Branchenmeldungen 08.03.2011
Moderne Mukogingivalchirurgie und Parodontalchirurgie
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Zumstein dental academy mit Prof. Dr. Giovanni Zucchelli am 13./14. Januar 2011 im KK Luzern. Dr. med. dent. Lothar Frank berichtet.
Dr. Thomas Zumstein hiess Prof. Dr. Zucchelli zum sechsten Mal in Luzern willkommen und stellte ihn mit den Worten vor: „most famous periodontologist in europe an the world“.
Die Anwesenden sollten zwei spannende Fortbildungstage und in Zucchelli einen mitreissenden Lehrer erleben, der auf amüsante Weise italienisches Temperament in die Pädagogik einführt. Live-OPs blieben in diesem Jahr aus, da es sämtliche Operationstechniken bereits auf DVDs zu kaufen gibt.
Einleitend beschäftigte sich Zucchelli mit der Ätiologie der Rezessionen und gab dafür folgende Hauptgründe an:
- Trauma durch zu starkes Putzen
- Kieferorthopädie (Ausformen des Zahnbogens bei zu wenig Knochenangebot)
- Prothesen
- Piercings
Er betonte, dass es sich nicht um ein Verlieren der angewachsenen Gingiva handelt, sondern um den Verlust von Knochen, der das Weichgewebe mit sich zieht. Weiterhin unterstreicht er, dass die mukogongivale Grenzlinie genetisch festgelegt ist, der Verlust von angewachsener Gingiva verläuft also stets von coronal nach apikal.
Einteilung der Rezession nach Miller
Ein weiterer wichtiger Begriff für das Verständnis der Chirurgie nach Zucchelli ist die Schmelz-Zement-Grenze. Ist diese sichtbar oder gar das apikal liegende Zement der Wurzeloberfläche, liegt eine Rezession vor, die meist auch den Patienten stört, da die gelbliche Wurzeloberfläche nicht dem ästhetischen Vorbild entspricht. Sehr wichtig weiterhin im Vorfeld zu erkennen ist, ob bei einem Zahn durch Elongation eine zusätzliche Verschiebung der Schmelz-Zement-Grenze nach koronal vorliegt, denn solch eine Rezession lässt sich nicht chirurgisch decken!
Essenziell natürlich auch die Einteilung der Rezessionen nach Miller:
Klasse 1: Die Rezession liegt innerhalb der angewachsenen Gingiva.
Klasse 2 a/b: Die Rezession erreicht(a) oder überschreitet(b) die mukogingivale Grenzlinie, Papillen sind nicht betroffen.
Klasse 3: Die Rezession überschreitet die mukogingivale Grenzlinie und auch die Papille(n) ist/sind betroffen.
Klasse 4: Vertikaler Defekt
Die Definition des „cap“
Zucchelli führte seinen Vortrag mit der letzten wichtigen Definition fort, der „cap“: diese definiert sich durch die horizontale Verbindung der Wendepunkte von den gesunden Sulci in die gingivale Rezession. Das Ausmass dieser nach apikal, also die gesamte pathologisch freiliegende Zahnoberfläche, ist die „cap“. Vom Kontaktpunkt Anfang zu „cap“ sind es stets 4-5 mm Distanz, dies ist beim Menschen genetisch festgelegt.
Als Überleitung zum praktischen Vorgehen sprach Zucchelli ein häufiges Problem bei Rezessionen an: oft geht es nicht nur um den Weichgewebsdefekt, sondern auch um einen keilförmigen Defekt der Zahnhartsubstanz. Dieser muss unbedingt mit einer Kompositfüllung gedeckt werden. Wer die Operation gut geplant hat und weiss, wie weit eine chirurgische Deckung der Rezession möglich ist, kann den Füllungsrand korrekt legen. Das heisst ein maximal gutes Ergebnis der Ästhetik erzielen und einen subgingivalen Füllungsrand vermeiden. Zucchelli äusserte sich dabei kritisch betreffend der Kompositrestaurationen. Alternative Vorgehensweisen gibt es allerdings nicht, da sonst eine der Mundhygiene unzugängliche Schmutznische verbleibt, die zwingend zum Rezidiv führen wird.
