Patienten 08.05.2008
Kinder haben Biss
Kinderzähnen geht es in Deutschland gut. Die Zahngesundheit war aber hier zu Lande nicht immer auf einem so hohem Niveau, sondern hat sich erst in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Aber ohne viel weitere Arbeit werden Milchzähne kaum so ansehnlich bleiben.
Milchzähne sind etwas Besonderes. Sie sind nicht nur anders beschaffen als die des erwachsenen Gebisses, sondern vor allem entscheidend für die Sprachentwicklung, und als Platzhalter für die bleibenden Zähne verhindern sie Fehlstellungen im Kiefer und besitzen einen weicheren Schmelz und sind daher besonders kariesgefährdet. Milchzähne brauchen deshalb eine besondere Pflege.
Die Mehrheit der Eltern weiß, wie wichtig gesunde Milchzähne sind, wie eine Umfrage der Firma Colgate zeigte. Leider glauben immerhin 7% der Erwachsenen, dass die ersten Zähnchen nicht besonders gepflegt werden müssen, weil ja „neue“ kommen. Die Grundlagen für eine lebenslange Mundgesundheit werden aber bereits im frühesten Kindesalter gelegt.
Wesentlicher Faktor für gesunde Zähne und gesundes Zahnfleisch ist eine frühzeitige und individuelle Prophylaxe, die mit der häuslichen Mundpflege beginnt, mit der Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen fortgesetzt sowie durch die Individualprophylaxe in der Zahnarztpraxis ergänzt wird. So viel zur Theorie, aber wie steht es tatsächlich um die Mundgesundheit der Kleinen?
Gesunde Zähne
Die neusten Ergebnisse der vierten bundesweit erhobenen Studie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) zeigen, dass die Zahngesundheit bei Kindern und Jugendlichen aufwärts geht. Diese erfreuliche Bilanz zogen die Wissenschaftler aus den Daten von rund 75.000 untersuchten Kindern in ganz Deutschland im Jahr 2004. Dokumentiert wurde dabei der so genannte dmft-Wert (decayed, missing or filled teeth), der anzeigt, wie viele Zähne pro Kind nicht gesund, also kariös bzw. wegen Karies gefüllt oder extrahiert sind. Ein dmft-Wert von 0 bedeutet demnach ein naturgesundes Gebiss.
Bei den Schulanfängern lag der Kariesrückgang der DAJ-Studie zufolge in den letzten zehn Jahren bei durchschnittlich 25%. Der Karies-Index in dieser Altersgruppe der 6- bis 7-Jährigen betrug im letzten Jahr 2,16. Besonders hoch fiel der Kariesrückgang aber bei den 12-Jährigen aus. Während Gleichaltrige vor zehn Jahren durchschnittlich noch 2,44 kariöse, gefüllt oder extrahierte Zähne hatten, ist es in dieser Altersgruppe heute im Durchschnitt nur noch etwa einer (0,98 Zähne). Das ist eine Verbesserung um mehr als das Doppelte (60%)!
Erstmalig wurde 2004 auch die Gruppe der 15-Jährigen in die Studie einbezogen, um die Veränderungen der Zahngesundheit für die bisher in Deutschland für Jugendliche angebotene Gruppenprophylaxe abzubilden. Durchschnittlich sind bei ihnen 2,05 Zähne nicht mehr gesund.
Die DAJ-Studie konnte erstmalig auch nachweisen, dass die Gruppe der Kinder mit hohem Kariesrisiko in gleicher Weise vom allgemeinen Kariesrückgang profitiert. In den letzten Jahren hat sich ihr dmft-Wert von 5,41 auf 2,83 verbessert. Ein besonders erfreuliches Ergebnis der Studie ist daneben die steigende Zahl von Kindern mit naturgesunden Gebissen in allen Altersgruppen.
Mit dem positiven Kariesrückgang in allen Altersgruppen steigerte Deutschland seine Position in der Spitzengruppe der europäischen Länder. In der Gruppe der 12-Jährigen wurden bereits 2004 in der Hälfte der Bundesländer das globale WHO-Ziel für das Jahr 2010 und der von der Bundeszahnärztekammer für Deutschland geforderte dmft-Wert von 1,0 schon jetzt unterschritten.
