Branchenmeldungen 03.09.2024
Preisgekrönte Leidenschaft: DH Heidi Zisterer über Beruf und Praktikerpreis
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Heidi Zisterer ist Dentalhygienikerin mit Leib und Seele. Aber damit nicht genug, nebenher ist sie auch Praxismanagerin, Qualitätsmanagementbeauftragte, Zahnmedizinische Fachassistentin, Ausbildungsbotschafterin des IZZ Informationszentrum Zahngesundheit in Stuttgart sowie Mitglied im Prüfungsausschuss der BZÄK- Bezirkszahnärztekammer in Freiburg im Breisgau. Das Berufsleben der 44-Jährigen steht niemals still, über 100 Aufstiegsfort- und Weiterbildungen hat sie bereits absolviert. Jetzt hat sie den diesjährig erstmalig verliehenen Praktikerpreis der Deutschen Gesellschaft für Dentalhygieniker/innen gewonnen. Mehr über ihr preisgekröntes Projekt und die Bedeutung ihres Berufsstandes verrät Frau Zisterer im Interview.
Frau Zisterer, welche Rolle spielt die Prophylaxe in Ihrer täglichen Arbeit und warum ist sie so wichtig?
Prophylaxe spielt im Allgemeinen eine ganz wichtige Rolle und in der Parodontologie umso mehr. Parodontitis kann Auswirkungen auf den gesamten Körper nehmen und ernste Krankheiten wie z. B Diabetes mellitus bedingen. Orale Bakterien und deren Stoffwechselprodukte können durch im Zahnhalteapparat freigesetzte Entzündungsmediatoren in den Kreislauf gelangen und systemisch wirksam werden. So kann man bspw. durch eine nicht behandelte Parodontalsituation zum Diabetiker werden – wenn die Parodontalbakterien den Platz der Insulinrezeptoren einnehmen und die Bauchspeicheldrüse nicht genügend Insulin bilden kann. Ähnlich ist es mit anderen Erkrankungen, denn Parodontalbakterien machen vor keinem Organ Halt. Das biologische Gleichgewicht im Mund kann auch durch Faktoren wie Umwelteinflüsse, Lifestyle oder genetische Prädisposition kippen, wenn die Mundhygiene nicht adäquat vorgenommen wird. Entscheidend ist dann der Wirt selbst, quasi das eigene Immunsystem, inwiefern die Gesamtsituation negativ beeinflusst wird.
Wird bei einem Patienten durch den PSI (Parodontaler Screening-Index) die chronische und mittlerweile Volkserkrankung zu nennende Parodontitis festgestellt, begibt sich der Patient in meine Hände. Ich mache zwei Vorbehandlungen, die erste nennt sich Initialtherapie. Ich bitte alle Patienten vorab, ihre Mundhygieneartikel mitzubringen, damit wir justieren können und lasse alle Patienten erst einmal hier Zähneputzen, um einen Eindruck ihrer häuslichen Mundhygiene zu bekommen. Und das allein ist schon so interessant: Ich habe so viele tausende Patienten behandelt und jeder putzt sich die Zähne anders. So verschieden die Charaktere der Patienten sind, so unterschiedlich sind die Zahnputztechniken. Anschließend folgt eine Kontrolle der Initialtherapie, um gemeinsam mit der Chefin und dem Patienten die weiteren Schritte zu entscheiden. Denn an diesem Punkt ist die Disziplin des Patienten gefragt: Ist er bereit, in drei- bis sechsmonatigen Abständen, je nach Schweregrad, Compliance und Adhärenz, für immer am Ball zu bleiben? Nach den Vorbehandlungen erfolgt in kurzem Abstand die dritte Behandlung, der Parodontalstatus. Anschließend das ATG (ärztliches Therapiegespräch) und MHU (Mundhygieneunterweisung) mit nachfolgender AIT (antiinfektiöse Therapie). Gemeinsam mit dem Patienten entscheide ich individuell, in wie vielen Sitzungen wir diese durchführen.
