Wissenschaft und Forschung 16.03.2012
Gemeinsam gegen Implantatinfektionen
„Bereits jetzt haben wir in Hannover ausgeprägte Grundlagenforschung und klinische Forschung auf dem Gebiet Implantat-assoziierter Infektionen, was sich auch in zahlreichen geförderten Forschungsverbünden zeigt. Der Fokus liegt besonders auf der Entwicklung neuer Implantatoberflächen zur Reduzierung des Risikos derartiger Infektionen“, erläutert Professorin Stiesch. Eine wesentliche Plattform der I4A-Allianz bildet nach Aussage der Forscherin die von hannoverschen Wissenschaftlern gegründete Biobank, in der infizierte Implantate und umgebende Gewebe aus verschiedenen medizinischen Disziplinen eingelagert und damit wissenschaftlichen Untersuchungen zugänglich gemacht werden. Dr. Manfred Elff, Vorstandvorsitzender des Niedersächsischen Zentrums für Biomedizintechnik, ergänzt: „Die Gründung dieser Allianz und insbesondere die transatlantische Kooperation bei der Reduzierung Implantat-assoziierter Infektionen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer ganzheitlichen Bearbeitung der Implantatforschung und Entwicklung, also den Kernzielen unseres Zentrums.“
Die europäische I4A-Allianz wird von den bereits bestehenden Strukturen
des nordamerikanischen Pendants profitieren, wie Professorin Stiesch
erläutert. Professor Dr. Rabih O. Darouiche, Sprecher der
nordamerikanischen Allianz, begrüßt die transatlantische Kooperation
zwischen den Allianzen und sieht der ersten gemeinsamen Tagung, die
bereits für den Herbst 2012 in Hannover geplant ist, mit großem
Interesse entgegen. Von 2013 an sollen die gemeinsamen Jahrestagungen
der Allianzen abwechselnd in Europa und den USA stattfinden. Zudem wird
die I4A -Allianz im Bereich der Grundlagenforschung eng mit den
Nordamerikanern zusammenarbeiten, was sich bereits in interdisziplinären
Pilotprojekten zwischen der Arbeitsgruppe von Professor Darouiche und
der MHH zeigt.
Gründungsmitglieder der I4A-Allianz sind Klinikleiter zahnmedizinischer
und chirurgischer Kliniken der MHH sowie Vertreter des
Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung Braunschweig, der Leibniz
Universität Hannover, Technische Universität Braunschweig sowie des
Laser Zentrum Hannover.
Imprägnierung spart Millionen
Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-,
Transplantations- und Gefäßchirurgie, der mit seiner Klinik ebenfalls
zu den Gründungsmitgliedern gehört, sieht in den Implantat-assoziierten
Infektionen neben all dem Leid für die betroffenen Patienten auch einen
riesigen Kostenfaktor: „Derartige Infektionen verursachen allein im
deutschen Gesundheitswesen Kosten vom mehreren hundert Millionen Euro“,
sagt Professor Haverich. „Nehmen wir zum Beispiel nur die
kardiovaskulären Implantate wie Schrittmacher, Gefäßprothesen und
Herzklappen, so schätzen wir die infektionsbedingten Behandlungskosten
auf fast 120 Millionen Euro pro Jahr.“
Einer seiner Forscher hat nun eine neue Beschichtung für kardiovaskuläre
Implantate entwickelt, für die er den Forschungspreis während der 25.
Tagung der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie gewonnen hat.
„Die Beschichtungen – eine Art Imprägnierung – bieten den Patienten den
entscheidenden Vorteil, dass die Implantate besser gegen Infektionen
geschützt sind“, sagt Dr. Theodosios Bisdas. „Prothesen können während
der Implantation kontaminiert werden“, erläutert er. Mikroorganismen
vermehren sich auf der Prothese und bilden eine mehrzellige Schicht –
den sogenannten Biofilm. Er schützt die Keime vor einem Angriff von
Antibiotika oder dem körpereigenen Immunsystem.
Der MHH-Forscher hat mit seinem Team die Prothesen experimentell
imprägniert. Dies soll die Kontamination der Gefäßprothesen vor und
während der Operation und die entsprechende Ausbildung von Biofilmen
minimieren. „Solche Infektionen innerhalb der ersten Tag nach der
Operation sind für die meisten Komplikationen verantwortlich“, erklärt
Dr. Bisdas. Der Mediziner hat die Biofilme vier verschiedener Bakterien
(Staphylococcus epidermidis und aureus, Pseudomonas aeruginosa,
Escherichia coli) dargestellt und untersucht wie drei Antibiotika
(Daptomycin, Rifampicin, Nebacetin) als Imprägnierungsmittel wirken.
Dieses Experiment zeigte eine sehr gute antibakterielle Wirkung von
Nebacetin gegen alle vier Bakterien. „Wenn wir die kardiovaskulären
Implantate damit tränken, können wir die frühen Infektionen um fast die
Hälfte reduzieren“, erklärt Professor Haverich, „und allein damit 77
Millionen Euro pro Jahr sparen.“
Im Verbund erfolgreich
„Erfolge dieser Art werden im Niedersächsische Zentrum für
Biomedizintechnik möglich, weil Mediziner, Naturwissenschaftler und
Ingenieure an einem Strang ziehen“, sagt Professor Dr. Thomas Scheper,
Direktor des Instituts für Technische Chemie der Leibniz Universität
Hannover, der ebenfalls in dem Zentrum forscht. Eine Beschichtung von
Implantaten mit Silbernanopartikeln hat gezeigt, dass Bakterien über
einen Zeitraum von mehreren Wochen in ihrem Wachstum vollständig
behindert werden ohne dass die menschlichen Zellen negativ beeinflusst
werden, nennt der Chemiker als ein weiteres Beispiel. Gemeinsam mit
Medizinern der MHH forschen die Chemiker an Implantatoberflächen, die
die Bakterienanhaftung minimieren und gleichzeitig gut bioverträglich
sind. „Hier führt eine gezielte spezifische biokompatible Modifikation
der Oberflächen dazu, dass keine Infektionen oder Abwehrreaktionen
hervorgerufen werden“, sagt Professor Scheper. „Unser Ziel ist es,
organ- und patientenspezifische Lösungen zu finden.“
Das Niedersächsisches Zentrum für Biomedizintechnik wurde im November
2008 als gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der MHH, der
Leibnizuniversität Hannover, der Tierärztlichen Hochschule Hannover und
des Laser Zentrum Hannover gegründet, um die Kompetenzen der
Implantatforschung an einem Standort zu bündeln. „Im Juni wollen wir den
Grundstein für den vom Land Niedersachsen geförderten, 53,8 Millionen
Euro teuren Forschungsbau am Stadtfelddamm legen“, erklärt der
Vorstandsvorsitzende Dr. Elff. Ende 2013 sollen die knapp 300
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter fast 80 Ingenieure
und Physiker, in den 7000 Quadratmeter großen Neubau einziehen.
Auch die Suche nach einem neuen Namen war erfolgreich, wie Dr. Elff
betont. „Das kaum auszusprechende Kürzel NZ-BMT ist Geschichte. Das
niedersächsische Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und
Entwicklung heißt ab sofort NIFE.“ Auch ein neues Logo wurde kreiert.
Quelle: Medizinische Hochschule Hannover