Branchenmeldungen 19.08.2015

KFO-Ausblicke mit Strandblick



KFO-Ausblicke mit Strandblick

Mitte Juni fand der EOS-Jahreskongress in Venedig statt. Ein Rückblick von Dr. Doreen Jaeschke.

Für den 91. Kongress war die Wahl der European Orthodontic Society (EOS), einer der ältesten Fachgesellschaften im Bereich Kieferorthopädie, mit Venedig auf eine der schönsten denkbaren Alternativen im Süden Europas gefallen und auf Vorträge in einem der bekanntesten Filmkunsttheater der Welt – dem Palazzo del Cinema, wo die Stars der Biennale sonst über den roten Teppich flanieren. Und Venedig präsentierte sich denn auch Touristen wie Teilnehmern mit einer Mischung aus Badewetter und gelegentlichen Regengüssen, sodass am eigentlichen Kongressort auf der vorgelagerten Insel Lido die Nähe zum Strand durchaus eine verlockende Alternative war. Kieferorthopädisch bot sich den über 2.000 Teilnehmern und 70 Ausstellern vom 13. bis 18. Juni eine Fülle von Eindrücken aus Wissenschaft und Praxis.

Der Pre-Congress-Kurs war mit Prof. Dr. Moschos Papadopoulos (Griechenland) den Behandlungsmechaniken inklusive skeletteler Verankerung gewidmet. Elf Keynote-Speaker fassten an den folgenden Tagen aktuelle Erkenntnisse zusammen zu Themen wie Früh- oder Spätbehandlung und optimales Timing, zur Frage der Extraktionsbehandlungen, skelettaler Verankerungen, interdisziplinärer Zusammenarbeit und nicht zuletzt zur Evidenzbasis in der Kieferorthopädie. Gleich zu Beginn im Anschluss an die WJB Houston Oral Research Award-Präsentationen ging im Rahmen der Sheldon Friel Lecture Prof. Dr. Stavros Kiliaridis (Schweiz) der Frage nach, ob und wie gut das kieferorthopädische Arbeitsgebiet, der dentoalveoläre Prozessus, bekannt ist. Schwerpunkt waren muskelabhängige Veränderungen. Die Muskelfunktion zeigt dabei interessanterweise kaum Varianz zwischen den Geschlechtern bis zum Jugendalter, erst in der Gruppe der 20- bis 24-Jährigen hatten Männer mehr Maximalkraft. Diese Maximalkraft ist bei beiden Geschlechtern sehr gut innerhalb weniger Wochen trainierbar und beeinflusst die Knochendicke. Im Tierversuch und an Studien zeigte er, wie harte Nahrung und höhere Muskelaktivität einen verstärkten Einfluss auf die Knochenstruktur und -dicke des Prozessus, die Suturen des Gesichtsschädels und damit auch auf das Wachstum des Kondylus haben.

Mit der Frage Frühbehandlung oder besser späterer Behandlungsstart beschäftigten sich Keynot-Speaker Prof. Dr. Lars Bondemark (Schweden) und Prof. Dr. Lorenzo Franchi (Italien). Für die Kreuzbissbehandlung arbeitete Professor Bondemark anhand von Studien heraus, dass eine möglichst frühe Korrektur effizient, nachhaltig, langfristig stabil und auch wirtschaftlich sei im Verhältnis zum späteren Behandlungsbeginn. Professor Franchi gab im Rahmen seines Vortrages klare Empfehlungen hinsichtlich des Timings: Transversale Defizite sollten in jedem Fall vor Beginn des Wachstums zur Vermeidung von Folgeschäden ausgeglichen werden, Klasse III-Patienten sollten aus seiner Sicht im Rahmen einer Frühbehandlung auf jeden Fall vor Beginn des Wachstumsspurts und mit GNE und Maske therapiert werden, da zu diesem Zeitpunkt in der Sagittalen sowohl eine Hemmung des UK-Wachstums (durchschnittlich –3,5 mm) als auch eine Förderung der maxillären Entwicklung (durchschnittlich 2 mm) erreicht werden können. Für Klasse II-Fälle sei die wachstumsfördernde FKO-Therapie jedoch mit dem Wachstumsspurt am effizientesten. Die Identifikation des skelettalen Alters erfolgt dabei über die Halswirbel, wobei Franchi auch eine DVT-basierte Korrelation herstellte, die das Zeitfenster für die Therapiewirksamkeit der Facemask auf die zygomaticomaxillären Suturen vorhersagbarer macht. Inwieweit dies durch skelettale Verankerungen variabel ist, ist nicht belegt, und war Thema weiterer Vorträge, u.a. von Prof. Dr. Benedict Wilmes.