Polarisierung der Karies
Dank intensiver Prophylaxemaßnahmen ist Karies bei Kindern und Jugendlichen in einem erheblichen Maße zurückgegangen. Trotz dieser guten Werte zeigen die Daten eine deutliche Polarisierung des Kariesbefalls. So gibt es erhebliche regionale Unterschiede und in allen Altersgruppen steht einer großen Gruppe von Kindern ohne Karies eine kleine Gruppe mit sehr vielen Löchern gegenüber. In der Gruppe der 12-Jährigen erzielte zum Beispiel Baden-Württemberg den besten dmft-Wert mit 0,71 und Mecklenburg-Vorpommern mit 1,42 den schlechtesten.
Daneben gibt es eine sehr bedenkliche Entwicklung bei Kleinkinderzähnen. So ist die Mundgesundheit der kleinsten Kleinen mit dem Wert 2,74 heute sogar schlechter als im Jahr 2000 (2,33). Und im Durchschnitt ist immerhin fast die Hälfte aller kariösen Milchzähne nicht saniert. Grund, so vermuten die Wissenschaftler, ist die gestiegene soziale Belastung der Familien, die nachweislich in engem Zusammenhang mit der Mundgesundheit der Kinder steht. Wie intensiv Kids ihre Zähne pflegen, hängt nämlich im erheblichen Maße vom sozioökonomischen Status der Familie (Einkommen, Bildung) und von der elterlichen Erziehung ab. Einer Untersuchung in Hessen zufolge hatten 12-jährige Schüler an Hauptschulen (dmft-Wert 1,61) im Vergleich zu ihren Mitschülern an Gymnasien (dmft-Wert 0,58) weit mehr als doppelt so viele defekte Zähne. Kinder- und Zahnärzte befürchten deshalb, dass eine neue Karieslawine auf Deutschland zurollt: Wachsende Armut, niedriger Bildungsgrad und geringes Einkommen, Arbeitslosigkeit und die verstärkte Migration von Familien in bestimmte Regionen erhöhen statistisch das Risiko für faule Zähne. Das verstärkte Aufkommen von Milchzahnkaries hat aber sicherlich auch mit der schlechten Aufklärung der Eltern und der mangelnden Inanspruchnahme regelmäßiger Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt zu tun, obwohl diese praxisgebührenfrei sind.
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Vorbild Eltern
Kleinkinder können mit den Begriffen Zahnpflege oder Karies noch nichts anfangen. Doch schon beim ersten Zahn geht die Pflege los. Hier ist verantwortungsvolles Verhalten der Eltern erforderlich.
Eine Umfrage im Auftrag von Colgate, für die das Markt- und Meinungsforschungsinstitut ICON Kids & Youth 655 Kinder zwischen 6–12 Jahren und deren Mütter befragte, ergab, dass Kinder bei der Mundhygiene eigentlich hoch motiviert sind. 86% der befragten Kinder putzen mindestens zweimal täglich die Zähne und 80% der 6- bis 7-Jährigen wissen, dass schlechte Mundpflege Karies verursacht. Angst vor dem Zahnarztbesuch haben 43% der Kinder und auch fast jeder dritte Erwachsene. Trotzdem gehen 81% der Eltern regelmäßig mit ihren Kindern zum Zahnarzt, denn hier sind sich Mütter ihrer erzieherischen Verantwortung bewusst. So unterstützen 76% die Aussage: „Eltern haben einen großen Anteil daran, ob Kinder ihre Zähne regelmäßig pflegen.“ Allerdings sind Eltern beim Naschen leider nicht so konsequent. Nur 56% geben ihren Kindern nach dem abendlichen Zähneputzen keine zuckerhaltigen Getränke mehr.
