Parodontologie 28.02.2011
Möglichkeiten und Grenzen der ästhetischen Parodontalchirurgie
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Der parodontal-chirurgisch tätige Zahnarzt wird heutzutage immer mehr mit dem Wunsch der Patienten konfrontiert, neben der Erhaltung des Zahnbestandes auch für eine Wiederherstellung der sogenannten Rot-Weiss-Ästhetik zu sorgen. Nach erfolgter Implantation oder konventioneller Parodontalchirurgie sind es besonders Rezessionen oder der Verlust in der Ästhetik der Weichgewebspapille, die der Patient als störend empfindet.
Bei den uns heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für eine korrekte Wiederherstellung der Gesamtästhetik sind das Ausmass der fazialen und interdentalen Rezession sowie der begleitende Knochenverlust die Haupteinflussfaktoren und Limitationen für ein positives Behandlungsergebnis. Dieser folgende Beitrag stellt eine Übersicht über die heute möglichen parodontal-chirurgisch/plastischen Techniken dar, um Rezessionen erfolgreich therapieren zu können.
Ätiologie
Verantwortlich für das Auftreten von Rezessionen sind zum einen sogenannte anatomische Anomalien oder andere Einflussfaktoren sowohl traumatischer als auch entzündlicher Herkunft. Zu den anatomischen Ursachen zählt ein hoher Ansatz des Frenulums oder die Labialstellung von Zähnen, die besonders bei einem hohen Standard an Mundhygiene zu fazialen Rezessionen führt.1
Als traumatische Ursachen sind sowohl eine zu aggressive Mundhygiene mit harter Bürste, insuffiziente Restaurationen, welche die Gingiva chronisch reizen, als auch forcierte kieferorthopadische Labialbewegungen zu nennen. Entzündliche Ursachen sind das Vorhandensein an Plaque, auch in Kombination mit einem hoch einstrahlendem Frenulum, welches die häusliche Plaquehygiene beeinträchtigt mit nachfolgender Gingivitis (Abb. 1). Vor allem bei dem sogenannten dünnen Phänotyp der Gingiva kann Zahnstein selbst zu einer Verdrängung des Zahnfleisches führen. Des Weiteren kommt es durch die Parodontitis selbst zu einem Abbau des interdentalen Knochengewebes und führt zu Rezessionen auch im interproximalen Bereich.
Indikation
Der Hauptgrund für eine Rezessionstherapie stellt heute der kosmetisch-ästhetische Anspruch des Patienten selbst dar und die schmerzhaften Irritationen durch die freiliegenden Zahnhälse. Die geringe Dicke an keratinisierter Gingiva selbst stellt keine Indikation für einen Eingriff dar, zumal es sich gezeigt hat, dass unter optimaler Plaquehygiene eine Rezession mit einer Breite der keratinisierten Gingiva von weniger als 1mm am Fortschreiten gehindert werden kann.2 Allerdings stellt eine erfolgreiche Deckung freiliegender Zahnhälse eine Erleichterung für die tägliche Plaquekontrolle dar. Sofern es im Frontzahngebiet zu einer Versorgung mit subgingivalen Kronenränder kommt, kann auch dies eine Indikation darstellen, die Breite und Dicke der keratinisierten Gingiva zu vergrössern, um ein Fortschreiten der Rezessionen durch Irritation von eher dünner Gingiva zu verhindern.
Therapie
Zurzeit gibt es zahlreiche Erfolg versprechende Therapien für die Rezessionsdeckung. Die Therapieoptionen reichen von der Nutzung eines freien Schleimhauttransplantates, lateraler als auch koronaler Verschiebelappen bis hin zu der Nutzung eines Bindegewebetransplantates in Kombination mit der sogenannten Tunneltechnik.3–7 Letzteres hat zum Vorteil, dass nicht nur Rezessionen gedeckt werden können, sondern auch eine gewisse Weichgewebsverdickung (Gingivaaugmentation) erreicht wird. Für den Therapieerfolg entscheidend ist hierbei das Ausmass der vorhandenen Rezession. Rezessionen werden daher oft nach dem durch Miller eingeführtem Rezessionsschema eingeteilt (Abb.1–4).8 Eine Rezessionsdeckung ist hierbei vorhersehbar bei einer Klasse I und II zu erwarten. Klasse I entspricht hierbei einer fazialen Rezession, welche die mukogingivale Grenze nicht überschreitet und es liegt keine Beteiligung des interdentalen Gewebes vor. Auch die Klasse II kann erfolgreich therapiert werden. Hierbei hat die Rezession bereits die mukogingivale Grenze überschritten, allerdings auch hier ohne zu einem Verlust interdentalen Gewebes geführt zu haben. Für die Klasse III und IV ist eine vollständige Deckung der Rezession nicht vorhersehbar. Eine Klasse III entspricht hierbei einer Rezession, welche bereits das interdentale Weichgewebe und den Knochen betrifft, jedoch nicht apikal der fazialen Schmelz-Zement-Grenze liegt. Die Klasse IV bezeichnet hingegen einen Verlust an interdentalem Weichgewebe und Knochen, welcher apikal der fazialen Schmelz-Zement-Grenze liegt. Für die Rekonstruktion derartiger Defekte liegen zurzeit jedoch lediglich Fallberichte vor. 9, 10
Grundsätzlich sollte eine vorhandene Gingivitis vor einer solchen Therapie behandelt worden sein. Entzündungen im Operationsgebiet erhöhen die intraoperative Blutung und erschweren die zur koronalen Positionierung des Gewebes nötigen Nähte. Dem Patient sollte in der präoperativen Phase eine rezessionsorientierte Putztechnik gezeigt werden. Direkt vor der Deckung erfolgt die Glättung der Wurzeloberflächen durch eine Kürettage.