In der nachfolgenden unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) begleite ich den Patienten über zwei Jahre, um die parodontale Stabilität, die wir erreicht haben, aufrechtzuerhalten und zu optimieren. Zielsetzung heutzutage ist, dass man die eigenen Zähne mit ins Grab nimmt.
Sie sind die glückliche Gewinnerin des Praktikerpreises der Deutschen Gesellschaft für Dentalhygieniker/innen! Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle. Können Sie Näheres über den von Ihnen dokumentierten Fall erzählen?
Letztes Jahr habe ich von der Ausschreibung der Awards gelesen. Ich habe sofort gewusst, die Kategorie „herausfordernder Patientenfall“ wäre meins, und so hielten meine Chefin und ich gemeinsam die Augen nach einem passenden Fall offen. Keine zwei Wochen später fiel die passende Kandidatin wie vom Himmel. Die Dame war über 30 Jahre nicht mehr beim Zahnarzt. Sie kam mit einer bewegten Vorgeschichte, hatte vor einigen Jahren einen Herzstillstand während einer OP erlitten und Angst vor jeglichen Narkosemitteln und Medikamenten. Mehrere weitere anamnestische Faktoren haben mich dazu gezwungen, völlig umzudenken. Somit habe ich Termine gebündelt und zusammengefasst, quasi einen auf sie zugeschnittenen Behandlungsablauf und Therapieplan erstellt. Die Behandlung der Patientin war äußerst schwierig und nahm doppelt so viel Zeit in Anspruch als normalerweise veranschlagt. Die Initialtherapie plus AIT habe ich quadrantenweise in vier Sitzungen zusammengefasst. Diese Sitzungen waren spektakulär: hoher Blutdruck, Kreislaufzusammenbruch, das volle Programm. Ich arbeite ausschließlich nach GBT, der geführten Biofilm Therapie in acht Schritten. Subgingival setze ich bei hartnäckigen Konkrementen zusätzlich einen Airscaler ein; wenn nötig noch Handinstrumente aufgrund der besseren Taktilität. Mit einer Explorer-Sonde ertaste ich abschließend, ob alles, was nicht in die Zahnfleischtasche gehört, weg ist. Danach pustet meine Chefin nochmal in die Tasche. Vier Augen und zwei Lupenbrillen … wenn da nicht alles weg ist!
Nach der erfolgreich abgeschlossenen AIT erfolgte eine Woche später die erste Nachbehandlung. Die Zeit bis zur Befundevaluation, die drei Monate später erfolgte, war äußerst spannend, ich habe mich gefragt: Kommt diese Patientin überhaupt wieder? Immerhin war sie seit 32 Jahren nicht mehr regelmäßig beim Zahnarzt. Doch glücklicherweise kam sie wieder und ich konnte meine 50-seitige PowerPoint-Präsentation zu Ende bringen.
Als die Nachricht kam, dass ich tatsächlich gewonnen habe, habe ich mich riesig gefreut! Durch das Medieninteresse werden viele neue Patienten auf mich und die Praxis aufmerksam. Auch über Social Media erreichen mich Anfragen nach einer Zahnreinigung. Auf meinem Instagramkanal Maultäschli werde ich künftig Einblicke in meine Arbeit teilen, um Menschen für die Bedeutung einer guten Mundhygiene zu sensibilisieren.
Ihre Patientin hatte seit über 30 Jahren keine zahnärztliche Behandlung in Anspruch genommen. Wie bauen Sie die Scheu der Patienten vor einer Behandlung ab?
