Personalmanagement 04.12.2017

„Als ‚Hahn im Korb‘ fühle ich mich überhaupt nicht“

„Als ‚Hahn im Korb‘ fühle ich mich überhaupt nicht“

Foto: privat

Ein Interview mit Niclas Stettnisch, männlicher Azubi zum Zahnmedizinischen Fachangestellten im 3. Lehrjahr in der Zahnarztpraxis Leonhardt, Radevormwald (Nordrhein-Westfalen).

Wie kam es zu Ihrer Entscheidung für eine Ausbildung zum Zahnmedizinischen Fachangestellten?

Ich hatte keine Ausbildungsstelle in den Bereichen gefunden, die mir als Erstes in den Sinn gekommen sind. Nach etlichen Praktika in vielen Berufen hatte ich dann in der zahnmedizinischen Assistenz am meisten Spaß. Mich hat das präzise Arbeiten am Patienten begeistert, außerdem die Professionalität bei gleichzeitiger Diskretion: Man muss bei der Behandlung einfühlsam und konsequent zugleich sein, damit sie zum gewünschten Erfolg führt.

Wie war das Feedback aus Ihrem Freundes- und Familienkreis darauf?

Verschieden. Der Großteil war positiv überrascht, ein kleiner Teil war dem Verdienst gegenüber kritisch und ein noch kleinerer Teil fand die Entscheidung zu unmännlich.

Welche Reaktionen erhalten Sie, wenn Sie erzählen, welchen Beruf Sie erlernen?

Manche möchten Zahnpflegetipps, die meinen man wäre ein junger Zahnarzt, oder aber sie fragen, ob ich „Zahnarzthelfer“ sei. Die Pro‘s und Con‘s halten sich ungefähr 50/50 die Waage. Meist ist die Überraschung erst einmal groß, aber ich finde es immer interessant und ein bisschen schmeichelhaft, wenn ich als Doktor angesprochen werde, denn dabei ist automatisch mehr Zutrauen in meine Fähigkeiten inklusive.

War Ihre Suche nach einem Ausbildungsplatz in dem bislang vornehmlich weiblich besetzten Berufszweig Ihrer Meinung nach schwieriger?

Keineswegs. Es gibt kaum Bewerber. Als ich anfangs in meiner Berufsschulklasse herumgefragt habe, warum sich meine Mitstreiter genau für diese Ausbildung entschieden haben, kam meist die Antwort, dass es sich lediglich um eine Ausweichmöglichkeit handelte, da man im Traumberuf keine passende Stelle gefunden habe. Hauptargument gegen die Ausbildung ist nach wie vor das niedrige Gehalt. Inzwischen ist für viele die Notlösung aber zur perfekten Lösung avanciert.

Wie sieht Ihr Alltag in der Berufsschule aus? Gibt es männliche Mitstreiter und wenn ja, wie viele?

Der erste Tag startete etwas holprig: Da kam ich in meine Klasse und die Lehrerin schickte mich direkt wieder weg und meinte, ich hätte mich in der Tür geirrt – nach einem genaueren Blick auf ihre Namensliste war sie ganz überrascht – und hat sich direkt entschuldigt. Wir haben viel Spaß in der Klasse, aber es ist halt anders als mit den Jungs. Ich selbst war positiv überrascht, denn auch ich hatte zunächst Vorbehalte, wie es wohl ganz allein unter so vielen Mädels wird. Man hat von Anfang an gesehen, welche Mädels damit klarkommen und welche nicht – die meisten waren neugierig, aber einige wenige hatten und haben das Vorurteil, dass man nur ihre Telefonnummer will. Als „Hahn im Korb“ fühle ich mich überhaupt nicht, ich sehe mich eher als gutes Beispiel, dass Klischeedenken überholt ist. Es gibt noch einen männlichen Mitstreiter in der Berufsschule, aber ihn habe ich auch erst seit dem 3. Lehrjahr angetroffen.

Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit in der Zahnarztpraxis besonders?

Den Umgang mit den verschiedenen Menschen und dass man die Zufriedenheit direkt sieht. Der schönste Lohn ist das Lächeln der Menschen, die man beispielsweise als Notfall mithilfe des Zahnarztes von akuten Schmerzen befreit hat – da sagt ein ehrliches Danke mehr als tausend Worte.

Wie reagier(t)en die Patienten auf Sie als männlichen ZMF?

Zum einen mit „Guten Morgen, Herr Doktor“. Andere meinten nur, wie cool sie es fänden und dass ich eine gesunde Abwechslung sei.

Wie räumen Sie mit eventuellen Vorurteilen, die Ihnen im Alltag begegnen, auf?

Mit ein paar guten Scherzen! Davon habe ich immer einige auf Lager.

Was schätzen Sie besonders an Ihrem Praxisteam?

Ganz klar den Humor, die genialen Charaktere in unserem Team und unseren Umgang miteinander.

Hat sich innerhalb des Praxisteams etwas verändert, als Sie als Mann hinzugekommen sind?

Als positive Rückmeldung würde ich das lockere und lustige Arbeitsverhältnis werten, denn es wird immer viel gelacht und die gute Stimmung überträgt sich auch auf die Patienten – das ist alles sehr ausgeglichen. Negativ, wenn man denn so sagen will, sind lediglich meine zu langen Beine (lacht) – die sind bei der Stuhlassistenz manchmal hinderlich. Wenn sich zum Beispiel einmal zwei Kolleginnen uneinig sind, kommen sie oft unabhängig voneinander zu mir und ich agiere dann als Kompromissfinder. Manchmal fühle ich mich wie ein Azubi-Guru (lacht).

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Wenn ich ehrlich bin, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Eventuell möchte ich mich im Abrechnungswesen fortbilden, vielleicht aber auch studieren oder im Management weiterbilden.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit der Beruf des Zahnmedizinischen Fachangestellten für junge Männer interessanter wird?

Die Gesellschaft sollte mehr dieses Schubladendenken ablegen und wissen, dass auch „untypische“ Berufe sehr viel Spaß machen können. Zum Beispiel sollte man die jungen Leute schon im ersten Moment bei der Jobbörse geschlechtsneutral ansprechen, denn bei Schreibweisen von Jobangeboten, die nur auf die weiblichen Ausbildungssuchenden abzielen, fühlt Man(n) sich direkt ausgeschlossen.

Sie sind jetzt im dritten und letzten Lehrjahr – Bröckeln die Vorurteile in der Zwischenzeit?

Das sind sie schon nach den ersten drei Monaten, würde ich behaupten. Insbesondere in der Schule.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für die Zukunft.

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