Lappentechniken
Ursprünglich durch Gruppe und Warren 1956 eingeführt, stellte der gestielte Rotationslappen die Rotation eines vollmobilisierten Mukoperiostlappens eines Nachbarzahnes dar, welcher dann nach lateral auf die zu behandelnde Rezession geschwenkt wird (Abb. 5–10).11 Später schlugen andere Autoren (Pfeifer und Heller 1971) die Belassung des Periosts auf der Donorseite vor, um dort postoperative Rezessionen zu verhindern.12
Nach erfolgter Entepithelialisierung der Empfängerstelle um 3 mm in mesialer und apikaler Richtung wird eine horizontale und vertikale Inzision an der Donorstelle geführt, um den Lappen zu rotieren. Der Lappen wird als Mukosalappen über die Mukogingivalgrenze hinaus geführt, um eine bessere laterale Schwenkung zu ermöglichen (Abb.6). Einzelknopfnähte reichen für die spannungsfreie Positionierung dieses Lappens. In Kombination mit einem Bindegewebstransplantat kann mit dieser Technik eine Verdickung der bukkalen Gingiva erreicht werden (Abb. 6–10).
Einer der wichtigsten Lappentechniken ist der koronale Verschiebelappen.13, 14 Durch zwei über die Papillen laufende horizontale Inzisionen wird die vorhandene Rezession mesial und distal sozusagen eingegrenzt. Zwei vertikale Inzisionen werden bis über die mukogingivale Grenze hinausgeführt. Nach erfolgreicher Entepithelialisierung der koronal noch verbleibenden Papillen wird der Lappen als Mukoperiostlappen nach koronal verschoben und im approximalen Bereich über die entepithelialisierten Papillen gelegt.
Eine ähnliche Methode für die Behandlung von lokalisierten Rezessionen stellt der Semilunarlappen nach Tarnow 1986 dar.15 Hierfür ist jedoch eine ausreichende Dicke der keratinisierten Gingiva Voraussetzung. Durch eine halbmondförmige Inzision in einem Abstand zur Rezession, sodass der Abstand ca. 3 mm grösser ist als die zu deckende Fläche, wird ein Mukosalappen präpariert und anschliessend nach koronal verschoben. Einer der wichtigsten Faktoren ist hierbei die spannungsfreie Adaptation des Lappens.15
Gestielte Lappen können auch in Kombination mit GTR Membranen genutzt werden. 1992 durch Pino Prato eingeführt, führt besonders die Nutzung einer eher steifen Membran zu einem Raum zwischen Lappen und Zahnoberfläche, die nach Prinzip der gesteuerten Geweberegeneration restlichen Zellen des Desmodonts die Möglichkeit gewährt, die Zahnoberfläche zu besiedeln.16 Hierzu wird die Rezession distal und mesial von vertikalen Inzisionen begrenzt, welche bis über die mukogingivale Grenze reichen. Wie bei der Regeneration parodontaler Defekte sollte die Membran auch hier bis zu 3 mm über den benachbarten Knochenrand ragen. Der Mukoperiostlappen wird nach koronal mobilisiert und je nach Indikation ist hier eine zusätzliche Deepithelialisierung der Papillen für eine koronale Positionierung nötig. Die Gefahr bei dieser Technik ist die frühzeitige Membranexposition durch das eher dünne bukkale Gingivagewebe.