Ich habe ein sehr gutes Gespür für das Zwischenmenschliche. Wenn ich Patienten hier auf dem Stuhl habe, dann ist es manchmal wie beim Friseur: Die erzählen mir alles. Menschen fühlen sich bei mir einfach wohl und merken, dass sie mir vertrauen können. Wenn ich behandele, spüren die Patienten, dass ich das mit Leib und Seele mache. Ich sehe den Menschen hinter den Zähnen sofort. Was stecken für Lebensgeschichten dahinter? Ich baue die Angst ab, indem ich individuell und einfühlsam an die Sache herangehe. Mit einem Banker schwatzt es sich ganz anders als mit einer Hausfrau!
Außerdem höre ich bei der Anamnese besonders gründlich zu. Es ist toll, dass meine Chefin uns hier Zeit gewährt. Für eine Zahnreinigung dürfen wir 75 Minuten einplanen, 90 Minuten für Neupatienten. So gehen wir nicht gestresst an den Patienten und werden auch schwierigeren Fällen gerecht. Eine gute Praxisführung ist das A und O.
Man merkt, dass Sie für Ihren Beruf brennen. Was ist Ihr Rat an junge Interessierte, die den Weg zur Dentalhygieniker-Ausbildung gehen möchten?
Ich will es nicht beschönigen, der Weg zur DH-Ausbildung ist sehr anspruchsvoll. Man muss einfach volles Herzblut zum Beruf mitbringen, denn die acht Monate Ausbildung erfordern die Selbstdisziplin, sich hinzusetzen und zu lernen. Da hat man keine Freizeit mehr. Meine Empfehlung ist, die Aufstiegsfort- und Weiterbildungen Schritt für Schritt zu absolvieren und anschließend die Inhalte in der Praxis durchzuführen. Merkt man, dass man die Inhalte eines Kurses verinnerlicht hat, geht man den nächsten Schritt. Jeder lernt in seinem eigenen Tempo am besten!
Was die finanzielle Belastung betrifft, muss man mit Kosten von ca. 10.800 € für die Fortbildung rechnen. Doch es gibt gute Möglichkeiten der Finanzierung. Lange wusste ich nicht, dass man Meister-BAföG bekommt. Der Höchstsatz deckt die Hälfte der Kosten, die zweite Hälfte lässt sich nach der Ausbildung mit erfolgreicher Bescheinigung über die KfW Bank finanzieren. Dort reicht man den DH-Schein ein, die KfW Bank erlässt dem Antragsteller 50 % der Kosten. Diesen Vorschuss kann man nach zwei Jahren innerhalb von zwei Jahren in Raten zurückzahlen.
Meiner Meinung nach überwiegen die Vorteile der DH-Fortbildung ganz klar: Es ist eine Chance, langfristig zu denken und das Gehalt deutlich zu steigern. Und neben dieser gehaltstechnisch großen Verbesserung ist die Profession des Dentalhygienikers bisher eine Marktlücke. Unsere Fertigkeiten sucht man überall! Ich glaube, kein Zahnarzt würde seine DH wieder hergeben. Wir nehmen einfach viel ab, leiten die Prophylaxe-Abteilungen und stellen Behandlungskonzepte mit ihrer dazugehörigen Abrechnung auf. Wir sind immer am Ball!
Wie könnte man mehr junge Menschen bewegen, die Weiterbildung zur DH zu absolvieren?
Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Ausbildungsbotschafterin beim IZZ Informationszentrum Zahngesundheit in Stuttgart. Anfangs bei der Repräsentation und Öffentlichkeitsarbeit der Zahnärzteschaft, doch seit ein paar Jahren habe ich mich auf Ausbildungsmessen fixiert, die das IZZ in ganz Südbaden veranstaltet. Dort informiere ich junge Leute über meinen Beruf: Was verdient man? Wo sind Schulen? Was gibt es für Aufstiegsmöglichkeiten? Wo gibt es die Studiengänge?
Eine tolle Möglichkeit, mit jungen Interessierten in den Austausch zu gehen und sie zu begeistern.
Herzlichen Dank für das Interview und für Ihren weiteren Werdegang alles Gute!