Zum operativen Vorgehen im Detail
Der Zugang erfolgt als Trapezlappen 3 mm unterhalb der Papillenspitze in Form eines „splitflaps“. Lediglich der Lappenanteil, der die Alveole bedeckt wird als „full flap“ Rezession + 3mm präpariert, um die Wurzel und ein eventuelles Transplantat mit Periost zu decken. Apikal dessen und auch der Rest des Trapezes wird doppelt gespalten: Eine tiefe Inzision nahe dem Periost, um die in der Tiefe inserierenden Muskeln zu durchtrennen, und eine faziale Schnittführung, um einen Epithel- und Bindegewebelappen zu erhalten. Damit wird das gesamte Trapez spannungsfrei nach koronal und rotierend verschiebbar. Der gewonnene koronale Verschiebelappen wird dann an den deepithelialisierten Papillen mit Schlingnähten von apikal beginnend vernäht. Falls notwendig, wird intraoperativ nach beschriebener Aufklappung die Kompositfüllung unter Kofferdam gelegt, falls ein Bindegewebstransplantat vonnöten ist, favorisiert Zucchelli ein graziles, deepithelialisiertes Transplantat aus der Prämolarenregion. Er geht dabei nicht zu tief, da dies mit mehr Schmerzen für den Patienten verbunden ist und mehr später kollabierende Fettzellen enthält. Ausserdem hat dieses „double layer graft“ (Epithel und Bindegewebe) laut seiner Erfahrung eine stabilere Gewebequalität, was allerdings nicht in der Literatur belegt ist. Den Defekt am Gaumen deckt er mit angenähtem BioOss® Kollagen. Diese Vorgehensweise empfiehlt Zucchelli auch für eine gegebene Rezession am Implantat.
Ausdrücklich betont aber vor der Exposition der rauen Implantatoberfläche, also bevor sich eine Periimplantitis manifestieren kann. Ist dem aber schon so, rät er, die Implantatkrone zu entfernen, das Abutment zu beschleifen und eine neue Krone (nach apikal verlängert) herstellen zu lassen. Zucchellis Instrumente entspringen der Mikrochirurgie. Vor der Verwendung von Mikroklingen warnt er aber ausdrücklich und legt nahe, „zuerst 10 Jahre mit der Klinge 15c zu arbeiten, bevor man zu kleineren oder gar beidseits geschliffenen Klingen wechselt.“ Verwendetes Nahtmaterial: 6.o und 7.o polyfil, um weniger schneidende Fäden zu haben, was bei den filigranen Läppchen und Papillen sehr wichtig ist.
Weitere Operationstechniken wie die Deckung multipler Rezessionen und den lateralen Verschiebelappen stellte Zucchelli auch vor. Hochinteressant und mit zahlreichen Bildern belegt ist Zucchellis Beobachtung, dass sich die keratinisierte Gingiva nach erfolgreicher Operation von selbst wieder auf die ursprünglich vorhandene Dimension verbreitert. Er vermutet dahinter eine genetische Determination, kann dies aber nicht wissenschaftlich belegen.
Abschliessend zeigte er beeindruckende, brillante Patientenfälle, die sicher jeder zahnärztliche Betrachter gerne selbst so lösen könnte. Vor jeder Operation rät er, den spezifischen Fall genau zu verstehen: Was liegt vor, woher kommt der Defekt, ist es Hart- und Weichgewebe, wie muss ich vorgehen, welche biologischen Vorgänge liegen zu Grunde? So konnte er beispielsweise einen Fall zeigen, bei dem eine weit fortgeschrittene Rezession in der Unterkieferfront vorlag, die durch die Angewohnheit des Patienten entstand, sich des Öfteren auf den Daumennagel zu beissen. Der Zahn 42 wurde somit trotz Retainer immer wieder nach lingual gedrückt, was einen Abbau der gesamten bukkalen Knochenlamelle zur Folge hatte. Man könnte die Vorgehensweise auch mit dem Neudeutschen „cause-related-therapy“ zusammenfassen.