Freies Gingivatransplantat
Das freie Gingivatransplantat ist eine Technik, mit der ohne die Nutzung eines direkt benachbarten Gewebes Rezessionen erfolgreich therapiert werden können.4 Im Falle des freien Gingivatransplantates handelt es sich um ein 2–3 mm dickes epithelisiertes Gewebe, welches mittels einer auf die Grösse der Rezession getrimmten Zinnfolie aus dem Gaumen entnommen wird. Um die Empfängerregion herum sollte ein ausreichender Bereich von 3 mm in lateraler und apikaler Richtung deepithelisiert werden. Das Transplantat kann direkt auf das Empfängerbett platziert und mit Einzelknopfnähten fixiert werden. Nachteil dieser Methodik sind die postoperativen Beschwerden der Patienten durch die offene Wunde am Gaumen und eine meist hellere auffällige Farbe des Transplantates im Vergleich zum umliegenden Gingivagewebe.
Die Adaptation eines subepithelialen Bindegewebstransplantates beinhaltet die Adaptierung eines Bindegewebstransplantats direkt auf die Wurzeloberfläche und die koronale Positionierung eines Mukoperiostlappens darüber.5, 6, 17 Mittels eines sogenannten Falltürenschnitts im Gaumen wird 3 mm apikal der marginalen Gingiva eine Inzision durchgeführt, die so lang ist wie das benötigte Transplantat und eine Dicke von 2 mm verbleibender Gingiva garantiert. Der Schnitt wird so tief nach apikal geführt, bis die benötigte Breite des Transplantates erreicht ist. Mittels eines Raspatoriums wird nun das Bindegewebsstück vom Knochen gelöst und mit einer finalen Inzision in der Tiefe abgetrennt. Die Entnahmestelle wird direkt mittels einer fortlaufenden Naht verschlossen.
Durch die verbleibende Dicke von ca. 2 mm ist eine ausreichende Ernährung der Gaumenschleimhaut in diesem Bereich gewährleistet. Das Bindegewebsstück kann nun in Kombination mit einem koronalen Verschiebelappen zur Augmentation der bukkalen Gingiva,9 zur Therapie einzelner Rezessionen im Sinne der Envelope-Technik nach Raetzke oder in Verbindung mit der Tunneltechnik nach Allen zur Deckung mehrerer Rezessionen verwendet werden.18,19
Durch eine sulkuläre Schnittführung wird hierbei die Gingiva gelöst und mittels eines speziellen Raspatoriums werden die einzelnen Papillen unterhalb der Schleimhaut verbunden und sozusagen „tunneliert“. Die Mobilisation reicht auch hier bis über die mukogingivale Grenze hinaus, um eine spätere koronale Positionierung des Lappens zu garantieren. Nun wird das Transplantat von distal durch die unterminierten Papillen geführt und an der nichtmobilisierten Schleimhaut oral befestigt. Danach wird der Mukoperiostlappen zusätzlich nach koronal positioniert.
Einige Studien belegen, dass die Nutzung von einem Schmelz-Matrix-Protein Derivat (Emdogain®) sinnvoll ist in der Kombination mit einer Rezessionsdeckung. So konnte die Arbeitsgruppe um Spahr 2005 und Pilloni 2006 nachweisen, dass es einen Benefit in der Behandlung von Rezessionen mit koronalem Verschiebelappen mit der Nutzung von Emdogain® versus alleiniger Therapie mit koronalem Verschiebelappen gab.20, 21 Pilloni zeigte hierbei eine Erfolgsrate von 93,8 % in der Testgruppe versus 66,5 % in der Kontrollgruppe. Dies bedeutet, dass in dieser Studie über 90 % der zuvor freiliegenden Wurzeloberflächen der Testgruppe (koronaler Verschiebelappen und Emdogain®) und 66,5 % in der Kontrollgruppe. Die Wahrscheinlichkeit einer 100%igen Rezessionsdeckung lag in dieser Studie bei 81,25 % in der Test- versus 31 % in der Kontrollgruppe.21
Was ist therapierbar?
Im Allgemeinen sind 63–86 % der durchschnittlichen Rezessionsflächen mit den uns heute zur Verfügung stehenden Techniken erfolgreich therapierbar. Hierbei liegt die Erfolgsrate des subepithelialen Bindegewebstransplantats mit 86 % am höchsten.22
Faktoren wie die Compliance des Patienten hinsichtlich Mundhygiene und Rauchkonsum beeinflussen den Therapieerfolg. Zusätzlich stellt die Höhe des interdentalen Knochens einen der Hauptfaktoren dar, welcher zu einer Limitation des Therapieerfolgs führt. Ist es nämlich durch parodontale Destruktion zu einem Verlust des interdentalen Gewebes mit resultierenden Rezessionen der Miller Klasse III oder gar IV gekommen, so ist ein Therapieerfolg nicht mehr vorhersehbar. Hierzu liegen bisher lediglich Fallberichte vor, welche im Einzelfall über kürzere Zeiträume eine erfolgreiche Papillenrekonstruktion zeigen konnten.23
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Autoren: Dr. Claudia Geenen, Prof. Dr. Dr. Anton Sculean