Während man mit Hybrid-GNE teils unabhängig vom Zahnbestand expandieren kann, stellte dieser dar, wie Klasse III-Patienten früh von der Kombination mit Mentoplate oder Maske profitieren bzw. dies durch Kombination und optimierte Protokolle betriebssicher und noch effizienter gestaltet werden kann. Dr. Heinz Winsauer (Österreich) stellte dazu für erwachsene Patienten eine auf 4 bis 6 Miniimplantaten rein skelettal verankerte GNE, ihre Handhabung und Erfolgsaussichten mit und ohne chirurgische Unterstützung anhand einer Studie dar. Seine Patienten im Alter von 17 bis 22 Jahren benötigten demnach keine chirurgische Unterstützung, in der Gruppe 34 bis 57 Jahre lediglich 40 Prozent der von ihm behandelten Patienten. Unter der Überschrift „Integrated orthodontic care“ fielen die Vorträge von Prof. Dr. Ewa Czochrowska (Polen) zur erfolgreichen KFO-Therapie bei PA-Patienten gemeinsam mit PA-Spezialisten und Prof. Dr. David Sarver (USA). Dieser zeigte den Kieferorthopäden insbesondere im Hinblick auf das Altern der Patienten ein Spannungsfeld. Er demonstrierte an langjährigen Patienten KFO-relevante altersbedingte Gesichtsveränderungen zwischen 18 und 42 wie die Abflachung des Profils, weniger protrusive Lippen, Reduktion der Oberlippendicke und Zunahme der unteren oder die Vergrößerung der Nase in allen Dimensionen sowie chirurgische Korrekturmöglichkeiten im Alter. „Mit unseren Entscheidungen bestimmen wir früh mit, wie ein Kind für den Rest seines Lebens aussieht“, mahnte er zur stärkeren Beachtung ästhetischer Parameter und zeigte, wie z.B. ein Gummy Smile beim Altern verschwindet und wie „unästhetisch“ Frontzahnimplantate über die Jahre werden können. Alle kongressbegleitenden Programmpunkte profitierten von der wunderbaren Kulisse der Lido-Insel und der Stadt. Für seine President’s Reception hatte Prof. Dr. Antonio Miotti (Italien) z.B. das Hotel Excelsior direkt am Strand mit einem Hauch aus Tausendundeiner Nacht ausgesucht und begeisterte mit dem Konzert eines Harfenorchesters, dass in dieser Art einmalig auf der Welt bestehen dürfte, sowie einem opulenten Feuerwerk.

Der Assistentenabend im Beachclub oder auch das Galadinner in den historischen Mauern der Scuola San Giovanni Evangelista rundeten das Bild ab. Leider war die Organisation den Anmeldungen und Anforderungen vor Ort nicht immer gewachsen und Namensverwechslungen nahm so mancher Teilnehmer mit Humor. Die Posterdemonstration sowie die Aussteller im anderen Gebäude waren gut besucht, auch wenn hier aufgrund der Enge der Räume und nicht optimalen Beleuchtung so mancher einen Abstractband inklusive Poster vermisste. Für den 92. Kongress der EOS luden der Tagungspräsident Prof. Dr. Jan Huggare und sein Team mit einer einstimmenden Präsentation für den 11.–16. Juni 2016 in die schwedische Hauptstadt Stockholm (www.eos2016.org) ein.

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