Branchenmeldungen 05.01.2009
Karlsruhe prüft Teile der Gesundheitsreform
Wenn ein großes politisches Projekt nach mühsam ausgehandelten Kompromissen endlich im Gesetz steht - erst dann schlägt wirklich die Stunde der Juristen. Dann suchen sie nach Fehlern im komplizierten Regelwerk, die groß genug sind, um es in Karlsruhe zu Fall zu bringen. Ein neues Kapitel aus dieser Reihe wird am kommenden Mittwoch (10.12.) im Bundesverfassungsgericht aufgeschlagen: Die Gesundheitsreform von 2007 steht auf dem Prüfstand. In der Anhörung geht es nicht etwa um das gesamte Reformprojekt, mit dem erstmals eine allgemeine Versicherungspflicht eingeführt worden ist. Zur Debatte stehen einige zentrale Regelungen zu den privaten Krankenversicherungen (PKV) - Regelungen, die das System der PKV „destabilisieren“ werden, warnt der Bonner Professor Gregor Thüsing, der mehrere Beschwerdeführer vertritt.
Geklagt haben insgesamt 29 private Krankenversicherungen, dazu zehn weitere Beschwerdeführer. Über die Beschwerden von fünf Unternehmen und drei Privatversicherten wird exemplarisch verhandelt; ein Urteil dürfte im Frühjahr folgen. Ihre Argumente lassen sich ungefähr so zusammenfassen: Mit der Reform engt der Gesetzgeber die privaten Versicherungen ein, während er die gesetzlichen Kassen beispielsweise durch die neuen “Wahltarife“ attraktiver macht – und obendrein noch subventioniert.
Vor allem der Basistarif ist den privaten Kassen ein Dorn im Auge. Diesen Tarif, der sich am Leistungsumfang der gesetzlichen Kassen orientiert, müssen die Privaten vom kommenden Jahr an anbieten – und zwar sogar für Altkunden, die bis Mitte des Jahres wechseln dürfen. Thüsing stellt gar nicht in Abrede, dass ein Basistarif theoretisch zulässig sein könnte, nur: In der jetzigen Form sei er unangemessen. Denn auch der Reiche könne in den günstigen Tarif wechseln und werde so letztlich von Menschen mit niedrigem Einkommen subventioniert. „Der Solidargedanke wird pervertiert“, schreibt er in einem Aufsatz. Außerdem: Die Unterstützung Hilfebedürftiger sei Aufgabe des Staates, nicht der Versicherten.
Auch im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts könnte der Basistarif kritisch gesehen werden - und zwar ausgerechnet von Ferdinand Kirchhof, der als „Berichterstatter“ federführend in dem Prozess ist. Die „Frankfurter Rundschau“ zitierte ihn kürzlich mit einer Äußerung von Anfang 2007 - also ein dreiviertel Jahr vor seiner Ernennung zum Verfassungsrichter -, wonach der Basistarif nicht verfassungskonform sei, weil die Kosten den Privatversicherten aufgebürdet würden.
Neu ist zudem die Übertragbarkeit der Altersrückstellungen, mit denen die privaten Kassen die Beiträge im Alter bezahlbar halten wollen. Fortan soll der Versicherte sein „Sparguthaben“ mit zur Konkurrenz nehmen dürfen - was den Wechsel erleichtern und damit den Wettbewerb fördern soll. Die Privaten fürchten, dass damit einige von ihnen ausbluten: Weil die Gesunden zur günstigeren Konkurrenz wechseln, bleiben die Kranken, die keiner mehr aufnimmt, zurück – mit steigenden Beiträgen. Kritisiert wird auch die Regelung, wonach nur zu den Privaten wechseln darf, wer die maßgebliche Einkommensgrenze drei Jahre hintereinander überschritten hat - aus Sicht der PKV eine unnötige Behinderung ihres Neukundengeschäfts. Oder der Bundeszuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen, der schrittweise auf 14 Milliarden Euro steigen soll: Wird damit nicht die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder mitfinanziert, fragen die Kläger - eine Vergünstigung, die den Privatkassen vorenthalten wird?
Die Kernfrage lautet letztlich: Wie stark dürfen die PKV für das sozialpolitische Ziel eines Versicherungsschutzes für alle in die Pflicht genommen werden? Der Spielraum für Reglementierungen der PKV sei beträchtlich, meint Astrid Wallrabenstein, juristische Vertreterin der Bundesregierung. Weil es um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung gehe, sei die unternehmerische Freiheit einer privaten Krankenversicherung verfassungsrechtlich weit weniger ausgeprägt als bei „normalen“ Unternehmen, argumentiert die Bielefelder Professorin. Entscheidend für das Schicksal der Vorschriften könnte damit sein, wie real das von der PKV beschworene Szenario einer drohenden Schieflage wirklich ist. Der Erste Senat wird dazu am Mittwoch Experten anhören - darunter den „Wirtschaftsweisen“ Bert Rürup.
Quelle: Wolfgang Janisch, dpa, 04.12.08