Interessant ist übrigens, dass die Befragten aus den neuen Bundesländern in allen Kategorien deutlich die Nase vorn hatten. In Ostdeutschland putzen sich rund 95% der Kinder zwischen 6 und 12 Jahren mindestens zweimal täglich die Zähne gegenüber 85% in den alten Bundesländern. 97% der ostdeutschen Kinder sind der Meinung, sie bekämen Karies, wenn sie nicht regelmäßig ihre Zähne putzten. Im Westen sind es nur 77%. Auch beim Zahnarztbesuch liegt der Osten ebenfalls vorn: 96% der Kinder gehen regelmäßig zum Zahnarzt, im Westen sind es 20% weniger. Eltern sollten mit ihren Kindern vor allem aber auch möglichst früh in die Zahnarztpraxis kommen. Zum einen, um die Kinder daran zu gewöhnen, vor allem aber auch, um ihnen rechtzeitig Hilfestellung geben zu können.
Anfangs müssen die Eltern die Zahnpflege übernehmen und später zumindest noch nachputzen. Erst mit ca. vier Jahren können Kinder eine komplexe Putztechnik lernen. Ein frühes Einüben und Durchführen geeigneter und altersgerechter Mundhygienemaßnahmen ist daher wichtig. Kinder lernen aus dem Verhalten ihrer Eltern. Daher ist es erfreulich, dass knapp 60% der Eltern bestätigen, mit ihren Kindern gemeinsam Zähne zu putzen, wie die Studie von Colgate bestätigt. Die Eltern sollten in der Zahnpflege insgesamt mit gutem Beispiel vorangehen.
Ernährung
Neben einer optimalen Zahnpflege spielt die richtige Ernährung die wichtigste Rolle für die Verhinderung von Zahnerkrankungen. Und was in frühester Kindheit an unausgewogenen Ernährungsgewohnheiten erlernt wird, setzt sich leider häufig bis ins Erwachsenenalter fort. Eine echte Gefahr für die Zähne ist heute vor allem der häufige Konsum von Süßigkeiten und gezuckerten Getränken. Mit einem jährlichen Zuckerverbrauch von gegenwärtig 33 kg pro Kopf liegen wir in Deutschland mehr als 10 kg über den WHO-Ernährungsempfehlungen aus dem Jahre 2003. In den letzten 30 Jahren ist hier zu Lande der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Limonaden und Erfrischungsgetränken von 19 auf 40 Liter angestiegen und der Konsum von Fruchtsäften nahm von 70 auf 100 Liter zu – kein Wunder also, dass Kariesbakterien schon bei den Milchzähnen einen idealen Nährboden finden. Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin, meint dazu: „Ein einfaches Produkt würde schon viel helfen, die Zahngesundheit der kleinsten, der kleinen und der Vorschulkinder zu erhöhen: Wasser trinken statt Saft oder Limo oder gesüßtem Kakao. Zu viel Süßes, Saures und zu wenig Mundhygiene – das sind die Killer der Kinderzähne.“
Wie Dr. Schmiedel richtig feststellt, fängt Zahnpflege schon beim Trinken an. Daher rückt zunehmend auch ein anderes Problemfeld in den Vordergrund: Die Nuckelflaschenkaries ist leider ein Begriff, der keinem Zahnarzt mehr unbekannt ist. Sie entsteht vor allem durch das Dauernuckeln und tritt in der Regel schon im Alter zwischen ein und vier Jahren auf. Betroffen sind inzwischen mehr als 10% aller Kinder in diesem Alter, mit zum Teil bis auf den Stumpf abgefaulten Milchzähnen, Zahnschmerzen, Entzündungen des Zahnfleischs und einem entstellten Kinderlachen.
Die Aktion zahnfreundlich des Vereins für Zahnhygiene e.V. bietet auf diesem Gebiet bereits seit 20 Jahren sinnvolle Alternativen. Sie bietet zahnfreundliche Süßigkeiten, die Kinderzähnen nicht schaden, damit Eltern ihren Kindern das Naschen nicht verbieten müssen. Statt Zucker enthalten die zahnfreundlichen Produkte Austausch- und Süßstoffe und sind durch das Zahnmännchen auf der Verpackung gekennzeichnet.
