Wissenschaft und Forschung 23.10.2012
Der evolutionäre Ursprung unserer Zähne
Bislang war umstritten, ob die frühesten Wirbeltiere, die Kiefer hatten, schon Zähne besaßen oder nicht. Nun hat ein international zusammengesetztes Forschungsteam gezeigt, dass der urzeitliche Fisch Compagopiscis bereits Zähne hatte. Das deutet darauf hin, dass Zähne in der Evolution gemeinsam mit den Kiefern entstanden sind – oder zumindest kurz danach.
Federführend bei dem Projekt waren Forscher der Universität Bristol, die entscheidenden Untersuchungen, die Einblicke in die Fossilien ermöglicht haben, sind an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des Paul Scherrer Instituts in Villigen (Schweiz) durchgeführt worden. Die Forscher präsentieren ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Nature.
Ein
schönes Lächeln braucht Kiefer und Zähne. Aber erst jetzt ist die
evolutionäre Herkunft dieser Teile unserer Anatomie entdeckt worden.
Möglich gemacht haben diese Entdeckung ein Teilchenbeschleuniger und ein
längst ausgestorbener Fisch. Alle heute lebenden Wirbeltiere – also solche mit einer Wirbelsäule –,
die Kiefer haben, besitzen auch Zähne. Man hat aber lange Zeit
angenommen, dass es frühe Wirbeltiere gab, die zwar schon Kiefer hatten,
aber eben noch keine Zähne. Man stellte sich vor, dass sie ihre Beute
mit kräftigen scherenartigen Kiefern fingen.
Neueste Forschungen unter der Federführung der Universität Bristol, die
heute im Fachjournal Nature veröffentlicht worden sind, zeigen, dass
schon die frühesten kiefertragenden Wirbeltiere Zähne hatten. Das deutet
darauf hin, dass Zähne in der Evolution gemeinsam mit den Kiefern
entstanden sind – oder zumindest kurz danach. Dazu haben Paläontologen der Universität Bristol, des Natural History
Museum (London) und der Curtin University (Perth, Australien) gemeinsam
mit Physikern des Paul Scherrer Instituts PSI die Kiefer des
urzeitlichen Fisches Compagopiscis untersucht. Das Team hat Versteinerungen von Compagopiscis mithilfe von
hochenergetischem Röntgenlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz
des PSI untersucht und dabei Aufbau und Entwicklung von Zähnen und
Kiefern sichtbar gemacht.
Der Erstautor des Nature-Artikels Martin Rücklin von der Universität
Bristol sagt: „Wir konnten alle Strukturen innerhalb der knöchernen
Kiefer sichtbar machen: Gewebe, Zellen, Wachstumslinien, was uns
ermöglichte, die Entwicklung von Kiefern und Zähnen zu studieren. Wir
haben dann Vergleiche mit der Embryonalentwicklung heutiger Wirbeltiere
angestellt. So konnten wir zeigen, dass Panzerfische, zu denen der
untersuchte Fisch gehört, Zähne hatten.“
Mitautor Philipp Donoghue von der Fakultät für Erdwissenschaften der
Universität Bristol sagt: „Das sind eindeutige Beweise, dass diese
frühen kiefertragenden Wirbeltiere Zähne besassen. Diese Ergebnisse
entscheiden die Debatte über den Ursprung von Zähnen.“
Mitautorin Zerina Johanson vom Natural History Museum sagt: „Diese
wunderbar erhaltenen Fossilien aus Australien bergen viele Geheimnisse
über unsere evolutionäre Herkunft, aber ihre Erforschung musste auf ein
zerstörungsfreies Verfahren warten, wie wir es hier verwendet haben.
Ohne die Zusammenarbeit zwischen Paläontologen und Physikern würde
unsere Evolutionsgeschichte immer noch in Stein verborgen sein.“
Marco Stampanoni, Leiter der Synchrotrontomografiegruppe am Paul
Scherrer Institut und Professor am Institut für Biomedizinische Technik
der ETH Zürich sagt: „Wir haben zerstörungsfrei dreidimensionale
Mikroskopbilder der untersuchten Objekte erzeugt. Dabei haben wir
Synchrotronlicht aus der Synchrotron Lichtquelle Schweiz, einer sehr
starken Röntgenlichtquelle genutzt. Dieses Verfahren erlaubt uns, ein
perfektes digitales Modell des Fossils und detaillierte Einblicke in
sein Inneres zu gewinnen – ohne das Fossil zu zerstören. Normalerweise
liefert unsere Methode hochaufgelöste Bilder sehr kleiner Proben. Für
dieses Experiment haben wir den Experimentieraufbau und die
Rekonstruktionsalgorithmen modifiziert, um das Sichtfeld zu vergrössern,
ohne aber die Auflösung zu verschlechtern.“
Die Arbeit wurde finanziert vom Siebten EU-Forschungsrahmenprogramm (EU
Framework Programme 7), dem britischen Rat für Umweltforschung (Natural
Environment Research Council) und vom Paul Scherrer Institut.
Quelle: Paul Scherrer Institut