Zum Langzeitergebnis weisst Zucchelli die Verantwortung weg vom Operateur und macht klar, dass dies rein vom Verhalten des Patienten abhängt. Ist ein Weichteilergebnis für Monate stabil geblieben, so sollte es auch für Jahre erhaltbar sein, sofern dies nicht vom Patienten selbst durch zu aggressives Putzen o. ä. verhindert wird.
Vor der OP kein Rootplanning
Am zweiten Tag, wurde und der vertikale Knochendefekt angegangen, der am ersten Tag noch nicht Gegenstand der Diskussion war: In der Theorie sieht Zucchelli den Erfolg basierend auf der Grundthese, dass lediglich das Blut im Defekt stabilisiert werden muss. Dieses wird zum Blutkoagel und kann sich nachfolgend über Granulationsgewebe in das verlorene Gewebe an Ort und Stelle transformieren. Er ist sich dabei 100 Prozent sicher, dass es zu einer vollständigen Geweberegeneration und nicht zu einer Reparation kommt. Als grundlegend wichtig sieht er es, dass vor der Operation kein Rootplanning, sondern nur Scaling erfolgt. Das Operationsgebiet soll zwar entzündungsfrei sein und kein BOP aufweisen, wird aber neben dem Scaling auch ein Rootplanning durchgeführt, so wird das stützende Granulationsgewebe ebenfalls entfernt und das Weichgewebe kollabiert, bzw. verschwindet. Dieses Weichgewebe wird aber zur Schaffung des Raumes, in dem die Regeneration stattfindet und zur Deckung des Defektes benötigt (ein Transplantat sollte vermieden werden).
Defekte locker auffüllen – nicht stopfen
Das Rootplanning wird während der Operation nachgeholt. Eine Stunde vor der Operation gibt er dem Patienten 2 g Amoxicillin, 3 Stunden nach der Operation 1 g und deckt für weitere 5 Tage antibiotisch ab. Die Wurzel wird mit EDTA-Gel für 2 Minuten abgedeckt und nachfolgend abgespült. Dann wird der Defekt mit osteokonduktivem BioOss® locker aufgefüllt (nicht gestopft). Wie bereits bekannt, ist der Erfolg gewisser, je mehr Wände den Defekt umgeben. Membranen verwendet Zucchelli nur selten und rät dringend von dem Versuch ab, bukkale Defekte regenerieren zu wollen. Dies ist nicht möglich und erhöht lediglich das Risiko einer Infektion und damit die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges.
Das Vernähen erfolgt immer von apikal, um Zug am deckenden Gewebe möglichst fern zu halten, danach interdental und zuletzt und am wichtigsten die Schlingnähte für die Papillen.
Weitere Operationstechniken wie der laterale Verschiebelappen, die Takey-Technik (1985), der Papilla amplification flap (Zucchelli et De Santis, 2005 und 2008) wurden ebenfalls vorgestellt. Zum Abschluss zeigte Zucchelli zahlreiche klinische Fälle, bei welchen er auch avitale und eher als hoffnungslos zu bezeichnende Zähne behandelte. Nicht selten führte dies zu Wurzelresorptionen.
Blicke in die Zukunft
Einen Ausblick in die Zukunft konnte Zucchelli ebenfalls bieten, indem er seine Operationsergebnisse mit einem sich ausdehnenden Kollagenschwämmchen zeigte. Dies scheint erfolgsversprechend und bestätigt wiederum seine Ansicht, dass es kein Knochenersatzmaterial braucht, sondern eine Koagulumstabilisation mit nachfolgender Geweberegeneration!
Ein kleiner Rückblick auf die Zeit der Zumstein-Fortbildungen blieb selbstverständlich nicht aus und die Wehmut im Publikum war unüberhörbar. Die meisten der Anwesenden hofften, dass es in Zukunft nicht nur Fotokurse von Thomas Zumstein geben wird, da die Qualität und der Rahmen des Kursangebots einfach immer zu gut waren.
Wer noch tiefer ins Detail gehen möchte, dem seien die DVDs der Zumstein dental academy empfohlen, besonders die DVD 80.
www.zumstein-dental-academy.ch