich nicht ansatzweise erschließt. Es bleibt festzuhalten: Das Fehlen von Zähnen ist krankhaft.
Eignung der Heilmaßnahmen
Die heutige Anwendung von Implantaten zur Wiederherstellung des Kauorgans ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Reifungs- und Optimierungsprozesses und mittlerweile allgemein anerkannt. „Die Implantattherapie hat sich als stabile, funktionstüchtige und langfristig erfolgreiche Maßnahme mit einem hohen Patientenkomfort erwiesen“, berichtet die DGZMK.8 So ist auch die Eignung der hier erörterten Heilmaßnahmen als eine weitere Voraussetzung der medizinischen Notwendigkeit grundsätzlich erfüllt.
Das gilt jedenfalls bei einer günstigen Prognose. In aussichtslosen Fällen hingegen ist die medizinische Notwendigkeit nicht gegeben. Das führt zu der spannenden Frage, wie sich die medizinische Notwendigkeit zwischen den Prognoseextremen verhält. Das Knochenangebot ist bekanntlich kein Wunschkonzert und mit zunehmenden Erfahrungswerten wird versucht, auch kompromittierten Krankheitsfällen abzuhelfen. Bei welcher Erfolgsaussicht aber setzt die medizinische Notwendigkeit ein? Diese Frage ist noch nicht allgemeingültig geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Nikolausbeschluss vom 06.12.2005 als Mindestchance einer Therapie „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ definiert.9 Diese Entscheidung erging allerdings nicht zu einer Versorgung mit Implantaten, sondern über die Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der sozialrechtliche Anlass dieser Entscheidung mag aber dahinstehen, denn nicht eine eigene Definition der medizinischen Notwendigkeit, sondern die Leistungseinschränkung durch das Wirtschaftlichkeitsgebot kennzeichnet die Sonderstellung der GKV.10 Es verbleibt, sich mit dem Behandlungsziel zu befassen.
Behandlungsziel
Hauptmerkmal der wunscherfüllenden Medizin ist eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit über das physiologische Maß hinaus.11 Dieses besondere Behandlungsziel wird mit Implantaten weder bezweckt noch erreicht. Insofern unterfällt deren Anwendung in dem hier betrachteten Bereich zur Verankerung von Zahnersatz, nicht der wunscherfüllenden Medizin. Bei umfassender Betrachtung vermag kein Zahnersatz eine Heilung zu bewirken. Natürliche Gewebe lassen sich nicht gleichwertig ersetzen. Aus dieser grundlegenden Unvollkommenheit künstlichen Ersatzes folgt: Der beste Zahnersatz ist grade gut genug, ohne gleichzeitig (überflüssiger) Luxus zu sein. Behandlungsmethoden, die darauf abzielen, sich dem physiologischen Befinden möglichst zu nähern, hier implantatgestützter Zahnersatz, ist von der medizinischen Notwendigkeit gedeckt.12 Die medizinische Notwendigkeit greift nämlich bei dem Ausgleich körperlicher Mängel nach Rechtsprechung in höchster Instanz bis zum Gleichziehen mit einem gesunden Menschen.13
Fazit
Gemäß den anerkannten Regeln der Heilkunst steigert eingegliederter implantatgestützter Zahnersatz nicht die körperliche Leistungsfähigkeit über das physiologische Maß hinaus. Er ist daher kein „Doping des Kauorgans“, unterfällt nicht der wunscherfüllenden Medizin. Bei dem prothetischen Ausgleich körperlicher Mängel greift die medizinische Notwendigkeit bis zum Gleichziehen mit einem gesunden Menschen. Die Bezeichnung medizinisch angezeigter Implantate als vorgeblicher Luxus ist aus diesem Grund unbegründet.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.