Branchenmeldungen 05.02.2024

Zahn- und Mundgesundheit bei chronisch Nierenkranken



Zahn- und Mundgesundheit bei chronisch Nierenkranken

Foto: Priv.-Doz. Dr. Gerhard Schmalz

Das Team um PD Dr. Gerhard Schmalz (Universitätsklinikums Leipzig) hat kürzlich den Otsuka Team Award Nephrology+ 2023 gewonnen. Die Auszeichnung ist für das Leipziger Konzept zur zahnmedizinischen Betreuung bei Dialysepatienten verliehen worden.

Herzlichen Glückwunsch zu Eurem erfolgreichen Abschneiden beim Otsuka Team Award Nephrology+ 2023! Starten wir gleich mit dem prämierten Projekt: Was bietet Euer „Leipziger Konzept“ Menschen mit Nierenersatztherapie?

Vielen Dank für die Glückwünsche. Unser Konzept bietet vor allem eine Sache, nämlich den Fokus auf die Patient:innen. Wir haben hierfür ein Gesamtkonzept entwickelt, welches drei wesentliche Aspekte beinhaltet. Zum einen führen wir zahnärztliche Untersuchungen während der Dialyse durch. Bei diesen stellen wir fest, ob ein Behandlungsbedarf besteht und können dann die Patient:innen zielgerichtet zu ihren behandelnden Zahnärzt:innen überweisen, oder selbst innerhalb unserer Klinik betreuen. Durch die Untersuchung der Patient:innen während der Dialyse ersparen wir den Dialysepatient:innen schon mal einen Gang zum Zahnarzt und verringern damit bereits mögliche Barrieren, die einem Zahnarztbesuch im Wege stehen.

Als zweiten Aspekt setzen wir auf moderne, non-invasive Diagnostik, beispielsweise zur Erkennung und Verlaufsbeurteilung von Wurzelkaries. Diese kommt bei Dialysepatient:innen besonders häufig vor und stellt eine Herausforderung in der Behandlung sowie Prävention dar. Dieser Aspekt ist mehr in die Zukunft gedacht. Wir erhoffen uns, non-invasive Screeninguntersuchungen zu entwickeln und zu etablieren, um ebenfalls den Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung und Prävention zu erleichtern.

Der dritte Aspekt ist das Herzstück unseres Konzepts. Unter Verwendung einer visuellen Metapher aus der Psychologie (PRISM), erfassen wir nicht nur die Patientenperspektive, sondern können auch Selbstreflexion, Eigenverantwortlichkeit und Partizipation fördern. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da jedwedes Betreuungskonzept nur gemeinsam in einer Allianz mit den Patient:innen funktioniert.

Dieses Gesamtkonzept haben wir gemeinsam in einem Team aus Zahnmedizinern und Internisten entwickelt und begleiten es aktuell natürlich auch wissenschaftlich, um den Mehrgewinn beweisen zu können. Zudem wollen wir es auf weitere Dialysezentren bzw. -praxen erweitern und damit noch näher an die Versorgungsrealität bringen. Hierfür wollen wir auch das Preisgeld in Höhe von 20.000 EUR als Anschubfinanzierung nutzen.

Stichwort Interdisziplinarität: Wie wichtig ist die fachübergreifende Zusammenarbeit der zahnmedizinischen Prävention mit eigentlich allen Bereichen der Medizin? Könnt Ihr uns hier konkrete Beispiele geben, die die Verknüpfung von Mundgesundheit und Allgemeingesundheit verdeutlichen.

Es ist heute absolut notwendig, dass wir als Zahnmediziner:innen mit unseren Kolleg:innen der medizinischen Fächer kooperieren. Ein seit langem bekanntes Beispiel ist der Diabetes mellitus, wobei inzwischen klar ist, dass wir hier nur im Team Patient:in, Zahnarzt/ärztin und Hausarzt/ärztin zu einem langfristig stabilen Therapieergebnis kommen können.

Ein anderes Beispiel an dem wir in Leipzig seit längerem arbeiten ist die Bedeutung der Mundgesundheit für die Gesundheit künstlicher Gelenke, sogenannter Endoprothesen. In einer aktuellen Studie mit mehr als 2.500 Patient:innen konnten wir zeigen, dass eine zahnärztliche Untersuchung und ggf. Behandlung vor Endoprothesen-Operation das Risiko für Frühinfektionen an der Endoprothese um mehr als die Hälfte reduzieren kann.