Fluoridierung
Neben der gründlichen Entfernung von Zahnbelägen und einer ausgewogenen Ernährung stellen Fluoride den dritten Baustein gegen Karies dar. Für die deutliche Reduktion kariöser Defekte bei Kindern und Jugendlichen werden vor allem auch Fluoridierungsmaßnahmen verantwortlich gemacht. An der besten Art der Fluoridierung scheiden sich allerdings die Geister. Um dem Streit ein Ende zu bereiten und die richtige „Fluoridstrategie“ zu finden, beauftragte die Bundeszahnärztekammer gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung die Wissenschaftler Hans Jürgen Gülzow (Hamburg), Elmar Hellwig (Freiburg) und Gisela Hetzer (Dresden) mit der Erstellung einer Leitlinie zu den Fluoridierungsmaßnahmen. Sie beurteilten die kariesprophylaktische Effektivität der unterschiedlichen Fluoridapplikationen wie Fluoride in Zahnpasta, Tabletten, Haushaltssalz und besonderen Lacken, Gelen oder Mundspüllösungen. Sie stellten alle verfügbaren Einzelstudien im Recherchezeitraum von 1980 bis 2004 zusammen und bereiteten sie systematisch auf. Die daraus entstandene Leitlinie dient Zahnärzten nun als Orientierungshilfe. Die Langfassung und die als Thesen komprimierte Form der Leitlinie können unter www.zzq-koeln.de als pdf-Datei heruntergeladen werden.
Information
Ohne Information keine Motivation. Aufklärungsaktionen sollen hier helfen und zur intensiveren Nutzung präventiver Maßnahmen führen. Patienten und Verbraucher sollen für gesunde Zähne sensibilisiert und zu einer rechtzeitigen Vorbeugung motiviert werden. Eine wichtige Informationskampagne ist zum Beispiel der bundesweite „Tag der Zahngesundheit“, der seit 1991 jedes Jahr am 25. September stattfindet. Mit verschiedenen Aktionen soll der Bevölkerung das Motto „Gesund beginnt im Mund“ näher gebracht werden. Für Kinder und Jugendliche gibt es besondere Veranstaltungen in Kindergärten und Schulen.
Ebenso bedeutsam ist die Aufklärungskampagne „Monat der Mundgesundheit“. Diese Kooperation zwischen Colgate und der Bundeszahnärztekammer findet bereits zum fünften Mal statt. Dabei wird der September zum „Monat der Mundgesundheit“ ernannt und jeweils ein thematischer Schwerpunkt gewählt. Kern der Informationskampagne ist der Patientenratgeber, der sich in diesem Jahr dem Thema „Mundgesundheit von Anfang an – Prophylaxekonzepte für Mutter und Kind“ widmete. Hier soll die Aufklärungsarbeit bereits dort ansetzen, wo ein erhöhter Aufmerksamkeitsgrad für die Gesundheit des Kleinkindes zu erreichen ist – also schon während der Schwangerschaft.
Noch viel zu tun
Die frühzeitige, aber auch kontinuierliche Prophylaxe ist der Schlüssel für gesunde Zähne ein Leben lang. Doch erst im Erwachsenenalter damit anzufangen ist zu spät. Viele der Probleme, mit denen sich Zahnärzte bei erwachsenen Patienten herumärgern, haben schon viel frühere Ursachen, und eine intensive Zahnpflege und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen von Anfang an machen aufwändige Behandlungen unnötig.
Das Mundhygienebewusstsein bei Eltern und ihren Kindern hat in den letzten Jahren eine wesentliche Verbesserung erfahren. Die bisherigen Bemühungen haben sich ausgezahlt, aber immer noch gibt es viel zu tun. Experten fordern vor allem neue Konzepte in der Kariesvorbeugung und vor allem eine gezieltere Ansprache von Risikogruppen. Hier sind Mühe, Zeit und Kosten besser eingesetzt als für spätere kurative Maßnahmen.
Autorin: Kristin Pakura, Leipzig