Natürlich sind die Patient:innen mit Nierenersatztherapie auch ein gutes Beispiel. Hierbei haben insbesondere Patient:innen unter Dialyse stark reduzierten Speichelfluss und ein geschwächtes Immunsystem. Die Folge sind häufig Parodontitis und Karies, besonders im Wurzelbereich. Diese Erkrankungen gehen häufig mit einer erhöhten Menge an potenziell krankmachenden Bakterien im Mund einher. Diese können ins Blut gelangen und zu Infektionen außerhalb der Mundhöhle führen. Hier zeigt sich, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fachdisziplinen ist, um zum einen die Mundgesundheit möglichst zu erhalten und gleichzeitig systemischen Komplikationen vorzubeugen.

Die Motivation zur Mundhygiene und damit den Erhalt einer Mundgesundheit bei Patienten ist eines der Grundthemen von Prävention und Prophylaxe – da können Konzepte in der Theorie noch so gut sein, die Krux an der Sache ist die Compliance der Patienten. Machen sie mit, und wenn ja nachhaltig, oder nicht. Welche Kniffe könnt ihr zu diesem Thema empfehlen bzw. welche Erfahrungen aus Eurer Praxis versprechen Erfolg?

Der Aspekt der Zusammenarbeit mit den Patient:innen stellt für jedes Konzept den absoluten Grundpfeiler dar. Hier wird in der Zahnmedizin gern von Motivation, Instruktion und Information zur Steigerung der Compliance gesprochen. Insbesondere in Bezug auf chronisch kranke Patient:innen kommt man damit definitiv nicht weit. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich nach dem Zahnmedizinstudium auch noch ein Studium der Gesundheitspsychologie absolviert habe um die Zusammenhänge und mögliche Lösungsansätze besser zu verstehen.

Der entscheidende Kniff, und dies nutzen wir auch in unserem Leipziger Konzept, ist die absolute Patientenzentrierung des Konzepts – wir geben den Patient:innen in gewisser Weise das Ruder selbst in die Hand. Wir nutzen dafür die visuelle Metapher PRISM aus der Psychosomatik. Bei dieser Methode reflektieren die Patient:innen selbst den Stellenwert ihrer Mundgesundheit, wie sie die Mundhygiene betreiben und legen selbst fest, welche Veränderung sie, mit Unterstützung des zahnmedizinischen Teams, realisieren wollen. Wir gehen damit bewusst aus der „übergestellten“ Rolle der behandelnden Ärzt:innen mehr in die Rolle eines Coaches und versuchen damit den Patient:innen zu signalisieren, dass die Mundgesundheit ein gemeinsames Ziel darstellt, an welchem wir gemeinsam arbeiten müssen. Es klingt im ersten Moment vielleicht etwas unkonventionell, jedoch ist ein wirklich stabiles Mundgesundheitsverhalten bei chronisch kranken Patient:innen nur zu erreichen, wenn diese die Verantwortung für ihre Mundgesundheit selbst übernehmen und auch das Gefühl entwickeln, dass sie selbst etwas tun können. Dieser Ansatz funktioniert natürlich nicht immer, verringert aber das Risiko enorm, „am Patienten vorbei“ zu arbeiten. Aufklärung zu Zusammenhängen zwischen Mund- und Allgemeingesundheit ist zweifelsfrei wichtig, wird aber bei einem chronisch kranken Menschen nahezu niemals ausreichen, um diesen zu einer positiven Verhaltensänderung zu bewegen.

Dies beobachten wir auch in unserem Konzept, wo wir den Einsatz „konventioneller“ Aufklärung zur Bedeutung der Mundgesundheit für die Allgemeingesundheit der Dialysepatient:innen mit dem Einsatz von PRISM und einem Ansatz des „Mundgesundheitscoachings“ verglichen haben. Erste Daten zeigen klar, dass sich die Patienten bei Einsatz einer visuellen Metapher viel mehr mit dem Thema Mundgesundheit befassen und ebenso bestrebter sind, entsprechende Ziele zu erreichen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

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